E-Book, Deutsch, 312 Seiten
Johnstone Der Bruch
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-948392-21-5
Verlag: Polar Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 312 Seiten
ISBN: 978-3-948392-21-5
Verlag: Polar Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Doug Johnstone erzählt in seinem Kriminalroman die Geschichte von vier Geschwistern und einer drogensüchtigen Mutter, die in einem der vernachlässigten Viertel Edinburghs leben. Im Mittelpunkt steht der siebzehnja?hrige Tyler, der sich liebevoll um seine kleine Schwester Bean ku?mmert und sie vor ihrem aggressiven Bruder Barry zu schu?tzen sucht. Zusammen mit ihrer Schwester Kelly steigen sie regelma?ßig in fremde Ha?user ein. Als der Einbruch beim Bandenchef Deke Holt misslingt, Barry dessen Frau nieder- sticht und lebensgefa?hrlich verletzt, befindet sich Tyler plo?tzlich in einer ausweglosen Situation. Deke Holt sucht nach ihnen und die Polizei setzt ihn unter Druck, seinen Bruder zu verraten. Derr neue Roman von einem der besten Krimiautoren Schottlands.
Doug Johnstone stand 2019 für 'Breakers' (Der Bruch) und 2020 für 'Dark Matter' auf der Short List für den McIlvanney-Preis, nominiert für den besten schottischen Kriminalroman des Jahres. Als Journalist, Songwriter und Atomphysiker lebt er mit seiner Familie in Edinburgh.
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1
Tyler starrte seine kleine Schwester an, während sie fernsah und das Licht vom Bildschirm über ihr Gesicht flackerte. Irgendein Zeichentrickfilm über einen Jungen, der einen Zauberring findet und sich in ein Superhelden-Mädel verwandelt, das Ganze also mit einer Portion coolem Gender-Kram. Bean kaute auf ihrer Unterlippe, lächelte dann, und er sah die Lücke vorne, wo der Milchzahn ausgefallen war. Er hatte der Zahnfee zwei Mäuse aus den Rippen geleiert, nachdem er von seiner Schwester erfahren hatte, was aktuell auf dem Schulhof als der übliche Preis galt. Er war überrascht, dass sie angesichts all dessen, was sonst so abging, immer noch daran glaubte. »Okay, Kurze, Zeit fürs Bett«, sagte er. Sie schüttelte den Kopf, die Augen weiter auf den Fernseher fixiert. Er griff nach der Fernbedienung und der Bildschirm wurde schwarz, es blieb nur noch das gedämpfte Licht der Ecklampe. »Ist schon längst Schlafenszeit«, sagte er. »Und ich muss bald los.« Bean drehte sich um. »Wo ist Mum?« »Im Bett.« »Ist sie betrunken?« Tyler seufzte. »Sie war müde.« »Sie ist betrunken.« Sollte sie denken, Angela wäre betrunken, denn die Wahrheit war viel schlimmer. Bean spielte mit Pandas Ohr. Tyler hatte das Stofftier vor ein paar Jahren bei einem Bruch in Merchiston mitgehen lassen. Einen Moment lang hatte er sich blöd gefühlt, aber auf dem Bett dieses Mädchens waren Hunderte Kuscheltiere aufgereiht gewesen, und Bean hatte gar nichts. Er fragte sich, ob das andere Mädchen wohl geweint hatte, als es entdeckte, dass Panda weg war. »Können wir noch aufs Dach?«, fragte Bean. »Nein, komm jetzt.« »Bitte.« »Morgen ist Schule.« Sie warf ihm einen Blick zu, wie so eine Manga-Figur, das Kinn gesenkt, die Augen nach oben. »Bitteeeee.« Tyler sah auf die Uhr. Was für eine Rolle spielte es schon? Er blickte sich in dem winzigen Wohnzimmer um, zwei schäbige Sofas, abgewetzte Teppichfliesen, ein Radiator in der Ecke. Der einzige teure Gegenstand war der Sony LCD Breitbildfernseher, den er aus einer Villa an der Cluny Gardens mitgenommen hatte, die an den Blackford Pond angrenzte. Normalerweise ließen sie die Finger von Fernsehern, denn die waren echt scheiße zu transportieren, doch er wollte ihn für Bean. »Aber nur ganz kurz«, sagte er. Sie lächelte und umarmte ihn. »Ich mein’s ernst«, sagte er. »Ich muss noch mal weg. Barry kommt gleich vorbei.« Bean runzelte die Stirn und Tyler bedauerte, seinen Halbbruder erwähnt zu haben. Er streckte die Hand aus und sie ergriff sie, wobei sich ihre Hand feucht anfühlte, als er mit ihr den Flur hinunterging. Er nahm die Schlüssel aus einer Holzkiste, die neben der Haustür als Tisch diente. Er nahm die Hakenstange, die er aus einer Gardinenleiste improvisiert hatte, und eine Decke, die auf dem Boden lag. Bean trug ihren Pyjama und darüber den Onesie, und da oben würde es kalt sein, jeder Windhauch verwandelte sich in dieser Höhe in einen Sturm. Er fegte von der Liberton Brae herunter, übers Krankenhaus und die Ebene hinter Craigmillar Castle, und seitdem die meisten anderen Betonsilos abgerissen worden waren, bekam ihr Hochhaus das meiste ab. Er verriegelte die Wohnungstür und ging den Korridor hinunter, fort vom Fahrstuhl und der anderen Wohnung, in der Barry und Kelly lebten. Barry hatte eine syrische Familie so lange unter Druck gesetzt, bis sie vor einigen Monaten ausgezogen waren, und jetzt hatten die Wallaces die ganze Etage für sich, als wär’s ein billiges Penthouse. Tyler öffnete mit dem Haken die Falltür aufs Dach und zog die Aluminiumleiter herunter. Mit der Decke über der Schulter und den Schlüsseln in der Hand stieg er hinauf und öffnete das Vorhängeschloss an der Stahltür am oberen Ende. Es war eine Wartungstür, aber er hatte schon vor Jahren das ursprüngliche Schloss aufgebrochen und es durch sein eigenes ersetzt, die Typen von der Hausverwaltung kamen ohnehin nie hier herauf. Er sah zu Bean hinunter. »Komm rauf, aber schön beide Hände benutzen.« Sie legte Panda auf den Boden und kletterte die Leiter hinauf. Die letzten paar Stufen half er ihr, dann drückte er die schwere Tür auf und spürte sofort die kalte Luft auf dem Gesicht. Er aktivierte die Taschenlampe seines Smartphones und sie überquerten die schuppige Teerpappe auf dem Dach zur Westseite, wo zwei zusammengelegte Gartenstühle standen. Einen davon klappte er auf und setzte sich, und Bean stieg auf seinen Schoß, während er die Decke über ihnen ausbreitete. Er schaltete die Taschenlampe aus und die Dunkelheit verschluckte sie. Sie befanden sich im fünfzehnten Stock oben auf dem Greendykes House. Ihnen gegenüber stand das identische Wauchope House – es waren die letzten beiden noch verbliebenen Hochhäuser der Gegend. Umgeben waren sie von Brachland und einer riesigen Baustelle, wo Barratt Developments das neue Viertel Greenacres aus dem Boden stampfte, Hunderte von Wohnungen und Einfamilienhäusern. Das stand zumindest auf dem großen Schild mit der glücklichen, lächelnden Familie darauf. Vorerst waren es nur Bagger und Abraum, eingefasst von Stacheldraht und überwacht von einem privaten Sicherheitsdienst. Vermutlich für den Fall, dass irgendwer Bock hatte, einen Bagger oder ein paar Kabel oder Rohre zu klauen. Tyler dachte über die logistischen Probleme nach, etwas so Großes zu stehlen, er selbst war ja kleinere Gegenstände gewohnt. Er überlegte, wie es wohl sein würde, Hunderte neuer Nachbarn zu haben, wenn Greenacres erst mal fertig war. Schlimmer als das Dreckloch, das es vorher gewesen war, konnte es nicht werden, ausgebrannte Häuser und baufällige Läden, Drogenhöhlen und Gang-Treffs. Auf den Straßen wurden Rennen mit kurzgeschlossenen Autos und getunten Scramblern gefahren. Hinter dem in Flutlicht getauchten und eingezäunten Areal lag mehr Brachland, Gestrüpp, dichtes Gras und rissiger Beton, bis man schließlich das futuristisch wirkende Gelände des Krankenhauses von Little France erreichte. Grasbüschel und Gruppen von Hecken und Sträuchern zogen sich bergan bis Craigmillar Castle, dessen schroffe Turmruinen am oberen Ende des Hangs über die Bäume hinausragten. Die Schulen von Tyler und Bean lagen verborgen hinter den Bäumen, eingezäunt und von Videokameras überwacht. Die Fläche zwischen hier und da war eine einzige große illegale Mülldeponie, ein Wirrwarr von Gummirohren, feuchten Matratzen, ein paar Autotüren, einer zertrümmerten Windschutzscheibe, Bergen von Müllsäcken, prall gefüllt mit weiß Gott was, und zerbrochenen Zaunfragmenten, die irgendwann mal irgendwen von irgendwo hatten fernhalten sollen. Das alles sah er im Licht der Scheinwerfer des Baugeländes. Er sah kurz zum Wauchope House hinüber, dem Zwilling des Hochhauses, auf dem sie sich befanden. Er würde nie verstehen, warum diese beiden letzten Dinosaurier nicht mit dem Rest abgerissen worden waren. Warum sie nicht einfach ganz Niddrie, Craigmillar und Greendykes mit einer Flächenbombardierung überzogen hatten und fertig. Hinter Wauchope erstreckten sich neue Häuser, billig und bunt zusammengewürfelt, aber immer noch besser als das, was sie ersetzten. Hinter Greendykes House folgte Hunter Park und dann weitere Neubaugebiete, alles ursprünglich Erschließungsflächen für Gewerbe, die nun für Pendler benötigt wurden. »Erzähl’s mir noch mal«, sagte Bean und kuschelte sich an ihn. Eine Strähne ihres dunklen Pferdeschwanzes hatte sich gelöst. Er hatte sie früher am Abend in die Wanne gesteckt, und nun duftete sie nach Erdbeer-Shampoo. »Es war eine dunkle, stürmische Nacht«, sagte er mit dramatischer Stimme. Bean kicherte, als er ihre Rippen kitzelte. »Eine schicksalsschwere Nacht«, sagte er, »als die größte Superheldin der Welt, Bean Girl, geboren wurde, eine Macht des Guten, um die finsteren, bösen Mächte von Niddrieville zu bekämpfen.« »Weiter«, sagte Bean. »Angela war eine ganz normale Frau aus einer ganz normalen Familie, als sie von Außerirdischen besucht wurde, die ihr sagten, sie werde eine wunderschöne kleine Tochter mit ganz besonderen Kräften zur Welt bringen, ein Mädchen, das fliegen könne, das hohe Gebäude zertrümmern und über Berge springen könne, das aus seinen Augen Laserstrahlen verschießen könne.« Bean starrte zu dem Krankenhaus in der Ferne, machte zuerst große Augen und dann süße kleine Laserfeuer-Geräusche, pfiupfiuu, pfiu-pfiuu. Tyler redete weiter,...