Kaleyta | Die Geschichte eines einfachen Mannes | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Kaleyta Die Geschichte eines einfachen Mannes

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-492-99821-5
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-492-99821-5
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Aus dem Leben eines Taugenichts Unser Erzähler ist vom Glück geküsst. Er, der Junge aus einfachem Hause, spürt, dass das Schicksal Großes mit ihm vorhat. Erst als Helmut Kohl 1998 die Wahl verliert, zeigt seine Zuversicht Risse. Wird nun alles schlechter? Nach dem Abitur macht er sich voller Euphorie und dennoch maximal besorgt auf die Reise nach ganz oben. Um ein Haar erlebt er mit seiner Band den großen Erfolg, beginnt beinahe eine steile akademische Karriere, fast findet er das Glück in der Liebe und tänzelt dabei ständig am Abgrund. Doch wenn man ihm glauben will - und nichts wünscht er sich mehr -, wird am Ende alles gut für ihn. Timon Karl Kaleyta erzählt von einem, der auszieht, um die Welt für sich zu gewinnen. Irisierend, funkelnd, schöner als der schöne Schein! 'Pausenlos gelacht und immerzu gelitten - ich kann Timon Karl Kaleyta fühlen.' - Christian Ulmen 'Timon Karl Kaleyta ist ein so überragend guter Liedtexter - muss der jetzt wirklich auch noch ein Buch schreiben? Ich meine: JA!'- Benjamin von Stuckrad-Barre 'Ein erstaunliches Buch! Mit schelmischer Selbstironie und Leichtherzigkeit gelingt Kaleyta eine anmutige Frechheit über unsere Klassengesellschaft.' - Samira El Ouassil 'So wie Kaleyta davon erzählt, wie es immer nur so gut wie und fast und beinahe und dann doch eben nicht so richtig abging mit seiner Karriere, klingt die Geschichte wie eine exemplarische Universalgeschichte. Man wünscht sich unter jede seiner Wahrheiten einen Beat.' - Peter Richter, SZ

Timon Karl Kaleyta ist Schriftsteller, Kolumnist und Drehbuchautor. Sein hochgelobter Debütroman »Die Geschichte eines einfachen Mannes« stand auf der Shortlist des aspekte-Literaturpreises und wurde mit dem Fuldaer Literaturpreis ausgezeichnet. Bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt erhielt Kaleyta 2021 den 3sat-Preis. Sein  zweiter Roman »Heilung« war für den Deutschen Buchpreis 2024 nominiert. Er lebt und arbeitet als Ehemann einer erfolgreichen Kunsthändlerin in Berlin.
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KAPITEL II


In den Fängen des Systems

Genau genommen interessierte mich nach dieser intensiven Erfahrung der künstlerischen Arbeit das eigentliche Produkt, das Lied, dem Sebastian den Titel Die neue Zeit gegeben hatte, schon am nächsten Morgen kaum mehr. Und schon wenige Tage später hatte ich es sogar vollständig aus meinem Kopf verdrängt. Mit der Musik, das war schnell klar, wollte ich es vorerst nicht weiter versuchen, zu lang und unsicher schien mir der Weg zum Erfolg zu sein und zu merkwürdig war, bei Lichte betrachtet, auch dieses Stück geraten. Aber ich hatte eine wichtige Lektion gelernt.

Mir genügte einerseits die grundsätzliche Einsicht, dass man sich im Leben nehmen konnte, wonach es einem verlangte, dass man bloß ungeniert oder emotional genug die eigenen Bedürfnisse artikulieren musste, und schon war alles möglich. Ja, manchmal, das hatte ich jetzt wirklich gelernt, wurde einem eben nicht einfach alles hinterhergetragen, manchmal musste man selbst tätig werden. Andererseits, und das war vielleicht noch wichtiger, brachte der Abend mit Sebastian in mir die Gewissheit zurück, dass ich mich selbstverständlich in jeder mir bis dato unbekannten Disziplin beweisen konnte – die gelungene Aufnahme war nur der Beleg dafür. Jetzt griff ich nach den Sternen.

Nun, da ich verstanden hatte, wie es im Leben lief, vor allem aber, weil ich unter keinen Umständen schon jetzt anfangen wollte, richtig zu arbeiten, war klar, dass mein weiterer Weg mich an die Universität führen würde. Natürlich, ich musste meinen bislang so erfolgreichen Kurs weiterverfolgen und die Angebote wahrnehmen, die dieses Land jemandem wie mir machte. Und dass ich darauf nicht eher gekommen war, verblüffte mich, ehrlich gesagt.

Aber was sollte ich studieren? Diese Frage hatte ich mir bislang kein einziges Mal gestellt, und eine Antwort darauf war, wie ich sehr bald feststellen musste, gar nicht so einfach zu finden. Ich zermarterte mir tagelang den Kopf, dachte mal in die eine Richtung, dann wieder in die andere. Doch jedes Mal fiel mir ein bedeutender Grund ein, warum dieses oder jenes gewiss ganz interessant, aber eindeutig nicht das Richtige für mich war.

Ich wollte meinen Eltern, die sich auch weiterhin große Sorgen um meine Zukunft machten, zwar so schnell wie möglich von meinen neuen Plänen erzählen und konnte es gar nicht erwarten, sie von ihren Qualen zu erlösen, trotzdem wollte ich die Entscheidung nicht ausschließlich ihnen zuliebe überstürzen – also schrieb ich meinem Freund Vincent, bei dem ich mich ohnehin schon viel zu lange nicht mehr gemeldet hatte, eine kurze Nachricht:

Vincent, mein lieber Freund! Wie geht es Dir in München? Sag mir rasch, was Du studierst! Es interessiert mich wirklich sehr.

Aufgeregt wartete ich, gewiss zwei, drei oder vielleicht sogar fünf Minuten, schaute wie gebannt auf das Display meines Telefons, denn plötzlich fühlte ich mich der Lösung meines Problems ganz nah. Wenn Sebastian vor allen Dingen ein Mann der Emotion, des Gefühls, ja, des Affekts, der musikalischen Eingebung, des Geschicks und des reinen Moments war, dann war Vincent ein Mann des Geistes. Präziser gesagt, einer des Verstandes, der Logik, der kühlen Analyse, des Weitblicks und der Vorausschau – während ich von Sebastian in jeder Notlage Verständnis und Zuspruch erwarten durfte, wies Vincents Rat weit über die aktuelle Situation hinaus.

Ich spürte eine in mir aufbrausende Spannung, eine Vorfreude auf die Zukunft, denn was für Vincent, meinen klugen Freund Vincent, gut war, würde doch gewiss auch für mich selbst nicht das Falsche sein.

Kunstgeschichte. Ich studiere Kunstgeschichte, schrieb Vincent mir prompt zurück. Das habe ich Dir schon zehnmal gesagt.

Kunstgeschichte! Richtig, und jetzt erinnerte ich mich auch daran, warum ich es mir nie hatte merken können: Kunst und – schlimmer noch – Kunstgeschichte interessierten mich überhaupt nicht, mit Kunst hatte ich mich in der Tat noch keinen einzigen Tag meines Lebens beschäftigt, und meinetwegen konnte es gerne so bleiben.

Ach so, schrieb ich Vincent enttäuscht zurück.

Eine so wichtige Entscheidung sollte vielleicht nicht unbedingt anderen nachgemacht werden, merkte ich bald – vielmehr war es doch sicherlich so, dass jeder für sich das Richtige finden musste. Ich konnte und durfte mich nicht immer auf Vincent verlassen, sondern musste meinen eigenen Weg gehen, auf mein eigenes Herz hören, so anstrengend das auch sein mochte. Und vermutlich war es am Ende eine Mischung ganz unterschiedlicher Empfindungen und Motivationen, die mich wenige Tage später, als ich gerade mit meiner Mutter beim Frühstück saß, wie als würde ich mich selbst zu meinem Glück zwingen wollen, eine Art Entscheidung fällen ließ.

»Mutter«, sagte ich und biss in mein mit Marmelade bestrichenes Toastbrot, »heute ist ein großer Tag.«

Sie schaute aufmerksam zu mir rüber.

»Heute fahre ich zur Universität. Heute schreibe ich mich ein. Ich werde Student. Was sagst du nun?«, fragte ich sie mit einem gewissen Stolz, schlug mit der Hand auf den Küchentisch und verschluckte mich beinahe an einem Krümel.

Meine Mutter rang einen Moment um Fassung. Und auch wenn gar nicht stimmte, was ich sagte, auch wenn es nur so aus mir herausgebrochen war, um einen bösen Bann zu brechen, steckte doch eine große Wahrhaftigkeit in meinen Worten, eine Wahrheit, die von einer Mutter nicht unbemerkt bleiben konnte.

»Und was wirst du studieren«, fragte sie.

Ich zögerte einen Moment und lächelte milde.

»Es soll eine Überraschung werden, Mutter«, log ich, doch es war keine feige Lüge, keine niederträchtige, wie sich leichterdings feststellen lässt. Ich empfand die kleine Ungenauigkeit vielmehr als Notwendigkeit, ja, als eine Art Zauberformel, die, einmal ausgesprochen, kein Zurück mehr erlaubte.

Das Gesicht meiner Mutter sprach Bände, es war das reine Glück darin zu sehen.

»Ich werde euch später von allem berichten«, schob ich nach, »jetzt muss ich mich schnell auf den Weg machen, ich darf keine Zeit mehr verlieren.« Und dann fasste ich sie noch einmal bei ihren warmen, rauen, aber noch immer sehr zarten Händen, drückte sie ganz fest, um ihr Zuversicht mit in den Tag zu geben, gab ihr einen Kuss auf die Stirn, packte meine Sachen und machte mich auf den Weg zur Bochumer Universität, die mit dem Bus allerhöchstens eine halbe Stunde von unserem Haus entfernt war.

Noch etwas vorsichtig, vor allen Dingen aber hochaufgeregt tat ich bald die ersten Schritte auf den weiten Anlagen des Universitätsgeländes. Ich hatte die Gebäude schon häufig beim Vorbeifahren aus dem Auto heraus gesehen, war bislang allerdings noch nie hier gewesen, ja, es war fast so, als begriff ich die eigentliche Bedeutung dieses so gigantischen Komplexes in diesem Moment zum allerersten Mal. Fast vierzigtausend Studenten zählte die Hochschule und hier eilten sie nun überall an mir vorbei, mit Büchern unter dem Arm, Ideen im Kopf, die Zukunft im Blick. Sicher hatte ein jeder von ihnen gerade in diesem Augenblick einen tollen Einfall, eine neue Entdeckung gemacht, und vermutlich rannten sie gerade zu einem Professor, zu einem Mitstudenten, zu ihrer Freundin oder ihrem Geliebten, nur um ihnen diesen neuen Gedanken schnellstmöglich mitzuteilen und ihn gemeinsam weiterzuentwickeln. Ich spürte einen besonderen Zauber auf mich übergehen – ich wollte sofort und auf der Stelle genau ein solcher Student sein, wollte mich, so schnell es nur ging, einschreiben, und führte zu diesem Zweck auch sämtliche Ausweisdokumente und vor allem mein Abschlusszeugnis in einem Mäppchen mit.

Ich spazierte über den Campus, passierte nacheinander die majestätisch aufragenden Institutsgebäude der Ingenieurswissenschaften, der Wirtschaftswissenschaften, der Rechts- und Naturwissenschaften und so weiter und imaginierte mich probeweise in die Rolle eines erfolgreichen Anwalts hinein, stellte mir vor, wie ich als Chemiker Karriere bei einem großen Pharmakonzern machen würde oder als Architekt Wolkenkratzer und Brücken baute. Alles hatte ganz eindeutig seine Vor- und Nachteile.

Weil mir noch immer ein paar Stunden bis zu meiner endgültigen Entscheidung blieben, war ich besonders froh, als ich beim Umherirren auf den botanischen Garten der Universität stieß, der am Rande des Geländes mit Blick über das Ruhrtal gelegen war. Ein bisschen Ruhe im Grünen, dachte ich, konnte in dieser so entscheidenden Situation eigentlich nur von Vorteil sein.

Es blühten dort Blumen in allen Farben – es war, als dränge ich in eine fremde Welt ein, in der alle Geräusche und Störsignale von außen durch das Rascheln der Bäume, durch das Rauschen und Plätschern der Wasser und durch das Singen und Pfeifen der Vögel vollkommen verschluckt wurden. Mit einem Male waren mir all meine Sinne betäubt, sodass nichts mich erschrecken konnte, und trotzdem war meine Aufmerksamkeit wie ein Bogen gespannt und ich in jede Richtung empfangsbereit.

Ein sanfter Wind blies durch das Grün.

Ich lief noch weiter hinein in den Garten, so lang unter Bäumen hindurch, über kleine Hecken hinweg und achtlos über Stock und Stein, dass ich fast fürchtete, nie wieder herauszufinden. Dann plötzlich entdeckte ich, zu meiner großen Überraschung, nachdem ich durch eine Art bewucherten Torbogen geschritten war, etwas, das ich instinktiv als chinesischen Garten identifizierte. Eine kleine hölzerne Bogenbrücke führte da über einen Wasserlauf, der in einen Teich voller Seerosen mündete, und ging man über sie hinweg, stand man schon inmitten...



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