E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Isaka Der Profi
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-455-01717-5
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-455-01717-5
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kotaro Isaka, geboren 1971, ist einer der international erfolgreichsten japanischen Autoren. Er wurde mit fünf der wichtigsten japanischen Literatur- und Krimipreise ausgezeichnet, und viele seiner 24 Romane wurden verfilmt. Seine Bücher erscheinen u.a. in den USA, in Großbritannien, China, Korea, Russland, Italien, Frankreich. Mit seinem gefeierten Thriller Bullet Train, der ein Spiegel-Bestseller war, wurde er 2022 auch in Deutschland einem großen Publikum bekannt.
Weitere Infos & Material
Cover
Titelseite
Inhalt
Axt
Stachel
Kreide
Exit
Finale
Über Kotaro Isaka
Impressum
Axt
Kabuto
Er schiebt den Schlüssel ins Schloss. Ganz behutsam, und trotzdem schleift es hörbar, was Kabuto zur Weißglut bringen könnte. Wann erfinden die endlich mal ein geräuschloses Schließsystem? Seine Nerven liegen bereits blank, als er vorsichtig den Schlüssel dreht. Beim Klicken verkrampft sich sein Magen. Die Tür springt auf. Im finsteren Haus ist es totenstill.
Leise zieht er die Schuhe aus. Auf Socken schleicht er den Flur entlang. Auch im Wohnzimmer brennt kein Licht. Die Bewohner des Hauses, genau gesagt sind es zwei, schlafen bereits.
Mit angehaltenem Atem, auf jede Bewegung achtend, steigt er die Treppe zum ersten Stock hinauf. Oben angelangt, betritt er das Zimmer gleich rechts. Er schaltet das Licht ein und lauscht. Befreit atmet er auf. Puh! Das wär geschafft!
»He, Kabuto, so wie ich dich kenne, wirst du jetzt sicher als braver Familienvater heimkehren und einen Becher Nudelsuppe schlürfen, oder?«
Den Spruch hatte mal ein früherer Partner von ihm geäußert. Eine schräge Type! Sein Spitzname war Lemon, und er hatte ein Faible für die Kindersendung . Grobschlächtig und allzu oft leichtsinnig, hatte er trotzdem was drauf. Sie beide waren damals von unterschiedlichen Klienten beauftragt worden, dasselbe Objekt auszuschalten, worauf sie sich zur Zusammenarbeit entschlossen.
Nach getaner Arbeit saßen sie zu dritt zusammen, Kabuto, Lemon und dessen Kompagnon Tangerine. Lemon nervte mit Quizfragen rund um seine Lieblingssendung.
»Sagt schon, wie heißt der Verantwortliche der Sodor Island Construction Company?«
Als keiner darauf einging, wechselte man glücklicherweise das Thema.
»Kabuto, weiß deine Familie eigentlich, was du hier treibst?«, fragte ihn nun Lemons Kumpel Tangerine.
Die beiden hatten in etwa die gleiche Statur, aber ihre Persönlichkeiten waren diametral entgegengesetzt, was vermutlich sogar der Grund für ihre gute Zusammenarbeit war. Offenbar waren sie es nicht gewohnt, einen Familienvater als Kollegen zu haben, und fragten Kabuto deshalb Löcher in den Bauch.
»Natürlich nicht. Sie wären am Boden zerstört, wenn sie wüssten, mit welchen riskanten Jobs sich die Stütze der Familie abgibt. Normalerweise arbeite ich im Vertrieb einer Firma für Bürobedarf.«
»Ist das deine Tarnung?«
»Ach, na ja …«
Er war ja tatsächlich bei diesem Betrieb beschäftigt. Als sein Sohn geboren wurde, hatte er mit Mitte zwanzig den Job als Quereinsteiger angenommen und war seitdem dort als Festangestellter tätig. Inzwischen Mitte vierzig, galt er im Vertrieb als alter Hase.
»Ziemlich erbärmlich, wenn man sich vorstellt, dass du als Ernährer der Familie dein Leben aufs Spiel setzt und nachts, wenn du nach Hause kommst, Cup-Ramen essen musst«, stichelte Lemon.
»Red keinen Scheiß«, empörte sich Kabuto. »Ich ess doch keine Instantsuppen.«
Sein Tonfall war so heftig, dass Lemon zurückzuckte und sofort in Abwehrstellung ging.
»Nun mach mal halblang«, versuchte er zu beschwichtigen.
»Ich meinte das ja ganz anders«, erwiderte Kabuto nun wieder im Normalton. »Cup-Ramen machen ungeheuer viel Krach.«
»Wieso das denn?«
»Das Aufreißen der Verpackung macht Geräusche, ebenso das Entfernen des Deckels, und dann das Plätschern beim Aufgießen mit heißem Wasser. Alles viel zu laut mitten in der Nacht.«
»Aber das merkt doch keiner.«
»Meine Frau schon«, wandte Kabuto ein. »Sie ist schon mal von dem Geraschel aufgewacht. Sie nimmt ihren Beruf ernst und muss jeden Tag früh aufstehen. Außerdem hat sie einen langen Weg zur Arbeit. Das wird dann der reinste Stress, wenn ich sie nachts wecke.«
»Wieso? Was ist daran so stressig?«
»Am nächsten Morgen herrscht dicke Luft. Sie jammert mir dann so die Ohren voll, dass ich tatsächlich kaum noch atmen kann. Das ist nicht nur so dahergesagt. Ihre schlechte Laune, ihr Genörgel, ich hätte sie mit meinem Krach aufgeweckt, schnüren mir echt den Magen zusammen.«
»Komm schon, Kabuto, mach keine Witze. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass du so schnell aus der Fassung gerätst.«
»Mag schon sein. Hier bei unserem Job passiert mir das auch nicht. Ich erledige das, was getan werden muss.«
»Und bei deiner Angetrauten ist das nicht so?«
»Klar«, nickte Kabuto.
»Tja, und dann? Wenn Cup-Ramen-Packungen zu viel Krach machen, hättest du doch die gleichen Probleme mit einem Müsliriegel, oder? Das raschelt doch genauso.«
Tangerine blickte Kabuto mit seinen melancholischen Triefaugen an.
»Was machst du, wenn du Kohldampf hast?«
»Banane oder Onigiri«, schlug Kabuto mit ernster Miene vor.
Das Duo nickte sichtlich beeindruckt.
»Ziemlich clever!«
»So clever ist das nun auch wieder nicht, ich finde das eher reichlich naiv«, konterte Kabuto sofort.
»Wieso naiv? Bananen und Onigiri rascheln und knistern doch nun wirklich nicht …«
»Ihr müsst wissen, dass meine Frau manchmal aufbleibt, wenn ich spät nachts heimkomme. Sie hat mir dann ein Abendessen zubereitet oder was vom Mittag übrig gelassen.«
»Ach, echt?«
»Na ja, schätzungsweise dreimal pro Jahr.«
»Wow, so oft?«
Tangerine wollte wohl sarkastisch klingen.
»Ich muss das dann alles aufessen, was sie gekocht hat. Und das ist nicht gerade wenig. Für Bananen und Onigiri ist dann jedenfalls kein Platz mehr.«
»Na und?«
»Ihr wisst doch, Reisbällchen aus dem Convenience-Store sind schon am nächsten Tag nicht mehr genießbar. Bananen halten auch nicht länger.«
»Und was heißt das?«
»Daraus folgt …«
»Daraus folgt?«
»Wurst. Und zwar Fischwurst. Macht auch kein Geräusch und hält sich bis zum nächsten Tag. Sättigt prima. Die beste Wahl.«
Lemon und Tangerine verstummten.
»Manchmal, wenn ich nachts noch im Konbini einkaufen gehe, begegne ich einem anderen Familienvater, der sich wie ich früher Bananen und Onigiri mit auf den Heimweg nimmt. O weh, denke ich dann, der hat noch viel zu lernen«, fuhr Kabuto fort. »Die Lösung ist also: Fischwurst!«
Starkes Argument! Lemon, der bis jetzt mit offenem Mund zugehört hatte, fing an zu applaudieren. Erst bedächtig langsam, dann immer heftiger und lauter. Er blieb zwar sitzen, klatschte jedoch begeistert wie bei Standing Ovations, und das mit völlig ernster Miene.
»Kabuto, du hast deine überaus tragische Geschichte total witzig rübergebracht. Respekt!«
Immer noch brausender Applaus.
So ein Schwachsinn! Tangerine neben ihm verzog säuerlich den Mund.
»Die ganze Branche zieht den Hut vor dir, Kabuto. Könnten sogar zwei Hüte sein. Aber wenn rauskommt, dass du zu Hause unter dem Pantoffel deiner Alten stehst, wären sicher alle mächtig enttäuscht.«
Kabuto denkt, dass er die beiden in letzter Zeit gar nicht mehr zu Gesicht bekommen hat. Lemons begeisterte Miene kommt ihm in den Sinn, als dieser stolz verkündete, dass »Jenny Packard die Leitung der Baufirma auf Sodor Island übernommen« hat.
Kabuto holt eine verpackte Fischwurst aus seiner Jacketttasche, entfernt ganz vorsichtig das Plastik und beißt hinein. Es lindert sein Hungergefühl. Der Stuhl quietscht. Mist!, schreckt er zusammen – angestrengt lauschend, ob seine Frau womöglich davon wach geworden sein könnte.
Als Kabuto morgens aufwachte, war seine Frau gerade im Aufbruch.
»Sorry, Schatz! Frühstück steht auf dem Tisch. Lass es dir schmecken!«, rief sie ihm im Gehen zu. »Ich hab ganz vergessen, dass ich heute früh ein Meeting habe.«
»Kein Problem«, verabschiedete er sie und ging ins Badezimmer, um seine Morgentoilette zu erledigen, bevor er sich an den Esstisch setzte.
Er schaute zur Wanduhr. Halb acht.
Es war angenehm ruhig in der Wohnung, wenn seine Frau unterwegs war. Das hatte nichts damit zu tun, dass er keine Sympathie mehr für sie empfand oder sie ihm auf die Nerven ging. Im Laufe ihrer langen Ehe war seine Liebe zu ihr vielmehr ungebrochen – das konnte er mit Sicherheit von sich behaupten. Aber es war nun mal so, dass er zu sehr auf ihre Befindlichkeiten Rücksicht nahm. Als würde er dem Tiger keinesfalls auf den Schwanz treten wollen, nur dass der seiner Frau unsichtbar war. Er wusste also nie, wann er ihn erwischte.
Der Fernseher war eingeschaltet. Es liefen gerade die Frühnachrichten. Eine junge Frau stand vor einer Wetterkarte und erklärte die...