Ivanji | Hineni | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 216 Seiten

Ivanji Hineni

Roman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7117-5418-9
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 216 Seiten

ISBN: 978-3-7117-5418-9
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Abraham lebt als erfolgreicher Kaufmann in der Handelsstadt Haran. Aber er will mehr vom Leben und sucht das Glück in der Ferne, in Kanaan. Geleitet wird er von seiner Suche nach dem einen, einzigen Gott. Nacht für Nacht steht er unter dem Sternenzelt und wartet auf ein Zeichen Elohims. Doch Abraham bleibt in Kanaan ein Fremder, seine Geschäfte laufen schlecht und seine Frau Sara wird nicht schwanger. Er widersteht allen Empfehlungen, den lokalen Göttern zu opfern, und hält an seinem Glauben fest, denn er hat große Pläne: Er wähnt sich auserwählt und will ein eigenes Volk gründen. Doch erst muss er sich ein weiteres Mal aufmachen - nach Ägypten.Dort herrscht weitsichtig der Pharao Amenemhet, in dessen Dienst sich Abraham bald wiederfindet. Doch der Pharao schmiedet einen politischen Plan, der Ägypten nützlich sein soll und so ganz nebenbei Abrahams Träumen neue Hoffnung verleiht ... Ivan Ivanji erzählt eine Familiengeschichte voll von Liebe, Hass, Mord, Betrug und Intrigen: Eine ausdrucksvolle Paraphrase des bestverkauften Buches der Welt.

Ivan Ivanji, 1929 im Banat geboren, war unter anderem Journalist, Diplomat und Dolmetscher Titos. Romane, Essays, Erzäh­lungen und Hörspiele. Er lebte als freier Schriftsteller und Übersetzer in Wien und Belgrad. Im Picus Verlag erschienen zahlreiche Romane, darunter »Das Kin­der­fräulein«, »Der Aschen­mensch von Buchenwald«, »Geister aus einer kleinen Stadt«, »Buchstaben von Feuer«, seine Familiensaga »Schlussstrich«, »Tod in Monte Carlo«, »Hineni« und »Corona in Buchenwald«. 2023 erschien »Der alte Jude und das Meer«. Ivan Ivanji verstarb am 9. Mai 2024 in Weimar.

Ivanji Hineni jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


HAGAR
Sie war als Kind nie hungrig schlafen gegangen, nie. Tagsüber war sie natürlich mitunter hungrig gewesen, aber am Abend gab es immer genügend zu essen. Allerdings erzählte man ihr immer wieder, wie es ist, großen Hunger zu haben, von Menschen, die lange ohne Nahrung leben müssten, sogar ohne Wasser blieben und starben. Als kleines Mädchen konnte sie sich das nicht einmal vorstellen. Noch hatte sie keine Ahnung, was das war – Tod, Sterben –, nur dass es etwas Furchtbares sein musste. Die Herrschaft sorgte für alle, Männer, Frauen und Kinder, alle, alle, die sie kannte. Es hieß, sie seien Sklaven. Nun, dachte sie von klein auf, es ist, wie es ist. Konnte es anders sein? Wie denn? Kann man anders sein, als man ist? Sie glaubte nicht, dass ihr etwas fehlte. Wie aber war es mit den sogenannten freien Menschen? Sie waren zum Beispiel Fischer am Nil, mussten ihren Fang Herrn Hisisi zeigen, der ihnen überließ, was sie und ihre Familien zum Überleben brauchten. Mehr nicht. Oder sie waren Arbeiter an den Dämmen des großen Stromes. Sie alle mussten sich große Mühe geben, um nicht hungrig schlafen gehen zu müssen. Hagar und die Sklaven mussten natürlich ebenfalls arbeiten, aber Sorgen, was sie am Morgen und am Abend essen würden, hatten sie nicht. Bald konnte Hagar viele Fischsorten unterscheiden, die silbrigen Meeräschen, Buntbarsche, Hechte und seltsame Kugelfische, am häufigsten waren Welse, manche davon größer als sie selbst. Sie wuchs mit gekochtem, gebratenem, manchmal auch roh zubereitetem Fisch auf, mit Grützen am Morgen und am Abend. Erwachsene erhielten dazu täglich einen Krug Bier. Herr Hisisi streichelte Hagar manchmal über den Kopf und gab ihr von seinem Fladenbrot mit Honig. Als kleines Mädchen dachte sie, es sei viel besser, Sklave zu sein als ein freier Mensch wie die Fischer und die Arbeiter am Damm. Man bekam, was man brauchte, ohne sich sorgen zu müssen. Darum kümmerte sich Herr Hisisi. Ziemlich lange fragte sich das Mädchen nicht, warum das so war. Sie wusste, Herr Hisisi war ein Schreiber. Außer freien Arbeitern, Fischern, nicht zu vergessen Matrosen, gab es auch solche Leute. Lange glaubte sie, er sei der einzige Schreiber auf der Welt. Und der einzige Mensch, den man mit Herr anredete. Abends hörte Hagar, wie der Wind ihr Lieder zutrug: Der Ruderer ist müde, in seinen Händen das Ruder, auf seinem Rücken der Peitschenhieb, sein Magen leer, der Schreiber sitzt in der Kabine, es rudern die Kinder der anderen. Azenat sagte einmal zu ihr: »Du weißt nicht, wie glücklich du bist, Kind.« Das war sie also, nicht nur Sklavin, sondern auch glücklich. Natürlich glaubte sie Azenat. Ziemlich lange. Später nicht mehr, nicht mehr ganz. Azenat erzählte vor dem Einschlafen Geschichten. Sie hatte eine blasse, fast weiße Haut. Sie sagte dem Mädchen jedoch, dunklere Haut sei für die meisten Männer begehrenswert. »Viele werden von dir Kinder haben wollen, Hagar, die sollen schön sein wie du.« Sie wusste noch nicht genau, was das sein sollte, Schönheit, aber wenn Azenat meinte … Das war doch gut für sie, oder? Es hieß, sie alle seien Eigentum des Pharaos. Natürlich war auch Hagar als kleines Mädchen überzeugt davon, er sei einer der Götter, sie selbst also ein Mädchen Gottes, was will man mehr? Jemand Wichtigeren, Großartigeren als Herrn Hisisi als Mensch konnte sie sich ohnehin nicht vorstellen. Azenat erklärte ihr, der Name Hisisi bedeute Geheimnis, geheimnisvoll. »Und was bedeutet dein Name, Azenat?« »Ganz einfach, es bedeutet Tochter.« »Sind wir nicht alle jemandes Töchter?« »Das schon, Kind, aber manchmal weiß man nicht, wer der Vater ist. Viele unter uns wollte keiner anerkennen.« »Ist es nicht so, dass Seine Majestät der Pharao uns wollte? Wir sind die Seinen, ist das nicht viel mehr als irgendein gewöhnlicher Vater? Unser Vater ist ein Gott. Was macht es, wenn man dann nicht weiß, wer sein menschlicher Vater ist? Und was bedeutet mein Name?« »Das weiß ich nicht«, seufzte die ältere schon etwas genervt. »Gibt es wirklich etwas, was du nicht weißt?« Jetzt lächelte Azenat, deshalb wagte Hagar weiterzubohren. »Wieso weißt du überhaupt so viel?« »Ich wurde nicht als Sklavin geboren …« Sie schloss die Augen und drehte sich weg, schlief ein oder tat, als wäre sie eingeschlafen, und so schlief auch Hagar ein. Es gibt Gespräche, nicht viele, aber doch einige, die man sich ein ganzes Leben lang merkt. Nachträglich wundert man sich, was man einmal geglaubt hat. Herr Hisisi hatte zwar Azenat nicht zur Aufseherin der jungen Sklavinnen ernannt, aber sie war es, es war wohl einfach so gekommen. Sie arbeitete nicht, sondern teilte die Arbeit ein, und ihm war das recht. Am frühen Morgen gingen die Sklavinnen ans Ufer des Nils und wuschen die Fischernetze. Das fiel Hagar nicht schwer, fast war es Spielerei. Wenn die Netze zerrissen waren, machten die Mädchen Azenat darauf aufmerksam und sie gab sie weiter an geschicktere Frauen, die sie flickten. Wenn die Sonne immer höher stieg und auf Sklavinnen, Arbeiter und andere freie Menschen herunterbrannte, die Wellen leise plätscherten, bläulich, freundlich, dann setzte sich Azenat auf einen Stein am Ufer und ihr Blick verlor sich irgendwo in der Ferne. Eines Tages teilte sie Hagar für eine neue Aufgabe ein, sie brachte nun den Arbeitern, die an Dämmen arbeiteten, um die Tempelanlagen von den Fluten des Nils zu schützen, ihr Trinkwasser. Man erzählte, der große Strom sei manchmal verärgert und böse, dann trete er über die Ufer und zerstöre viel, reiße alles mit sich, Gemäuer, Vieh, auch Menschen, ein andermal wurde er träge, mochte die Felder nicht überschwemmen, dann verödeten die Äcker, die Ernten fielen aus und es herrschte Hunger. Hagar hatte Hunger nie direkt erlebt, nie, sie bekam wie alle anderen jeden Abend Fisch und Grütze und das war gut, der vorabendliche Hunger war nur die Einleitung zum Genuss des Abendmahls. Azenat erklärte ihr, dass man vor Durst rascher sterbe als vor Hunger. Wieder dieses Sterben! Wenn Hagar manchmal durstig war, nahm sie einfach den Schöpflöffel und trank aus dem Nil. Bald hatte sie begriffen, dass der Strom Herr des Schicksals war, man musste ihn lieben und verehren. Die Beziehungen der Götter zum Nil verstand sie noch nicht, dachte nicht über sie nach. Sie würde es nie begreifen. Es ist, wie es ist. Im Nil lebten nicht nur Fische, sondern auch Krokodile. Seit sie lebte, wusste Hagar von ihnen und wie hässlich, wie gefährlich sie waren. Man führte die jungen Sklavinnen zum Dienst am Gott Hapi, der sich darum kümmerte, dass der Nil das Land rechtzeitig überschwemmte und sich auch wieder zurückzog, um die Felder für die Saat freizugeben. Meist wurde er in der Gestalt eines fetten Mannes mit hängenden Brüsten abgebildet. Es hieß, die Felder am Nil seien ihrer aller Kornkammer, aber was das sein sollte, begriff Hagar lange nicht. Grütze und Fladenbrot brachte sie jedenfalls nicht mit diesem Begriff in Verbindung. Viele Worte lernt man, ohne zunächst zu wissen, was genau mit ihnen gemeint ist, wenn man sie ausspricht. Aber Hagar sah, wie man beim Bäcker mit Dreschflegeln auf das Korn einschlug, wie es zwischen zwei flachen Steinen zerrieben, mit Wasser vermischt und und zu Brot gebacken wurde. Das begriff sie wohl und mochte Brot lieber als die langweilige Grütze. Für Brot und Leben gab es nur ein Wort. Das schien selbstverständlich. Den Geschmack des Brotes kannte Hagar lange bevor sie sich Gedanken über den Sinn des Lebens machte. Gott Hapi hatte blaue Haut, aus seinem Kopf wuchs die Papyruspflanze. Man brachte ihm Opfer, die man nicht verbrannte, sondern in den Nil warf. Hymnen für ihn wurden gesungen, man lobpries ihn und betete, er solle dafür sorgen, dass stets genug zu essen vorhanden sei, man brachte jedoch den Mädchen auch bei, dass der Nil auch anderen Göttern unterstellt war, vor allem Osiris. Der Fluss, der das Leben gab und nahm. Menschen ertranken oder wurden von Krokodilen gefressen, deshalb war der größere Herr der Gott des Todes Osiris. Später hörte Hagar auch, dass über jedem Herrn ein noch höherer Herr stand und der allergrößte sich allen unseren Gedanken entzog, jedem Verständnis, und so genügte es ihr, auch weiterhin zu wissen, dass Herr Hisisi ihr Herr war. Was kümmerten sie alle Zwischenstufen zwischen ihm und Seiner Majestät dem Pharao und dessen Sohnsein des Osiris? Viel, viel später, als man Hagar zum ersten Mal vor den Thron des Pharao brachte, des Königs mit den zwei Kronen auf dem erhabenen Haupt, als...


Ivan Ivanji, 1929 im Banat geboren, war unter anderem Journalist, Diplomat und Dolmetscher Titos. Romane, Essays, Erzählungen und Hörspiele. Er lebte als freier Schriftsteller und Übersetzer in Wien und Belgrad. Im Picus Verlag erschienen zahlreiche Romane, darunter »Das Kinderfräulein«, »Der Aschenmensch von Buchenwald«, »Geister aus einer kleinen Stadt«, »Buchstaben von Feuer«, seine Familiensaga »Schlussstrich«, »Tod in Monte Carlo«, »Hineni« und »Corona in Buchenwald«. 2023 erschien »Der alte Jude und das Meer«. Ivan Ivanji verstarb am 9. Mai 2024 in Weimar.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.