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E-Book

E-Book, Deutsch, 346 Seiten

Janz / Zucconi Dis/kontinuitäten

Oper und Operngeschichte zwischen Weimarer Republik und früher Bundesrepublik
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-593-45730-7
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Oper und Operngeschichte zwischen Weimarer Republik und früher Bundesrepublik

E-Book, Deutsch, 346 Seiten

ISBN: 978-3-593-45730-7
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zäsuren der politischen Geschichte bestimmen das Bild, das wir uns von der Musikgeschichte machen. Die Jahreszahlen 1933 und 1945 wurden mit guten Gründen auch zur musikhistorischen Periodisierung der Oper herangezogen. Das Musiktheater der Weimarer Republik und die Situation der Oper im Nationalsozialismus sind ebenso klar konturierte wie intensiv erforschte Themen, und dass die »Stunde Null« im Selbstverständnis der Avantgarde nach 1945 auch ein Ende der Oper bedeutete, ist zu einem musikgeschichtlichen Topos geworden. Andererseits ist immer wieder auf die vielen Kontinuitäten von »Weimar« zum »Dritten Reich« und von hier in die frühe Bundesrepublik hingewiesen worden. Die Fallstudien dieses Bandes problematisieren die damit gegebene Alternative. In ihrer Vielfalt machen sie die historische Komplexität der Gattung Oper im 20. Jahrhundert greifbar, ausgehend von einer ihrer großen Blütephasen, in der sich neue Werke gegenüber dem Angebot der aufkommenden Massenmedien und einem zur Erstarrung tendierenden Repertoire bewähren mussten.

Tobias Janz ist Professor für Musikwissenschaft an der Universität Bonn. Benedetta Zucconi, Dr. phil., ist Juniorprofessorin (ricercatrice) an der Università degli Studi di Cagliari.
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Die Vorlieben des »kleinen Mannes«. Entwicklungen des Opernrepertoires in den deutschen Hof- und Stadttheatern zwischen 1900 und 1950


Die beiden sogenannten »verspäteten« Nationen Italien und Deutschland haben auch im Bereich des Musiktheaters einige Gemeinsamkeiten. Durch die kleinteilige Herrschaftsstruktur gab es neben herausragenden Residenztheatern von internationalem Rang wie etwa in München, Dresden, Turin oder Neapel auch viele kleinere Häuser, die zu einem wesentlichen Teil ebenfalls aus der Zivilliste eines Herrscherhauses finanziert wurden. Um nur einige wenige Beispiele zu nennen: etwa in Meiningen, Coburg, Lucca oder Modena.

Doch sind die Unterschiede in der Organisations- und Finanzierungsstruktur zwischen den beiden Ländern mindestens genauso offensichtlich. Anders als in Deutschland blieben in Italien selbst renommierte Häuser, die zuvörderst höfischer Repräsentation dienten, gleichzeitig dem Modell eines Sozietätstheaters verpflichtet. Als herausragendes Beispiel wäre hier die Mailänder Scala zu nennen, die bis zum Ende des habsburgischen Vizekönigreichs im Jahre 1860 als Hoftheater fungierte, deren Logen aber gleichwohl im Eigentum meist adliger Familien geblieben waren. In den deutschsprachigen Ländern und zumal im wirtschaftlich prosperierenden Kaiserreich nach 1871 wurden hingegen neue Häuser zahlreich im Zusammenspiel von bürgerlichen Funktionseliten und Stadtverwaltungen erbaut oder gar neu begründet – zu nennen wären unter vielen anderen Aachen (1825), Breslau (1841), Frankfurt am Main (1880), Saarbrücken (1897/1938), Duisburg (1912) oder das – heute als Deutsche Oper Berlin fortlebende – Städtische Opernhaus von Charlottenburg (1912).

Im deutschen Kaiserreich waren nach der nationalen Einigung von 1871 trotz der Dominanz Preußens die Herrschaften der meisten Territorien unangetastet geblieben – Ausnahmen wie das Königreich Hannover oder das Herzogtum Nassau mit seiner 1866 aufgelassenen Hofhaltung in Wiesbaden bestätigen die Regel. Deshalb konnten fast alle Residenztheater bis 1918/19 unverändert weiter existieren, während die italienische Einigung von 1861 das Ende sämtlicher Fürstenhöfe mit Ausnahme desjenigen des Hauses Savoyen bedeutete. Deren Angehörige hielten als neue Könige von Italien zunächst in ihrer angestammten Residenzstadt Turin, dann in Florenz und schließlich in Rom Hof.

Deshalb führte bereits die Gründung des neuen Staates 1861 zu erheblichen Verwerfungen bei der Finanzierung von Opernhäusern, die mit einem Schlag ihre wesentlichen Geldgeber – wie etwa die in Neapel residierenden Könige oder die in Lucca, Parma oder Modena regierenden Herzöge – verloren hatten und nun auf Subventionen der jeweiligen Kommunen angewiesen waren. Ein vergleichbarer, gleichwohl weniger radikaler Einschnitt ist für Deutschland dagegen erst mit dem Wechsel von monarchischer zu republikanischer Gesellschaftsordnung nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zu verzeichnen.

Spätestens in der Weimarer Republik drängten sich deshalb ökonomische Erwägungen in den Vordergrund, die für städtische, nicht von größeren Gebietskörperschaften subventionierte Opernhäuser bereits im Lauf des 19. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle gespielt hatten, die jedoch den Verantwortlichen eines typischen deutschen Residenztheaters (und zu einem guten Teil den auch in deren Nachfolge noch heute aktiven Staatsopern) nie wirklich Kopfschmerzen bereitet hatten: Die Programmpolitik musste sich wesentlich an der Nachfrage des Publikums ausrichten. Solche Tendenzen zeigen sich ganz besonders deutlich bei einem Blick auf Kompositionsaufträge und Uraufführungen. Die relativ große Anzahl erfolgloser Uraufführungen im ausgehenden 19. Jahrhundert erklärt sich auch dadurch, dass Funktionäre im Hofstaat ohne jegliche Rücksicht auf Einnahmen freihändig Kompositionsaufträge verteilen konnten.

In Italien war es dagegen spätestens im 19. Jahrhundert selbstverständlich gewesen, dass das Publikum über den Erfolg von Opern zu entscheiden hatte. Ein Giuseppe Verdi fragte sich nach dem »fiascone« der Uraufführung von im März 1853: »Aber was willst Du? […] Habe ich Unrecht, oder hat das Publikum Unrecht?«48 Und ein Amilcare Ponchielli definierte 1878 den Stil, den es im Opernhaus brauche, als einen, »wo es nötig ist, wenn der Impresario Moneten einspielen muss, vom ganzen Publikum verstanden zu werden, einschließlich des Uhrmachers, des Kohlenhändlers und des Verkäufers von Siegelwachs«.49

»The economy, stupid«


Auch wenn aufgrund fehlender statistischer Untersuchungen im Moment nur sehr vorläufige Tendenzen formuliert werden können, folgen aus solchen Feststellungen grundsätzliche Überlegungen zum Erfolg der tatsächlich gespielten Opern in den deutschsprachigen Ländern, die auch heute noch überraschen können. Dabei wird die folgende Skizze auf entscheidende Fragen nicht eingehen können, deren genauere Erforschung ein dringendes Desiderat bleibt: die nach der Finanzierung des kostspieligen und fast immer defizitären Betriebs von Opernhäusern. Selbst in seinem grundlegenden Überblickswerk über die Oper als »Institution« fokussierte Michael Walter darauf, dass Hofopern in Deutschland

»auf relativ undurchschaubare Weise über persönliche Verschuldung des [Monarchen] und aus unterschiedlichen ›Finanztöpfen‹ finanziert wurde[n]. Einen Überblick über die Sängerkosten zu erhalten[,] war noch relativ leicht, aber die Gesamtkosten des Opernbetriebs ließen sich kaum kalkulieren, weil auch verschiedene Abteilungen des Hofs der Oper zuarbeiteten […].«50

Genau dies zeigt sich auch in einem Streiflicht aus dem Jahre 1858, in dem einige Subventionsdaten für insgesamt fast 30 Opernhäuser in Deutschland und Österreich aufgelistet wurden. Der ursprünglich in einer »M. C.« (die Bedeutung der Abkürzung konnte nicht ermittelt werden) erschienene Artikel wurde von mehreren Zeitungen und Zeitschriften nachgedruckt. Er zeigt, dass das »undurchschaubare« Geflecht aus verschiedensten Finanzquellen nicht nur für Hofopern, sondern genauso für städtische Theater galt, in denen zum Teil sogar neben städtischen Subventionen auch Zuschüsse des jeweiligen (Feudal-)Staats in Anschlag zu bringen waren:

»Altenburg (Hoftheater) erhält freie Beleuchtung, Heizung und Musik, überdies eine monatliche Subvention von 350 Thlr. – Augsburg bekommt neben freier Heizung und Beleuchtung, für die Saison von acht Monaten, eine Subvention von 1600 Thlr. vom Magistrat. – Die Berliner Hoftheater erhalten einen jährlichen Zuschuss von 150,000 Thlr. – Braunschweig zahlt seiner Hofbühne jährlich 40,000 Thlr. – Der jedesmalige Director in Ballenstedt erhält neben freier Heizung, Beleuchtung und Capelle monatlich 400 Thlr. Zuschuss. – Coburg bekommt die jedesmal nöthige Summe zur Deckung des Dificits aus der herzoglichen Privatcasse und aus den Staatscassen zu Gotha und Coburg. – Darmstadt erhält einen Zuschuss von 100,000 Thlr. – Dessau erhält 30,000 Thlr. jährlichen Zuschuss. – Der Fürst zu Lippe-Detmold zahlt dem Theater der Residenz einen Zuschuss von monatlich 1000 Thlr. Neben freier Beleuchtung, Heizung und Capelle. – Dresden erhält aus der Civilliste des Königs eine Subvention von 30,000 Thlr. und nach Bedürfniss noch 10,000 Thlr. für das Theater, exclusive der Capelle, die eine besondere Subvention von 40,000 Thlr. erhält. – Frankfurt a. M. gebietet über einen Zuschuss von 16,000 Thlr. und der Pensionsfonds erhält 3000 Thlr. vom Senate. – Das königliche [recte: großherzogliche] Hoftheater in Karlsruhe erhält jährlich von Seiten der Regierung 120,000 Gulden Rh. – Kassel erhält eine Subvention, die, ohne fixirt zu sein, das Dificit deckt. – Das Stadttheater in Königsberg [heute Kaliningrad in der Russländischen Föderation] erhält für die sogenannte Königsloge jährlich 2000 Thlr. – Leipzig zahlt keine Miethe und erhält 5 Procent der jedesmaligen Brutto-Einnahme Fremder, zeitweilig dort verweilender Künstler. – Mainz stellt dem Director frei Wohnung, Beleuchtung und Heizung. – Die Stadt Mannheim zahlt jährlich...



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