Huxley | Parallelen der Liebe | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 360 Seiten

Huxley Parallelen der Liebe

Roman
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-492-97665-7
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 360 Seiten

ISBN: 978-3-492-97665-7
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Lilian Aldewinkle, eine reiche Dame aus London, hat ein Schloß in Italien erworben, aus dem sie um jeden Preis einen Treffpunkt der Musen machen will. Deshalb lädt sie alle dorthin ein, die ihrer Meinung nach künstlerische Genalität besitzen: ihren ehemaligen Liebhaber Tom Cardan, den Arbeiterführer Mr. Falx oder den vom gesellschaftlichen Leben angewiderten Calamy, der aus Langeweile ein Verhältnis mit der Schriftstellerin Mary Thriplow anfängt. Aber auch Francis Chelifer kommt auf das Schloß, ein nicht unbedeutender Lyriker, der das Mittelmaß für den einzig erträglichen Zustand hält und von Mrs. Aledwinkle hartnäckiger Liebe verfolgt wird. Und so beginnt ein Reigen um Liebe, Verrat und Leidenschaft. »Parallelen der Liebe« ist ein Feuerwerk funkelnder Gedanken und Einfälle über die Liebe, das Leben und die Kunst präsentiert mit Leichtigkeit und Virtuosität.

Aldous Leonard Huxley, geboren 1894 in Godalming/Surrey, in Eton erzogen, studierte nach einer schweren Augenkrankheit englische Literatur in Oxford und war ab 1919 zunächst als Journalist und Theaterkritiker tätig. 1921 begann er mit der Veröffentlichung seines ersten Romans »Die Gesellschaft auf dem Lande« seine literarische Laufbahn. Von 1938 an lebte er in Kalifornien. Huxley starb 1963 in Hollywood.
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ERSTES KAPITEL


Das Städtchen Vezza liegt am Zusammenfluss zweier Wildbäche, die durch zwei tiefe Täler aus den Apuanischen Bergen kommen. Mit Getöse – denn sie erinnern sich noch ihres Ursprungs im Gebirge – durchfließen sie vereint den Ort. Stille bedeutet hier: unaufhörliches Rauschen fließenden Wassers. Dann ändert der kleine Fluss allmählich seinen Charakter; das Tal weitet sich, bald bleiben die Berge zurück, und das Gewässer, friedlich geworden wie ein holländischer Kanal, gleitet langsam durch die Wiesen der Küstenebene und vermischt sich mit dem gezeitenlosen Mittelmeer.

Das Städtchen beherrschend, springt ein steiler Bergrücken wie ein Keil zwischen den beiden Tälern vor. Fast auf seinem Grat, inmitten von Steineichen und hohen Zypressen, die schwärzlich aus den nebelgrauen Ölbäumen ragen, steht ein mächtiges Haus. Eine feierlich regelmäßige Fassade, zwanzig Fenster breit, blickt über die terrassierten Zypressen und Ölbäume auf die Stadt hinab. Hinter und über dieser Fassade sieht man unregelmäßige Gruppen von Häusern die Hänge emporklettern. Und das Ganze wird von einem hohen, schlanken Turm beherrscht, der sich oben, nach der Art italienischer Türme, zu überhängenden Wehrgängen öffnet. Es ist der Sommersitz der Cybo Malaspina, der einstigen Fürsten von Massa und Carrara, Herzöge von Vezza und Markgrafen, Grafen und Barone etlicher anderer Ortschaften in der unmittelbaren Umgebung.

Die Straße, die zum Palast der Cybo Malaspina hinaufführt, der auf dem Berg über der Stadt thront, ist steil. Die italienische Sonne kann auch noch im September sehr kräftig scheinen, und Ölbäume geben nur wenig Schatten. Der junge Mann mit der Schirmmütze und der über die Schulter gehängten Ledertasche schob sein Fahrrad langsam und missmutig bergauf. Dann und wann blieb er stehen, trocknete sich das Gesicht und seufzte. Ein Unglückstag war das gewesen, dachte er, ein schwarzer, schwarzer Tag für die armen Briefträger von Vezza, als die verrückte alte Engländerin mit dem unaussprechlichen Namen dieses Schloss kaufte; und ein noch schwärzerer, als es ihr beliebte, herzukommen und darin zu wohnen. In den guten alten Zeiten hatte das Haus ganz leer gestanden. Zwei Bauernfamilien in den Wirtschaftsgebäuden, sonst niemand. Selten mehr als ein Brief im Monat für beide zusammen; und gar Telegramme – seit Menschengedenken war kein Telegramm für das Schloss gekommen! Aber diese glücklichen Zeiten waren nun vorbei, und Briefe, Pakete, Bündel von Zeitungen, Eilsendungen und Depeschen – kein Tag, ja, kaum eine Stunde, wo sich nicht einer vom Postamt zu diesem verwünschten Haus hinaufschinden musste.

Freilich, überlegte der junge Mann, man bekam ein gutes Trinkgeld, wenn man ein Telegramm oder einen Eilbrief brachte. Doch da er ein vernünftiger junger Mann war, zog er, wenn er die Wahl hatte, Muße dem Geld vor. Der Aufwand an Energie konnte durch die drei Lire, die er am Ende des Anstiegs erhielte, nicht aufgewogen werden. Geld allein machte einen nicht zufrieden, denn wenn man dafür arbeiten musste, hatte man keine Zeit, es auszugeben.

Das Ideal, so überlegte er weiter, als er die Mütze von Neuem aufsetzte und sein Fahrrad wiederum langsam bergauf schob, das Ideal wäre, einen großen Gewinn in der Lotterie zu machen, einen ganz großen Gewinn.

Er holte einen kleinen Zettel aus der Rocktasche, den ihm erst heute Vormittag ein Bettler als Dank für ein paar soldi gegeben hatte. Das Papier war mit gereimten Glücksprophezeiungen bedruckt – und welch großen Glücks! Der Bettler war durchaus nicht kleinlich gewesen. Er würde die Erwählte seines Herzens heiraten, zwei Kinder haben, einer der wohlhabendsten Kaufleute seiner Stadt und dreiundachtzig Jahre alt werden. Diesem Teil des Orakels schenkte er wenig Glauben. Nur die letzte Strophe schien ihm – obgleich es ihm schwergefallen wäre zu erklären, warum – ernster Beachtung wert. Die letzte Strophe enthielt einen besonders guten Rat.

Intanto se vuoi vincere

Un bel ternone al Lotto,

Giuoca il sette e il sedici,

Uniti al cinquantotto.

Er las den Vierzeiler mehrmals, bis er ihn auswendig wusste; dann faltete er den Zettel und steckte ihn ein. Sieben, sechzehn und achtundfünfzig – diese Zahlen hatten entschieden etwas sehr Anziehendes.

Giuoca il sette e il sedici,

Uniti al cinquantotto.

Er hatte nicht übel Lust, zu tun, wie das Orakel befahl. Es war ein Zauberspruch, eine Formel, um das Schicksal zu zwingen. Unmöglich, mit diesen drei Zahlen nicht zu gewinnen. Er überlegte, was er mit dem Gewinn täte. Eben hatte er sich für die Marke des Autos, das er sich kaufen würde, entschieden – einer von diesen neuen 14–40 PS Lancia wäre eleganter als ein Fiat und weniger kostspielig, dachte er (denn er hatte seinen gesunden Menschenverstand und Sparsinn auch inmitten des überströmenden Reichtums bewahrt), als ein Isotta Fraschini oder ein Nazzaro –, da stand er bereits am Fuß der Stufen, die zum Tor des Schlosses hinaufführten. Er lehnte das Rad an die Mauer und zog mit einem tiefen Aufseufzen die Glocke. Diesmal gab ihm der Diener bloß zwei Lire statt drei. So geht’s im Leben, dachte er, während er mit Freilauf durch den Wald silberiger Ölbäume bergab surrte.

Das Telegramm war an Mrs. Aldwinkle gerichtet, aber in Abwesenheit der Dame des Hauses, die mit allen ihren anderen Gästen über den Tag zum Baden nach Marina di Vezza hinuntergefahren war, brachte der Butler es Miss Thriplow.

Miss Thriplow saß in einem dunklen kleinen gotischen Zimmer im ältesten Teil des Schlosses und verfasste auf einer Corona-Schreibmaschine das vierzehnte Kapitel ihres neuen Romans. Sie trug ein bedrucktes Kattunkleid – riesige blaue schottische Karos auf weißem Grund – die Taille sehr hoch und der Rock sehr weit und lang; ein Kleid, das zugleich altmodisch und unerhört zeitgemäß war, schulmädchenhaft und fortschrittlich, sittsam und überaus bohemehaft emanzipiert. Das Gesicht, das sie dem eintretenden Butler zuwandte, war sehr glatt und rund und blass, so glatt und rund, dass ihr niemand die ganzen dreißig Jahre, die sie alt war, geglaubt hätte. Die Züge waren zart und regelmäßig, die Augen dunkelbraun; und die gewölbten Brauen sahen aus wie mit einem Tuschpinsel auf eine Porzellanmaske gemalt. Ihr Haar war fast schwarz, und sie trug es glatt von der Stirn zurückgestrichen und tief im Nacken zu einem großen Knoten gewunden. Ihre unbedeckten Ohren waren fast weiß und sehr klein. Ein ausdrucksloses Gesicht, das Gesicht einer Puppe, aber einer äußerst intelligenten.

Sie nahm das Telegramm und öffnete es.

»Von Mr. Calamy«, erklärte sie dem Butler. »Er wird mit dem Zug um drei Uhr zwanzig ankommen und will zu Fuß heraufgehen. Ich glaube, es wäre gut, wenn Sie gleich sein Zimmer zurechtmachen ließen.«

Der Butler ging; aber statt weiterzuarbeiten, lehnte sich Miss Thriplow im Sessel zurück und zündete sich nachdenklich eine Zigarette an.

Um vier Uhr, nach ihrer Siesta, kam Miss Thriplow nicht mehr im Blauweißen vom Vormittag, sondern in ihrem besten Nachmittagskleid herunter – dem Schwarzseidenen mit den weiß eingefassten Falbeln. Von diesem dunklen Hintergrund hoben sich ihre Perlen besonders leuchtend ab. Auch in den kleinen Ohren hatte sie Perlen, und ihre Hände waren schwer beringt. Nach allem, was sie von ihrer Gastgeberin über Calamy gehört hatte, waren ihr diese Vorbereitungen als notwendig erschienen, und sie war froh, dass sie durch seine unerwartete Ankunft bei der ersten Begegnung allein mit ihm sein würde. So wäre es für sie leichter, den richtigen, den günstigen ersten Eindruck zu machen, der immer so wichtig war.

In Anbetracht von allem, was Mrs. Aldwinkle über ihn gesagt hatte, bildete sich Miss Thriplow ein, gerade den Typ von Mann, der er war, zu kennen. Reich, gut aussehend, und was für ein Liebeskünstler! Mrs. Aldwinkle hatte natürlich sehr lange und bewundernd bei diesem letzten Vorzug verweilt. Die mondänsten Gastgeberinnen rissen sich um Calamy; er war in den besten und glänzendsten Kreisen beliebt. Aber nicht ein bloßer Salonfalter, das hatte Mrs. Aldwinkle betont. Im Gegenteil, intelligent, eigentlich ernst, mit einem Interesse für Kunst und dergleichen. Überdies hatte er auf dem Gipfel seiner Erfolge London den Rücken gekehrt und sich zu seiner geistigen Fortbildung auf eine Weltreise begeben. Ja, Calamy sei ein durchaus ernst zu nehmender Mensch. Miss Thriplow hatte das alles mit einem Körnchen Salz aufgenommen; sie kannte Mrs. Aldwinkles Hang, in Ermanglung anerkannter...


Huxley, Aldous
Aldous Leonard Huxley, geboren 1894 in Godalming/Surrey, in Eton erzogen, studierte nach einer schweren Augenkrankheit englische Literatur in Oxford und war ab 1919 zunächst als Journalist und Theaterkritiker tätig. 1921 begann er mit der Veröffentlichung seines ersten Romans »Die Gesellschaft auf dem Lande« seine literarische Laufbahn. Von 1938 an lebte er in Kalifornien. Huxley starb 1963 in Hollywood.



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