Karpfinger | Schachmatt | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 312 Seiten

Karpfinger Schachmatt


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7412-1498-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 312 Seiten

ISBN: 978-3-7412-1498-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



FFrank lebt in München Schwabing. Sein Geld verdient er als professioneller Schachspieler. Seine Freizeit verbringt er trinkend in Bars oder mit der Herumtreiberin Marianna, die mit ihrem Leben und ihrer Umwelt nicht zurecht kommt und sich schließlich umbringt. Frank beobachtet mit einem vagen Gefühl von Mitschuld an ihrem Tod Mariannas Leben und das Leben ihrer Schwester Lilly und sucht nach Gründen, die das Leben lebenswert machen.

Christian Karpfinger, Jahrgang 1968, ist Unternehmer und Mathematiker. Er lebt in München Schwabing.

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ERSTER TEIL
1. KAPITEL
Nachts, wenn sich die Lichter der Straßenlaternen in Pfützen spiegeln, wenn Autos über die glitzernde, feuchte Oberfläche des Asphalts schlittern, wenn Musik aus den zahlreichen Kneipen Altschwabings auf die Bürgersteige dringt, dann formiert sich aus dem Wesen eines Menschen eine neue Gestalt. Mit neuem Blick erkennt man, was lang verborgen war. Man läuft eine Straße entlang und merkt nicht, wie das Leben an einem vorbeizieht. Schief und verkantet, wie ein gebrochener Lichtstrahl, plump und träge, ein nasser Sack, schwer und unförmig, so fällt es auf den glitzernden Asphalt, stumm beobachtet, nicht nachgefragt, ohne Forderungen zu stellen. Aber an manchen Tagen schreit es, es schreit danach, gelebt zu werden und nicht immer nur fallen gelassen oder mit schiefem Blick betrachtet zu werden. Es hat nicht nur einen Anfang und ein Ende mit einem Nichts dazwischen. Es ist nicht so, dass jeder Tag das Gleiche bringt. Es ist eine Frage des Empfindens, und das, was zählt, ist letztlich nicht das, was sich tatsächlich ereignet. Es ist die Frage: Wie empfindet man es? Es ist das eine, sich mit den Alltäglichkeiten des Lebens zu beschäftigen, das andere ist es, die Verheißungen, die es verspricht, zu ignorieren. Enttäuschungen sind stille Empfindungen. Sie setzen sich in den Beinen fest, sie tragen einen auf die Straße. Abends, bei Regen, nachts, manchmal auch frühmorgens. Enttäuschungen, leere Versprechen, Lügen, das Leben, es findet auf den Straßen statt. Frank K. ist einer dieser Menschen, die in Altschwabing leben. Marianna gehört auch zu ihnen, ebenso Lilly und Helga. Und oftmals haben Autos, die viel zu schnell durch die Pfützen an den Rändern der Straßen geschlittert sind, Dreckspritzer auf ihre Hosenbeine gezeichnet. Viel zu oft haben sie schon diese Musik aus den zahlreichen Kneipen gehört, die da in Reih und Glied aneinanderstehen, viel zu oft hat sich da etwas aus ihnen herausgestülpt. Nur wird es nach einer Weile zu einer Gewohnheit, viel zu leicht wird man davon abgelenkt. Vielleicht ein Hund, der an einen Hydranten pisst, vielleicht irgendein Penner, der einen um eine Mark anhaut, und alles Mühen, alles Stülpen verpufft, ein gebrochener Lichtstrahl, ein nasser Sack, es zieht wieder vorbei. Im Laufe eines Lebens wird vieles mit einem müden Schulterzucken unter den Tisch gekehrt, der Anlass erscheint nicht groß genug, es ist die Frage, wie man es empfindet – man tötet tausend Menschen und kehrt sie mit einem Schulterzucken unter den Tisch. Ein eisiger Ostwind trägt den Geruch von Schnee in die Stadt. Frank K. steigt in seine Stiefel, schlägt sich den Mantel um die weit ausholenden Arme und wirft einen stummen Blick aus dem Fenster. Er schaut nach dem klaren und blauen Himmel, über den zügig bauschige Wolken ziehen. Kälte zieht aus dem Osten in die Stadt, es ist eine klare, aber klirrend kalte Luft. In sich trägt sie etwas von dieser Gewissheit, dass sie die Menschen zu Hause halten wird. Frank K. sucht nach den Antennen auf den Dächern, sie schwanken unruhig umher, glitzernd und steif. Reif liegt auf den Dächern, weiß, an den Dachrinnen hängen Spuren von Eis. Es ist noch Zeit, es ist noch lange hell. Frank stößt mit dem festen Stiefel auf den Boden, etwas scheint da in dem Schuh zu sein, ein Kieselstein vielleicht, der sich am Vortag eingeschlichen haben könnte. Die Türklinke, ein geschwungenes Stück aus Messing, er drückt sie und verlässt seine Wohnung. Er springt die Treppen runter, er nimmt immer gleich mehrere Stufen auf einmal, es sind insgesamt zweiundzwanzig, er zählt sie jedes Mal. Die Kälte, die draußen herrscht, bemerkt man schon in dem luftigen, wenn auch dunklen Treppenhaus. Frank K. streckt beide Hände tief in die Taschen und drückt die Fäuste fest gegen die Oberschenkel; man hört sein Poltern im ganzen Treppenhaus, es schlägt dumpf durch die träge Geräuschkulisse. Auf den unteren Stufen begegnet ihm Frau Pretzl, sie steigt ihm müde entgegen, sie schleppt schwer an zwei riesigen Einkaufstüten. „Es ist kalt, Herr K., Sie sollten zu Hause bleiben, man wird nur krank bei diesem Wetter, scheußlich aber auch, dieses Wetter!“ Ihre müden Augen heben sich nur etwas, während sie zu K. spricht. Dieser ist längst an ihr vorüber, sie merkt es kaum und dreht sich nach ihm um. Er hält noch einmal kurz inne. „Sie sind nur müde, Frau Pretzl, es liegt alles nur an Ihrer Müdigkeit.“ Mit einem Male ist er verschwunden. Frau Pretzl nimmt sich kopfschüttelnd die letzten Stufen zu ihrer Wohnungstür vor. Sie ächzt unter der Last der schweren Tüten, die alten Dielen der Treppe jammern unter dem Gewicht, schleppend zwingt sie sich Schritt um Schritt ab, zwingt sie sich Stufe um Stufe hoch. „Wo will er nur wieder hin? Dieser verrückte Kerl!“ Sie spricht immer mit sich selbst, es ist zu einer Gewohnheit geworden. Eine Gewohnheit, die sich in ihr Leben geschlichen hat, nachdem ihr Mann gestorben war. Es war eine bösartige Geschwulst im Magen, es ging schnell, der Tumor war sehr aggressiv. K. spürt die eisige Luft an seinen Wangen, die frisch rasierte Haut zieht sich zusammen und hält das Gesicht stramm und straff. So ganz anders als Frau Pretzl, die sich mit ihren Tüten in der Wohnung verbarrikadiert und das Frische und das Neue meiden will. K. sucht sich den Weg in den Englischen Garten, er liegt nicht weit entfernt, nur ein paar Straßenzüge, ein oder zwei Ecken, dann mündet der geteerte Weg in die Grünanlage. Der Wind pfeift eisig durch die schmalen Gassen, er peitscht die blanken Äste, die sich schon längst von der Last ihres Laubes befreit haben. Gelegentlich überholt ein ganzer Schwarm des gefallenen und ausgetrockneten Laubes geräuschvoll Frank K. Er tritt danach, es hat keine Bedeutung, es verliert sich in Belanglosigkeit. Das eine ist belanglos, das andere ist schwer, das Schwere hat Frau Pretzl für sich reserviert, sie hat sich mit all dem Schweren umgeben, ob es nun Einkaufstüten sind oder sonst was, nur schwer muss es sein. Frank vernimmt das Gekrächze der Krähen, die unsicher in dem starken Wind über den kleinen See gleiten, Wildenten schnattern. Der Wind streicht mit seinen kalten Fingern über seine Wangen, er zieht den Kopf in das Genick, schlägt sich die Arme um den Leib, es ist eisig kalt. In der sonst stark besuchten Grünanlage sieht man kaum Menschen – nur ein paar wenige stehen da und lassen einen Drachen für ihre Kinder steigen, wenn sie auch vermutlich viel lieber zu Hause in einem geheizten Zimmer sitzen würden. Die Kinder schreien, die Alten frieren, aber alle starren in den Himmel und suchen die Plastikvögel unter den Krähen heraus. Frank geht den Weg zum See, der im nördlichen Teil des Englischen Gartens liegt. Dieser kalte Boden, der Schotterweg, etwas Schnee liegt herum, Frank stößt ein paar Steine vor sich her. Eine Stimme schreckt ihn etwas auf, es ist Marianna. „’n schönes Wetter, kalt zwar ... aber was macht das schon!“ Marianna ist ständig im Englischen Garten anzutreffen, sie scheint dort zu wohnen. In Wirklichkeit tut sie das tatsächlich … na ja, fast. Marianna streunt herum, sie hat nichts zu tun, sie vertreibt sich die Zeit, indem sie sich an die Natur hält, wenngleich sie die Stadt nicht verlieren möchte. Der Englische Garten bietet ihr den richtigen Platz – zumindest für den Sommer. Was würde sie im Winter tun? Frank hat sich schon oft diese Frage gestellt. Er hat immer gemeint, die Antwort würde er schon erfahren, der Winter stehe direkt bevor. Er hat sie eines Tages angesprochen, es ist noch gar nicht so lange her, erst vor ein paar Monaten, im Sommer. Es ließ ihn nicht mehr los, er begegnete ihr fast täglich, immer kreuzten sich ihre Wege, und fast täglich drängte es ihn, den Mund aufzutun, sie anzuhalten, nur um zu erfahren, was es denn sein könnte, was ihn an dieser Unbekannten so interessierte, was denn dran wäre, wenn man Interesse an einem völlig fremden Menschen hegte. Und weil er meinte, dass man meist nur die Dinge bereut, die man nicht getan hat, und fast nie die, denen man nachgegangen ist, tat er es dann eines Tages. Marianna stolperte gerade etwas unbeholfen über seinen Weg. Frank K. stammelte herum. Es entwickelte sich ein kleines Gespräch, es entwickelte sich im Laufe von Wochen eine kleine Freundschaft, eine herzliche, aber keineswegs sonderlich tiefe Freundschaft. Irgendwie hatte es etwas von kollegial. Der Kerl am Nebentisch im Büro – nett ist er schon, man kann auch mal einen trinken gehen, was weiter ist, weiß man nicht, und eigentlich muss man auch zugeben, dass es einen dann auch nicht so sehr interessieren würde. Als sich K. umdreht, erblickt er Marianna. Sie trägt eine alte und abgetragene Hose, die immer gleichen Schuhe und den dicken Anorak, der offenbar schon mal von jemand anderem abgelegt worden ist. „Ja, wir sind fast allein, kein Mensch will bei dieser Kälte vor die Tür, wir halt, na ja, wir schon.“ „Gehen...



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