Jaeger | Jakob auf der Leiter | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 247 Seiten

Reihe: Die Frankfurt Bibliothek

Jaeger Jakob auf der Leiter


Neuauflage 2020
ISBN: 978-3-943758-07-8
Verlag: B3 Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 247 Seiten

Reihe: Die Frankfurt Bibliothek

ISBN: 978-3-943758-07-8
Verlag: B3 Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Jakob auf der Leiter beschreibt ein Stück Zeitgeschichte. Das Leben des scheinbaren Versagers Jakob lässt keinen Leser unberührt. Es ist einfühlsam, unmittelbar und packend erzählt. Der Roman ist zeitlos und in seiner Botschaft heute aktueller denn je. Die Handlung: Jakob stirbt. Jakob liegt im Krankenhaus und fantasiert. Wie im Traum zieht sein Leben an ihm vorbei. Personen, Orte, Ereignisse reihen sich scheinbar wirr aneinander. Das Leben Jakobs war das Leben eines Versagers - nichts ist ihm gelungen. Von Kindheit an scheint ihm alles zu missglücken. Er ist weder ein guter Schüler noch ein tapferer Soldat. Er scheint für die Ehe und als Vater ungeeignet. Beruflich fehlt es ihm an Ehrgeiz und den notwendigen Fähigkeiten. Er wird schließlich Kellner in einer zwielichtigen Bar. Jakob zieht sich vom Leben zurück, das nur Enttäuschung und Bedrohung für ihn bereithält. Gleichzeitig entlarvt Jakob die Anforderungen des Lebens an ihn als von Menschen erfundene Maximen. Wozu soll er ein guter Schüler sein, weshalb ein tapferer Soldat? Wem dienen die vielen Anschaffungen für die Familie, wem sein Erfolg im Beruf? In einer fast lakonischen Sprache wird das einfache Leben von Jakob erzählt. Und je mehr ihm misslingt, je öfter er versagt, umso deutlicher tritt die Frage hervor, wer über den Erfolg letztlich entscheidet? Unterm Strich steht die Frage nach dem Wert des Menschen. Wie und von wem wird dieser bemessen? Oder haben wir uns alle schon eine Werteskala einimpfen lassen?

Henry Jaeger, eigentlich Karl-Heinz Jäger, wurde am 29.Juni 1927 in Frankfurt Bornheim geboren. 1944 eingezogen und an die Westfront geschickt, kehrte er nach kurzer Gefangenschaft 1945 nach Frankfurt zurück. Zwischen 1948 bis 1955 war er Kopf der 'Jäger-Bande'. 1956 gefasst und zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt, entstand hinter Gittern sein erster Roman Die Festung, der zu einem Millionenerfolg wird. 1963 wurde Jaeger begnadigt und arbeitete zunächst als Redakteur bei der Frankfurter Rundschau. Ab 1965 lebte er dauerhaft als freier Schriftsteller in Ascona. Insgesamt verfasste er mehr als 20 Romane, dazu Erzählungen, Reportagen, Drehbücher und Fortsetzungen. Bis zu seinem Tod im Februar 2000 blieb er im Tessin.

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2
Er hat plötzlich die Gewißheit, beobachtet zu werden oder schon immer beobachtet worden zu sein – nicht mit Wohlwollen, sondern mit einem strengen Blick, vor dem er sich verteidigen muß. »Aha!« sagt er. »Ich kenne Sie. Sie sind mein Lehrer.« »Ja, das bin ich, und Sie müssen zugeben, Sie haben es mir schwergemacht. Sie waren ein Aufwiegler, einer von denen, die sich nicht anpassen konnten. Dabei waren Ihre schulischen Leistungen sehr mittelmäßig.« »Mittelmäßig?« »Jawohl, Sie wollten nichts lernen. Ich wußte genau, daß aus Ihnen nichts werden konnte.« »Sie haben sich getäuscht, es ist doch etwas aus mir geworden! Sie schütteln den Kopf… Aber ich sage Ihnen, ich habe alles versucht. Und was glauben Sie, wie schwer es ist, hier etwas Ordentliches zu werden? Unmöglich, kann ich Ihnen sagen. Ich habe alles versucht: ich war Dachdecker, kaufmännischer Lehrling, ich war Soldat und Kriegsgefangener und Schieber und alles mögliche, und einmal war ich sogar Journalist. Dann allerdings wurde ich Kellner.« »Alles ohne Abschlüsse. Nichts haben Sie zu Ende gebracht. Und einmal waren Sie sogar Heiratsschwindler. Sie waren wohl noch Schlimmeres, wie ich vermute…« »Das ist nicht wahr. Heiratsschwindler war ich nie. Dagegen muß ich mich wehren! Betrug lag mir nicht. Es ist nämlich nie jemand auf mich hereingefallen. Sie haben ja auch immer gemerkt, wenn ich gelogen hatte. Und ich mußte oft lügen, denn es hat mir nicht gefallen bei Ihnen. Sie sind böse, weil ich mich vor Ihnen versteckt habe, im Zeichensaal.« »Das war ein anderer Lehrer.« »Ja, vielleicht war es ein anderer. Ich muß nachdenken.« »Sie haben sich zweimal versteckt: einmal im Kindergarten und einmal in der Schule. Später haben Sie das gleiche noch öfter getan, aber diese beiden Male waren entscheidend. Sie kamen zu mir ins Gymnasium, obwohl Sie dafür nicht taugten. Ich habe Sie hinausgeworfen und habe zu Ihnen gesagt: Lernen Sie ein Handwerk wie Ihr Vater. Handwerk hat goldenen Boden. Erinnern Sie sich, Jakob?« »Ja. Ich kam dann zu Ihnen und habe am letzten Tag auf Wiedersehen gesagt.« »So ist es, und das hat mich verblüfft. Sie kamen und sagten: Ich möchte mich von Ihnen verabschieden. Das hatte ich nicht erwartet.« Jakob denkt nach. Er sagt: »Ich hatte Mitleid mit Ihnen. Stellen Sie sich vor: ich, das Kind, hatte Mitleid mit Ihnen. Wie Sie da immer die Straße heraufkamen und trugen die Hefte unter dem Arm, und bei jedem Schritt haben Sie mit dem Kopf genickt, und immer haben Sie schlechten Tabak in Ihrer Pfeife geraucht. Da habe ich manchmal gedacht: Er hat auch nichts Gutes… Mein Großvater, der rauchte nämlich auch Pfeife, aber der konnte sich einen viel besseren Tabak leisten. So was riecht man doch gleich. Allerdings war der auch in Amerika. Da kommen Sie nie hin. Jede Wette mache ich mit Ihnen, dass Sie nie nach Amerika kommen…« Sie hoben ihn aus dem Bett mit den weißen Gittern. Es war früher als sonst, und er wusste, daß dies ein besonderer Tag war. Sie planten etwas mit ihm. Er war nicht sicher, ob er sich freuen sollte. Sie lebten in zwei nebeneinanderliegenden Mansarden in Frankfurt am Main. Die Wände waren dünn, und stritt sich der Vater mit der Mutter, konnte er jedes Wort hören. Sie stritten über das Essen, über Kleidung, über Schuhe, die neu besohlt werden mußten, über die Kohlen, die sie nicht im Keller hatten, und über das weiße Strümpfchen, das in der Gaslampe wieder einmal durchgebrannt war. Ihre Streitigkeiten wurden meist ausgelöst vom Mangel. Allerdings gab es auch Kräche, weil sein Vater eine Frau zu freundlich grüßte. Sie wohnte im Parterre des Hauses und lag jeden Morgen bis zehn Uhr im Bett. Und seine Mutter sagte: »Das ist auch so eine…« »Wieso?« fragte sein Vater. »Ich weiß doch, was die treibt. Jeder im Haus weiß es. Ich habe genau gehört, wie du zu ihr gesagt hast: Guten Tag, schöne Frau… Jawohl, das gehört sich nicht. Wir sind anständige Leute. Du hast mit ihr scharwenzelt. Und Jakob, der geht nicht mehr in diese Wohnung. Schokolade gibt sie ihm. Ich will aber nicht, dass sie ihm Schokolade gibt. Er steht schon morgens vor ihrer Tür und wartet auf sie.« »Na los«, knurrte sein Vater. »Zieh das Kind an. Wir müssen kurz nach acht im Kindergarten sein.« Sie machen finstere Gesichter. Jeder geht für sich allein, und Jakob geht zwischen ihnen. Ich darf nicht mehr zu der Frau, die mir Schokolade gibt. »Im Kindergarten kriegt er jeden Tag Milch«, sagt seine Mutter. Schwere Schuhe trägt sein Vater. Er tritt fest auf. Niemand tritt so fest auf. Mit den karierten Knickerbockerhosen macht er große Schritte. Und dann öffnet sich eine hohe Tür. Da sitzen die Kinder alle an einem langen Tisch: zwei Reihen, Kopf an Kopf. Bunte Blechtassen stehen vor ihnen, die halten sie mit beiden Händen fest und nuckeln daran. An der Milch. Eine Frau kommt auf sie zu. Das Gesicht des Vaters ist wieder freundlicher. Seine Stimme hat einen anderen Klang. Er verstellt sich und seine Stimme. Er will etwas von der Frau. Durch eine dicke Brille schaut sie auf Jakob herunter. Ich soll hierbleiben. An den langen Tisch soll ich mich setzen, zu den Kindern. Sie schauen alle her. Eine blaue Tasse wird für Jakob gebracht. Eine junge Frau drückt sie ihm in die Hand. Er steht da und guckt hinein Die Tasse ist leer. Alle Kinder warten jetzt auf ihn. Sie verfolgen ihn mit den Augen. Er wird an den langen Tisch geschoben, aber er will nicht an diesen Tisch und wirft die Tasse fort. Sie hüpft über den Boden, kullert unter den Tisch. Darüber lachen alle Kinder. Jakob flüchtet. In einer Ecke steht ein Puppenhaus. Es reicht seinem Vater bis an die Schulter. Dahinein flüchtet er, wie ein Fuchs in seinen Bau. Sie rennen hinter ihm her: der Vater voran, dann die Leiterin des Kindergartens, die Mutter und die junge Frau. Er hört, wie sie ihn locken und ihm schmeicheln. Aber er bleibt in einer Ecke hocken. Sein Vater kriecht mit dem Oberkörper durch die kleine Tür hinein. Er kann ein Bein Jakobs fassen. Jakob hat sich durchs Fenster gezwängt, denn nur am Fensterrahmen findet er Halt. Er spürt, wie sein Vater zieht, und beginnt zu plärren. Das kräftige Hinterteil des Vaters ragt aus dem Eingang; aus dem Fenster schreit Jakob, und die Kinder lachen und klopfen mit ihren Blechtassen auf den Tisch. Sie gehen wieder zurück in die zwei Mansarden. Ihre Gesichter sind wieder finster. Sie reden fast nichts, verstellen sich nicht, zwischen ihnen geht Jakob. Sie haben ihm versprochen, daß er nicht an den langen Tisch muß. Darüber freute er sich, und er sagte einmal laut: »Ich muß nicht an den langen Tisch!« Die Krankenschwester hebt den Kopf, schaut zu ihm herüber, beobachtet, wartet. Er sagt nichts mehr, und sie denkt: Er phantasiert, aber er hat keine Schmerzen. Und passen Sie auf, ich kannte da nämlich einen – oder ich habe von dem gelesen, oder jemand hat mir von ihm erzählt –, der war so, wie ich sein wollte. Wann der gelebt hat? Irgendwann hat er gelebt, und er war mächtig. Napoleon war es nicht, und auch nicht die anderen. Ich glaube, er konnte fliegen. Ich weiß bestimmt, daß ich von ihm weiß. Ich bin es nicht gewesen. Manchmal denke ich, ich war es doch. Und sein Name fällt mir bald ein. Wenn man die Leute auf der Straße nach ihm fragte, nannten sie sofort seinen Namen. Ich habe es vergessen… Vergessen… Er konnte fliegen oder singen. Er hatte so eine Stimme, so eine Stimme… Der große schwarze Vogel hoch in der Luft. Unsere Bäckersfrau hat ihn gut gekannt. An der Ecke haben sie gestanden und haben von ihm gesprochen. Wenn sie wüßten, daß ich es doch war… Ekelhaft, diese Wanzen! Und sie riechen wie etwas Böses. Aber sie müssen so riechen, damit sie sich hinter den Tapeten auch im Dunkeln treffen können. Jakob sieht, wie sein Vater eine riesige Wanze auf eine Stecknadel gespießt hat. Sie zappelt, als hätte sie hundert Beine. »Aha!« hat er gerufen. »Da ist wieder eine!« Und so macht er es immer: er schleicht sich heran, denn Wanzen sind klug. Und dann geht er mit der Nadel genau über sie und sticht sie durch den platten Leib. Sie zappeln alle. Aber das hilft ihnen nichts. Sie werden zum Hausbesitzer getragen, auf der Nadel vorgeführt, und der Vater sagt: »In Ihrem Haus sind Wanzen. Wenn Sie nicht den Kammerjäger holen und bei...


Henry Jaeger, eigentlich Karl-Heinz Jäger, wurde am 29.Juni 1927 in Frankfurt Bornheim geboren. 1944 eingezogen und an die Westfront geschickt, kehrte er nach kurzer Gefangenschaft 1945 nach Frankfurt zurück. Zwischen 1948 bis 1955 war er Kopf der "Jäger-Bande". 1956 gefasst und zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt, entstand hinter Gittern sein erster Roman Die Festung, der zu einem Millionenerfolg wird. 1963 wurde Jaeger begnadigt und arbeitete zunächst als Redakteur bei der Frankfurter Rundschau. Ab 1965 lebte er dauerhaft als freier Schriftsteller in Ascona. Insgesamt verfasste er mehr als 20 Romane, dazu Erzählungen, Reportagen, Drehbücher und Fortsetzungen. Bis zu seinem Tod im Februar 2000 blieb er im Tessin.



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