E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Johnson Bindungstheorie in der Praxis
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7495-0087-1
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Emotionsfokussierte Therapie mit Einzelnen, Paaren und Familien
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-7495-0087-1
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Bindung und Emotionsfokussierte Therapie
Das grundlegende Bedürfnis in zwischenmenschlichen Beziehungen ist die sichere emotionale Verbindung. Es verwundert daher nicht, dass Bowlbys Bindungstheorie und die Emotionsfokussierte Therapie (EFT) sich schon lange gegenseitig befruchten, um das soziale Gefüge von Klienten zu fördern. In diesem Buch stellt Sue Johnson, die Begründerin der Emotionsfokussierten Therapie, beide Konzepte erstmals explizit als sich ergänzende Ansätze vor. Die integrierte Umsetzung in verschiedenen Settings wird zudem anhand von Beispielen anschaulich erläutert. Indem Sue Johnson die Resultate der Bindungsforschung in die EFT einbezieht, können Praktizierende besser verstehen, was in Menschen und ihren Beziehungen tatsächlich geschieht – und somit ihren Klienten zielgenauer helfen.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Allgemeines
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Familientherapie, Paartherapie, Gruppentherapie
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Sozialpsychologie
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Kognitionspsychologie Emotion, Motivation, Handlung
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Differentielle Psychologie, Persönlichkeitspsychologie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologische Disziplinen Sexualpsychologie
Weitere Infos & Material
2. Bindungstheorie und -wissenschaft als Modell therapeutischer Veränderung
„Lebenslang bleibt die Verfügbarkeit einer responsiven Bindungsperson die Quelle unseres Sicherheitsgefühls. Von der Wiege bis zur Bahre fühlt sich ein jeder von uns am wohlsten, wenn sich unser Leben als eine Aneinanderreihung längerer oder kürzerer Exkursionen gestaltet, die ihren Ausgang von der sicheren Basis nehmen, die unsere Bindungspersonen uns vermitteln.“ – John Bowlby (1988, S. 62) „Abgesehen von den biologischen Wohltaten positiver Beziehungen bleibt auch unsere Psyche eher veränderbar, wenn sie sich anderen Psychen verbunden fühlen kann. Wenn wir einen Zeugen haben, werden unsere Spiegelneuronen und die der Theory of Mind zugrunde liegenden Schaltkreise aktiviert, und dies schärft nicht nur unsere Selbstwahrnehmung und unsere Wahrnehmung anderer Menschen, sondern stärkt gleichzeitig unsere Identität.“ – Louis Cozolino und Vanessa Davis (2017, S. 58) Bowlby verbrachte den Großteil seines Lebens damit, die Grundlagen menschlicher Bindungen und die Art und Weise zu beschreiben, wie solche Bindungen eine optimale Entwicklung und Ausgewogenheit in unseren engsten Beziehungen fördern oder aber Dysfunktionen begünstigen. Weil diese Aufgabe durchaus lebensfüllend war, fand er kaum Zeit, um seine Arbeit in eine systematische Theorie der therapeutischen Intervention zu übersetzen. Er war allerdings überzeugt, dass der durch eine erfolgreiche Therapie eingeleitete Veränderungsprozess in Erfahrungen einer effektiven Abhängigkeit einmündet, die zur Klärung, Kohärenz und Anpassung der „Arbeitsmodelle vom Selbst und von anderen“ beitragen und auf diese Weise das Potenzial stärken, positive zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen. Die durch die Therapie veränderten Modelle bilden fortan die Basis eines integrierten prozeduralen Schemas, einer automatischen „Wenn-dies-dann-das“-Anleitung, mit deren Hilfe wir die eigene innere und äußere Welt emotional und mental auf eine Weise konstruieren können, die der Offenheit für neue Erfahrungen und der Neugier ebenso zuträglich ist wie einer flexiblen Responsivität und Bindungsfähigkeit. Bowlby betonte, dass die Fähigkeit, zwischenmenschliche Beziehungen aufzunehmen und enge Bindungen zu entwickeln, das verlässlichste Barometer unserer Gesundheit sei. So schrieb er: „Die Fähigkeit, eng vertraute Beziehungen zu anderen Menschen aufzunehmen, sei’s in der Rolle des Fürsorgesuchenden oder in der Rolle des Fürsorgespendenden, wird als Hauptmerkmal einer stabilen Persönlichkeit und der psychischen Gesundheit betrachtet“ (1988, S. 121). Indes führte die ursprüngliche Formulierung der Bindungstheorie nicht aus, wie Psychotherapeuten ihren Klienten dabei helfen können, Leid und Fehlregulationen zu bewältigen, um eine solch stabile Persönlichkeit und die Fähigkeit, sich im Umgang mit anderen offen und responsiv zu verhalten, zu entwickeln. In einer seiner letzten Schriften erklärte Bowlby (1988), dass die Therapie Klienten helfen solle, ihre dynamischen prozeduralen Schemata oder Modelle zu überprüfen und umzustrukturieren. Demnach hat der Therapeut fünf Aufgaben zu erfüllen: (1) Er stellt seinen Klienten eine sichere Basis zur Verfügung, d. h. eine „haltende Umwelt“, in der sie ihr Leiden erforschen können. (2) Er hilft seinen Klienten dabei zu untersuchen, wie ihr Umgang mit Beziehungen die Situationen beeinflusst, die für sie schmerzhaft sind. (3) Er hilft seinen Klienten, die Beziehung zum Therapeuten zu ergründen, in der sich ihr Beziehungsstil wie in einem Mikrokosmos entfaltet. (4) Er sucht nach den Ursprüngen dieses Beziehungsstils in der Vergangenheit der Klienten und erforscht die „furchterregenden, fremd wirkenden und / oder unannehmbaren“ Gefühle, die in diesem Prozess aktiviert werden. (5) Er hilft seinen Klienten, darüber nachzudenken, wie ihre früheren Erfahrungen ihre Wahrnehmung der Welt einengen und auf diese Weise bestimmen, wie sie in der Gegenwart denken, fühlen und handeln, und sucht mit ihnen nach besseren Alternativen. Auf den ersten Blick betrachtet stehen diese Ziele für eine klassische psychodynamisch orientierte Therapie, die allerdings der Überlebensfunktion von Beziehungen besonderes Gewicht beimisst. Doch diese kurze Zusammenfassung der therapeutischen Aufgaben lässt etwas unberücksichtigt, das Bowlby an anderer Stelle erörtert und in seinen klinischen Fallstudien beschrieben hat, nämlich den klaren Fokus auf die einzigartige Macht der Gefühle und die korrigierende emotionale Erfahrung, die alte Verhaltensmuster aufbrechen kann. Die beiden allgemeinsten therapeutischen Implikationen der Bindungswissenschaft betreffen die Tatsache, dass die Macht der Emotionen des Klienten genutzt werden kann, um am wirkungsvollsten Veränderung herbeizuführen (das Wort „Modelle“ ist in der Bindungstheorie „heiß“, weil es emotionsgeladen ist), und dass Veränderung grundsätzlich interpersonaler Natur ist, weil sie sich an den emotionalen Botschaften orientiert, die im Dialog mit einem anderen Menschen gesendet und empfangen werden. 2.1 Emotionsfokussierte Paartherapie (EFT): bindungsgestützte Psychotherapie
Der gesunde Anpassungsprozess – das Endziel der Therapie – lässt sich auf Basis der Bindungstheorie wie folgt beschreiben: Das Gefühl, mit anderen verbunden zu sein (entweder durch mentale Modelle auf einer mentalen Ebene oder durch konkrete positive Interaktionen), fördert emotionale Ausgeglichenheit und Regulation. Diese Balance verstärkt die Erforschung und Konstruktion kohärenter, adaptiver innerer Welten – positiver Modelle des Selbst und anderer. Ein aufgeschlossenes, flexibles Sich-Einlassen auf das eigene Selbst, auf andere Menschen und auf die Umwelt wird unter diesen Umständen zur Norm. Responsivität fördert eine sichere Verbundenheit mit anderen, die es uns ermöglicht, vor den Aufgaben des Lebens nicht zu verzagen, sondern ein Kompetenzgefühl zu entwickeln und uns die Bewältigung dieser Aufgaben zuzutrauen. Emotionsregulation und zwischenmenschliche Beziehungen bilden den Dreh- und Angelpunkt dieses ununterbrochenen Prozesses, der sich in unseren täglichen Interaktionen auf einer Mikroebene und im Verlauf der Entwicklungsphasen auf einer Makroebene abspielt. Die Wissenschaft der Bindung im Erwachsenenalter ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass sie auch therapeutische Methoden beeinflusst, deren ursprüngliche Konzeptualisierung keine erkennbare Verbindung zu Bowlbys Modell aufwies. Ein Beispiel sind etwa die Kognitiven Verhaltenstherapien (Cobb & Bradbury 2003; McBride & Atkinson 2009). Traditionell brachte man die Bindungstheorie vorwiegend mit einsichtsorientierten dynamischen Psychotherapien in Verbindung (Holmes 1996; Wallin 2007), doch tatsächlich ist die Praxis humanistischer erfahrungsorientierter Therapiemodelle das treffendste Beispiel für eine moderne Bindungstheorie und -wissenschaft. Diese Modelle sind aus dem psychodynamischen Veränderungsmodell hervorgegangen und haben es, insbesondere durch ihre klare Fokussierung auf die direkte Arbeit mit den Emotionen, weiterentwickelt. Die Emotionsfokussierte Paartherapie, die zunächst für Paare und Familien konzipiert wurde und folglich inhärent interpersonaler Natur ist, bezieht sowohl Bowlbys ursprüngliche Vision mit ein als auch die zentralen Entwicklungen der modernen Bindungswissenschaft, die von Sozialpsychologen wie Shaver, Mikulincer und anderen Forschern formuliert wurden (Mikulincer & Shaver 2016). Dass die Essenz der Bindungsperspektive und ihre konkreten Implikationen für therapeutische Interventionen in den aktuellen Versionen der EFT für Einzeltherapie sowie Paar- und Familientherapien von zentraler Bedeutung sind, zeigen die folgenden sechs Herangehensweisen. Erstens und vor allem fokussiert die EFT-Praxis konsequent auf die aktive Emotionsverarbeitung und -regulation. Effektive Regulation bedeutet hier, dass Schritt für Schritt ein emotionales Gleichgewicht hergestellt wird, das mit einer positiven interpersonalen, gemeinsamen Emotionsregulation einhergeht – beides Herz der Bindungstheorie. So schrieb Bowlby (1979): „Viele der intensivsten menschlichen Emotionen tauchen im Verlauf der Bildung, Aufrechterhaltung, Zerstörung und Erneuerung affektiver Bindungen auf, die aus ebendiesem Grund manchmal als emotionale Bindungen bezeichnet werden. … Drohender Verlust weckt Angst, und Verlust weckt Trauer. … Beide Erfahrungen werden vermutlich Wut erzeugen, … während die Wiederherstellung einer Bindung als Quelle der Freude erlebt wird“ (S. 69). Die intensivsten Gefühle werden durch Beziehungsschwierigkeiten ausgelöst, und umgekehrt ist Koregulation der intuitivste und effizienteste Weg zu emotionalem Gleichgewicht. Diese emotionale Balance setzt voraus, dass wir uns auf unsere Gefühle einlassen und sie zu einem kohärenten Ganzen machen, statt sie zu verleugnen, zu blockieren oder einem fragmentierten Zustand zu überlassen, in dem sie uns, wie Bowlby es ausdrückte, „fremd“ erscheinen. Der natürliche Weg zum emotionalen Gleichgewicht ist der gemeinsame, selbst wenn die andere Person lediglich auf einer mentalen, imaginierten Ebene präsent ist. Die systematische Identifizierung der Elemente unserer Emotionen, d. h. die Identifizierung des Auslösers, die unmittelbare Wahrnehmung, der Felt Sense, die Zuschreibung von Bedeutung und die aus dem Gefühl hervorgehende Handlungstendenz oder Motivationskraft (Arnold 1960), ermöglicht es uns, spezifische Emotionen aufzudecken, als eigene anzuerkennen und sie zu integrieren. Zudem verändert sich die Beziehung des Klienten zu seinen emotionalen Erfahrungen, wenn er diese Elemente zu...