E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Husemann / Weimann Die Politik von morgen
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-96584-524-4
Verlag: ZS - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Wie politische Talente unsere Demokratie retten können
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-96584-524-4
Verlag: ZS - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Philip Husemann sieht großes Potential darin, Politik und Zivilgesellschaft viel stärker miteinander zu vernetzen. In beiden Feldern wirkte er bereits beruflich: Als Pressesprecher und Kommunikationsberater in der Politik; als Co-Initiator von HateAid und ehemaliger Geschäftsführer der Initiative Offene Gesellschaft in der politischen Zivilgesellschaft. Und nun als Co-Geschäftsführer bei JoinPolitics.
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TEIL I
Politik –
warum der Verdruss, woher die Wut?
Am 25. November 2023 traf sich in Potsdam eine Gruppe Gleichgesinnter, um die Deportation von Migrantinnen und Migranten aus Deutschland zu planen.1 Sie stehen in der Tradition derer, die gut achtzig Jahre zuvor, etwa zehn Kilometer Luftlinie entfernt, die systematische Auslöschung des jüdischen Lebens in Deutschland planten: Ihr erster Plan sah damals die „Remigration“ der Jüdinnen und Juden nach Madagaskar vor. Potsdam gäbe einen „Vorgeschmack auf das, was passieren könnte, sollte die AfD in Deutschland an die Macht kommen“, so das Recherche-Netzwerk Correctiv, das das Geheimtreffen aufdeckte.2 Und es gibt einen Vorgeschmack darauf, wie die Dinge wieder eskalieren können in Deutschland. Nie wieder ist jetzt, nie war das klarer.
Dieses Buch versucht ein Kunststück: Vor dem Hintergrund dieser krassen politischen Lage, den Erdrutschsiegen von Rechtsextremen in den ostdeutschen Bundesländern, der Wiederwahl Donald Trumps, der zerbrochenen Ampel-Bundesregierung wollen wir Hoffnung geben und Mut machen, denn eine bessere Politik ist möglich. Gerade jetzt. Und: Es gibt berechtigte Hoffnung, dass unser Fundament, die Demokratie, hält.
Hoffnung gibt beispielsweise Polen, das sich 2023 die liberale Demokratie wieder erkämpft hat – gegen die autoritäre, rechte Regierung der PiS-Partei. „Ich bin seit vielen Jahren Politiker und ich bin Sportler. Nie in meinem Leben war ich so glücklich über einen zweiten Platz wie heute. Polen hat gewonnen, die Demokratie hat gewonnen – wir haben sie von der Macht abgesetzt.“3 Das waren die Worte von Donald Tusk nach den Parlamentswahlen in Polen am 15. Oktober 2023. Zu dem Zeitpunkt war Tusk noch Oppositionsführer in einer fast abgeschafften Demokratie.
Doch bevor wir uns der Zuversicht, dem Mutmachenden und dem Gelingen der Demokratie (ja, wir glauben fest daran!) zuwenden können, müssen wir das Problem und die Gefahren für die Demokratie, insbesondere in Deutschland, umreißen. Wir müssen genau verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass Rechtsradikale wieder Deportationspläne schmieden und eine in Teilen offen rechtsextreme Partei zu einer der beliebtesten Parteien Deutschlands wurde, kaum mehr als zehn Jahre nach ihrer Gründung im Jahre 2013. Wir müssen Fragen stellen, die wehtun, zum Beispiel: Warum gelingt den Demokratiefeinden eine erfolgreiche Parteigründung, die strategisch und taktisch durchdachte politische Mobilisierung mit klarer Kommunikation, Vision und Aufbruchstimmung – nicht aber den Demokraten?
Wer genug von Problemanalysen hat (verstehen wir!), blättert einfach weiter auf Seite 57. Dort geht es los mit dem Blick nach vorne, wie wir endlich rauskommen aus der politischen Krise. Und es warten wunderbare, hoffnungsvolle Geschichten politischer Talente mit Lösungsansätzen.
Warum dann überhaupt noch eine Problemanalyse machen? Der politische Essayist Georg Dietz spricht von der fast narkotisierenden Wirkung, die das inflationär verwendete Wort „Demokratiekrise“ auslöst.4 Vor allem aber ermüdet, dass es meist nur um die Symptome geht, also die äußersten Anzeichen der Krise. Und dennoch: Wir können die Probleme nur dann lösen, wenn sie klar umrissen sind, von uns allen verstanden werden – unbedingt ursächlich und nicht allein symptomatisch. Es ist auch durchaus intendiert, dass Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sich an mancher Stelle an die eigene Nase fassen und kritisch reflektieren, wo man selbst, schnell getriggert, über „die unfähigen Politiker“ schimpft und gefährliche Worte wie „Staatsversagen“ in den Wortschatz aufnimmt, sich im Verdruss von „der Politik“ abwendet, als ginge sie einen nichts an. Dass die Bevölkerung der Demokratie überdrüssig wird, genau das Ziel verfolgen die Feinde der Demokratie. Spielen wir ihr Spiel nicht mit. Es steht uns frei, die Demokratie nicht nur zu retten, sondern auch in eine gute Zukunft zu führen. Jede und jeder von uns kann dazu beitragen.
Wir wollen uns in dem folgenden Kapitel vor allem auf die für unsere repräsentative Parteiendemokratie wesentlichen Probleme fokussieren, samt erster Ansätze zur Lösung ebendieser. Wir, Caroline Weimann und Philip Husemann, beschäftigen uns seit 2019 – dem Jahr, in dem wir die Organisation JoinPolitics aus der Taufe gehoben haben – besonders intensiv mit dieser Problemanalyse. Denn wir unterstützen und fördern mit JoinPolitics den demokratischen Nachwuchs, der passgenaue Lösungen für diese Probleme entwickeln und umsetzen kann.
Wann ging das los mit der Demokratiekrise –
und was genau ist damit gemeint?
Lange gehörte die Stabilität der Demokratie, die uns nach dem Zweiten Weltkrieg beigebracht wurde, zu Deutschland wie die Elbe zu Hamburg oder der Dom zu Köln. Ein stolzes, starkes Land präsentierte sich zur Fußball-WM 2006 weltoffen, selbstbewusst, zukunftsfroh, liberal-demokratisch. Die Welt war zu Gast bei Freunden, die Bürger erfreuten sich an dem fast kindlichen Spaß der Bundeskanzlerin, ihrer ikonischen Jubelpose: beide Arme halbhoch gestreckt, die Fäuste zum Sieg geballt, nach dem Spiel feixend neben Poldi und Schweini. Das stand für so viel mehr als die Siege gegen Costa Rica oder Argentinien. Erst waren wir Papst, dann kam das Sommermärchen. Diese Leichtigkeit in diesem schwermütigen Land, das war wahrlich märchenhaft. Wer hält uns diesen Moment fest? Doch so ist das mit Momentaufnahmen: Sie zeichnen nicht das Gesamtbild, sind oft trügerisch. Was hätten wir gelacht, hätte es uns damals jemand prophezeit, dass genau zehn Jahre später Großbritannien aus der EU austreten und die USA Donald Trump zum Präsidenten wählen würden. Wie ungläubig wären wir gewesen, hätte uns damals jemand gesagt, dass Deutschland aufgrund eines Rechtsrucks von seinen Nachbarn und Partnern nicht mehr als sicherer Ort betrachtet werden würde.
Ein Fisch, so lernen wir es in dem berühmten Essay von David Foster Wallace, ist sich nicht darüber bewusst, dass er im Wasser schwimmt, weil es so allgegenwärtig ist.5 Demokratie war für uns in der westlichen Welt – damals, bevor sich im Jahr 2016 alles ändern sollte – wie das Wasser für die Fische. Sie gehörte so offensichtlich zu unserem Leben dazu, dass wir die Demokratie nicht nur nicht ausreichend wertgeschätzt, sondern sie auch zu wenig gepflegt, weiterentwickelt und modernisiert haben.
Dabei berichtete der ARD-Deutschlandtrend schon 2006, im Jahr des glückseligen Sommermärchens, dass die Mehrheit der Deutschen, nämlich 51 Prozent, unzufrieden waren mit dem Funktionieren der Demokratie6 – der niedrigste Zustimmungswert, der bis dahin je im Deutschlandtrend gemessen wurde. Immerhin: Damals wie heute bewerten 85 bis 90 Prozent der Deutschen die Demokratie als die richtige Regierungsform.7 Wir sind also weit von einer systemischen Infragestellung der Demokratie entfernt. Das Problem ist die politische Praxis. 2023 sind laut Deutschlandtrend nur noch 44 Prozent der Deutschen mit dem Zustand der Demokratie zufrieden, nochmals sieben Prozent weniger als 2006.8
Wenn eine Demokratie endet, dann tut sie das heutzutage selten explosionsartig oder durch einen Akt der Gewalt, wie beispielsweise einen Militärputsch oder eine Revolution. Vielmehr erodieren sie schleichend, fast schon geräuschlos, jedenfalls in kaum merklichen Schritten, so die Kernthese von Steven Levitsky und Daniel Ziblatt in „Wie Demokratien sterben“, weiterhin das Standardwerk zum globalen Verständnis der Demokratiekrise.9 Ein bisschen wie beim sprichwörtlichen Frosch, der in das kalte Wasser eines Kochtopfes gesetzt wird und nicht spürt, wie es wärmer und wärmer wird, bis zum Siedepunkt und seinem Ableben.
„Der demokratische Rückschritt beginnt heute an der Wahlurne“, konstatieren Levitsky und Ziblatt.10 Geschickt werde der Bevölkerung vorgegaukelt, man stärke die Demokratie, indem angeblich korrupte Richter abgesetzt oder der öffentlich-rechtliche Rundfunk mittels Verleumdung und Desinformation desavouiert würden.11 Wenn „die Alarmglocken der Gesellschaft“ also nicht anschlagen, können die Antidemokraten ihr perfides, strategisch und taktisch meist äußerst kluges Spiel mit der demokratischen Öffentlichkeit vollführen; oftmals stehen demokratische Akteure aus Politik und Zivilgesellschaft nur staunend am Spielfeldrand und versuchen im Ping-Pong der Hetze, Lügen und Unwahrheiten nachzuvollziehen, welcher Spin, welches Framing als Nächstes in die Familien-WhatsApp-Gruppe und den TikTok-Feed des besten Freundes gespült wird.12
Jüngst erzählte uns ein Bekannter aus Sachsen-Anhalt, dass in dem WhatsApp-Chat der Gymnastikgruppe seiner Oma regelmäßig TikTok-Videos von Ulrich Siegmund auftauchen. Siegmund ist Fraktionsvorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt. Laut Correctiv sei er Teil der rechtsextremen Gruppierung gewesen, die im November 2023 in Potsdam die Deportationspläne geschmiedet habe.13 Vor Ort schätzt man Ulrich Siegmund, der in seinen TikTok-Videos seinen über 460.000 (Stand 31.10. 2024) Followern „Mut zur Wahrheit“ verspricht. Für Botschaften wie „Fernseher aus – Kopf an” oder „Wie die Medien DICH manipulieren” bekam er bis jetzt über sieben Millionen Likes, Tendenz...