Jones | Das zweitbeste Leben | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Jones Das zweitbeste Leben


1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-03790-120-5
Verlag: Arche Literatur Verlag AG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-03790-120-5
Verlag: Arche Literatur Verlag AG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



James Witherspoon ist Chauffeur, lebt in Atlanta und ist mit zwei Frauen verheiratet. Chaurisse ist seine offizielle Tochter, Dana ist das zweite, geheime Kind, von dem niemand wissen darf. Beide Mädchen sind gleich alt, wohnen nicht weit voneinander entfernt und leben doch ganz unterschiedliche Leben. Denn während Chaurisse in einer heilen Familie aufwächst, muss Dana um jede Anerkennung kämpfen. Als sie vierzehn sind, laufen sich Dana und Chaurisse scheinbar zufällig über den Weg - wobei nur Dana weiß, dass sie Schwestern sind. Schließlich kommt es zu einem schicksalhaften Zusammentreffen beider Familien, das für die eine Seite den völligen Zusammenbruch bedeutet und für die andere eine Möglichkeit zum Aufbruch.

Tayari Jones wurde 1970 in Atlanta geboren und studierte Englisch in Iowa, Georgia und Arizona.Mit ihrem Roman ?In guten wie in schlechten Tagen? wurde sie über Nacht zu einer der erfolgreichsten Autorinnen der USA.2019 wurde sie mit dem Women's Prize for Fiction ausgezeichnet.Tayari Jones lebt heute wieder in Atlanta.
Jones Das zweitbeste Leben jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Teil Eins ~*~
Dana Lynn Yarboro


1 Das Geheimnis


Mein Vater, James Witherspoon, ist ein Bigamist. Er war schon zehn Jahre verheiratet, als er meiner Mutter zum ersten Mal begegnete. 1968 arbeitete sie am Einpacktresen von Davison’s in der Innenstadt, wo mein Vater sie bat, ein Tranchiermesser als Geschenk zu verpacken, das er seiner Frau zum Hochzeitstag gekauft hatte. Mutter sagte, ihr sei klar gewesen, dass zwischen einem Mann und einer Frau etwas im Argen liegt, wenn eine Klinge verschenkt wird. Ich sagte, das könne doch auch bedeuten, dass sie einander vertrauten. Ich liebe meine Mutter, aber wir sind oft unterschiedlicher Meinung. Jedenfalls wurde uns James’ Ehe nie verheimlicht. Ich nenne ihn James. Seine andere Tochter, Chaurisse, die, die bei ihm aufgewachsen ist, nennt ihn Daddy, auch heute noch.

Unter Bigamie stellen sich die meisten Leute, wenn sie denn überhaupt darüber nachdenken, eine primitive Praxis vor, etwas auf den Seiten des In Atlanta erinnern wir uns auch noch an eine Sekte der Back-to-Africa-Bewegung, die im West End mehrere Bäckereien betrieb. Manche bezeichneten sie als Kult, andere als kulturelle Bewegung. Jedenfalls waren einem Ehemann dort vier Ehefrauen erlaubt. Die Bäckereien haben mittlerweile dichtgemacht, aber die Frauen sieht man noch manchmal, wie sie, in prächtiges Weiß gewandet, ihrem gemeinsamen Ehemann mit sechs demütigen Schritten Abstand folgen. Sogar in Baptistenkirchen halten die Saaldiener Riechsalz bereit, falls sich eine frische Witwe beim Trauergottesdienst mit der anderen trauernden Witwe und deren Kindern konfrontiert sieht. Bestatter und Richter wissen, dass so etwas ständig vorkommt, und zwar nicht nur unter religiösen Fanatikern, Handlungsreisenden, gut aussehenden Soziopathen und verzweifelten Frauen.

Es ist schade, dass es keine treffende Bezeichnung für eine Frau wie meine Mutter Gwendolyn gibt. Mein Vater James ist ein Bigamist. So ist das. Laverne ist seine Frau. Sie hat ihn zuerst aufgetan, und meine Mutter hat die Ansprüche der anderen Frau immer respektiert. Aber war meine Mutter auch seine Frau? Sie ist im Besitz offizieller Dokumente und sogar eines einzelnen Polaroids, das beweist, dass sie mit James Alexander Witherspoon junior kurz hinter der Staatsgrenze zu Alabama vor einen Friedensrichter getreten ist. Doch sie lediglich als seine »Frau« zu bezeichnen wird der Komplexität ihrer Stellung nicht annähernd gerecht.

Es gibt andere Namen, ich weiß, und wenn sie angetrunken, wütend oder traurig ist, schmäht meine Mutter sich damit: Es gibt so viele, aber sie sind alle unfair. Außerdem gibt es üble Wörter für jemanden wie mich, das Kind von jemandem wie ihr, aber diese Wörter sind in unserem Haus nicht erlaubt. »Du bist seine Tochter. Fertig.« Das traf vor allem auf die ersten vier Monate meines Lebens zu, bevor Chaurisse, seine eheliche Tochter, geboren wurde. Das Wort brächte meine Mutter sicher zum Fluchen, aber wenn sie das andere Wort hören würde, das sich in meinem Kopf festgesetzt hatte, würde sie sich in ihrem Schlafzimmer einschließen und weinen. Für mich war Chaurisse seine Tochter. Bei Ehefrauen zählt nur, wer zuerst da war. Bei Töchtern ist die Lage ein bisschen komplizierter.

Es ist entscheidend, wie man Dinge benennt. war das Wort meiner Mutter. Wenn er davon gewusst hätte, hätte James vermutlich gesagt, aber das war zu düster. Wir schadeten ja niemandem außer uns selbst, als wir verfolgten, wie Chaurisse und Laverne sich durch ihr unbeschwertes Leben bewegten. Ich war immer davon ausgegangen, dass wir uns eines Tages dafür rechtfertigen müssten, dass man uns Worte zu unserer Verteidigung abverlangen würde. Wenn es so weit wäre, müsste meine Mutter das Reden übernehmen. Sie ist sprachbegabt und in der Lage, heikle Details so übereinanderzuschichten, dass am Ende alles spiegelglatt daliegt wie ein See. Sie ist eine Magierin, die die Welt in ein schillerndes Trugbild verwandeln kann. Die Wahrheit ist eine Münze, die sie hinter deinem Ohr hervorzaubert.

Vielleicht war meine Mädchenzeit nicht die glücklichste. Aber bei wem ist sie das schon? Selbst Menschen, deren Eltern glücklich miteinander und mit niemandem sonst verheiratet sind, selbst diese Menschen erleben ein gewisses Maß an Kummer. Sie baden in alten Kränkungen, wärmen Streitereien wieder auf. Insofern habe ich etwas mit der ganzen Welt gemein.

Mutter hat weder meine Kindheit noch irgendeine Ehe ruiniert. Sie ist ein guter Mensch. Sie hat mich vorbereitet. Im Leben kommt es darauf an, Bescheid zu wissen. Deshalb sollte man meine Mutter und mich nicht bemitleiden. Ja, wir haben gelitten, aber wir waren uns immer sicher, einen entscheidenden Vorteil zu genießen: Ich wusste von Chaurisse, sie hingegen nicht von mir. Meine Mutter wusste von Laverne, aber Laverne glaubte, ein ganz normales Leben zu führen. Diese grundlegende Tatsache war uns immer präsent.

Wann fand ich heraus, dass mein Vater, obwohl ich Einzelkind war, nicht Vater war, also nicht mein alleiniger? Ich bin mir nicht sicher. Ich weiß es vermutlich, seitdem ich weiß, dass ich einen Vater habe. Ich kann allerdings noch genau sagen, wann ich lernte, dass diese Art von doppeltem Daddy nicht normal war.

Ich war ungefähr fünf und im Kindergarten, als die Kunsterzieherin, Miss Russell, uns aufforderte, Bilder von unseren Familien zu malen. Während die anderen Kinder mit Wachsmalkreide oder weichen Bleistiften malten, verwendete ich einen blauen Tintenroller und zeichnete James, Chaurisse und Laverne. Im Hintergrund stand Raleigh, der beste Freund meines Vaters; er war der Einzige aus seinem anderen Leben, den wir kannten. Ihn zeichnete ich mit der Wachsmalkreide in der Farbe »Haut«, weil er sehr hellhäutig ist. Das war vor vielen Jahren, aber ich erinnere mich noch genau daran. Ich legte der Frau eine Halskette um und verlieh dem Mädchen ein breites Lächeln mit lauter geraden Zähnen. An den linken Rand malte ich meine Mutter und mich, wir standen allein. Mit einem Filzstift schwärzte ich Mutters lange Haare und die geschwungenen Wimpern. Mein eigenes Gesicht versah ich nur mit einem Paar großer Augen. Eine freundliche Sonne zwinkerte uns allen zu.

Die Kunsterzieherin trat von hinten an mich heran. »Na, wen hast du denn da so wunderbar gemalt?«

Geschmeichelt lächelte ich zu ihr hoch. »Meine Familie. Mein Daddy hat zwei Frauen und zwei Mädchen.«

Sie neigte den Kopf und sagte: »Soso.«

Ich dachte mir nicht viel dabei, sondern freute mich darüber, wie sie ausgesprochen hatte. Noch heute fühle ich mich geliebt, wenn ich es jemanden sagen höre. Am Ende des Monats brachte ich alle meine Bilder in einer Pappmappe mit nach Hause. James öffnete sein Portemonnaie, das immer voll mit Zweidollarscheinen war, um mich für meine Arbeit zu belohnen. Ich hob mir das Porträt, mein Meisterwerk, bis zum Schluss auf, weil es doch so wunderbar gemalt war und so.

Mein Vater nahm das Blatt vom Tisch und hielt es sich nah vor die Augen, als versuchte er, eine geheime Botschaft zu entschlüsseln. Mutter stand hinter mir, ihre Arme vor meiner Brust gekreuzt, und drückte mir einen Kuss auf den Kopf. »Es ist in Ordnung«, sagte sie.

»Hast du deiner Erzieherin gesagt, wer das auf dem Bild ist?«, fragte James.

Ich nickte langsam, hatte aber das Gefühl, dass ich lieber lügen sollte, obwohl mir nicht klar war, warum.

»James«, sagte Mutter, »lass uns aus einer Mücke keinen Elefanten machen. Sie ist noch ein Kind.«

»Gwen«, sagte er, »es ist wichtig. Guck nicht so ängstlich. Ich bringe sie doch nicht raus hinter den Schuppen.« Dann kicherte er in sich hinein, doch meine Mutter lachte nicht.

»Sie hat nur ein Bild gemalt. Das machen Kinder so.«

»Geh in die Küche, Gwen«, sagte James. »Ich werde mit meiner Tochter reden.«

Meine Mutter fragte: »Warum kann ich nicht hierbleiben? Sie ist schließlich auch meine Tochter.«

»Du bist die ganze Zeit mit ihr zusammen. Du sagst mir immer, ich würde nicht genug mit ihr reden. Also lass mich reden.«

Mutter zögerte und gab mich dann frei. »Sie ist nur ein kleines Kind, James. Sie weiß noch nicht Bescheid.«

»Vertrau mir«, sagte James.

Sie ging aus dem Zimmer, aber ich glaube, sie hatte Sorge, dass er etwas sagen könnte, das mich für den Rest meines Lebens verletzen und beschädigen würde. Ich konnte es in ihrem Gesicht sehen. Wenn sie aufgebracht war, mahlten ihre Kiefer ein unsichtbares Kaugummi. Nachts konnte ich hören, wie sie im Schlaf mit den Zähnen knirschte. Es klang wie Schotter unter Autoreifen.

»Dana, komm zu mir.« James trug eine dunkelblaue Chauffeuruniform. Seine Mütze musste im Wagen geblieben sein, aber auf seiner Stirn war der Abdruck des Hutbandes zu sehen. »Komm her.«

Ich zögerte und blickte durch den Türspalt, hinter dem meine Mutter verschwunden war.

»Dana«, sagte er, »du hast doch keine Angst vor mir, oder? Du hast doch keine Angst vor deinem Vater, oder?«

Er klang betrübt, aber ich verstand es als Prüfung. »Nein, Sir«, sagte ich und trat mutig einen Schritt vor.

»Nenn mich nicht Sir, Dana. Ich bin nicht dein Chef. Wenn du das sagst, komme ich mir vor wie ein Aufseher.«

Ich zuckte mit den Achseln. Mutter hatte mir gesagt, dass ich ihn immer mit Sir anreden sollte. Plötzlich streckte er die Arme nach mir aus und hob mich auf seinen Schoß. Während er mit mir redete, blickten wir beide nach vorn, sodass ich seinen...


Jones, Tayari
Tayari Jones wurde 1970 in Atlanta geboren und studierte Englisch in Iowa, Georgia und Arizona.Mit ihrem Roman ›In guten wie in schlechten Tagen‹ wurde sie über Nacht zu einer der erfolgreichsten Autorinnen der USA.2019 wurde sie mit dem Women’s Prize for Fiction ausgezeichnet.Tayari Jones lebt heute wieder in Atlanta.

Tayari Jones wurde 1970 in Atlanta geboren und studierte Englisch in Iowa, Georgia und Arizona.Mit ihrem Roman ›In guten wie in schlechten Tagen‹ wurde sie über Nacht zu einer der erfolgreichsten Autorinnen der USA.2019 wurde sie mit dem Women's Prize for Fiction ausgezeichnet.Tayari Jones lebt heute wieder in Atlanta.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.