E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Jackson Berlin, April 1933
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-95988-118-0
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-95988-118-0
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
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Ein Tagebuchroman über den Beginn der NS-Zeit. Berlin, April 1933: Der Rechtsanwalt Dr. Johannes Bauer kehrt von einem viermonatigen Urlaub in der Schweiz nach Berlin zurück. Er muß feststellen, daß sich Deutschland während sei ner Abwesenheit stark verändert hat: Der Erlaß neuer Gesetze und Verordnungen sowie die Omnipräsenz der Nationalsozialisten schaffen eine zuvor nicht gekannte Atmosphäre der Gewalt und Bespitzelung. Die radikale Unterscheidung von Ariern und Juden schlägt eine Schneise durch die Bevölkerung. Schockiert ist Bauer, als er bei der Durchsicht seiner Familiendokumente feststellen muß, daß seine Großmutter jüdischer Abstammung war. Nach den Rassengesetzen der Nazis gilt Johannes Bauer damit als Jude und dürfte unter anderem nicht mehr als Anwalt tätig sein. Seine Freundin Karin unterhält gute Kontakte zu Carl Adriani, einem hochrangigen und einflußreichen NS-Funktionär. Adriani könnte Bauer einen »Ariernachweis« verschaffen, doch Johannes Bauer wird schnell klar, daß er für die ses Papier einen hohen - nicht nur finanziellen - Preis zahlen müßte. Der Autor hat historische Ereignisse zusammengezogen, um seinen Roman zu verdichten. Es ging ihm nicht um historische Genauigkeit, sondern um die Atmosphäre, die er in den ersten Jahren der Nazi-Herrschaft am eigenen Leib erfuhr; er war 1935 noch einmal nach Berlin zurückgekehrt, um einem Freund zu helfen, der im Gefängnis saß. »Wenn ein Buch eine Zeit aufleben lassen kann, so dieses. Hier spricht einer, der nicht vergessen konnte. Einer, der den Anfang des nationalsozialistischen Terrors aus nächster Nähe beobachtete. Ein Realist, der angstvoll sieht, wie rasch Freunde zu Feinden werden können, wie der Opportunismus in wilden Galopp gerät und wie die konzentrierte physische Macht Feigheit und Schwäche auf den Plan ruft. Felix Jacksons Realismus ist bezwingend. Und trägt eine flammend aktuelle Botschaft.« (Will Schaber, Aufbau, 18. Februar 1994)
Felix Jackson (1902 als Felix Joachimson in Hamburg geboren) arbeitete in den 1920er Jahren als Journalist für den Berliner Börsen Courier. Später wurde er ein erfolgreicher Bühnenautor (Fünf von der Jazzband, Wie werde ich reich und glücklich). Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte er nach Österreich und Ungarn und verfaßte Filmdrehbücher, hauptsächlich für Hermann Kosterlitz (Henry Koster). 1936 ging er in die USA, setzte seine Tätigkeit als Drehbuchautor fort (Destry Rides Again) und wurde Produzent, zuletzt für das amerikanische Fernsehen. Berlin, April 1933 war sein dritter Roman, er erschien 1980 unter dem Titel Secrets of the Blood in den USA. 1992 starb Jackson in Camarillo, Kalifornien. Die deutsche Übersetzung erschien zuerst 1993 im Alano-Verlag, Aachen, und wird nun nach 25 Jahren wieder zugänglich gemacht, nicht ganz ohne Gedanken an gegenwärtige beunruhigende Entwicklungen.
Weitere Infos & Material
Am selben Tag. Ankunft in Berlin.
Der Zug fuhr pünktlich um 19: 45 Uhr im Anhalter Bahnhof ein. Wir drei Passagiere nahmen unser Gepäck und stellten uns in den Gang. Die Frau kam zuletzt. Sie ließ sich Zeit, ihr Strickzeug zu verstauen. Durch das Fenster sah ich, daß etwas Außergewöhnliches vorging. Bahnbeamte und Polizisten rannten die Bahnsteige entlang und quer über die Gleise. Als ich ausstieg, sah ich braun uniformierte SA-Männer in Reih und Glied vor einem Zug auf dem nächsten Gleis stehen. Offenbar war er gerade erst angekommen. Der Blick ins Innere des Zuges wurde von schwarzen Uniformen verstellt. SS-Männer, Mitglieder von Hitlers persönlicher Schutztruppe, hielten, den Rücken den Fenstern zugewandt, die Gänge besetzt. Angehörige der Regierung mußten in diesem Zug sein, vielleicht der Führer selbst. Einige Passagiere unseres Zuges blieben neugierig stehen, aber zwei Braunhemden liefen sofort auf sie zu und schrien: »Weitergehen, weitergehen, nicht stehenbleiben!« Ein lautes Stimmengewirr erhob sich und wurde von der hohen Decke der Bahnhofshalle zurückgeworfen. Die SA-Männer reckten die Arme zum Hitlergruß. Die Stimmen vereinten sich zu einem rhythmischen Schrei: »Sieg Heil! Sieg Heil!« Wir wurden auf dem Bahnsteig festgehalten, bis die Rufe verstummt waren und derjenige, dem sie galten, den Bahnhof verlassen hatte. Dann ergoß sich der Strom der Passagiere in die belebten Straßen. Ich nahm ein Taxi. Ich wohne im Westen der Stadt, in einer der Seitenstraßen des Kurfürstendamms. Eine gute Gegend. Die Häuser stammen zum größten Teil vom Anfang des Jahrhunderts, die Wohnungen darin sind geräumig und hell. Als ich ankam, schloß ich das Tor auf und trug mein Gepäck hinein. Der Hausmeister kam heraus, um mir zu helfen: ein schmaler Mann von Mitte Vierzig, verheiratet mit einer kraftstrotzenden Amazone, die ihr blondes Haar in langen Zöpfen trägt. Seine Frau und er waren immer sehr zuvorkommend gewesen, um nicht zu sagen, servil. Er strahlte, als er mich sah, und hob den rechten Arm: »Heil Hitler.« Ich bemerkte, daß er eine Armbinde mit Hakenkreuz trug. »Sie werden einiges verändert finden, Herr Dr. Bauer«, sagte er. »Eine große Zeit ist angebrochen für Deutschland, eine wahrhaft große Zeit.« Wir standen im Aufzug. »Wie geht es Ihrer Frau?« fragte ich. »Gut, wie immer«, sagte er. »Heinz ist in der Hitlerjugend. Sie sollten seine Uniform sehen. Er ist unser ganzer Stolz.« Wir waren im zweiten Stock. Ich steckte meinen Schlüssel ins Schloß, doch die Tür öffnete sich schon, und ich sah Hannas lächelndes Gesicht vor mir. Hanna ist mein Mädchen und meine Köchin, eine schwarzhaarige, ziemlich kräftige Fünfunddreißigjährige mit einem hübschen Gesicht, immer fröhlich, immer adrett. Sie ist schon seit fünf Jahren bei mir, seit ich diese Wohnung habe. »Schön, daß Sie wieder da sind, Herr Dr. Bauer«, sagte sie. »Willkommen zu Haus.« Sie nahm Heiliger einen Koffer ab, und mir fiel auf, daß sie ihn dabei nicht ansah. »Das ist alles, Herr Dr. Bauer«, sagte er. Er wirkte verlegen und wollte nicht hereinkommen. »Vielen Dank.« Ich gab ihm ein Trinkgeld. Dann schloß ich die Tür, nahm meinen anderen Koffer und folgte Hanna ins Schlafzimmer. Im Flur fragte ich: »Wie ist es Ihnen ergangen, Hanna?« »Die Wohnung ist geputzt«, sagte sie. »Ich hoffe, Sie sind zufrieden. Stefan war da für die schwere Arbeit und zum Fensterputzen.« »Es sieht picobello aus.« Die Tür zu meinem Schlafzimmer stand offen. Sie ging voraus und stellte den Koffer ab. »Soll ich auspacken, Herr Dr. Bauer?« »Nicht jetzt, danke.« »Fräulein Rieger hat vor ein paar Minuten angerufen. Sie möchten sie bitte so bald wie möglich zurückrufen.« »Das tue ich, Hanna.« »Haben Sie zu Abend gegessen, Herr Doktor? Es ist kalter Braten im Kühlschrank und Kartoffelsalat.« »Danke. Ich habe im Zug gegessen. Es ist schon spät, Hanna, Sie sollten zu Bett gehen.« »Ich bin nicht müde«, sagte sie. »Es war nicht viel zu tun, solange Sie weg waren.« Ich sah sie an. »Ist alles in Ordnung?« Sie zögerte. »Ja.« »Was ist mit Herrn Heiliger?« Pause. »Ich will nicht neugierig sein, Hanna.« »Oh nein, Herr Dr. Bauer. Das sind Sie nicht.« »Hat er sich schlecht gegen Sie benommen?« »Mit der Frau, die er hat … das wagt er nicht. Es geht um Paul. Meinen Verlobten. Ich sollte Sie damit nicht belästigen an Ihrem ersten Abend zu Hause.« »Es interessiert mich aber, Hanna.« »Nun … Herr Heiliger hat herausgefunden, daß Paul Halbjude ist, und er sagt, wenn er uns noch mal zusammen sieht, dann zeigt er uns an. Er nannte es ›Rassenschande‹.« Plötzlich brach sie in Tränen aus. »Es tut mir leid, Herr Dr. Bauer.« »Ich bitte Sie, Hanna. Ich werde mit Herrn Heiliger reden. Er war immer sehr anständig.« »Sie sind vier Monate weg gewesen«, schluchzte sie. »Sie wissen nicht, was passiert ist.« Sie schneuzte sich, »Entschuldigung«, und fuhr abgehackt fort: »Ich habe Paul gesagt, daß wir in Zukunft sehr vorsichtig sein müssen, und da ist er wütend geworden und hat mich einen Feigling genannt, und jetzt will er mich nicht mehr sehen, und seine Firma hat ihn rausgeschmissen.« »Das tut mir sehr leid, Hanna.« »Ich weiß, Herr Dr. Bauer. Sie hatten immer so viel Verständnis.« »Wir reden später darüber weiter. Jetzt sollte ich besser Fräulein Rieger anrufen.« »Ja, Herr Doktor. Gute Nacht.« Hanna ging, und ich nahm den Hörer zur Hand und wählte. Karins Stimme klang atemlos. »Oh, Liebling, ich bin so froh, daß du wieder da bist.« »Ich auch. Soll ich zu dir kommen, oder kommst du hierher?« fragte ich. »Ich bin in zwanzig Minuten bei dir.« Die Wohnung hat fünf Zimmer, große hohe Räume, dazu Hannas Zimmer, die Küche und eine Vorratskammer. Und einen großzügigen Flur. Das Gästezimmer wird nur benutzt, wenn Karin über Nacht bleibt. Sie schläft zwar nie dort, aber Hanna deckt jeden Abend das Bett auf und macht es am folgenden Morgen wieder. So, meint sie, sei der Moral Genüge getan. Mein Arbeitszimmer liegt neben dem Wohnzimmer. Beim Eintreten bemerkte ich einen Stapel Post auf meinem Schreibtisch und sah ihn durch: einige persönliche Briefe, Werbung, nichts Wichtiges. Die Morgenzeitung befand sich auch darunter, diejenige, die ich im Zug gelesen hatte. Ich schaute noch mal auf die Verordnung. »Alle nicht-arischen Rechtsanwälte …« Ich dachte an Herbert Cohn, Vizepräsident der Nationalbank. Dann hörte ich den Schlüssel in meiner Wohnungstür, und Karins Stimme rief: »Hans, wo bist du?« »Hier, im Arbeitszimmer.« Sie stieß die Tür auf und fiel mir um den Hals. Wir küßten uns; unsere Körper berührten sich, drängten sich aneinander. Ich vergaß alles andere, und wir gingen ins Schlafzimmer. Später lagen wir zusammen im Bett, in der entspannten, zärtlichen Atmosphäre gestillter Begierden, und redeten lange. Ich erzählte ihr von gemeinsamen Freunden, die ich getroffen hatte: den Schauspieler Victor Brandt mit seiner Frau Eva und viele andere. Ich beschrieb ihr die Nachmittage, die ich faul im Liegestuhl in der Sonne verbracht hatte, rings von Schnee umgeben. Sie sprach von den vielen Tagen und Nächten ohne mich. Sie war sehr unruhig gewesen. Eines Abends lernte sie auf einer Party einen Mann kennen, einen Attaché der britischen Botschaft, attraktiv, elegant. Sie hatte zuviel getrunken; fast wäre etwas passiert – fast –‚ dann dachte sie an … uns. Seither rief der Attaché sie beinahe täglich an, schickte Rosen, rote Rosen … »Ich habe im vergangenen Monat nur einen Brief von dir bekommen«, sagte ich. »Ja, ich weiß, Liebling.« Sie hatte ihn wiedergesehen und ihm gesagt, daß sie einen anderen liebte, und er war sehr nett und charmant gewesen, wirklich, Margie fand das auch. »Wie geht’s Margie?« fragte ich. Sie zögerte ein wenig: »Ganz gut.« »Seid ihr noch immer so eng befreundet?« »Ja. Es ist nur …« »Nur was?« »Ich sehe sie nie mehr allein«, sagte Karin. »Margie hat sich in einen Obergruppenführer oder so was verliebt; ein hoher SS-Mann. Er kommt jeden Abend und bringt seine Freunde mit, alle in schwarzen Uniformen … Du kannst dir nicht vorstellen, was eine Uniform bei Margie anrichtet. Carl Adriani heißt er, sieht phantastisch aus, ein sehr auf seine Wirkung bedachter Mann. Ich habe ihn noch nie lächeln sehen.« Ich dachte wieder an die Verordnung. Ich stand auf und nahm meinen Morgenmantel aus dem Koffer. »Stimmt etwas nicht, Hans?« »Alles in Ordnung.« »Du bist plötzlich so still.« Ich schwieg. »Ich stehe auch auf«, sagte Karin. Ihr Morgenmantel war in meinem Schrank, und sie streifte ihn nun über ihren nackten Körper. Karin ist ein schlankes Mädchen mit festen Brüsten und schmalen Schultern. Ihr fein geschnittenes ovales Gesicht wird von dunkelblondem Haar umrahmt. Sie hat große braune Augen und sehr rote Lippen, selbst ohne Lippenstift. »Du hast die ganze Aufregung hier gar nicht mitbekommen«, sagte sie. »Die Feiern von Hitlers Machtübernahme. Die...