E-Book, Deutsch, 252 Seiten
Reihe: Die Bibel erklärt
Keller Richter
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98665-122-0
Verlag: Verbum Medien gGmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fragwürdige Helden und der wahre Held
E-Book, Deutsch, 252 Seiten
Reihe: Die Bibel erklärt
ISBN: 978-3-98665-122-0
Verlag: Verbum Medien gGmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Buch der Richter im Alten Testament steckt voller Gewalt und bietet Bibellesern keinen einfachen Zugang. Deshalb lassen wir es in unserem Bibelstudium gern außen vor.
In diesem Kommentar der Reihe »Die Bibel erklärt« hilft Timothy Keller uns, die Bedeutung der Erzählungen über die fragwürdigen Helden zu verstehen. Er zeigt, wie das wiederholte Versagen der Richter uns auf den wahren Helden Jesus hinweist und wie das unser Herz und unser Leben verändern kann.
Neben dem Kommentar ist ein Arbeitsheft für Gruppen und Leiter erhältlich, um das Buch in einer Kleingruppe zu studieren.
Timothy Keller war Gründer der Redeemer Presbyterian Church in Manhattan, Vorsitzender des Redeemer City to City-Netzwerkes und Gründer von The Gospel Coalition. Er hat zahlreiche Bücher geschrieben. Er und seine Frau Kathy haben drei Kinder.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
EINLEITUNG
»Wer oder was uns beherrscht, ist unser Herr … Wer auf Anerkennung seiner Mitmenschen aus ist, hängt sein Herz an seine Mitmenschen. Menschen werden auf diese Weise zu Göttern gemacht, besser gesagt: zu Götzen. Wer auf Macht versessen ist, macht die Macht zu seinem Gott. Wenn wir Jesus die Herrschaft übergeben, obliegt ihm die Befehlsgewalt.« (Rebecca Pippert, Heraus aus dem Salzfaß, S. 40–41) Wir sind in unserem Alltag von einer Vielzahl von Göttern umgeben. Diese Feststellung bezieht sich nicht nur auf die Götter anderer (offizieller) Religionen, sondern auch auf solche wie Reichtum, Berühmtheit, Spaß, Ideologie und Erfolg. Unsere Zeit lässt sich gut mit dem Satz beschreiben, der auch das Buch Richter zusammenfasst: »Jeder tat, was recht war in seinen Augen« (Ri 21,25 SLT). Obwohl zwischen damals und heute mehr als drei Jahrtausende liegen, gibt es viele Parallelen zwischen dem Buch Richter und uns. In ihm wird berichtet, wie es mit Gottes Volk Israel nach dem Tod Moses und Josuas weiterging, ehe die ersten Könige eingesetzt wurden. Wir bekommen Einblick in jene Zeit um 1200 v. Chr., die von spirituellem Pluralismus geprägt war. Gott hatte seinem Volk verheißen, ihm das Land Kanaan zu geben; nun lebte es dort inmitten anderer Völker. Die Gesellschaft des Landes war somit eine Mischung aus gläubigen und heidnischen Menschen. Gottes Volk stand täglich vor der Wahl, ob es Gott als seinem Herrn folgen wollte oder den Vorlieben des Zeitgeists. Im Großen und Ganzen lesen wir eine Geschichte des Scheiterns: Israel wandte sich ständig von Gott ab – statt Gott zu erkennen, zu lieben und ihm zu gehorchen, tat jeder, »was recht war in seinen Augen«. Entsprechend ließe sich das Buch Richter auch mit »Die unrühmlichen Taten abstoßender Typen« überschreiben – es klingt wie ein Schundroman über zerrüttete Persönlichkeiten. Selbst die »Helden«, die Richter, werden im Laufe des Berichts immer unwürdiger, sie versagen zunehmend. Sie tun schreckliche Dinge. Die Rettung, die sie bringen, wird mit der Zeit immer kleiner. Richter erzählt uns eine trostlose Geschichte – und sie ist wahr. Dem Leser drängt sich wieder und wieder die Frage auf: Warum um alles in der Welt steht das in der Bibel?! Die Antwort darauf ist wichtig: wegen des Evangeliums. Das Buch Richter zeigt uns, dass die Bibel kein Buch der »Werte«, keine Sammlung von inspirierenden Geschichten ist. Warum? Weil es in der Bibel (im Gegensatz zu den Büchern anderer Religionen) nicht um einen Moralkodex geht, den wir umsetzen sollen. Ihr Thema ist der barmherzige und langmütige Gott, der fortwährend in und durch uns wirkt – trotz unseres ständigen Widerstands gegen seine Ziele. Letztlich gibt es nur einen Helden in diesem Buch, und das ist Gott. Das Volk bringt sich durch seine Sünde immer wieder in große Schwierigkeiten. Obwohl es keineswegs eine Rettung verdient hat, greift Gott ein, um sein Volk durch diesen Schlamassel hindurch- und aus ihm herauszuführen. Das Richterbuch wird in unseren Köpfen und Herzen lebendig, es spricht in unser heutiges Leben, wenn wir es als historische Nacherzählung dieses Geschehens lesen. Richter ist keine leichte Lektüre, aber für uns, die wir heute leben, eine sehr wichtige. Welche zentralen Aussagen – oder anders gesagt: welche Wahrheiten über Gott – möchte der Verfasser uns für unser Leben vermitteln? Einleitend seien hier sechs Punkte genannt, nach denen wir im Buch Ausschau halten werden: 1. Gott bietet seine Gnade unaufhörlich solchen Menschen an, die sie weder verdienen noch nach ihr suchen – und die sie nicht einmal wertschätzen, nachdem sie durch sie gerettet wurden. Das Richterbuch will uns keine Reihe von guten Vorbildern vor Augen malen. Zwar begegnen uns zu Beginn des Buches ein paar vorbildliche Personen (wie Otniël und Debora), sie sind im Erzählstrang aber nicht dominant. Alles läuft darauf hinaus, dass der einzig wahre Retter der Herr ist. In Richter geht es letztlich um überfließende Gnade für krasse Sünder. Gottes Gnade triumphiert auch über die törichtesten Handlungen. 2. Gott will über jeden Bereich unseres Lebens Herr sein, nicht nur über einen Teil. Nach Gottes Willen sollte Israel das ganze Land Kanaan einnehmen. Stattdessen eroberten sie nur einige Gegenden und lernten, mit den Götzen in ihrer Mitte zu leben. Mit anderen Worten: Weder lehnten sie Gott ganz ab, noch nahmen sie ihn ganz an. Diese halbherzige, von Kompromissen durchdrungene Nachfolge wird im gesamten Buch Richter als ein Ding der Unmöglichkeit dargestellt – weiteres Abrutschen ist vorprogrammiert. Gott will unser ganzes Leben, nicht nur einige Bereiche. 3. Es besteht eine Spannung zwischen Gnade und Gesetz, zwischen Bedingung und Bedingungslosigkeit. Im Richterbuch begegnet uns ein scheinbarer Widerspruch. Einerseits verlangt Gott Gehorsam, weil er heilig ist. Andererseits sagt er dem Volk seine Treue und Loyalität zu. Haben nun seine Heiligkeit und seine als Bedingung formulierten Gebote (»Tut xy, dann werde ich yz tun«) Vorrang vor den Verheißungen (»Ich werde immer mit euch sein, ganz gleich, was ihr tut«), sodass sie die Verheißungen effektiv außer Kraft setzen? Oder spielen die Gebote angesichts der Verheißungen keine Rolle mehr? Anders ausgedrückt: Sind Gottes Verheißungen an Bedingungen geknüpft oder bedingungslos? Das Richterbuch ist hier essentiell, denn es zeigt uns: Keine der beiden Antworten ist richtig. Fast alle Leser des Alten Testaments nehmen entweder einen »offeneren« Standpunkt ein (»Natürlich wird Gott uns immer segnen, solange uns unsere Fehltritte hinterher leidtun«) oder einen »engeren« Standpunkt (»Nein, Gott wird uns nur segnen, wenn wir gehorsam sind«). Richter lässt uns in der Spannung, dass beides wahr ist, aber keines von beidem die ganze Wahrheit abdeckt. Die Spannung wird dort auch nicht aufgehoben, sondern sie treibt die Erzählung voran. Erst im Neuen Testament wird uns das Evangelium zeigen, wie beides zugleich wahr sein kann – und wahr ist. 4. Wir benötigen kontinuierliche geistliche Erneuerung, solange wir hier auf der Erde leben, und wir müssen wissen, was wir tun können, damit sie in unserem Leben geschieht. Richter zeigt, dass geistlicher Rückschritt unvermeidlich ist und wir daher ständig geistliche Erneuerung nötig haben. Wir werden einen regelmäßig wiederkehrenden Kreislauf von Niedergang und Erweckung sehen. Zu den Bestandteilen der Erneuerung gehören Buße, Gebet, das Niederreißen von Götzen und berufene menschliche Führungspersönlichkeiten. Erneuerung geschieht, wenn wir dem richtigen Herrn bzw. Herrscher unterstellt sind. Sklaverei entsteht, wenn wir dem falschen Herrn bzw. Herrscher unterstellt sind. Um Erneuerung und Erweckung verstehen zu lernen, gibt es im Alten Testament kein besseres Buch als Richter – genauso, wie es im Neuen Testament dafür keinen besseren Ort als die Apostelgeschichte gibt. Beachten wir jedoch, wie die Erweckungszyklen im Richterbuch mit der Zeit immer schwächer werden, während sie sich in der Apostelgeschichte ausweiten und verstärken. 5. Wir brauchen einen wahren Retter – darauf weisen alle menschlichen Retter sowohl durch ihre Schwächen als auch durch ihre Stärken hin. Wie bereits unter 1. erwähnt, zeigt das wachsende Ausmaß an Bösem und Zerbrochenheit im Richterbuch, dass wir einen Retter brauchen und nicht nur gute Vorbilder. Doch die nachlassende Wirksamkeit der Erweckungszyklen und die abnehmende Qualität der Richter führen uns die Fehlbarkeit aller menschlichen Retter vor Augen. Die Richter beginnen, uns auf jemanden hinzuweisen, der sie alle überragt. An Otniël lernen wir, dass Gott durch sein vereintes Volk retten kann, an Debora, dass er durch viele retten kann, an Gideon, dass er durch wenige retten kann, und an Simson, dass ihm sogar ein Einzelner genügt. Gott wird retten, indem er den Einen sendet. 6. Gott hat die Fäden in der Hand – ob es in der konkreten Situation danach aussieht oder nicht. Dieses allgegenwärtige Thema übersieht man vielleicht am leichtesten. In den Ereignissen des Richterbuches scheint Gott oftmals abwesend zu sein – aber er ist es zu keiner Zeit. Er führt seinen Willen durch schwache Menschen aus und trotz schwacher Menschen. Seine Ziele werden niemals vereitelt oder ausgebremst, selbst wenn es auf den ersten Blick so scheint. Die Mühlen Gottes mögen langsam mahlen, doch sie mahlen außerordentlich gründlich. Natürlich kann sich ein Kommentar dieser Länge nicht erschöpfend mit jedem Vers eines Buches wie Richter beschäftigen. Ich nehme Bezug auf verschiedene Auslegungen von einigen besonders seltsamen, kniffligen oder umstrittenen Abschnitten. Zu den größten Problemen, die moderne Leser mit dem Alten Testament haben – und dort besonders mit Richter (und Josua) –, gehört Gottes Befehl an Israel, die Kanaaniter aus ihrer Heimat zu »vertreiben«. Da dies ein sehr schwieriges Thema ist und obendrein dem ganzen Buch Richter zugrunde liegt, gehe ich im Anhang etwas näher darauf ein (ab S. 239). Ich werde mich von Zeit zu Zeit auf die Struktur des Richterbuches und seiner einzelnen Episoden beziehen. Der Anhang (S. 236–237) bietet dazu Überblicksdarstellungen, in denen sich auf einen Blick die Gesamtstruktur erkennen lässt, wer die verschiedenen Richter waren und welche Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen ihnen bestehen. Vor allem habe ich aber versucht, die Erzählung für sich sprechen zu...