Kaleyta | Heilung | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Kaleyta Heilung

Roman
24001. Auflage 2024
ISBN: 978-3-492-60744-5
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-492-60744-5
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Mann kann nicht mehr schlafen. Mit den Nerven am Ende, fürchtet er, alles zu verlieren: seine Ehe, seinen Status, das Leben. Seine Frau Imogen schickt ihn ins San Vita, ein mysteriöses Nobelresort in der verschneiten Stille der Dolomiten. In Obhut von Prof. Trinkl soll er dort zu sich selbst finden. Er sträubt sich aus Angst, sich seinem Innersten stellen zu müssen. Und zu Recht: Trinkl verspricht ihm zwar das Glück, flüstert ihm aber ein Unbehagen ein, das in der Kindheit begründet liegt. Zutiefst verunsichert flieht der Mann zu seinem besten Freund aus Kindertagen. Und ahnt noch nicht, wie weit er gehen muss, um Heilung zu erfahren. Ein überraschender Roman. Schlafwandelnd und doch hellwach. Zwischen Traum und wahrster Wirklichkeit. »Ein glänzend geschriebener, ein unterhaltsamer und intelligenter deutscher Roman, das hat man nicht alle Tage« - Denis Scheck über »Die Geschichte eines einfachen Mannes«

Timon Karl Kaleyta ist Schriftsteller, Kolumnist und Drehbuchautor. Sein hochgelobter Debütroman »Die Geschichte eines einfachen Mannes« stand auf der Shortlist des aspekte-Literaturpreises und wurde mit dem Fuldaer Literaturpreis ausgezeichnet. Bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt erhielt Kaleyta 2021 den 3sat-Preis. Sein  zweiter Roman »Heilung« war für den Deutschen Buchpreis 2024 nominiert. Er lebt und arbeitet als Ehemann einer erfolgreichen Kunsthändlerin in Berlin.
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Von dem Moment, als ich die Augen aufschlug, sind meine Erinnerungen klar. Ich wurde von einem lauten Knall geweckt. Einem Schuss. Ich sah mich um. Da war der brennende Kamin, da war das Fell, auf dem ich noch immer lag, der Schneeanzug und meine Unterwäsche hingen fein säuberlich über einem hölzernen Stuhl, alles sah trocken aus und unversehrt – das mit dem Feuer musste ich geträumt haben. Erst jetzt bemerkte ich, dass meine Füße bandagiert waren. Langsam begann ich, die Verbände zu lösen. Meine Nägel waren blau unterlaufen, sie sahen wild aus, ich spürte aber, Gott sei Dank, noch jeden einzelnen Zeh.

Ich stand vorsichtig auf, betastete meine Oberschenkel und Waden, ging tief in die Hocke und erhob mich dann wieder. Alles war in bester Ordnung, und auch die Erinnerungen an Jesper waren noch da, an die Stunden im Schnee, Trinkls in mir nachhallende Rufe, seine Schreie.

Ich zog mir die Kleider über. Ich spürte das Bedürfnis, ohne Verzögerung aufzubrechen. Die Hütte sah aus wie das Zimmer eines Kindes, fast wie ein Puppenhaus – die Stühle, der Tisch, das Waschbecken, alles war kleiner als gewöhnlich. Ich hätte kaum der Länge nach in das Bettchen gepasst. Es lagen einige Stofftiere herum, sogar ein großer Pandabär, wie man ihn auf einer Kirmes gewinnen konnte, hockte aufrecht in einer Ecke. An den Wänden hingen, neben ein paar mächtigen Geweihen und einem ausgestopften Bussard, zahlreiche Kinderzeichnungen, daneben ein paar einfach gerahmte Fotografien.

Ich trat näher, brauchte einige Zeit, bis ich erkannte, dass es Fotos von Arnim waren – er musste darauf zwanzig oder dreißig Jahre jünger sein, hatte noch beide Arme, auf einigen trug er ein Baby und lächelte. Ich nahm eines der Bilder von der Wand, beschaute es genauer. Es war Arnims Hütte, kein Zweifel.

Im selben Moment sprang die Tür auf.

»Das ist nicht für Ihre Augen bestimmt.« Arnim trat ein, mit der Hand hielt er den Lauf eines Gewehres umklammert.

Ich hängte den Rahmen zurück an die Wand und drehte mich ganz langsam zu ihm um.

»Sie haben mir das Leben gerettet«, antwortete ich. »Wie soll ich Ihnen nur danken?«

Arnim schüttelte den Kopf, lehnte das Gewehr gegen einen Stuhl, kam auf mich zu und rückte das Bild zurecht. »Einen Teufel habe ich getan.«

»Aber Sie haben mich aus dem Sturm gerettet.« Hatte ich mir auch das eingebildet?

Arnim sah mich eindringlich an, ich bemerkte, dass seine Mundwinkel zitterten. »Verschwinden Sie! Sofort! Ich habe keine Ahnung, wie Sie hierhergefunden haben«, sagte Arnim, sein ganzer kleiner Körper bebte.

Ich schaute mich noch einmal um. Die Hütte bestand nur aus einem einzigen Zimmer, jedes Ding war an seinem Platz – als hätte sich jemand ein Refugium geschaffen, das sich dem Lauf der Welt entzog.

»Ich hatte einen merkwürdigen Traum«, fing ich an zu erzählen, »ich glaube, ich weiß jetzt, was los ist, und …«

»Ihre Träume interessieren mich nicht«, knurrte Arnim. »Ich habe meine eigenen.« Er trat an mich heran und packte mich am Kragen. Mit erstaunlicher Kraft zog er mich zu sich hinunter und drohte mir mit dem Stumpf seines Arms. »Danken Sie Gott, dass Sie noch leben, und jetzt verschwinden Sie«, zischte er, und als ich einen Tropfen seines Speichels an meiner Lippe spürte, stieß ich ihn mit aller Kraft von mir weg. Arnim stolperte, fiel krachend nach hinten und lag dann wie ein Käfer am Boden. Ich sah das blanke Entsetzen in seinen Augen, ich war selbst erstaunt über meinen plötzlichen Ausbruch, ich hatte meine Kraft völlig falsch eingeschätzt.

»Trinkl weiß nichts von Ihrem Versteck hier, oder?«, fragte ich.

»Der Professor weiß überhaupt nichts.« Arnim drehte sich auf den Bauch. »Ich gebe Ihnen einen Rat: Kommen Sie nie wieder zurück ins San Vita. Sie haben dort nichts mehr verloren.«

»Keine Sorge«, antwortete ich und schaute zur Tür. »Wie weit ist es bis zur nächsten Straße?«

»Zwei Stunden in diese Richtung.« Arnim deutete geradewegs zur Tür hinaus.

»Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich wollte Sie nicht schubsen.« Auf dem Tisch unterm Fenster sah ich meine goldene Armbanduhr liegen und das Jagdmesser, das Trinkl mir geschenkt hatte. Ich ging hinüber, steckte das Messer ein, nahm die Uhr, umschloss sie einmal ganz fest mit meiner Hand und legte sie an.

»Ich wollte sie sicher nicht stehlen«, sagte Arnim ausdruckslos.

»Machen Sie’s gut«, antwortete ich, ohne ihn noch einmal anzusehen. Dann verließ ich die Hütte und trat über die kleine Veranda hinaus ins Freie.

Arnim hatte die Wahrheit gesagt. Nach etwas weniger als zwei Stunden, die ich durch dichten Wald lief, mal steil und dann wieder sanft bergab, erreichte ich eine Straße. Gerade quälte sich ein Räumfahrzeug mit lärmendem Motor die Serpentinen hoch. Die keilförmigen Schilde stießen die Schneemassen zu beiden Seiten fort, wie ein Eisbrecher bahnte sich das Fahrzeug seinen Weg. Ich winkte, konnte aber hinter der spiegelnden Scheibe niemanden erkennen. Ohne ein Zeichen fuhr es an mir vorbei.

Ich nahm die Straße hinab ins Tal. Es dauerte ewig, bis das erste Fahrzeug kam, das in dieselbe Richtung fuhr – ich stellte mich mitten auf die Straße, winkte dem rumpelnden kleinen Lieferwagen schon von Weitem zu und bat mit gefalteten Händen darum anzuhalten.

»Nehmen Sie mich mit«, rief ich dem schnauzbärtigen Mann durch die geöffnete Beifahrertür zu. »Ich muss weg von hier. Ich muss in die Stadt!«

»Cortina«, sagte der Mann nur, offenbar sprach er kein Deutsch. »Cortina.«

Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich begriff. »Cortina d’Ampezzo?«, fragte ich erstaunt zurück.

Er nickte, lächelte und winkte mich herein.

Am frühen Nachmittag schließlich erreichten wir das Städtchen, immer wieder war ich auf dem Beifahrersitz eingeschlafen und vom Beiseitekippen meines Kopfes erwacht. Schon aus einiger Entfernung hatte ich den Kirchturm gesehen, der sich über die Dächer der Häuser erhob, und als wir über ein zugefrorenes Bergflüsschen nach Cortina einfuhren, sah ich, dass in seiner Mitte bereits wieder ein kleines Rinnsal dahinplätscherte, wie flüssiges Silber funkelte das Wasser in der Sonne.

Mein Magen knurrte, als ich dem Wagen entstieg und mich verabschiedete. Erst jetzt wurde mir klar, dass ich überhaupt nichts bei mir trug.

Ich stand auf dem großen, beinahe menschenleeren Rathausplatz, der von malerischen Häusern mit hübschen hölzernen Balkonen und feinen Fassadenmalereien gesäumt war. Aus einem der Erker hing eine im Wind flatternde italienische Flagge. Ich sah ein Wirtshaus inmitten von Hotels und Ladenlokalen, davor zwei alte Männer, die in dicke Filzdecken gewickelt wortlos auf einer Bank saßen. Ihr Atem schlug aus, ich ging an ihnen vorbei und trat ein.

»Telefon?«, fragte ich die ältere Dame hinterm Tresen, während ich mir die Kapuze vom Kopf streifte.

Die Frau musterte mich. Sie griff, ohne sich abzuwenden, nach einem Telefon und stellte es wortlos vor mich hin.

»Grazie«, sagte ich, nahm den Apparat mit dem langen Kabel und setzte mich an einen der Tische. Ich fuhr mit einem Finger über die schmierige Holzplatte, es roch nach altem Bier und Zigarettenrauch.

Ich wählte. Ein Freizeichen.

»Ja?«, hörte ich Imogens Stimme ganz deutlich. Sie wirkte gestresst, ich kannte diesen Tonfall gut. Ihr Telefon klingelte von früh bis spät.

»Imogen«, sagte ich.

Einen Moment lang herrschte Stille. Das konnte aber auch an der Leitung gelegen haben.

»Mein Gott!«, rief sie aus. »Warst du das gestern am Telefon? Ich habe kein Wort verstanden«, sagte Imogen. »Ist alles in Ordnung?«

»Fürs Erste ist alles in Ordnung, ja.« Ich deutete ein Lachen an.

»Geht’s dir schon besser?«

»Kann sein. Ja«, sagte ich unentschieden. »Ich weiß es nicht. Aber immerhin … ich habe geträumt.«

»Aber das ist toll«, rief Imogen aus. Ich hörte, dass im Hintergrund gearbeitet wurde, Steinbohrer und Hammerschläge, geschäftiges Treiben, wie ich es aus ihrem Studio kannte, einer ihrer Mitarbeiter fragte Imogen etwas, doch sie antwortete ihm nicht. »Das heißt, du kommst bald zurück? Oder willst du noch bleiben?«

...



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