E-Book, Deutsch, 302 Seiten
Hübner Irrfahrten
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7562-9030-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Lesebuch tragikomischer Geschichten aus der griechischen Mythologie
E-Book, Deutsch, 302 Seiten
ISBN: 978-3-7562-9030-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mit dem vorgelegten Lesebuch "Irrfahrten" werden ausgewählte Geschichten des alten Mythos nicht einfach neu erzählt. Aus der homerischen "Fundgrube" und anderen Quellen werden wichtige Episoden aus dem Leben und Sterben herausragender Charaktere zu eigenen Geschichten verarbeitet. Im methodischem Wechsel von Originalzitaten und erläuternden Passagen soll die Lektüre einen neuen Blick auf die homerische Literatur öffnen. Denn oft bleiben bei diesem klassischen Bildungsgut manche dichterische Einfälle mit ihren amüsanten Pointen unentdeckt. In den "Irrfahrten" werden sie zielstrebig aufgestöbert und zu neuen Sinnzusammenhängen und bizarren Problemlagen unter dem Blickwinkel ihres tragikomischen Gehalts rekonstruiert. Sie versprechen lehrreiche und spannende Unterhaltung.
Christoph Hübner machte schon während seiner Schulzeit auf dem humanistischen Gymnasium Bekanntschaft mit den Geschichten der griechischen Mythologie als willkommene Abwechslung zu dem trockenen Stoff der alten Sprachen. Als Student der Theologie, Pädagogik und Philosophie blieb sein Interesse an altertumswissenschaftlichen Fragen ungebrochen. Auf Reisen nach Griechenland und Italien erkundete er die antiken Fundstätten. Sein beruflicher Schwerpunkt unterlag jedoch eher den Zwängen des "Brotberufs" und richtete sich auf bildungs- und sozialpolitische Themen der Erwachsenenbildung. Nach Promotion, Forschungsarbeit und Fachpublikationen war er als Professor für Wirtschaft (FHS) tätig. Nach Eintritt in den "Ruhestand" widmete er sich ganz dem privaten Studium des klassischen Altertums, speziell der Kulturgeschichte Griechenlands, mit dem Schwerpunkt "griechische Mythologie".
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
KAPITEL 1
CHEIRON – KÖNIG DER KENTAUREN
Cheiron war ein Kentaur, ein Mischwesen mit menschlichem Oberkörper und einem vierbeinigen Pferdeleib. Abgesehen von einigen anderen in der griechischen Mythologie vorstellig gemachten hybriden Ungeheuern, Riesen und anderen seltsamen Gestalten, gehörten die Kentauren, die sogenannten Pferdemenschen, seit Urzeiten zur menschlichen Gesellschaft, wenn sie auch bis auf wenige Ausnahmen von eher unzivilisierter Natur waren und mit einer einsamen Außenseiterrolle vorliebnehmen mussten. Einer alten Überlieferung zufolge glich Cheiron, der König der Kentauren, körperlich seinen Mitkreaturen, den wilden Mischwesen aus Pferd und Mensch aufs Haar. Doch soll er als einziges kultiviertes Individuum unter ihnen erhabenen Ursprungs gewesen sein, im krassen Gegensatz zu all den anderen Kentauren, die seinerzeit in Thessalien, insbesondere im Waldgebirge des Pelion auf der Halbinsel Magnesia ihr Unwesen trieben. Als Cheirons Vater galt der Urgott Kronos, der ihn, um nicht von seiner Frau entdeckt zu werden, in der Gestalt eines Pferdes mit Philyra, einer Tochter des Okeanos, gezeugt haben soll. Dieser unsterbliche Kentaur war somit ein Halbbruder des Zeus. Mit einer solchen Herkunftsgeschichte eignete sich Cheiron bestens zum König der Kentauren und galt als ausgesprochen gerechter Herrscher über seine rauen Untertanen mit ihren wilden Sitten. Auf dem Berg Pelion, nahe dem Gipfel, bewohnte er eine großräumige Höhle mit bester Aussicht über sein Herrschaftsgebiet, die vom Meer umspülte bewaldete Halbinsel Magnesia. Cheiron war klug und weise, in allen Künsten der Musen wie des Bogenschießens und der Heilkunst zu Hause und überdies als sehr guter Lehrer bekannt. Kein Wunder, dass die Nachfrage nach dem pädagogischen Einsatz des Meisters bei vielen vornehmen Familien Griechenlands groß war. Denn sie waren selbst meistens mit Wichtigerem befasst als mit der Erziehung ihrer Sprösslinge. Der gute Mann hatte also in Erziehungsfragen viel zu tun. Der spätere Wunderarzt Asklepios, der erfinderische Aristaios und Jason, der Kapitän der Argonauten, gehörten wie viele andere zu seiner Klientel. Sein Musterschüler aber war Achilleus, der Halbgott und spätere erste Krieger unter den griechischen Heroen. Er erfuhr bei Cheiron eine für damalige Verhältnisse umfassende Erziehung, wozu nicht nur der Gesang, das Spiel auf der Kithara, die Heil- und Jagdkunst und nicht zuletzt das Kriegshandwerk gehörten, sondern auch die für die gehobenen Kreise obligatorische Unterweisung in der griechischen Sitten- und Tugendlehre. Aus Cheirons Leben sind keine großen Erzählungen bekannt, außer denen, die aus seinem heimischen Umkreis und den Umständen seines widernatürlichen Ablebens bekannt geworden sind. Und dazu gehört in erster Linie die Geschichte von Peleus und Thetis, an der der Kentaurenkönig Cheiron einen großen Anteil hatte. FLUCH UND SEGEN EINER GÖTTERHOCHZEIT Widerstrebend hatte Zeus beschlossen, Peleus, König der Myrmidonen von Phthia in Thessalien, der Meeresgöttin Thetis zum Ehemann zu geben. Er hätte sie zwar gern selbst zur Nebenfrau gemacht, aber die Prophezeiung der Schicksalsgöttinnen warnte ihn rechtzeitig: Jeder Sohn der Thetis würde nämlich mächtiger sein als sein Vater, hieß die Botschaft, die selbst ein Göttervater ernst zu nehmen hatte. So richtig ärgerlich wurde Zeus aber erst über die spröde Haltung von Thetis gegenüber seinen penetranten Annäherungsversuchen. Sie tat das angeblich aus Rücksicht auf ihre Pflegemutter Hera, die Zeusgemahlin, der sie wegen erwiesener Wohltaten zu Dank verpflichtet war. Woraufhin sich Zeus zu einem gemeinen Schwur hinreißen ließ: Die Göttin Thetis sollte nämlich niemals in ihrem ewigen Leben einen Unsterblichen zum Mann bekommen. Da mischte sich die Göttermutter Hera ein: Ihrer Pflegetochter verpflichtet, beschloss sie, Thetis wenigstens – wenn es denn kein Gott sein sollte – mit dem Edelsten aller Sterblichen zu vermählen. Und wer war da geeigneter als der Held Peleus, der „Liebling der Götter“, wie der Volksmund wusste. Kurz: Peleus wurde gar nicht erst gefragt; seine Liaison mit Thetis war reine Göttersache und schon beschlossen. Doch Peleus hatte längst ein begehrliches Auge auf ebendiese reizende Meeresgöttin geworfen und ihm konnte man die Aussicht auf einen ihm überlegenen Sohn eher zumuten als ausgerechnet Zeus, dem mächtigsten aller Götter. Denn wenn ein Mann wie Peleus von dieser Verheißung etwas gewusst hätte, wäre er sicherlich noch stolz darauf gewesen. Beim nächsten Vollmond rief Hera alle Olympier zum Heiratszeremoniell zusammen und sandte zugleich ihre Botin Iris mit dem Befehl zu Peleus, er solle sich zur Heirat bereithalten. Nun aber sah Cheiron in seiner großen Weisheit voraus, dass die unsterbliche Thetis mit dieser von ganz oben arrangierten Heirat mit einem Erdenmann ganz und gar nicht einverstanden sein würde. Er riet Peleus daher zu einer List: Er sollte sich hinter einem Myrtenstrauch am Meeresstrand verstecken, um Thetis zu überraschen, wenn sie, nur mit einem seidenen Schleier um die Schultern, auf einem Delfin über das Meer geritten kam, um ihren gewohnten Mittagsschlaf in einer nahen Höhle zu halten. Gesagt, getan: Sobald Thetis die Höhle betreten hatte und eingeschlummert war, stürzte sich Peleus auf sie. Der Kampf war lautlos, aber heftig. Thetis wehrte sich gegen die männlichen Übergriffe mit aller Kraft, sodass es aussah, als würde sie sich wechselweise in „Feuer, Wasser, Löwe oder Schlange“ verwandeln. Doch Peleus war gewarnt: Selbst als sie am Ende die Gestalt eines riesigen Tintenfisches annahm und ihn mit schwarzer „Tinte“ bespritzte, ließ er nicht von ihr ab. Verbrannt, geschlagen, gestochen und besudelt, bezwang er die Nymphe schließlich. Thetis gab sich geschlagen und dem Menschenmann in leidenschaftlicher Umarmung hin. Beider Vermählung wurde kurz darauf vor der Höhle des Cheiron auf dem Berg Pelion mit einem rauschenden Fest gefeiert. Ein Bild für die Götter! Alle Olympier waren gekommen und saßen auf zwölf goldenen Thronsesseln. Hera, die Göttin mit den goldenen Schuhen, trug die Brautfackel und Zeus spielte wohl oder übel den Brautvater, thronend inmitten der gesamten Götterrunde. Die Musen sangen ihre himmlischen Weisen, Ganymedes schenkte die Götterspeisen Nektar und Ambrosia aus, und die fünfzig Nereiden, die Schwestern der Braut, tanzten auf dem weißen Sand die ganze Nacht lang. Dazwischen die Brautleute Peleus und Thetis mit ihren illustren Gästen, darunter König Cheiron und seine Getreuen und die wilden „Pferdemenschen“ aus seinem Volk. Bei denen floss der Wein in Strömen, sie soffen, vertilgten gebratenes Fleisch in Massen und unterhielten die Gäste mit einem Feuerwerk aus brennenden Pfeilen auf ihre Art. Unter den Brautgeschenken befand sich nur das Edelste: Von Cheiron kam der berühmte Speer, aus einer Esche vom Berg Pelion geschnitten, Athene hatte den Schaft blank poliert und Hephaistos die Spitze geschmiedet. Vereint schenkten die Götter einen herrlichen Brustpanzer aus reinem Gold; und Poseidon gab großzügig die beiden unsterblichen Pferde Balios und Xanthos dazu. So kam eine komplette Kampfausrüstung zusammen, die später einmal dem Helden Achilleus, Peleus’ und Thetis’ berühmtem Sohn, gute Dienste vor Troja leisten sollte. Um anlässlich der hochrangigen Hochzeit die Harmonie unter den Göttern nach Möglichkeit zu wahren, wurde Eris, die Göttin des Streits, gar nicht erst zum Fest eingeladen. Doch sie konnte es nicht lassen. Aus Ärger darüber, von der Gästeliste gestrichen worden zu sein, wollte Eris sich rächen und hatte sich zu diesem Zweck die schönen Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite erkoren. Die waren gerade in bester Feststimmung und plauderten angeregt miteinander, als ein goldener Apfel, von Eris geschickt, in ihre Mitte rollte. Peleus hob ihn auf und las verlegen die Inschrift „der Schönsten!“, war sich jedoch nicht sicher, welcher von den vielen anwesenden weiblichen Schönheiten der Apfel gehören sollte. Man erzählt, dass schließlich der Streit von Zeus persönlich geschlichtet wurde. Dieser beauftragte den trojanischen Prinzen Paris, den Schiedsrichter zu spielen, denn er galt unter den Männern wegen seiner Wohlgestalt geradezu prädestiniert für diese Aufgabe. Die Göttinnen waren entzückt und um verlockende Angebote an den schönen Mann nicht verlegen. Hera versprach ihm alle Macht auf Erden, Athene lockte mit großem Reichtum und Aphrodite bot ihm die Hand der schönsten Frau der Welt, der spartanischen Prinzessin Helena. Paris zauderte nicht lange und überreichte der Liebesgöttin Aphrodite den goldenen Apfel. Macht und Reichtum hatte er offenbar genug, aber die schönste Frau der Welt sein eigen nennen zu dürfen, das war ihm das Größte. Tief in ihrer Ehre verletzt, erzürnten die beiden unterlegenen Göttinnen. Die Feststimmung war dahin und in letzter Konsequenz wurde diese Apfelaffäre für das spätere Drama des...




