E-Book, Deutsch, 220 Seiten
Ivanji Buchstaben von Feuer
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-7117-5010-5
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 220 Seiten
ISBN: 978-3-7117-5010-5
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der junge Siegfried Wahrlich ist der Sohn eines Kellners und wächst ohne Mutter in Weimar auf. Früh schon begegnet er am Arbeitsplatz seines Vaters den unterschiedlichsten Menschen und lernt, auf sie einzugehen und sich den Umständen anzupassen. Sein Leben führt ihn zunächst in eine Lehre in einer Waggonfabrik, dann als Student ans Bauhaus, er engagiert sich politisch als Sozialdemokrat und später als Kommunist. Im gnadenlosen Strudel der Zeitläufte gerät Wahrlich ins KZ Buchenwald, kämpft auch in der Strafdivision 999 und landet am Ende des Krieges in jugoslawischer Gefangenschaft - aus der er durch Kontakte mit dem Belgrader Geheimdienst als Bauleiter hervorgeht. Dass er ein Lebenskünstler ist, der weiß, wie er aus seinem Leben das Beste machen kann, zeigt seine weitere Biografie, die ihn vorerst in die DDR führt, in der er sich genauso einsetzt wie später im vereinten Deutschland. Siegfried Wahrlich ist ein Romanheld der etwas anderen Art. Ausgestattet mit einer großen Portion Glück, einem einnehmenden Äußeren und Geschick im Umgang mit Menschen, meistert er sein Leben bravourös. Eine Liebesgeschichte, ein politischer Thriller und ein Spionageroman zugleich, formt Ivan Ivanji aus Wahrlichs Leben ein beeindruckendes Bild des 20. Jahrhunderts.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Der junge Wahrlich (S. 11-12)
Siegfried Wahrlich wurde in der Neujahrsnacht 1908 in Weimar geboren, war also nur einige Tage jünger als Franz Ehrlich, der im Unterschied zu ihm eine dokumentarisch nachweisbare Person gewesen ist und von dem ebenfalls noch viel zu sagen sein wird. Es muss jedoch, um Verwechslungen und andere Irrtümer zu vermeiden, gleich betont werden, dass diese beiden fast gleichaltrigen Bauhäusler – obwohl sie befreundet waren, teilweise gemeinsame Wege gingen, manchmal zusammenarbeiteten und ein nicht ganz unähnliches Schicksal hatten – keineswegs identisch sind. Siegfrieds Vater, Walter, war Hilfskellner im Hotel »Elephant«.
Als die Wehen bei seiner Frau eintraten, schickte die besorgte Hebamme einen Nachbarsjungen, den Michael Gutmann, ins Restaurant, Walter solle unbedingt sofort zu seiner Frau kommen, aber Oberkellner Klement wollte ihn auf keinen Fall gehen lassen, mehrere andere Gehilfen hatten sich rechtzeitig freigenommen und feierten Silvester mit ihren Familien zu Hause, es mangelte ohnehin an Personal, das Restaurant war vor allem mit Stammgästen, Herrschaften von auswärts und auch mit Offizieren, die fröhlich champagnisierten, sehr gut besetzt.
»Wenn Sie jetzt gehen, Wahrlich, brauchen Sie überhaupt nicht mehr zu kommen!« Als Walter am frühen Morgen endlich nach Hause gehen durfte, war seine Frau schon verblutet und lag gewaschen und leicht geschminkt im frisch bezogenen Ehebett, das Kind jedoch schrie in den Armen der Geburtshelferin kräftig und es erwies sich, dass es gesund war. Die Nachbarin, die Witwe Gutmann, drückte ihr herzlichstes Beileid aus und bot jede notwendige Hilfe an.
Die Tatsache, dass Walter Wahrlich wegen seines Dienstes im Gasthof nicht am Sterbebett seiner jungen Frau hatte sein dürfen, löste bei seinen Vorgesetzten eine gewisse Verlegenheit aus, sogar der Herr Direktor, Paul Leutert, der sich gerne schlicht als Gastwirt ansprechen ließ, freilich nur von den verehrten Gästen, sicher nicht vom Personal, erfuhr von der traurigen Geschichte und murmelte etwas von tief empfundener Anteilnahme, das brachte Walter Wahrlich eine merkliche Gehaltserhöhung und über die Jahre hinweg sogar eine Vorzugsbehandlung ein.
Er wurde endlich Kellner mit seinem eigenen Revier, die Trinkgelder steckte allerdings auch weiterhin Herr Klement, der Oberkellner, ein. Als alleinerziehender Vater und auch weil sich die Hoteldirektion für ihn einsetzte, weil die Herren Offiziere auf Urlaub das Anrecht hatten, richtig bedient zu werden – man könne einem Haus diesen Ranges doch nicht einfach alle guten Leute wegnehmen –, wurde er vom Militärdienst freigestellt und musste nicht einmal in den Krieg ziehen. Direktor Leutert beeilte sich seinerseits dem Vaterland zu dienen, was bedeutete, dass er jetzt in Uniform nach dem Rechten sehen konnte.
Am ersten Schultag fiel der Junge mit seinem blonden Schopf dem Schulmeister auf: »Siegfried Wahrlich!« Er stand auf, hielt sich gerade, sah dem Erwachsenen direkt ins Gesicht. »Jawohl Herr Lehrer!« »Stramm! Brav! Guter Name! Was ist der Vater? Deutschnationaler?« »Nein. Kellner beim ›Elephanten‹.« Brüllendes Gelächter. Die Spielkameraden hänselten: »Mensch, Siegfried, du schaust aber gar nicht wie ein Drachentöter aus!« Das duldete er nicht. Mit seinem harten Kopf rannte er, anstatt sich mit den Fäusten zu schlagen, auf andere Jungen los, [14]Kopf schlug auf Kopf, Stirn auf Stirn.