Iser | Empörung und Fortschritt | Buch | 978-3-593-38474-0 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 64, 329 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 214 mm, Gewicht: 411 g

Reihe: Theorie und Gesellschaft

Iser

Empörung und Fortschritt

Grundlagen einer kritischen Theorie der Gesellschaft

Buch, Deutsch, Band 64, 329 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 214 mm, Gewicht: 411 g

Reihe: Theorie und Gesellschaft

ISBN: 978-3-593-38474-0
Verlag: Campus Verlag GmbH


Der Zusammenhang von Empörung und Fortschritt steht im Zentrum der kritischen Theorien von Jürgen Habermas und Axel Honneth. Beide eint das Projekt, universelle moralische Erwartungen aufzudecken, um eine umfassende Kritik der Gesellschaft zu begründen. Aber zeigt Empörung stets moralisches Unrecht an? Und lassen sich hieraus Kriterien moralischen Fortschritts gewinnen? Mattias Iser arbeitet die Vorund Nachteile der neueren Kritischen Theorie gegenüber konkurrierenden Ansätzen heraus. Zudem legt er den ersten umfassenden Vergleich der Theorien von Habermas und Honneth vor sowie eine Vermittlung ihrer Paradigmen – Verständigung und Anerkennung.
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Weitere Infos & Material


Einleitung: Empörung und Fortschritt - Zur Idee einer rekonstruktiven Gesellschaftskritik

1. Gesellschaftskritik im Widerstreit

1.1 Konstruktivistische Kritik
1.2 Interpretative Kritik
1.3 Welterschließende Kritik
Exkurs: Vier Funktionen der Gesellschaftstheorie
1.4 Genealogische Kritik
1.5 Ideologiekritik

2. Kritische Theorie der Verständigung

2.1 Die Grammatik der Verständigung
2.1.1 Krise, Empörung und Rekonstruktion
2.1.2 Was ist Verständigung?
2.1.3 Verständigung als soziale Notwendigkeit
2.1.4 Die Dimensionen moderner Verständigung

2.2 Verständigung und Fortschritt
2.2.1 Reflexivität und Differenzierung
2.2.2 Egalitäre Inklusion
2.2.3 Autonomisierung und Individualisierung

2.3 Kritik der Verständigungsverhältnisse
2.3.1 Falsche Verständigungsinhalte
2.3.2 Verzerrte Verständigungsprozesse
2.3.3 Verdrängte Verständigung?

2.4. Verständigung und Widerstand
2.4.1 Zwei Achsen des Historischen Materialismus
2.4.2 Quellen der Empörung

3. Kritische Theorie der Anerkennung

3.1 Die Grammatik der Anerkennung
3.1.1 Krise, Empörung und Rekonstruktion
3.1.2 Was ist Anerkennung?
3.1.3 Anerkennung als soziale Notwendigkeit
3.1.4 Die Dimensionen moderner Anerkennung

3.2 Anerkennung und Fortschritt
3.2.1 Egalitäre Inklusion
3.2.2 Individualisierung, Differenzierung und Autonomisierung
3.2.3 Reflexivität

3.3 Kritik der Anerkennungsverhältnisse
3.3.1 Falsche Anerkennungsinhalte
3.3.2 Verzerrte Verständigung über Anerkennung
3.3.3 Verdrängte Anerkennung?

3.4 Anerkennung und Widerstand
3.4.1 Fortschritt als Abfolge sozialer Kämpfe
3.4.2 Quellen der Empörung

4. Ort und Zukunft der Kritischen Theorie

4.1 Umrisse einer Theorie kommunikativer Anerkennung
4.1.1 Die Unhintergehbarkeit kommunikativer Anerkennung
4.1.2 Drei Kriterien moralischen Fortschritts
4.1.3 Wie kritisch ist die Kritische Theorie?
4.1.4 Empörung und Widerstand

4.2 Die Grenzen einer rekonstruktiven Gesellschaftskritik
4.2.1 Noch einmal: Gesellschaftskritik im Widerstreit
4.2.2 Schluss: Der Pluralismus der Gesellschaftskritik

Literatur
Danksagung
Personenregister


Ob angesichts randalierender Jugendlicher in den französischen banlieus oder fundamentalistischer Selbstmordattentäter - negative Gefühlsreaktionen wie Zorn oder Hass sind erneut in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit getreten. Diese explosiven Emotionen, mit denen Subjekte auf eine vermeintliche Verletzung durch andere reagieren, scheinen die Aufklärung mit ihrem unterdrückten Anderen zu konfrontieren. Allerdings sind solche Reaktionen weder neu noch bloß problematisch. Dass sie vielmehr in all ihrer Ambivalenz zur Grundstruktur moralischer Überzeugungen gehören, zeigt bereits ein Blick in Platons Politeia:

"Wie aber ist es, wenn einer glaubt, Unrecht zu erleiden? Dann kocht und braust doch wohl der Zorn in ihm auf und macht sich zum Bundesgenossen dessen, was ihm gerecht dünkt, […] bis er es entweder durchsetzt oder stirbt oder […] von der ihm innewohnenden Vernunft zurückgerufen und besänftigt wird." (440 c-d)

Zorn oder - angemessener - moralische Empörung bemächtigt sich hier des Subjekts, weil es sich ungerecht behandelt fühlt. Freilich sind diese Gefühle lediglich von heuristischem Wert, weil sie kein Erstes darstellen (Lohmann 2001: 435). Vielmehr liegen ihnen, wenn auch oftmals nur implizit, moralische Erwartungen zugrunde. Und diese können gerechtfertigt, aber auch ungerechtfertigt sein; genauso wie die Einschätzung der Situation, auf die sich die moralische Gefühlsreaktion bezieht. Eben dies meint Platon, wenn er betont, der Zorn könne durch die Vernunft auch wieder zurückgerufen werden; dann nämlich, wenn der Zürnende erkennt, dass ihm gar kein Unrecht zugefügt wurde bzw. den anderen keine Schuld trifft. Zudem können authentische Schuldgefühle auf der Seite des anderen die Empörung besänftigen. Kann somit bereits die Wahrnehmung als Verletzung unangemessen sein, so gilt dies auch für die darauf antwortenden Handlungen. Weil es sich um aggressive Gefühlsreaktionen handelt, die durch Drängen und Ungeduld gekennzeichnet sind, kann es leicht zu Überreaktionen kommen. Allerdings muss man nicht gleich so weit gehen wie Jon Elster, der die generelle Handlungsneigung der Empörung als eine beschreibt, die "dafür sorgen" will, "dass das Objekt des Gefühls leidet" (Elster 2004: 223). Letztlich kann sich die Empörung über Handlungen auch zu einem Hass gegenüber Personen und Gruppen verfestigen. Dann wird es schwerer, jene Gefühle der Entrüstung reflexiv zu überprüfen, die sich angeblich auf bestimmte Untaten beziehen, aber nur die Haltung des Hasses nachträglich rationalisieren (Demmerling/Landweer 2007: 299).

Empörung erfordert als moralische Gefühlsreaktion, die beansprucht, Unrecht anzuzeigen, folglich die argumentative Prüfung ihrer Angemessenheit. Zugleich geht mit ihr auch ein zumindest implizites Wissen darum einher, dass nicht nur meine, sondern auch die Verletzung anderer einen Anlass zur Empörung darstellt. Ansonsten wäre es nur Wut oder Zorn. Unter Bezug auf die normativen Erwartungen, aufgrund derer ich mich verletzt fühle, vermag ich dann eine stellvertretende, unpersönlichere Haltung einzunehmen (Strawson 1962: 217f., Habermas 1983a: 58f., Wingert 1993: 74). Diese Haltung lässt mich erkennen, dass ich bereits akzeptiert habe, dass auch ich anderen gegenüber bestimmte positive Einstellungen an den Tag legen muss, die sich in Handlungen niederzuschlagen haben. Wir empören uns folglich auch über Verletzungen einer - vielleicht nur imaginierten - normativen Ordnung, die die Subjekte in einer für alle zustimmungsfähigen Weise schützen und fördern soll. Insofern kann man angesichts der weiten Verbreitung einer indifferenten bis resignativen Einstellung gegenüber dem "Elend der Welt" (Bourdieu) auch ein Zuwenig an Empörung diagnostizieren.

Wichtig sind diese Befunde, weil Gesellschaftskritik, so die These der vorliegenden Studie, im Kern die reflexive Überprüfung von Empörung ist; einer Empörung, die potentiell zu moralischem Fortschritt führen kann. Und hierzu gehört auch, dass die Kritik hinterfragen muss, ob Handlungen oder soziale Verhältnisse, die in Subjekten diffuse Gefühle des Unbehagens oder der Scham auslösen, nicht eher Empörung hervorrufen sollten. Nun mag der Titel angesichts des Leids, das durch Zorn und Empörung innerhalb der menschlichen Geschichte verursacht wurde, zynisch oder gar naiv klingen. Müsste es nicht vielmehr "Empörung und Rückschritt" heißen? Daher ist die Frage von besonderer Dringlichkeit, anhand welcher Kriterien sich entscheiden lässt, wann Empörung berechtigt ist und wann nicht. Wie aber gelangt man zu solchen Kriterien?


Mattias Iser, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für politische Theorie am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Frankfurt.


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