Jentsch | Im wilden Norden von Italien | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Jentsch Im wilden Norden von Italien


1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7481-1526-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-7481-1526-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
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Fabian Feuerbach erfüllt sich den Wunsch seines Lebens: im vorgerückten Alter findet er in Assedo, einem kleinen Bergdorf auf der Alpensüdseite, abseits vom großen Tourismus in naturbelassener Umgebung, ein verfallendes Haus. Er erneuert und gestaltet es. Und verbringt fortan dort die Hälfte des Jahres. Mitten unter engherzigen Einheimischen, geschickten Bauarbeitern, intakten Invaliden, inkompetenter Verwaltung und eigenbrötlerischen Zuwanderern. Herausgefordert von den Unbilden der ungezähmten Umgebung und belohnt mit der Freiheit, das Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. . .

Volker Jentsch studierte Physik und Geophysik. Er arbeitete an zahlreichen Universitäten und Forschungsinstituten im In- und Ausland und beschäftigte sich mit mathematisch-physikalischen Modellen in der Weltraum- und Klimaforschung. Am Ende der Reise landete er in der Bonner Universität. Dort gründete und gestaltete er, zusammen mit Wissenschaftlern aus verschiedenen Fachrichtungen, das Interdisziplinäre Zentrum für komplexe Systeme. Heute befasst er sich, neben anderem, mit den Eigenschaften und Gemeinsamkeiten extremer Ereignisse, indem er die objektive mit der subjektiven Betrachtung konfrontiert.

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Das Plisée und der Brief
Schon in der Nacht pflegt sich anzukündigen, was früh am Morgen unabweislich ist: kaum erwacht, überfällt ihn der Tag, der hinter ihm liegt, mit immer den gleichen Fragen. War es geschickt, was ich getan, war es richtig, wie ich entschieden habe? Die Ursachen der früh morgendlichen Bedrängnis sind nicht bekannt; weder die Traumdeuter noch die zahlreicher werdenden Hirnforscher sind in der Lage, dieses lästige, regelmäßig wiederkehrende Phänomen zu benennen, geschweige denn zu erklären. Sicher ist nur, dass es schon immer so war. Wenn er wieder einmal der puren Fleischeslust verfallen war und am nächsten Morgen beschämt feststellen musste, dass die Herzenslust gefehlt hatte. Oder wenn er einen Brief geschrieben hatte, den er am Abend als gelungen feierte, aber schon am Morgen wegen seiner Offenheit verwarf. Normalerweise bessert sich sein Befinden im Laufe des Tages. Schritt für Schritt verblassen seine Zweifel und Unsicherheiten, bis schließlich gegen Mitternacht, beinahe überschwänglich, Tatendrang, Mut und Selbstbewusstsein zurück sind. Es besteht also Hoffnung, dass sich auch heute die Dinge im Laufe des Tages zum Guten wenden werden. Sein Blick fällt auf gleichgroße Kreise auf der Wand. Wer hat sie in einer vertikalen Linie geordnet? Wo kommen sie her? Ist es das Sonnenlicht, das auf seinem Weg vom Balkon ins Zimmer das Plisée passiert? So einfach? Vieles ist einfacher, als man annimmt, weiß er aus ungezählten Anlässen, und es empfiehlt sich folglich, zunächst auf das Einfache zu setzen und zu prüfen, wie weit man damit kommt. Deshalb: Das Plisée ist in den Rahmen der Tür mit Hilfe zweier Fäden eingehängt, die Fäden laufen durch kleine Löcher, und diese verhalten sich wie Lochblenden, welche die Sonne in Form scharf konturierter Kreise auf der Wand abbilden, wobei die Anzahl der Kreise – wer hätte das gedacht – der Anzahl der Löcher entspricht. Aber ist seine Interpretation auch mit den Gesetzen der Strahlenoptik vereinbar? Das kann er zu derart früher Stunde nicht klären. Ihm genügt in diesem Augenblick, dass er offenbar noch derselbe ist. Seine kognitiven Errungenschaften, wie Erinnern, Denken, Reden und Rechnen kann er heute so gut wie gestern betätigen. Und wie steht es um die Beweglichkeit der Gelenke? Kurzerhand schwingt er sich aus dem Bett und setzt sich auf die hölzerne Bettkante. Auch das scheint noch zu klappen. Insoweit beruhigt, kommt er zu dem Ergebnis, dass die leuchtenden Kreise ganz einfach einen sonnigen Tag ankündigen. Aus der Vielzahl der Möglichkeiten, die das Wetter zu bieten hat, scheint die Natur die heitere Variante gezogen zu haben. Die kommt ihm gelegen. Denn er will hinaus in die Berge. Auf der Bettkante verharrend, betrachtet er sein Bett aus Zirbenholz. Es ist sein Werk, und er findet es gelungen. Die Zirbe, die man in der Schweiz Arve und in Italien pino cembro oder cirmolo nennt, ist der oberste Baum in den Alpen, meist solitär und gefeit gegen Frost und Sturm. Im Vergleich zur vertrauten Kiefer, mit der die Zirbe verwandt ist, ist ihr Holz von weicherer Substanz und mit fest eingewachsenen Ästen ausgestattet. Sie enthält, wie auch die anderen Koniferen, eine aromatische Substanz, die als ätherisches Öl in den Schalen der Aroma-Therapeuten verdampft. An dem Bett hatte er mehrere Wochen gearbeitet. Auf der Kopfseite hatte er mit dem Stechbeitel einen Stern ins Holz gestemmt und die so entstandene Fuge mit dem Holz des Pflaumenbaums ausgelegt. So ergab sich ein nicht alltäglicher Kontrast, bestehend aus dem dunkelbraun-violetten, harten Holz der Pflaume und dem hellen, nachgiebigen Holz der Zirbe. Fabian Feuerbach hatte vor geraumer Zeit, ziemlich genau vor zwanzig Jahren, die Bergdörfer südlich der Alpen erkundet, in der Absicht, dort zusammen mit seiner Frau Luise, fern der großen Städte, den verbleibenden Teil seines Lebens zu gestalten. Er war die Hänge auf- und abgestiegen, hatte Dörfer und Häuser in Augenschein genommen, deren Mehrheit, von Regen und Sonne gebeugt, den altersbedingten Zusammenbruch erwartete. Er hatte sogar in der schlichten und einzigen Herberge des Tals einige Nächte verbracht, um Eindrücke zu sammeln, Kenntnisse zu erwerben, kurzum, möglichst wenig im Ungewissen zu belassen. Er hatte Luise seine Erfahrungen und Entdeckungen in einem Brief geschildert, in der Absicht, bei ihr Begeisterung zu wecken. „Liebe Luise, ich vermisse dich bei meinen Ausflügen hier im Wilden Norden von Italien. Und da du nicht hier bist, keine der Eindrücke empfängst, die ich Tag für Tag empfange, will ich, so gut ich es kann, die Umgebung des Dorfes beschreiben, das mir von all den Dörfern rundherum am meisten gefallen hat. Es heißt Assedo. Ich verrate dir auch die Koordinaten, damit du es auf der Karte orten kannst. Wenn du 445275 Ost und 5106880 Nord im UTM-Gitter abträgst, bist du an der richtigen Stelle. Das Dorf besteht überwiegend aus Bruchsteinhäusern, die vor mehreren hundert Jahren erbaut sein sollen. Eins davon könnte unseres werden. Doch darüber das nächste Mal. Alles in allem könnte ich mir vorstellen, dass wir hier unseren Traum nach einem Leben abseits des Herkömmlichen, in gewisser Entfernung zum Hauptstrom, verwirklichen können. Hier könnten wir eins der vorhandenen Häuser nach unseren Vorstellungen umbauen; hier könnten wir leben und wohnen. Unser Dorf – ich rede schon von unserem Dorf, obwohl es doch mit uns noch nichts zu tun hat – unser Dorf ist in Form mehrerer Terrassen auf einer nach Süden geneigten Bergflanke gebaut. Die mittlere Höhe des Dorfes dürfte etwa 700 Meter messen, die Höhe des Berges darüber etwa bei 1700 Meter liegen. Unterhalb des Dorfes fällt der Berg steil in eine tiefe Schlucht, die ein schäumender Bach in das Gestein gegraben hat. Das Gegenüber bildet ein weiterer Berg, der sich mehr als 1200 Meter in die Höhe reckt und dem Dorf das Spektakel eines doppelten Sonnenaufgangs beschert. Um die Zeit der Wintersonnenwende, wenn die Sonne ihren tiefsten Stand erreicht, verschwindet sie gegen Mittag hinter dem Berg, um dann nach etwa einer Stunde wieder aufzutauchen. Das Auffallende der Umgebung sind die zahllosen Bäche, die gespeist von den enormen Regenmengen, auf beiden Seiten in die Schlucht stürzen und gemeinsam ostwärts zum großen See fließen. Das Wasser hat überall große Felsbrocken versetzt, aufeinander und durcheinander geschoben und so felsige Barrieren geschaffen. Das Wasser prägt die Landschaft, es schneidet tiefe Gräben und schleift steile Stufen ins Gestein. Es bestimmt nicht nur die Topografie, sondern auch die Geräuschkulisse der Umgebung. Dabei gibt es charakteristische Unterschiede, je nachdem, ob das Wasser fließt, fällt, wirbelt oder sich staut. An manchen Stellen sammelt es sich in kleineren und größeren, oftmals mehr als zwei Meter tiefen Becken, die zum Baden und Angeln einladen. Die meisten dieser Vertiefungen sind ohne Kletterei aber nicht erreichbar. Das beiliegende Bild möge das Geschriebene illustrieren. Die Wälder sind nach dem Wasser das andere auffällige Merkmal der Gegend. Sie sind ganz nach dem Willen der Natur gewachsen und bedecken die Berge. Die wenigen offenen Stellen sind von Gras bewachsen und erinnern an die Viehhaltung, die sich vor einigen Jahrzehnten fast vollständig aufgelöst hat. Bis zu einer Höhe von etwa tausend Meter wachsen die Esskastanien, einige davon sind mächtige, sicher mehrere hundert Jahre alte Exemplare. Zahllose Äste, in ihren Abmessungen groß wie eigenständige Bäume, sind aus diesen Riesen im Laufe der Jahrzehnte durch Verwitterung oder stürmische Nordwinde heraus gebrochen. Il torrente Die Luft, selbst wenn sie kalt ist, transportiert etwas eigentümlich Hitziges, fast Feuriges, und so erlebe ich meine Nerven oft in einem eher angeregten, zu Unruhe neigenden Zustand, der keineswegs immer angenehm ist. Das ist vor allem der Fall, wenn der Himmel mehr oder weniger wolkenlos ist. Wird er dagegen von einer durchgehenden Wolkendecke verhüllt, schwindet die Unruhe. So regiert hier der Zustand der Atmosphäre in nicht unerheblicher Weise das Wohlbefinden. Meist sinken die Wolken im Laufe des Tages auf etwa 1500 Meter, was ich daran erkenne, dass sie eine von mir an den Bergflanken gedachte Markierung erreichen. Dann beginnt es zu tropfen, und nicht selten regnet es fortan ein oder mehrere Tage, das habe ich selbst erlebt und aus den Klagen der Einwohner entnommen, die von nicht enden wollenden Regenfällen berichten. Wenn es heftig regnet, kann die Nacht sehr laut werden. Es ist das Trommeln des Regens, das sich mit dem Rauschen des geschwollenen Baches weit unten in der Schlucht zu einem mächtigen Getöse vermengt. Der Lärm wird dich stören, wird von deinem so überaus empfindlichen Hörorgan als Gebrüll empfunden werden, aber da er natürlichen Ursprungs ist, wirst du ihm standhalten. Im Übrigen wirst du reichlich entschädigt, das kann ich dir versichern, durch die Stille, die herrscht, wenn es nicht regnet. Das ist vor allem in den Wintermonaten der Fall. Die Bäche, die im Frühjahr und Herbst so ungestüm zu...



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