E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Ivanji Titos Dolmetscher
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-85371-848-3
Verlag: Promedia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Als Literat am Pulsschlag der Politik
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-85371-848-3
Verlag: Promedia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Über fünfzehn Jahre lang hat Ivan Ivanji in den 1970er und 1980er Jahren die Begegnungen von Josip Broz Tito und anderer führender jugoslawischer Politiker mit Staatsmännern des deutschsprachigen Raumes gedolmetscht. Auf diese Weise nahm der Schriftsteller in der Rolle des Übersetzers unmittelbar am historischen Zeitgeschehen teil.
"Titos Dolmetscher" beschreibt Weltgeschichte, gesehen mit den Augen eines Literaten und Übersetzers. Als Teilnehmer von drei großen internationalen Konferenzen - der Gründungskonferenz der KSZE (deren Nachfolge die OSZE angetreten hat) 1975 in Helsinki, der Versammlung der kommunistischen und Arbeiterparteien 1976 in Ostberlin und der Gipfelkonferenz der Blockfreien in Havanna 1979 - entwirft Ivan Ivanji ein sehr lebendiges Bild der so genannten multilateralen Diplomatie der 1970er Jahre, als Jugoslawien im Konzert der Staatengemeinschaft eine allseits anerkannte Rolle gespielt hat.
Jahrelang verbringt Ivanji an der Seite Titos und lernt dabei die interessantesten und einflussreichsten Persönlichkeiten der westdeutschen, ostdeutschen und österreichischen Politik kennen: Willy Brandt, Herbert Wehner und Helmut Schmidt; Walter Ulbricht, Erich Honecker und Willy Stoph; Bruno Kreisky, Franz Jonas und Kurt Waldheim.
"Titos Dolmetscher" ist ein Zeitdokument der besonderen Art. Ivanji nimmt darin die Rolle des exakten Beobachters ein, distanziert in der politischen Herangehensweise und dennoch mit großer persönlicher Nähe zu den Repräsentanten der europäischen Politik in den 1970er und 1980er Jahren. Am Ende seines Buches drückt der Autor, einem unzeitgemäßen Bekenntnis gleich, seine Sympathie mit dem in schrecklichen Kriegswirren der 1990er Jahre untergegangenen Vielvölkerstaat Jugoslawien und dessen eindrucksvollstem Politiker, Tito, aus.
Autoren/Hrsg.
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DEUTSCHE SOZIALDEMOKRATEN
Im April 1981, knapp ein Jahr nach Titos Tod, kam Willy Brandt auf seinen eigenen Wunsch zu einem kurzen Pfingsturlaub nach Jugoslawien. Die nach dem Tod des langjährigen Chefs verunsicherte Führung des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens war hoch erfreut. Die politischen Gespräche in Belgrad waren auf Wunsch des Gastes kurz, dann fuhr er ins Hotel „Maestral“ etwas südlich von Budva an die Adria. Da er Wert auf einen privaten Aufenthalt legte und absolut keinen Trubel wünschte, sollte es keinen „großen Bahnhof“ geben. Es wurde kein „Ehrenbegleiter“ von hohem Rang bestimmt, stattdessen schickte man mich – nicht nur als Dolmetscher, sondern sozusagen als Vertreter Belgrads – mit auf die Reise. Ich hatte früher schon oft für Brandt gedolmetscht und ihn als Journalist seinerzeit interviewt, als er 1960 noch Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen war; so war ich ihm schon seit langem bekannt. Einigermaßen kannte ich die Biografie dieses Mannes, der es sich bescheiden leisten konnte, die Ehren, die ihm meiner Meinung nach durchaus zu Recht erwiesen wurden, ein wenig schmollend abzulehnen. Ich wusste, dass er als uneheliches Kind zur Welt gekommen war, und auch die Kapitel seines Lebens in Spanien, später in Norwegen und Schweden sowie seine Rückkehr nach Deutschland, zu dessen Veränderung er so viel beigetragen hatte, waren mir durchaus bewusst. Ich muss zugeben, ich war eitel; mir behagte es, Chauffeuren und Polizisten Weisungen geben zu dürfen, aber das war sein Verdienst, nicht meines. Das Wetter war schlecht. Im „Maestral“ hatten Brandt und seine neue, junge Frau Brigitte Seebacher eine Suite bezogen, eine Art Penthouse. Keine „große Begleitung“, kein Trubel? Mit den Gästen waren zwei deutsche Leibwächter mitgekommen. Aus Belgrad waren außer mir ein Beamter des Protokolls und ein Vertreter der Geheimpolizei als Verbindung zum Personenschutz vor Ort mit von der Partie. Montenegro stellte ebenfalls einen Protokollbeamten, zwei persönliche Leibwächter und eine sogar mir unbekannte Anzahl von sonstigen Polizisten in Uniform und Zivil zur Verfügung. Außerdem stand eine ganze Flotte von Autos jederzeit für uns bereit. Alle diese Begleiter speisten und tranken auf Kosten der Partei, langweilten sich, spielten Karten oder Schach oder lungerten einfach herum und gingen Brandt auf die Nerven. Frau Brigitte hatte ich vorher nie gesehen. Ich muss eingestehen: Ich war wie so viele andere, die Rut, die vorherige Gattin Brandts, gekannt hatten, unter deren Bann geblieben. Als wir viel früher – ich hatte eben meinen Dienst als Botschaftsrat für Presse und Kultur angetreten – in Bonn zum ersten Mal das Theater besuchten, betrat Rut Brandt zufällig nach uns das Foyer und wirkte so selbstsicher und strahlend, so fantastisch, dass meine Frau mich fragte, ob das eine große Filmschauspielerin sei. Wenn eine Ballerina wie meine Frau von einer anderen Frau so angetan ist, sagt das schon viel. Mich gingen aber natürlich die Ehen des Gastes nichts an, ich hatte dafür zu sorgen, dass er und seine Begleiterin sich wohl fühlten. Auch die beiden deutschen Leibwächter, die augenscheinlich viel länger mit Brandt zusammen gewesen waren, sprachen von Frau Rut mit einer solchen Begeisterung, dass man nicht überhören konnte, wie wenig sie die „Neue“ mochten. Da wir – das heißt: die Jugoslawen, die dabei waren – mit den beiden stämmigen Deutschen öfter Tischtennis spielten und so miteinander ins Gespräch gekommen waren, konnten wir das ohne weiteres feststellen. Um die Atmosphäre zu beschreiben, füge ich hinzu, dass unsere Polizisten den deutschen Leibwächtern dabei einmal die Pistolen, die sie unvorsichtig abgelegt hatten, klauten und wir uns köstlich amüsierten, als sie verwirrt begannen, diskret nach ihren Waffen zu suchen, aber nicht gleich zugeben wollten, was ihnen da abhanden gekommen war. Grau auf grau brandeten große Wogen auf Fels. Das Wetter war schlecht, das Baden im Meer selbst für die abgehärteten Gäste aus dem Norden unmöglich. Das war in dieser Gegend, wo im Februar bereits die Mimosen duften und blühen, wirklich ungewöhnlich. Man musste mit dem relativ kleinen Pool im Hotel vorlieb nehmen. Ausflüge in die Umgebung konnten wir nur einmal mit einer Jacht auf die See hinaus, ein anderes Mal mit den Automobilen hinauf auf den Berg Lovcen und in die alte Hauptstadt Cetinje machen. Den Brandts war angeboten worden, in ihren Gemächern zu speisen, sie zogen es jedoch, wahrscheinlich schon aus Langeweile, vor, die Mahlzeiten im Restaurant zu nehmen. Außer ihnen gab es wenige Gäste im Hotel. Die beiden bekamen natürlich den besten Tisch in einer Ecke am großen Fenster und ich platzierte die Sicherheitsbeamten in Zivil an das Ende des Saals, den Protokollmenschen und mich in höflicher Entfernung, aber in Sichtweite der Brandts, wurde jedoch stets zu ihnen gebeten. Diese wenigen Tage hatte ich Zeit, mit Brandt über vieles zu reden. Ermuntert durch das private Zusammensein fragte ich ihn Verschiedenes und veröffentlichte, natürlich mit seiner Erlaubnis, einiges später als Gespräch mit ihm in der Tageszeitung Dnevnik in Novi Sad. Hier möchte ich nur zwei Themen erwähnen. Ich fragte Brandt, wie er sich als ehemaliger Publizist gefühlt habe, als andere begannen, seine Reden zu schreiben. Schlecht, sagte er. Noch als Regierender Bürgermeister von Berlin habe er sich bemüht, alles, was er sagen wollte, selbst zu verfassen, aber als Außenminister habe er dafür einfach keine Zeit gehabt. Er habe jedoch stets die Vorschläge seiner Mitarbeiter noch einmal durchgearbeitet und eventuell etwas hinzugefügt, „… nicht so wie Schmidt, der Dinge vorliest, die er früher nie gesehen und von denen er keine Ahnung hat“. Da war die gegenseitige Abneigung zwischen ihm, Helmut Schmidt und Herbert Wehner zu spüren, von der ich freilich auch schon früher gewusst hatte. Brigitte Seebacher-Brandt schwieg dazu. Erst später erfuhr ich, dass sie, als sie 1978 in die Pressestelle der SPD-Zentrale aufgenommen wurde, selbst als „hervorragende Redenschreiberin“ galt. Der damalige persönliche Referent Brandts, Günther Vieser, hat von einem „hohen Maß intellektuellen Einklangs und sprachlicher Harmonie“ zwischen den beiden geschrieben. In Budva fragte mich Frau Brigitte, ob ich Leninist sei. Besorgt unterbrach Brandt sie und meinte, so etwas frage man nicht. Ich beeilte mich jedoch zu antworten, dass ich mich aus vielen Gründen nie als Leninist bezeichnen würde, obwohl ich glaube, dass der von mir so hoch geschätzte Tito auf eine solche Frage wahrscheinlich mit Ja geantwortet hätte. Ich wagte im Restaurant des Hotels „Maestral“ den Vorstoß: „Ich glaube ziemlich alles gelesen zu haben, was über Ihren Rücktritt als Bundeskanzler veröffentlicht worden ist, aber ich verstehe einfach nicht, warum Sie das 1974 gemacht haben?“ Brandts Antwort war kurz, hart und so geartet, dass man nicht weiter bohren durfte: „Das weiß niemand und ich hoffe, das wird man nie erfahren!“ Hat man es je erfahren? Die Guillaume-Affäre war sicher der Anlass, die Ursache kann sie nicht gewesen sein. War es, wie eine deutsche Zeitschrift 2004 schrieb, Herbert Wehner, der „wie ein finsterer Hagen den strahlenden Siegfried gemeuchelt hat“? Hat Willy Brandt, wie es dort ebenfalls steht, „bösartige Schnüffeleien in seinem Privatleben wegen verfänglicher Frauenaffären und drohend angekündigte Diffamierungskampagnen“ einfach nicht mehr ausgehalten? Irgendetwas im Dreieck Brandt–Schmidt–Wehner war sicher das Wesentlichste für seine Kapitulation. In ihrem 2004 erschienenen Buch „Willy Brandt“ beschuldigt Brigitte Seebacher recht offen Hans-Dietrich Genscher und Herbert Wehner, an Brandts Sturz gearbeitet zu haben, Wehner sogar, er sei Agent der Sowjetunion und der DDR gewesen und geblieben. Ich kann hier nur darauf hinweisen, dass im Gespräch mit mir davon nicht die Rede war. Im selben Jahr schrieb Martin Rupps im Buch „Troika wider Willen“: „Die Guillaume-Affäre gehört zu den am besten erforschten Ereignissen der so genannten alten Bundesrepublik …“, fügte aber hinzu: „Die historische Wahrheit ist bis heute nicht ermittelt, auf jeden Fall nicht gesagt, und die Chancen stehen schlecht, dass dies noch geschehen wird. Es gibt viele Akten und Protokolle, sie fügen sich aber nicht zu einer schlüssigen, widerspruchsfreien These.“ Das stimmt mehr als zwanzig Jahre danach mit dem überein, was mir Brandt sagte oder genauer genommen in Anwesenheit von Frau Seebacher verschwieg. Wir aus der jugoslawischen Botschaft in Bonn in den 1970er Jahren wussten, wie Hans-Jürgen Wischnewski und Egon Bahr zwischen den drei führenden Sozialdemokraten – dem Parteivorsitzenden Brandt, dem Bundeskanzler Schmidt und dem Fraktionsvorsitzenden Wehner, die miteinander privat nicht mehr reden mochten – hin und her...