Kastner 1918 – Geheimakte Romanow
Erstausgabe als E-Book
ISBN: 978-3-95751-094-5
Verlag: hockebooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die ganze Trilogie
E-Book, Deutsch, 390 Seiten
ISBN: 978-3-95751-094-5
Verlag: hockebooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Berlin in den frühen 1920er Jahren: Eine offenbar verwirrte junge Frau wird vom Exilrussen Tarnawski in einen Unfall verwickelt. Sie trägt ein Medaillon, das einst der Zarentochter Anastasia gehörte, hat keine Papiere bei sich und stammelt nur unzusammenhängende Satzbrocken – auf Russisch. Wer ist diese Frau? Ist sie wirklich die Zarentochter oder nur eine Hochstaplerin?
Zwei Jahre zuvor erhält der Luftschiffkapitän Rochus Dorn den Auftrag, die russische Zarenfamilie aus der Gefangenschaft der Roten Armee zu befreien. In geheimer Mission begibt er sich mit dem Luftschiff »Adler« auf ein gefährliches Abenteuer, das zu einem dramatischen Kampf um Leben und Tod wird.
Jörg Kastners Trilogie »1918 – Geheimakte Romanow« ist erstmals als Sammelband erhältlich.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Wieder einmal für Corinna,
wieder einmal mit Dank,
diesmal für besonders viel Geduld. Ach, lieber Onkel Zeppelin,
Ach, lass dich doch erbitten,
Komm über unsre Gegend hin
Mal durch die Luft geglitten!
So recht mit surrendem Gebraus
Und mit Propellerkrachen!
Du solltest über unserm Haus
Mal eine Schleife machen! Aus einem Kinderlied,
abgedruckt im »Berliner Lokalanzeiger« (1909) Wie man den Krieg führt, das weiß jedermann, wie man den Frieden führt, das weiß kein Mensch. Ihr habt stehende Heere für den Krieg, die jährlich viele Milliarden kosten. Wo habt Ihr Eure stehenden Heere für den Frieden, die keinen einzigen Para kosten, sondern Milliarden erbringen würden? Wo sind Eure Friedensfestungen, Eure Friedensmarschälle, Eure Friedensstrategen, Eure Friedensoffiziere? Aus Karl May,
»Ardistan und Dschinnistan Band 1« (1907) Prolog
Berlin, im Dezember 1922 Andrej Tarnawski musste gegen die Müdigkeit kämpfen, so gleichmäßig floss der Strom aus Automobilen und Omnibussen über die Leipziger Straße. Kein einziges rotes Haltezeichen weit und breit. Der Verkehr rollte mit einheitlicher Geschwindigkeit dahin und jeder Fahrer hielt brav das vorgegebene Tempo ein. Mit deutscher Gründlichkeit, konnte man sagen. Tarnawskis ermatteter Geist wurde von einem kleinen, privaten Heiterkeitsausbruch belebt. Er musste über die Deutschen lächeln und gleichzeitig konnte er nicht anders, als sie zu bewundern. Warum sonst hätte er seine neue Existenz ausgerechnet in Berlin aufgebaut und nicht in London oder Paris? Vor vier Jahren erst hatte Deutschland den Großen Krieg verloren, den Weltkrieg. Ein Reich war in die Knie gegangen und der einst so stolze Kaiser Wilhelm II. lebte jetzt zurückgezogen auf einem Schloss in Holland, wo er angeblich privaten wissenschaftlichen Forschungen nachging. Aber Deutschland war nicht tot, es lebte, und sein Herz, Berlin, pochte wie wild. Die Einwohnerzahl der Hauptstadt schritt zügig auf die Vier-Millionen-Marke zu, große Ausstellungen lockten Besucher aus aller Welt an, fast wöchentlich öffneten neue Revuetheater und Vergnügungsparks ihre Tore, und der Automobilverkehr war derart angewachsen, dass der Straßenbau Hochkonjunktur hatte. Manchmal erschienen die Deutschen ihm als ein Volk von Ameisen, emsig bestrebt, ihre Arbeitsmethoden noch effektiver zu gestalten und bessere Straßen zu bauen, um schneller zu Arbeit zu gelangen. Selbst die Theater und Vergnügungsstätten schienen in Deutschland nur dem Zweck zu dienen, die Arbeitskraft der menschlichen Ameisen zu erhalten. Doch eins musste man den Deutschen lassen: Sie hatten sich nach dem verlorenen Krieg und den Revolutionswirren schnell wieder aufgerappelt! Tarnawski war letztlich auch nur eine dieser Ameisen. Eine reichlich müde Ameise, die am letzten Abend zu lange bei Fürst Nikulin gewesen war, zu viele Trinksprüche ausgebracht und zu viel Champagner getrunken hatte. Er merkte, wie seine Aufmerksamkeit nachließ und dass es ihm im öden Gleichfluss des Straßenverkehrs zunehmend schwerer fiel, das Lenkrad des Citroën C gerade zu halten. Vielleicht lag es an seiner Müdigkeit, dass er die Frau zu spät sah. Wie ein Geist tauchte sie plötzlich vor seiner Motorhaube auf und starrte ihn an. War sie genauso erschrocken wie er, oder warum traf sie keine Anstalten, sich durch einen Sprung von der Fahrbahn in Sicherheit zu bringen? Von einem Augenblick zum anderen war Tarnawski hellwach und bremste, aber er wusste, dass es zu spät war. Als sein Wagen zum Stehen kam, war die Frau so unwirklich schnell verschwunden, wie sie eben aufgetaucht war. Als hätte es sie nie gegeben. Aber der kaum merkliche Aufprall, den er beim Anhalten gespürt hatte, zeigte ihm, dass die Frau kein Trugbild seines übernächtigten Geistes gewesen war. Tarnawski sprang auf die Straße und achtete nicht auf den wuchtigen Pritschenwagen, der mit wütendem Gehupe nur einen Fingerbreit hinter dem Citroën anhielt. Tarnawski lief nach vorn, wo sich erste Neugierige einfanden. Wie gebannt starrten sie auf die Frau in dem schäbigen Mantel, die vor Tarnawskis Wagen lag. Er war der Einzige, der sich zu ihr niederbeugte, nach ihrem Puls- und Herzschlag fühlte. »Was ist denn?«, rief eine korpulente Frau neben ihm. »Ist sie tot?« »Zum Glück nicht«, antwortete Tarnawski. »Ich glaube, der Aufprall war nicht sehr stark. Sie scheint mehr vom Schreck ohnmächtig zu sein.« »Man muss einen Krankenwagen rufen«, schlug ein Mann in schmutziger Arbeiterkleidung vor. »Nicht nötig«, erwiderte Tarnawski. »Gleich um die Ecke wohnt ein guter Arzt, ein Freund von mir. Ich wollte gerade zu ihm. Mir müsste nur jemand helfen, die Frau in den Wagen zu setzen.« »Mach ich doch«, sagte der Mann in der Arbeiterkleidung und stapfte durch den Schneematsch auf die Straße. Die Frau war ungewöhnlich leicht. Tarnawski, der groß und von kräftiger Statur war, hätte der Hilfe des Fabrikarbeiters vielleicht gar nicht bedurft. Aber so ging es schneller und nach zwei Minuten setzte Tarnawski die unterbrochene Fahrt fort. Mit ihm setzte sich auch die endlose Blechschlange in Bewegung, die sich hinter dem Citroën gebildet hatte. Tarnawski parkte auf dem Hinterhof des großen dunklen Hauses, in dessen zweitem Stockwerk Iossif Nasarew wohnte und praktizierte. Vielleicht war Nasarew derjenige von all den vielen Exilrussen, die es seit dem Sturz der Romanows nach Berlin verschlagen hatte, für den sich am wenigsten geändert hatte. Nasarew hatte in Petersburg – oder Petrograd, wie es seit dem Krieg hieß – eine florierende Praxis geführt, deren Patientenstamm sich vornehmlich aus Aristokraten und Großkaufleuten zusammengesetzt hatte. Und genauso war es für Nasarew in Berlin weitergegangen. Ein paar seiner Patienten, die er aus Petersburg mitgebracht hatte, waren inzwischen allerdings weit weniger betucht. Aber Nasarew verdiente genug, um ihnen einen »unbegrenzten Kredit« zu gewähren, wie Nasarew es höflich nannte. Natürlich wusste er, dass die verarmten Adligen wohl niemals genügend Geld aufbringen würden, um ihn zu bezahlen. Aber sie waren eine verschworene Gemeinschaft und träumten unverdrossen vom Wiedererstarken der Monarchie, von einem neuen Zaren, der die alte Ordnung wiederherstellte und den entrechteten und enteigneten Exilanten wieder zu Einfluss und Geld verhalf. Andrej Tarnawski hatte beschlossen, sich nicht auf Wunschträume zu verlassen, und seinen alten Beruf als Großmaschinenhändler wieder aufgenommen. Industrie und Technik machten rasende Fortschritte und Tarnawski hatte es innerhalb weniger Jahre dank der starken Nachfrage nach Motoren zu neuem Wohlstand gebracht. Die Frau hing reglos und mit geschlossenen Augen auf dem Beifahrersitz. Der Kopf war zur Seite gerutscht und ihm fiel ihr bleiches, ausgemergeltes Gesicht auf. Tiefe Ringe hatten sich unter den Augen eingegraben. Eine Strähne des ungepflegten, fettigen Haares fiel in ihr Gesicht und verdeckte, wie ein gescheiterter Gnadenakt, einen Teil davon. Vergebens versuchte Tarnawski ihr Alter zu erraten. Offenbar hatte sie es im Leben nicht gerade leicht gehabt. Sie mochte Anfang zwanzig sein oder gut und gern fünfzehn Jahre älter. Er konnte es einfach nicht sagen. Sie war wirklich leicht und er trug sie auf den Armen wie ein Kind. Eine ältere Dame mit viel zu großem und viel zu buntem Hut kam ihm im Treppenhaus entgegen und starrte ihn an, als sei er Jack the Ripper. Tarnawski kümmerte sich nicht um sie, sondern steuerte den separaten Zugang zu Nasarews Praxis an. Am Empfang saß die hübsche, blonde Tamara und wollte gerade eine freundliche Begrüßung flöten, da fiel ihr Blick auf die bewusstlose Frau. »Ein Verkehrsunfall«, erklärte Tarnawski, bevor sie auch nur zu einer Frage ansetzen konnte. »Bitten Sie Dr. Nasarew, dass er sich sofort um die Frau kümmert!« Tamara sprang auf, eilte in den angrenzenden Raum und drei Minuten später lag die Bewusstlose auf einem Behandlungstisch. Tarnawski ging vor der Tür auf und ab und merkte irgendwann, dass seine Handflächen feucht waren. Er hatte keine äußeren Verletzungen erkennen können. Aber was, wenn die Frau schwere innere Verletzungen hatte, wenn sie starb? Verloren Kinder ihre Mutter, ein Mann seine Frau? Er konnte sich die Unbekannte nicht so recht als Ehefrau und Mutter vorstellen. Er konnte es nicht begründen, aber sie wirkte nicht wie ein Mensch, der sich um andere zu kümmern hatte oder um den andere sich kümmerten. Sie hatte etwas Einsames an sich, etwas Verlorenes. Nasarew trat unerwartet aus der Tür und schüttelte traurig den Kopf. »Ist sie …«, fragte Tarnawski zögernd, ohne das fatale Wort auszusprechen. »Nein.« »Schwer verletzt?« »Kann man nicht sagen. Du kannst sie mit dem Wagen nur leicht angeschubst haben, Andrej, sie hat kaum blaue Flecke.« »Aber dann verstehe ich nicht, dass sie zusammengeklappt ist. Was hat sie?« »Hunger.« »Wie?«, fragte Tarnawski ungläubig. »Die Frau wäre wahrscheinlich auch ohne deine automobilistische Mitwirkung zusammengebrochen. Ich vermute, sie war so schwach, dass sie sich nicht mehr halten konnte und dir vor deinen flotten Citroën gewankt ist. Kein Wunder, sie hat keinen einzigen Pfennig in der Tasche, übrigens auch keine Papiere.« »Ist sie bei Bewusstsein?« »Wie man’s nimmt.« Tarnawski seufzte. »Ich glaube, alle Quacksalber lernen im ersten Semester, sich möglichst unklar auszudrücken. Ist das euer Berufsgeheimnis?« »Sie spricht, aber sie sagt nichts...




