E-Book, Deutsch, 332 Seiten
Huhnhäuser Moralische Motive
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7481-0432-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Massachusetts-Krimi
E-Book, Deutsch, 332 Seiten
ISBN: 978-3-7481-0432-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Frank Huhnhäuser wurde 1960 in Berlin geboren und lebt mit seiner Frau in der Südpfalz. Im Jahr 2015 begann er mit dem Schreiben. Seinen schriftstellerischen Schwerpunkt stellen Kurzgeschichten und Kriminalromane dar. Seine Kurzgeschichte "Fundamente" zählte zu den Gewinnern des Schreibwettbewerbs "Irgendwas bleibt" der Saarländischen Buchmesse HomBuch und wurde in deren Anthologie zur Messe 2015 veröffentlicht. Die Krimi-Kurzgeschichte "Blutmond" wurde in der Anthologie "Jedes Wort ein Atemzug" im Karina-Verlag veröffentlicht. Die Kurzgeschichte "Sühne" erschien im Mai 2015 im ELVEA-Magazin. Für das Projekt "Die Trilogie der Flügel" des Karina-Verlags, bei dem 60 Autoren gemeinsam einen Thriller schrieben, lieferte Frank Huhnhäuser Kapitel für den ersten Band "Vergessene Flügel" und den dritten Band "Vollendete Flügel". Mit "Moralische Motive" erschien im Juli 2015 sein erster Krimi im Karina-Verlag. Im Jahr 2016 erreichte der Autor bei der Wahl zum Hombuch-Preis in der Kategorie "Krimi" den zweiten Platz. Im Januar 2018 erschien "Jochen - Bastardkind", dem der zweite Teil mit dem Untertitel "Stirb endlich!" im Dezember desselben Jahres folgte. Ebenfalls im Dezember 2018 erschien die zweite Auflage von "Moralische Motive" über BoD.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1.Kapitel
Sonntag
1.
Wenn sie nur endlich kommen würde.
Sie hat den Tod verdient. Punkt. Aus.
Dies waren die Gedanken des Mannes, der auf dem Flachdach der Brookfield-Highschool lag. Nie war er sich so sicher wie dieses Mal.
Seit fünfzehn Jahren verdiente er sich seinen Lebensunterhalt nebenbei als ‚Cleaner‘. Er reinigte keine Tatorte, nein, er beseitigte den menschlichen Abschaum dieser Welt. Der Mann war ein Geheimtipp, wenn es darum ging, jemanden schnell und sauber zu beseitigen. Meist arbeitete er unauffällig, und die Leichen wurden in den seltensten Fällen gefunden. Heute aber war das anders. Dieses Mal glaubte er, keine andere Wahl zu haben. Der Mord musste in aller Öffentlichkeit über die Bühne gehen, denn es war an der Zeit, ein Zeichen zu setzen.
Seit über einer Stunde lag er auf dem Dach. Neben ihm stand eine kleine Kühlbox aus Aluminium, die dick mit Styropor ausgekleidet war. Groß genug, um zwei lange Patronen darin aufzubewahren. Das Präzisionsgewehr mit Zielfernrohr hatte er quer vor sich liegen. Sein Waffenlieferant, dem er seit Jahren vertraute, hatte sich wieder einmal selbst übertroffen. Die Waffe war so umgebaut, dass man sie in drei Teile zerlegen konnte. Die Munition würde keine Hinweise auf die Waffe hinterlassen. Er musste warten, bis sein Opfer etwa einhundert Meter von ihm entfernt aus dem Wald käme. Das wäre die perfekte Entfernung für einen präzisen Schuss.
Vom Dach aus hatte er einen guten Überblick über den Shield-Park, der vom schmalen Band des Green River durchzogen war. Die Schule lag am südlichen Rand der Stadt, nahe der Ausfallstraße 43 nach Sweets Corner, genau gegenüber des Parks. Das Gebäude war in den siebziger Jahren in aller Eile und in Fertigbauweise hochgezogen worden. Damals herrschte plötzlich ein Mangel an Schulplätzen und die Stadt musste reagieren. Seitdem wurde an dem Bau anscheinend nichts mehr getan. Die graue Fassade war von den wechselnden Wetterverhältnissen in Massachusetts völlig verwittert, und die ganze Schule machte äußerlich einen sehr vernachlässigten Eindruck.
Ganz anders der Park gegenüber.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erstreckte sich ein weitläufiges Gelände, das zum größten Teil naturbelassen war. Nur ein verzweigtes Wegenetz und eine hübsch angelegte, große Rasenfläche zeugten von den wenigen Eingriffen der Menschen.
Zu so früher Stunde an einem Sonntag hatten die Tiere den Park fast für sich allein. Die Vögel zwitscherten ihr Herbstlied, und zwei Kaninchen hoppelten nahe der Straße über den Rasen. Weit über dem Park zog ein einsamer Adler seine Kreise. In dieser Idylle konnte man selbst auf dem Dach der Schule das leise Glucksen des Flusses hören.
Es war ein herrliches Fleckchen, wie man es heutzutage selten fand.
Selbst der Cleaner wurde von der Schönheit in seinen Bann gezogen.
Es ärgerte ihn, dass Hannah Elroy in dieser schönen Umgebung sterben sollte; ein dreckiger Hinterhof in Springfield wäre der bessere Ort gewesen.
Er wusste, sie war eine dieser schamlosen Ehebrecherinnen, die seinem Empfinden nach alle den Tod verdient hatten. Überhaupt nahm er nur solche Aufträge an, die in seine Weltanschauung passten. Zu seinen Auftraggebern zählten Richter, Staatsanwälte, Bürgermeister und Firmenchefs. Selten trat jemand aus den ärmeren Schichten an ihn heran. Die konnten sich die 100.000 Dollar für einen Mord auch gar nicht leisten, aber er hätte so manchen Auftrag auch für weniger Geld angenommen. Hauptsache, es traf das - seiner Meinung nach - richtige Opfer.
Er hatte freigesprochene Mörder, Vergewaltiger, Kinderschänder und sogar korrupte Politiker beseitigt. Manche Aufträge hatte er abgelehnt, aber am liebsten legte er auf Ehebrecher an, egal ob das der vierfache Familienvater mit der Geliebten war oder das ‚Heimchen am Herd', das statt zum wöchentlichen Bridgeabend zu gehen, lieber in einem heruntergekommenen Motel mit einem Bauarbeiter vögelte.
Und trotzdem war heute alles anders.
2.
Seit über zwei Jahren lebte Freddy jetzt in Brookfield, Massachusetts. Seit zwanzig Jahren hatte er, der seine Kindheit und Jugendzeit in New York verbringen musste, den Bundesstaat nicht mehr verlassen. Des Öfteren flüchtete er vor wild gewordenen Ehemännern, und hatte sein Glück schon arg strapaziert. Nun war er im äußersten Nordwesten von Massachusetts gelandet. Es gab nicht mehr viele Orte in diesem Bundesstaat, in denen ihn nicht jemand verfluchte.
Brookfield grenzte im Westen an den Bundesstaat New York, im Norden an Vermont. Beide Grenzen lagen innerhalb von 5 Kilometern zur City, eine perfekte Ausgangsposition zur schnellen Flucht. Aus Boston gekommen, quartierte Freddy sich erstmal im Fairview-Motel ein.
Drei Monate später kaufte er das Haus 2023 Maple Street, das er locker mit seinem ersparten Geld finanzieren konnte. Dabei half ihm auch, dass er kurz zuvor ein großzügiges Geschenk von Michelle, einer reichen Witwe aus Greylock, erhielt. Michelle hatte er am zweiten Abend kennengelernt, als er eigentlich noch die Lage sondieren wollte. Im ‚Glossy', einer Single-Bar, fiel ihm die einsam wirkende Frau auf. Nach der ersten Nacht wollte sie nicht mehr von ihm lassen, nach drei Wochen hatte er sie ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Aus Scham darüber, auf einen Blender hereingefallen zu sein, unternahm Michelle nichts. Sie forderte nicht mal die 85.000 Dollar zurück, die sie ihm für eine Geldanlage anvertraut hatte.
Natürlich war das Geld gut angelegt, nur hatte Michelle nichts mehr davon.
Freddy war mit seinem Leben zufrieden. Als er bemerkte, wie er auf Frauen wirkte, suchte er sich verheiratete, reiche Frauen. Diese waren oftmals sexuell frustriert und einsam. Der Mann oft auf Geschäftsreise, hungerten diese Frauen, körperlich in den besten Jahren, nach unkompliziertem Sex. Und den bot Freddy.
Wenn die Frauen dann von ihm abhängig waren, verlangte er immer mehr Geld. Wollten sie nicht mehr für seinen Unterhalt aufkommen, wurden sie eiskalt von Freddy erpresst. Und bis jetzt hatten alle aus Angst vor ihren Männern bezahlt.
Damit konnte man doch zufrieden sein, oder?
Nun hatte sein Leben aber einen kleinen Schönheitsfehler.
Freddy konnte sich seit 4 Monaten wieder eine Haushälterin leisten. Die Neue war 20 Jahre alt und Tochter illegaler Einwanderer aus Mexiko. Jahrelang war sie mit ihren Eltern durch die Staaten gereist, immer auf der Flucht vor den Behörden. Jetzt lebten sie schon seit über zehn Monaten hier in der Gegend.
Einmal in der Woche kam Conchita Martinez zum Aufräumen und Putzen bei Freddy vorbei. Sie brauchte diesen Job, denn ihr Vater war im letzten Jahr verstorben, und nun musste sie allein für sich, ihre Mutter und ihre kleine Schwester sorgen.
Als sie an diesem Morgen Freddys Haus betrat, sollte sich ihr Leben wieder einmal abrupt ändern.
Beim Putzen hielt sie sich immer an denselben Ablauf. Nachdem sie das Wohnzimmer mit den vielen antiken Vasen und Skulpturen vom Staub befreit und das Geschirr gespült hatte, wollte sie in die Waschküche gehen, um die Wäsche zu sortieren und die Waschmaschine einzuschalten.
Als sie die Tür öffnete, nahm sie einen stark fauligen Geruch wahr.
»Madre de Dios!«, flüsterte sie.
Dann sah sie Freddy.
Obwohl sie sich wegen des Geruchs die Hand vor den Mund hielt, entfuhr ihrer Kehle ein lauter Schrei.
Als sie sich wieder beruhigt hatte, raffte sie ihre Sachen zusammen, schaute sich um, ob noch etwas auf sie hinweisen könnte und verließ schnell das Haus.
Den an einem Wasserrohr in der Waschküche hängenden Freddy Grey ließ sie zurück.
3.
Er kannte die Frau, die er beseitigen wollte, sehr gut.
Es war das erste Mal, dass er seinem Nebenjob an seinem Wohnort nachging, denn er war ein angesehener Bürger dieser Stadt. Das machte es ihm umso schwerer, unerkannt und ungesehen zu bleiben. Deshalb hatte er sich heute perfekt verkleidet. Die Haut unter dem falschen Vollbart juckte etwas, und die Brille sah aus, als hätte sie schon vierzig Jahre in einem Schrank gelegen. Auf seinem Kopf saß eine alte Baseballmütze, den Schirm im Nacken.
Es kam ihm sehr gelegen, dass vor drei Tagen die Herbstferien begonnen hatten. Das Schulgebäude war vollkommen verlassen. Selbst der alte Hausmeister, der in einer Wohnung im Schulgebäude lebte, war für ein paar Tage verreist. All das hatte der Cleaner in seine Planungen mit einbezogen.
Die ersten zarten Strahlen der Sonne durchdrangen den leichten Nebel, der vom Fluss aufstieg. Mit seinem leicht rötlich gefärbten Wasser zog der Green River träge durch den Park. Eigentlich hatte der Green River seinen Namen vom Unterlauf bekommen, wo Algen das Wasser färbten. Hier in Brookfield aber war das Wasser rötlich von den Sedimenten, die es im Quellgebiet am Mt. Greylock, dem höchsten Berg in Massachusetts, mit sich riss.
»Verdammt nochmal, jetzt komm endlich«, murmelte der Mann vor sich hin. Sie joggte jeden Morgen zur selben Zeit durch den Park, immer dieselbe Strecke, auch am Wochenende.
So langsam...




