E-Book, Deutsch, 96 Seiten
Reihe: Ecco Verlag
Ichikawa Hunchback
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7530-0107-4
Verlag: Ecco Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 96 Seiten
Reihe: Ecco Verlag
ISBN: 978-3-7530-0107-4
Verlag: Ecco Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
»Auf rund hundert Seiten fesselt den Leser mit seiner rohen, brodelnden, subversiven Energie und schüttelt gleichzeitig die körperlichen und geistigen Fesseln ab. Ein Buch, das uns bewegt und begeistert hat.« Jury International Booker Prize
»Hunchback« ist intelligent, komisch, feministisch und wurde in Japan zur Bestsellersensation. Geschrieben von der ersten behinderten Autorin, die den renommiertesten japanischen Literaturpreis erhielt, erzählt der Roman eigenwillig, trotzig und mitreißend von den Sehnsüchten und Abgründen einer Frau, die am Rande der Gesellschaft steht und zugleich kompromisslos nach Autonomie und der Möglichkeit sucht, das volle Potenzial ihres Lebens auszukosten. Erbarmungslos und mit dunklem Witz entlarvt Saou Ichikawa in ihrem Debüt den gesellschaftlichen Blick auf Behinderung, Körper und Sexualität.
Shaka Izawa wird mit einer angeborenen Muskelerkrankung geboren und verbringt ihre Tage in einem Pflegeheim außerhalb von Tokio. Aufgrund ihrer schweren Wirbelsäulenkrümmung ist sie auf einen elektrischen Rollstuhl und ein Beatmungsgerät angewiesen. Doch auch wenn Shaka körperlich eingeschränkt ist, kennt ihr schneller, scharfsinniger Geist keine Grenzen: Sie studiert online, veröffentlicht pornografische Kurzgeschichten im Internet und twittert provokante Statements wie: »Im nächsten Leben werde ich Edelnutte«. Um alle möglichen Erfahrungen ihres weiblichen Körpers auszuschöpfen, sucht sie eine Samenspende und macht ihrem neuen Pfleger ein unmoralisches Angebot - mit verhängnisvollem Ausgang ...
Saou Ichikawa (geboren 1979) hat an der School of Human Sciences der Waseda-Universität studiert. Ihr Debütroman »Hunchback« wurde zu einem Bestseller und mit dem 128. Bungakukai-Preis sowie dem 169. Akutagawa-Preis ausgezeichnet. Sie ist die erste Autorin mit einer körperlichen Behinderung, die den Akutagawa-Preis erhielt. Sie hat eine angeborene Myopathie und ist auf ein Beatmungsgerät und einen elektrischen Rollstuhl angewiesen.
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Ich schließe den WordPress-Editor und lege das iPad mini, das ich mit beiden Händen halte, auf die Frotteedecke auf meinem Bauch. Während ich konzentriert den Artikel zu Ende schrieb, hat sich in meiner Luftröhre Schleim gesammelt und den Alarm des Trilogy ausgelöst, meines Beatmungsgerätes, das jetzt nervtötend piept. Ich stoße den Absaugkatheter in den Schleim, den die in den knapp zwanzig Minuten durch den Schlauch ein- und ausströmende Luft aufgeschäumt hat, sauge ihn schmatzend ab und stecke den Adapter des Beatmungsschlauchs auf die Atemkanüle, bevor ich zu meinem iPhone neben dem Kopfkissen greife und den Chat öffne, den ich für Geschäftliches nutze.
Der Artikel über den Swingerclub XXXXX ist fertig. Über ein Feedback würde ich mich freuen.
Sobald ich erneut Schleim abgesaugt habe, flutet Sauerstoff mein Hirn. Was für eine Wohltat!
Danke. Wann darf ich mit Teil 2 und den Artikeln über die »Zwanzig besten Flirt-Locations« in Fukuoka beziehungsweise Nagasaki rechnen? Klappt das bis zum Wochenende?
Kein Problem. Bis spätestens Samstag liefere ich alle drei.
Ich nehme mein iPad mini wieder zur Hand, logge mich erneut bei WordPress ein und tippe auf das vom Redaktionsteam erstellte Template mit dem Titel »Fukuoka«. Jetzt ist »Buddha« Redakteur. Buddha ist mein Benutzername. Seit neunundzwanzig Jahren, seit ich in der lokalen Mittelschule, Klasse 8b, am Fenster des Klassenzimmers das Bewusstsein verlor, weil meine in der Wachstumsphase nicht vollständig ausgebildeten Muskeln die normale Sauerstoffsättigung nicht mehr aufrechterhalten konnten, lebe ich im Nirwana.
Das letzte Mal, dass ich, die Füße über den Boden schleifend, gegangen bin, liegt bald dreißig Jahre zurück.
Die Wanduhr schielt auf Mittag. Als mir bewusst wird, dass ich Harndrang verspüre, stehe ich wohl oder übel auf. Shakyamuni liegt im Nirwana sicher auch nicht nur herum. Mit einer Spritze lasse ich die Luft aus dem Cuff, ziehe den Adapter vom Sauerstoffgerät und schalte das Gerät aus, bevor der Alarm losgehen kann.
Durch die Deformation meiner Wirbelsäule, die dermaßen gekrümmt ist, dass sie den rechten Lungenflügel zerquetscht, haben links und rechts für mich eine ganz neue Bedeutung erhalten. Aus dem Bett steigen kann ich nur links. Mich rechts anzulehnen, ist bequem. Da ich den Kopf aber nicht nach rechts drehen kann, muss der Fernseher links von mir stehen. Sowohl das obere als auch das untere Fach des Kühlschranks erreiche ich nur mit der rechten Hand, den Fußboden bloß mit den Zehenspitzen des linken Fußes, weshalb man meinen Gang, wenn überhaupt, nur als Hinken bezeichnen kann. Wenn ich nicht aufpasse, schlage ich links mit dem Kopf an den Türrahmen.
»–«
Das ist mir heute Morgen auch passiert. Doch bevor die Luft für den Schrei meine Stimmbänder erreicht, ist sie durch das Tracheostoma schon verpufft.
Zurück von der Toilette, hänge ich das Beatmungsgerät wieder an. Ich rufe auf dem iPhone meinen privaten Twitter-Account auf und tweete: ›Im Swinger-Club Kondome von der Decke regnen lassen – der Job würde mir auch gefallen.‹ Es ist ein unbedeutender Account, der von niemandem groß gelikt wird. Kein Wunder! Wie soll man auch auf einen Account reagieren, auf dem eine praktisch bettlägerige, schwerbehinderte Frau immerzu grummelt: ›Im nächsten Leben werde ich Edelnutte.‹
›Ich hätte gerne bei McDonald’s gejobbt.‹ ›Ich wäre gerne zur Oberschule gegangen.‹ ›Wenn ich – eins fünfundsechzig, Spross hochgewachsener, bildschöner Eltern mit Black Card – gesund gewesen wäre, hätte ich die Welt erobern können. (Welche Welt?)‹ ›Obwohl ich in der Präfektur Kanagawa geboren und aufgewachsen bin, war ich bloß ein paarmal in Tokio. (Machida ausgenommen.)‹ ›Da ich schon nicht mehr laufen konnte, als die Sperren an den Bahnstationen automatisiert wurden, kenne ich nur geknipste Fahrkarten.‹ ›Mit dem Shinkansen bin ich auch noch nie gefahren. Dafür bin ich als Kind bei Auslandsreisen immer Businessclass geflogen.‹
Als gegen ein Uhr die Pflegehilfe hereinkommt und das Essen vorbereitet, trenne ich mich von meinem Beatmungsgerät und verlasse das Bett. Die zu einer Reihe Einzimmerapartments umgebaute Einrichtung, die Wohngemeinschaft Ingleside, haben meine Eltern mir hinterlassen. Hier werde ich wohnen bis zu meinem Tod. Ein sechzehn Quadratmeter großes Zimmer, Küche, Toilette und Bad. Das ist der Radius, in dem ich mich auf eigenen Beinen bewege. Sonst muss ich an dreihundertfünfundsechzig Tagen nirgendwohin und werde – außer von den Pflegehilfen, der Pflegeleiterin, dem ambulanten Pflegedienst und den Mitarbeitern der Sauerstoffgerätevermietung – auch von niemandem besucht. Vom bodentiefen Westfenster aus kann man bei schönem Wetter den Gipfel des Fuji sehen; ich allerdings nicht, denn der Westen liegt rechts, und dahin kann ich...