Hungerhoff | Manchmal fliegen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Hungerhoff Manchmal fliegen

Roman | Ehrlicher und bewegender Roman über das Mutter-Sein
23001. Auflage 2023
ISBN: 978-3-492-60398-0
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman | Ehrlicher und bewegender Roman über das Mutter-Sein

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-492-60398-0
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine Frau und Mutter in unserer Zeit fragt sich, welches Leben sie führen möchte. Zum ersten Mal seit der Geburt ihrer beiden Kinder verreist Anna allein, um in ihrer Studienstadt an einer Fortbildung teilzunehmen. Während der Tage dort scheint ein Wiedersehen mit Jan, ihrer großen Liebe von damals, immer unausweichlicher. Ihre Beziehung ist daran zerbrochen, dass Jan keine Kinder wollte. Fernab von ihrem eng getakteten Leben mit der Familie gerät Anna in einen Strudel aus Sehnsucht, Nostalgie und Abenteuerlust und sieht sich mit der Frage konfrontiert, was Mutterschaft eigentlich bedeutet - und ob ein Neuanfang trotzdem möglich ist. Die Autorin Sophia Hungerhoff ist selbst Mutter. In diesem lesenswerten Roman schreibt sie empathisch und ehrlich über das Muttersein und darüber, wie Lebensentwürfe sich verändern: »Im Leben ist man auf die wenigsten Dinge vorbereitet, aber Elternschaft hat dieses absolut Unumkehrbare und Verpflichtende - Vater und Mutter ist man ein Leben lang. Diese Verantwortung kann überfordern. Das Thema ist hierzulande immer noch ein Tabu, weil die Mutterrolle so glorifiziert wird (ein Problem auch für Frauen ohne Kinder). Mein Roman erzählt von der Sehnsucht nach der verlorenen Unbeschwertheit, von der Ambivalenz nicht nur der Mutterschaft, sondern des Lebens - auch der Liebe.«

Sophia Hungerhoff, geboren 1981, aufgewachsen in Bochum, studierte Romanistik, Vergleichende Literaturwissenschaft und Allgemeine Sprachwissenschaft in Heidelberg, Bonn und Paris. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Hamburg und arbeitet im Verlagswesen. »Manchmal fliegen« ist ihr erster Roman.
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Sie schleicht sich im Morgengrauen hinaus, in der Hoffnung, dass ihr nicht gleich einfällt, was sie vergessen hat, denn noch einmal in die Wohnung zurückzukehren, ist ein Risiko. Die Kinder haben unfassbar feine Antennen, auch oder gerade im Schlaf. Selbst wenn Moritz sich für diese Nacht extra auf die Matratze ins Kinderzimmer gelegt und die Tür geschlossen hat, kann es jederzeit passieren, dass Paula oder Anton den mütterlichen Aufbruch wittern. Dass sie plötzlich kerzengerade im Bett sitzen wie sonst nie, wenn sie in die Kita müssen, und ihre kleinen Füße sie mit buchstäblich traumwandlerischer Sicherheit aus dem Zimmer und über die Flurdielen trappeln lassen, um ihre Mutter aufzuhalten. Schon das Einschlafen hat sich ewig hingezogen, auch da müssen sie bereits etwas gespürt haben; dass Anna sie womöglich noch eine Spur fester an sich drückte als sonst.

Seit die Kinder da sind, ist es für Anna mit Aufregung verbunden, allein unterwegs zu sein, und das, was sie oft so sehr ersehnt, nämlich im Alleinsein wieder zu sich selbst zu finden, scheint sich nie ganz erfüllen zu können. Immer ist da irgendein leiser Zug, der dafür sorgt, dass sie herumläuft wie Falschgeld. Es ist keine konkrete Angst, den Kindern könnte etwas zustoßen (den Gedanken daran verdrängt sie systematisch und gründlich) oder sie kämen für eine begrenzte Zeit ohne sie nicht zurecht (auch wenn ihr Flehen, sie möge nicht gehen, das manchmal nahezulegen scheint). Es ist auch mehr als die schlichte unschuldige, sie ebenfalls mehr oder minder ständig begleitende Sehnsucht nach ihrer Nähe. Es muss etwas Biologisches sein, etwas tief und unbewusst und körperlich Verankertes, sagt sie sich, auch wenn sie längst begriffen hat, dass Frauen sich mit biologistischen Argumenten ihr eigenes Grab schaufeln, wenn es um Gleichberechtigung geht.

Von Gleichberechtigung kann Anna indes nur träumen, trotz Moritz’ Nacht auf der Matratze, aber immerhin gehen die Träume so weit, dass sie diese drei Fortbildungstage errungen hat, in einer Unistadt fast am anderen Ende der Republik, in ihrer Unistadt (wie eine Errungenschaft fühlt sich die Aussicht darauf tatsächlich an; zum ersten Mal, seit sie Mutter ist, wird sie mehrere Nächte fort sein). In den rund zwölf Jahren seit ihrem Studium ist sie nur selten da gewesen, aus vielen guten Gründen: Die meisten ihrer Freunde hatten die Stadt schon verlassen, als sie wegzog, und die Verbliebenen fanden es spannender, sie in der Hauptstadt zu besuchen, wohin sie für ihr Volontariat gezogen war und wo es natürlich auch ihr selbst an nichts fehlte, für das sie unbedingt hätte zurückfahren müssen; es lag nicht auf dem Weg zu anderen Reisezielen, und mit den Kindern wurde Reisen dann ohnehin zu einem vernachlässigten Hobby.

Einmal hat sie Moritz die Stadt gezeigt, nicht lange nach ihrem Kennenlernen. Ihre Liebe war damals noch neu, ein unverhofftes Geschenk, zerbrechlich und doch so in den Zauber des Anfangs verpackt, dass es vor jeder Erschütterung geschützt schien. In der Tat nahm Anna alles wie durch Watte wahr, merkwürdig indirekt, während Moritz die Stadt gefiel. Er konnte sich gut einlassen auf Annas alte Orte, auch wenn Vergangenes sich nur begrenzt teilen lässt, egal, wie verliebt man ist. Moritz wusste zu dem Zeitpunkt schon, dass es neben allen guten Gründen für seltene Besuche einen Grund gab, der schwerer wog. Doch das Leben ging ja weiter, sie beide, Anna und Moritz, waren dafür der beste Beweis. Gerade darum brauchte man allerdings nicht übermäßig in alten Wunden zu stochern, so klug war auch Anna.

Trotzdem hat sie gegoogelt. Vor dieser Reise (allerdings erst nach der Buchung) hat sie Jans Namen in die Suchmaschine eingegeben (nicht zum ersten Mal überhaupt, aber zum ersten Mal seit Langem und aus einem halbwegs handfesten Anlass) und herausgefunden, was sie nicht eigentlich überraschte, aber doch schlucken ließ, in einer eigentümlichen Mischung aus Resignation, Amüsement, Herablassung und – Freude: dass Jan nämlich wie eh und je an ihrer alten Uni angestellt, ja inzwischen sogar verbeamtet ist, am Institut für Soziologie, auf einer Mittelbaustelle als Akademischer Rat. Für Augenblicke war Anna überfordert von der plötzlich in die Gegenwart hineinreichenden Vergangenheit, dann schloss sie rasch das Fenster und klappte den Rechner zu.

Moritz fragte nicht nach, warum es ausgerechnet ein Seminar in dieser Stadt sein musste, er gönnte ihr die Auszeit, wie er es nannte. Sie selbst befragte sich natürlich kritisch, aber es gab tatsächlich wenige Fortbildungen, die ihr als freier Journalistin so interessant erschienen wie diese zum momentan angesagten Thema Storytelling, deren Referent noch dazu renommiert war (obwohl sie nur bedingt an den Nutzen von Fortbildungen glaubte, aber wenn man sich schon aus gutem Grund abgewöhnt hatte, nach den Sternen zu greifen, konnte man zumindest das tun, was alle anderen auch für mehr oder weniger sinnvoll hielten, zumal wenn es mit einer Auszeit verbunden war).

Anna zieht leise die Wohnungstür zu (so leise es im Altbau eben geht), nimmt die drei Stockwerke wie im Flug, beschwingt, befreit von ihrem Alltagslos, ohne Anton auf dem Arm, der mit seinen zwei Jahren zwar theoretisch an der Hand Treppen steigen kann, dafür aber um ein Vielfaches mehr Zeit braucht, als sie jemals zur Verfügung haben; ohne Ermahnungen auf den Lippen, warte bitte unten auf mich, Paula, nicht allein auf die Straße laufen, denn längst kann ihre Tochter die schwere Haustür öffnen und hindurchschlüpfen und tut es auch regelmäßig, sie ist schließlich schon vier.

Auf dem letzten Treppenabsatz hält Anna inne, wühlt im Seitenfach ihrer Reisetasche. Ihr Lippenstift muss noch im Rucksack stecken, den sie gestern beim Umpacken in den Schrank geräumt hat, doch dafür ist das mit einer Umkehr verbundene Risiko definitiv zu hoch, beschließt sie mit dem Pragmatismus der Mutter kleiner Kinder, die gelernt hat, ihre Selbstachtung nicht allzu sehr von Äußerlichkeiten abhängig zu machen. Obwohl sie sich definitiv nicht mag mit ungeschminkten, blutleer wirkenden Lippen und die einzige Farbe, die sie nicht wie ein Zombie aussehen lässt (wenn sie sich schon die meiste Zeit wie einer fühlt), online vom anderen Ende der Welt bestellt werden muss, seit es sie im Laden nicht mehr gibt. Moritz wäre ehrlich empört über ihren solcherart vergrößerten ökologischen Fußabdruck, schließlich trägt er durch seine Arbeit als Vertriebsleiter bei einem Windkraftanlagenbauer täglich dazu bei, dass sich der Fußabdruck der gesamten Menschheit verkleinert.

Fußabdrücke und Äußerlichkeiten lässt Anna hinter sich, sobald sie im Hof steht; den Fahrradanhänger hat sie gestern schon abgekoppelt, schließt nur noch ihre Tasche am großen Korb auf dem Gepäckträger fest. Sie steigt aufs Rad und fährt einfach los, ohne jemanden überreden, fangen, heben, beschwichtigen, verstauen, anschnallen, ohne Streit schlichten zu müssen.

Kein Blick zurück auf die geliebte stuckverzierte Gründerzeitfassade mit den Engeln über den Fenstern (zumindest will die ganze Familie Engel in den aus dem Mauerwerk hervorspringenden Köpfen erkennen), auf die nachtblauen Vorhänge am Kinderzimmerfenster mit den Raumfahrtmotiven, Planeten und Sternen, Raketen und Astronauten, die womöglich just in diesem Augenblick eine kleine Hand beiseiteschiebt. Und dann wendet Anna doch den Kopf, wie unter Zwang, gerät kurz ins Straucheln, aber bevor sie alles richtig erfassen kann, hat sie die Kontrolle über das Fahrrad schon zurück, schaut nach vorn und tritt fest in die Pedale. Im Licht der Straßenlaternen hat sie keine Bewegung in den Stoffbahnen hinterm Fenster ausmachen können, natürlich schlafen Paula und Anton noch fest. Nach dem Aufwachen werden sie sich über ausnahmsweise Frühstück zu Hause statt in der Kita freuen, und später, wenn ihr Vater sie abholt, vielleicht über Kastaniensammeln im Park.

Letztes Jahr sammelten sie in kurzen Hosen, der Herbst scheint sich immer weiter zu verschieben, es wirkt wie ein Beweis für den Klimawandel, oder sind es nur die üblichen Schwankungen (wir hatten immer schon solche Zeiten und solche, sagten lange die Bauern in der Gemeinde, aus der Anna stammt, bevor sie in den letzten Jahren anfingen, über Extremwetterlagen zu klagen)? Doch an diesem Septembermorgen liegt eine erste Ahnung von der kalten Jahreszeit in der Luft, ein nicht weit unter der diffus milden Oberfläche lauernder, schärfer konturierter Hauch: die...



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