Johannsen / Wagner Arbeitsbuch Systematische Theologie für Religionspädagogen
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-17-028858-4
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
E-Book, Deutsch, 278 Seiten
ISBN: 978-3-17-028858-4
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Systematisch-theologische Kompetenz ist für die Arbeit von Religionslehrerinnen und Religionslehrern unverzichtbar. Dazu vermittelt dieser Band Basiswissen und regt zu eigenem Denken an. Er erläutert die Geschichte der christlichen Lehrbildung und erschließt exemplarisch das Apostolische Glaubensbekenntnis. Anschließend werden die besonderen Herausforderungen der modernen, pluralen und postsäkularen Gesellschaft thematisiert. Unterschiedliche systematische Denkmodelle werden am Beispiel ausgewählter Theologen betrachtet und im Blick auf theologische Bildung erörtert. Da Religionsunterricht zunehmend konfessionell-kooperativ erteilt wird, liegt ein besonderer Akzent auf der Herausarbeitung von konfessionellen Gemeinsamkeiten und Differenzen.
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II. Vorklärungen
II.1. Studium der Systematischen Theologie im Kontext des Lehramtsstudiums
1. Warum (und in welcher Gestalt) ist Systematische Theologie für Lehrende wichtig? Drei Antworten von Systematischen Theologen, die nach der Relevanz ihrer Disziplin für die Religionspädagogik befragt wurden: Nach Christine Axt-Piscalar entfaltet Systematische Theologie das Spezifische der christlichen Religion im Zusammenhang von Gottesverhältnis (des Einzelnen), Selbstwahrnehmung und Weltverhältnis. (97) Betont wird, dass Religion in ihrer Besonderheit (nicht als Ethik, Denken und Handeln) zur Geltung kommt als „Gegengift gegen die Verzweckung des Individuums“ durch „Unterbrechung des alles beherrschenden Zweckrationalismus des gesellschaftlichen Lebens “. (101)28 Wolfgang Schoberth sieht die Aufgabe der Systematischen Theologie in der „Selbstreflexion der Praxis des Glaubens “ und kritisiert ihre Perversion zu einem sich selbstumkreisenden Denk- und Satzsystem. (145) Ebenso kritisiert er eine Reduktion auf Grundwissen und plädiert für eine „offene, methodisch angeleitete Auseinandersetzung um den Wahrheitsanspruch des Glaubens. (147)“ Ziel des Studiums sei die Fähigkeit zum selbstständigen Urteilen. Lernwege zu diesem Ziel werden erschlossen, indem „die Themen der Systematischen Theologie als Reflexion […] einfacher Fragen des Glaubens erkennbar werden.“29 (148) Nach Dietrich Korsch ist Dogmatik (Ordnung von) Lebensdeutung auf der Basis von Religion30. Dogmatik habe die Funktion, die Identität des Christlichen im Blick auf innerchristliche Verständigung und im Blick auf „außen“ zu bestimmen und zu erläutern. Da Verständnis und Verständigung immer nur in einem sprachlich erschlossenen Denk- und Verstehenshorizont möglich sind, ist theologische Reflexion immer auf eine konkrete geschichtliche Situation bezogen. D.h., es ist gleichermaßen für biblische Texte wie für das Glaubensbekenntnis Auslegungskompetenz gefordert, die im Sinne wechselseitiger Erschließung von Vergangenheits- und Gegenwartsdeutung erfolgen muss.31 Aufgabe Stellen Sie Gemeinsamkeiten und Differenzen der Positionen zusammen und vergleichen Sie diese mit den Zitaten in I.4. Das Studium der Systematischen Theologie ist für die Bildung religionspädagogischer Professionalität unerlässlich. Es soll anleiten, den christlichen Glauben in Bildungsprozessen kompetent zu kommunizieren sowie die Welt- und Lebensdeutung dieses Glaubens vor dem heutigen Wahrheitsbewusstsein/-verständnis nachvollziehbar zum Ausdruck zu bringen. II.2. Systematisch-theologische Kompetenz von Religionspädagoginnen und -pädagogen
Wer nicht über Religion nachdenkt, glaubt alles.32 Dieses in Amsterdam gefundene Graffiti gibt einen allgemeinen Hinweis darauf, warum systematisch-theologische Kompetenz für Religionspädagoginnen und Religionspädagogen relevant ist. Es geht um das Erlernen von Kriterien, die im Blick auf den Glauben begründete Unterscheidungen ermöglichen. Einen weiteren Hinweis gibt die folgende Feststellung: Wenn Glaubensfragen in der Öffentlichkeit diskutiert werden, geht es in der Regel um Themen, die auf die Irrationalität des Glaubens verweisen sollen (Jungfrauengeburt, Allmacht etc.), nicht um Fragen nach seiner Rationalität, nach dem, worauf die Symbole und Zeichen des Glaubens verweisen. Drei Argumente stützen die Notwendigkeit des Kompetenzerwerbs: 1. Christlicher Glaube ist denkender Glaube – Glaube und Bildung hängen in dem Sinne zusammen, dass das Selbstverständnis des Glaubens reflektiert und kommuniziert werden will. 2. Der christliche Glaube hat das gegenwärtige Selbst- und Weltverständnis sowie Kultur und Gesellschaft entscheidend geprägt. 3. Der christliche Glaube birgt ein Symbol- und Erinnerungspotenzial, das sowohl für die Selbst- und Weltdeutung vor dem heutigen Wahrheitsverständnis als auch für die Zukunftsorientierung relevant ist. Zu 1.: Diese Feststellung ist nicht vereinbar mit der Annahme, dass Bibel und Bekenntnisse unmittelbar zeitlose Wahrheiten zum Ausdruck bringen. Daher will bedacht und geklärt werden, wie mit intellektueller Redlichkeit alte Bekenntnissätze wie z.B. „geboren von der Jungfrau Maria …“ im Kontext der Gegenwart verstanden und mitgesprochen werden können. Zu 2.: Religiöser Glaube ist ein Modus, sich vertrauensvoll zu den Grundstrukturen des Lebens ins Verhältnis zu setzten. Die Grundstrukturen umfassen das Gottesverhältnis, das Selbstverhältnis und das Verhältnis zu anderen und zur Welt.33 Es ist Aufgabe von Bildung, die Prägungen der Gegenwart durch christliche Tradition aufzuklären und ihre gegenwärtige Prägekraft zu erschließen. Zu 3.: Theologische Aufgabe ist es, den Wirklichkeitsbezug, die Deutungs- und die Verstehensdimension der metaphorischen religiösen Sprache zu klären. Es ist Aufgabe der Dogmatik, die Lebensdienlichkeit des Glaubens heute aufzuzeigen (Korsch) und die Lebens- und Weltdeutung des christlichen Glaubens in Anknüpfung und Abgrenzung zu anderen Deutungen zu klären. Systematisch-theologische Reflexion kommt erst zum Ziel, wenn über den Beitrag des Glaubens für die gegenwärtige Lebensorientierung hinaus die damit verbundene Zukunftshoffnung thematisiert wird. II.2.1. Die Situation von Glaube und Religion in der sog. Postmoderne
Die Auslegung des Glaubens war und ist ohne Bezug zur Lebenswelt nicht möglich. Daher ist eine Klärung der die gegenwärtige Lebenswelt konstituierenden Faktoren eine unabdingbare Aufgabe allzumal für eine religionspädagogisch relevante Theologie. Die wohl bedeutsamste Kennzeichnung der gegenwärtigen Lebenswelt ist „Postmoderne“ (? III.9), deren Charakteristikum „Vielfalt“ ist. Zu den Signaturen der Postmoderne gehört u.a. die Pluralisierung von Religionen und das Abnehmen verallgemeinerungsfähiger Wahrheitsansprüche. Eine weitere Signatur der Postmoderne ist „Individualisierung“, die sich im Bereich des Religiösen u.a. in der synkretistischen Verbindung heterogener Traditionselemente aber auch in verstärkter Tendenz zu subjektiver Aneignung in Bildungsprozessen abzeichnet. Der christliche Glaube hat mit seinem Symbolsystem eine kulturprägende Wirkung entfaltet, die in ihrer Gesamtwirkung (deutlich) abnimmt. Aus einer Einheitskultur hat sich eine kulturelle Vielfalt entwickelt, die aus unterschiedlichen kulturellen Überlieferungen gewissermaßen wie aus einem Steinbruch schöpft, um neue kulturelle Mischwerke zu kreieren. Dass die Kultur über Kunst, Musik, Literatur bis in die Popkultur aus religiöser Tradition schöpft, ist hinreichend deutlich.34 Begleitet wird dieser Prozess von einer Vergleichgültigung. Religion ist Konsumgut geworden, Religion ist auf dem Markt (P. L. Berger). Die Kulte der Alltagskultur und der „Marktreligion“ mit ihren Ikonen, Symbolen, Ritualen, Räumen und Sinndeutungsangeboten wenden sich geschickt an ungestillte Sehnsüchte nach Freundschaft, Liebe, Sicherheit, Selbständigkeit und greifen dabei auf die Ressourcen religiöser Traditionen zurück. Der Freiheit zum eigenen Lebensstil und der Vielfalt an Sinnangeboten steht allerdings der Verlust an Gewissheiten gegenüber. Die Sehnsucht nach Beheimatung, nach tragfähiger Bindung und nach lebendiger Hoffnung ist durch Waren/Verbrauchsgüter nicht zu stillen. Zudem werden überkommene Selbstverständlichkeiten auf allen Ebenen aufgebrochen. Daraus folgt für die Subjekte die Notwendigkeit, Lebensstil und Lebensorientierung selbst zu bestimmen. Als Konsumgut hat „Religion“ noch ein weiteres Defizit: Indem sie zu gelingender selbstbestimmter individueller Identität beitragen soll, rückt die Frage nach gelingender Sozialität in den Hintergrund. Das betrifft nicht nur christlich geprägte Gemeinschaftsmodelle, sondern auch den Zusammenhalt der Gesellschaft insgesamt. Vor dem Hintergrund der religionssoziologisch skizzierten Situation ergibt sich die religionspädagogische Aufgabe, die Phänomene von Marktreligion zu identifizieren und aktuelle mediale Religionsinszenierungen als „religiös“ zu deuten und zu verstehen.35 Diese Verstehensbemühungen sind von theologischer Deutung zu unterscheiden. Religionspädagogische Bildung kommt erst zum...