E-Book, Deutsch, 501 Seiten
Huhle / Böhm / Antipow Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-86393-531-3
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Reden der Hauptankläger. Neu gelesen und kommentiert
E-Book, Deutsch, 501 Seiten
ISBN: 978-3-86393-531-3
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Nürnberger Menschenrechtszentrum beschäftigt sich mit den Nürnberger Prozessen und allen Fragen der Weiterentwicklung des Völkerrechts. Autoren: Rainer Huhle hat zahlreiche Veröffentlichungen zu Menschenrechten, Erinnerungspolitik und internationaler Strafgerichtsbarkeit vorgelegt. (u.a. 1989 in der Europäischen Verlagsanstalt das Buch 'Von Nürnberg nach Den Haag' ) und ist zusammen mit Otto Böhm im Nürnberger Menschenrechtszentrum, das sich mit den Nürnberger Prozessen und allen Fragen der Weiterentwicklung des Völkerstaatsrechts beschäftigt, für die Herausgabe dieses Bandes verantwortlich. Otto Böhm ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu Menschenrechten. Lilia Antipow ist Autorin vieler Publikationen zum Thema und u.a. Kuratorin des sowjetischen Teils der Dauerausstellung Memorium Nürnberger Prozesse. Matthias Gemählich verantwortet Bildungsprojekte am Memorium Nürnberger Prozesse.
Autoren/Hrsg.
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Otto Böhm / Rainer Huhle
„Die wahre Klägerin vor den Schranken dieses Gerichts ist die Zivilisation.“
Zur Eröffnungsrede des amerikanischen Hauptanklägers Robert H. Jackson
Robert Houghwout Jackson ist mit Abstand der meistzitierte und am besten erinnerte Protagonist des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses (International Military Tribunal – IMT). Im historischen Gedächtnis des Prozesses ist Jackson die prägende Figur, sein Gesicht ist das der Anklage, ja überhaupt der Idee dieses Strafgerichtshofes.1 Er war der entschiedenste Verfechter eines internationalen Tribunals gegen die Hauptverantwortlichen der NS-Verbrechen und der wesentliche Organisator des Verfahrens. Er war Chef des amerikanischen Office of the Chief of Counsel for the Prosecution of Axis Criminality (OCCPAC) und ab 1945 amerikanischer Delegationsleiter, als die vier Mächte in London das Gerichtsstatut, die Anklagepunkte und die Verfahrensweisen des IMT ausarbeiteten. Der Bedeutung seiner Mission war sich Jackson stets bewusst.2 Hartnäckig und zielbewusst setzte er seine Positionen auf der Londoner Konferenz durch. Das am 8. August 1945 verabschiedete Statut war auch ein persönlicher Triumph für ihn und seine Konzeption der Bestrafung der NS-Verbrecher: Wie seit 1941 von Churchill und Roosevelt angekündigt, war eines ihrer Kriegsziele die „Bestrafung von Kriegsverbrechen“, durchzuführen durch die „Vereinten Nationen“,3 also die Alliierten. In Jacksons und seiner Verbündeten Vorstellung sollte dies in Gestalt eines förmlichen Gerichtsverfahrens gegen die Hauptkriegsverbrecher geschehen. Dies war in der US-Regierung nicht unumstritten.
Im Januar 1945 hatten sich Kriegsminister Henry Stimson und Justizminister Francis Biddle (der später der amerikanische Richter am IMT wurde) mit Präsident Roosevelt und dessen Rechtsberater Samuel Rosenman darauf geeinigt, dass vor einem ordentlichen Gericht Anklage erhoben werden sollte. Damit hatte sich diese Position in der Roosevelt-Regierung endgültig gegen die Fraktion von Finanzminister Henry Morgenthau durchgesetzt, der nicht nur Deutschland zu einem Agrarland machen, sondern auch ausgewählte NS-Täter („Erzkriminelle, deren offensichtliche Schuld allgemein anerkannt ist“) nach ihrer Identifizierung ohne Gerichtsverfahren erschießen lassen wollte.4
Zu den Unterstützern einer rechtsförmigen Bestrafung zählte auch der Stellvertreter des Verteidigungsministers, John J. McCloy, später Präsident der Weltbank (1947–1949) und anschließend Alliierter Hochkommissar für Deutschland (1949–1952). Nachdem sich während der Konferenz von Jalta im Februar 1945 die drei Hauptalliierten auf ein Internationales Militärtribunal geeinigt hatten, fuhr Roosevelts Berater Samuel Rosenman zu weiteren Planungen zur Gründungskonferenz der UNO nach San Francisco. Dort konnte er im Mai den Außenministern Eden, Molotow und Bidault ein erstes Konzept vorlegen, dessen Fassung im Wesentlichen von Robert Jackson stammte.5 Am 2. Mai wurde Jackson dann von Präsident Harry Truman (Roosevelt war überraschend am 12. April gestorben) zum Hauptankläger und verantwortlichen Organisator der Vereinigten Staaten für das Militärtribunal ernannt. Am 22. Mai flog er, begleitet von Colonel John Amen, zu ersten Gesprächen nach London, im Juni begann er mit den konkreten Vorbereitungen für das International Military Tribunal (IMT).
Country Lawyer, New Deal Lawyer, General Attorney
Wer war der Mann, der da nach Europa kam und als “America’s advocate”6 das Bild der USA in Nürnberg so stark prägen sollte wie kein anderer? Seine Herkunft aus dem hart-arbeitenden, ländlichen Milieu Pennsylvanias mit Farmern, Friedensrichtern und Lehrern in der Verwandtschaft prädestinierte ihn nicht unbedingt zu einer Karriere in der Bundespolitik. Er selbst schreibt seine Entwicklung und seinen Aufstieg dem Einfluss seiner Lehrer und Lehrerinnen an der High-School in Jamestown/New York zu, die so viele Interessen in ihm geweckt hätten.7 Als politische Heimat betont er seine Herkunft aus einer Tradition von „kompromisslosen Demokraten“ in einer „überwiegend republikanischen Umgebung. Seine Lebensphilosophie wird – auch von ihm selbst – als religions- und ideologiefrei sowie als pragmatisch gekennzeichnet.8 Nach seinem Jura-Studium,9 das er gegen den Willen seines Vaters und ohne dessen Geld an der Albany Law School begann und schon nach einem Jahr zugunsten eines Referendariats im Anwaltsbüro Frank H. Mott (einem Verwandten mütterlicherseits) aufgab, ließ er sich im Jahr 1913 als selbstständiger Rechtsanwalt in Jamestown nieder. Als “country lawyer” entwickelte er die nötige Eloquenz, aber auch das Bedürfnis, dem „natürlichen Gerechtigkeitsgefühl bei Leuten ohne Bildung entgegenzukommen“.10
Seine Ziele aber waren höher gesteckt und zunehmend politisch. Der Rechtsanwalt wurde zum Vorsitzenden des lokalen Unterstützerkomitees für die Präsidentschaftskampagnen Woodrow Wilsons 1912 und 1916. Noch vor dem Ersten Weltkrieg lernte er dabei Franklin D. Roosevelt (“FDR”) kennen,11 der nach der Wahl Wilsons zu dessen Marine-Staatssekretär geworden war. Aber Jackson wollte nach den ersten Erfahrungen zunächst nicht weiter in die Politik einsteigen. Erst 1934 nahm er ein Angebot aus Washington an: Finanzminister Henry Morgenthau machte ihn zum Abteilungsleiter im Bureau of Internal Revenue (Einkommensteuer-Abteilung). Da Jackson Kartell-Gesetze und die Kontrolle des “Big Business” als eine wirtschaftspolitische Notwendigkeit betrachtete,12 wechselte er zur Anti-Trust-Abteilung des Ministeriums. Seine Erfahrungen mit den Methoden der Wirtschaftsmonopole waren prägend für Jacksons Betonung des Verschwörungscharakters der NS-Verbrechen und der sie tragenden kriminellen Vereinigungen, die er dann in Nürnberg verfolgte. Den Grund für die ökonomischen Probleme der USA in den späten 20er und frühen 30er Jahre sah er in der sehr starken und schnellen Konzentration von Macht und Wohlstand. Der “New Deal”, das sozial- und wirtschaftspolitische Projekt, mit dem die Demokraten unter Präsident Roosevelt auf die Wirtschaftskrise ab 1929 reagierten, umfasste nicht nur weitreichende sozialstaatliche Vorhaben, sondern auch Maßnahmen gegen die großen Trusts. Parallel bildete sich eine neue, progressive Strömung in der Rechtsprechung heraus, die eine im europäischen Verständnis sozialdemokratische Perspektive vertreten hat und als “New Deal Justice” bezeichnet wurde.13 Jackson war ein prominenter Vertreter dieser “New Deal Justice”, sein Biograph Gerhart nennt ihn im Untertitel seines Buches treffend einen “New Deal Advocate”.14
Währenddessen waren die demokratischen Staaten in Europa schon lange „unter Feuer“15 revolutionärer, antidemokratischer Ideologien geraten. Jackson setzte sich des Öfteren mit der Konkurrenz zwischen ihnen und einer demokratischen Weltanschauung auseinander.16 Der “New Deal Advocate” reflektiert dabei selbstkritisch das Gerechtigkeits- und Wohlfahrts-Problem moderner kapitalistischer Gesellschaften und unterstreicht die amerikanische, vor allem eben auch seine eigene rechtspolitische Antwort in Gestalt einer neuen Sozial- und Wirtschaftsgesetzgebung.
Jackson und das Ende der US-amerikanischen Neutralität
Präsident Roosevelt berief Jackson 1940 zum “General Attorney”, der in den USA die Ämter des Generalstaatsanwalts und des Justizminister vereint. 1941 wechselte er an den Obersten Gerichtshof (Supreme Court) der USA. Außenpolitik war also weder sein primäres Arbeits- noch Interessengebiet. Die US-amerikanische Außenpolitik hatte jedoch inzwischen die Position der strikten, nach klassischem Völkerrecht gebotenen, in eine aktive Neutralität verändert, die es auch völkerrechtlich zu begründen galt. Dieser Aufgabe stellte sich Jackson vor allem in seiner Rede vom 27. März 1941 in Havanna, die sich an die lateinamerikanischen Nachbarn richtete.17 In ihrem allgemeinen Teil setzte sich Jackson mit der Unterscheidung von gerechten und ungerechten Kriegen, sowie der Angemessenheit des traditionellen Völkerrechtes auseinander. Er betonte emphatisch, dass das Völkerrecht zu den höchsten Gütern der modernen Zivilisation gehöre. Daran ändere auch nichts, dass es missachtet werde. Hier klingt schon die später in Nürnberg mit der Verteidigung ausgetragene Kontroverse über die Gültigkeit vor allem des internationalen Friedensrechts durch.
Was die Regeln der Neutralität angeht, begründete er seine (und Roosevelts) Ansicht, dass es eine „dritte Kategorie“ von Staaten außer den Kriegführenden und Neutralen geben müsse. Denn: Was ist zu tun gegenüber einem Staat, der die Regeln völkerrechtlicher Verträge, in deren Rahmen das Prinzip der Neutralität seinen Stellenwert hat, selbst systematisch bricht? Die USA müssten sich an der Seite Großbritanniens für die Erhaltung...




