Buch, Deutsch, Band 14, 285 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 214 mm, Gewicht: 369 g
Reihe: Normative Orders
Buch, Deutsch, Band 14, 285 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 214 mm, Gewicht: 369 g
Reihe: Normative Orders
ISBN: 978-3-593-50291-5
Verlag: Campus
Anhand exemplarischer Filme verschiedener Genres – vom Western über den Polizei- und Kriegsfilm bis hin zum Animationsfilm – untersucht der Band, wie die Verzahnung von Recht, Gesetz und Gewalt im Kino dramatisiert wird.
Mit Beiträgen von Thomas Assheuer,
James Conant, Günter Frankenberg, Lisa Gotto, Julika Griem, Klaus Günther, Vinzenz Hediger, Konrad Paul Liessmann, Verena Lueken, Anja Peltzer, Rainer Winter, Hans-Jürgen Wulff sowie den Herausgebern.
Autoren/Hrsg.
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Inhalt
Einleitung 7
Angela Keppler, Judith-Frederike Popp, Martin Seel
Ein Duell in der Grauzone von Gesetz und Gewalt: Über Heat 19
Martin Seel
Licence to Kill: Zur Fantasie der gerechtfertigten Gewalt in den Filmen der Rambo-Serie 29
Vinzenz Hediger
Die Ästhetik des ungesühnten Verbrechens: Zu Crimes and Misdemeanors 52
Klaus Günther
Dirty Harry - Gewalt als Gesetz 71
Günter Frankenberg
Gewalt, Gesetz, Gilda: Kinematographische Ordnungen und Operationen 81
Lisa Gotto
Zirkel der Gewalt: Pulp Fiction 98
Thomas Assheuer
Vom Krieg gezeichnet: Die letzten Glühwürmchen 119
Judith-Frederike Popp
Wenn Gewalt Geschichte wird: Zum Verhältnis von Gesetz und Gewalt in True Grit 138
Anja Peltzer
Let's go! Gewalt, Gesetz und Erlösung in The Wild Bunch 156
Rainer Winter
Unter fremdem Gesetz … Die Figur des Widerständlers im Résistance-Film 176
Hans J. Wulff
Kälte, Schweigen, Geld: Wenn das Gesetz zur Gewalt wird - am Beispiel von Il grande silenzio (Leichen pflastern seinen Weg) 191
Konrad Paul Liessmann
Babes Behind Bars: Zum Fraruengefängnisfilm Caged 203
Verena Lueken
Anonyme Bilder verdeckter Gewalt: Über Caché 216
Martin Seel
Die Pathologien des Ausnahme-Rechts: Über Zero Dark Thirty 228
Klaus Günther
Eine Travestie der Gewaltverhältnisse innerhalb und außerhalb des Kinos: Über Viva Maria! 249
Angela Keppler
Die Unsichtbarkeit einer perfekten Regie: Über Psycho 258
James Conant
Autoren 281
Einleitung
Angela Keppler, Judith-Frederike Popp, Martin Seel
Dieses Buch ist einer Phänomenologie der Spannung von Gesetz und Gewalt gewidmet, wie sie fast seit Beginn des Kinozeitalters in zahllosen Spielfilmen vorgeführt wird. In einer Interpretation exemplarischer Filme verschiedener Genres und Epochen untersuchen die vorliegenden Beiträge, wie Filme die Verzahnung von Recht, Gesetz und Gewalt im Kino dramatisieren - und welches Licht diese Inszenierungen auf idealisierende Prämissen und Prinzipien in traditionellen und aktuellen Theorien des Rechts und der Politik werfen. Diese ästhetische Reflexionsleistung des Kinos wird aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven fruchtbar gemacht für einen nicht-illusionären Blick auf normative Ordnungen und ihren dialektischen Zusammenhang mit der Gewalt, die sie oft vergeblich zu bändigen versuchen. In dieser Einleitung stellen wir leitende Aspekte vor, die für eine Analyse der Intimität von Gesetz und Gewalt im Kino maßgeblich sind.
1 Gesetz und Gewalt
Das heikle Verhältnis von Gesetz und Gewalt ist seit jeher ein zentrales Motiv in den Künsten. Die antike Tragödie hat es vielfach verhandelt und es ist in der Dramatik Shakespeares, Büchners, Brechts, bei Peter Weiss und Heiner Müller unvermindert virulent geblieben. In der Literatur haben Autoren wie Kleist, Dostojewski und Kafka einen scharfen Blick auf die Gewalt des Rechts und die Paradoxien seiner Durchsetzung gerichtet. Die Frage nach dem Verhältnis von außergesetzlicher und moralisch wie rechtlich sanktionierter Gewalt hat im Gorgias und in der Politeia schon Platon umgetrieben, und sie hat der politischen Philosophie seither - bei Hobbes, Hegel, Benjamin, Foucault, Habermas, Derrida und vielen anderen - keine Ruhe gelassen.
Eine Grundfunktion allen Rechts ist die Sicherung des inneren und äußeren Friedens. Aus dem Anspruch auf Erfüllung dieser Funktion beziehen seine gesetzlichen Regelungen und die Forderung ihrer Durchsetzung seit jeher ihre Rechtfertigung, gleichgültig, welche Auffassung von Gerechtigkeit ihnen zugrunde liegt und in welchem Maß der Inhalt des Rechts eher mit egalitären oder autoritären Prinzipien verbunden ist. Erst in einem modernen Verständnis ist es der gleiche Schutz und die gleiche Freiheit aller Mitglieder einer Rechtsgemeinschaft, die - zumindest der Idee nach - durch die Kraft der Gesetze gesichert werden sollen. Das Recht, so verstanden, verpflichtet alle, die ihm unterliegen, auf die Respektierung grundlegender Rechte, die allen Menschen gleichermaßen zukommen. Gleichzeitig aber bleiben Recht und Gesetz auch und gerade in demokratischen Gesellschaften in ihrem Bestand auf die Möglichkeit ihrer zwangsweisen und damit potenziell gewaltsamen Durchsetzung angewiesen. Die Affinität von Recht, Gesetz und Gewalt wird zugleich für diese Gesellschaften auf eine besondere Weise zu einem Problem, das in ihnen fortwährend behandelt werden muss, ohne dass es beseitigt werden könnte.
Dass dies kaum anders sein kann, geht schon aus der lakonischen Definition des Rechts hervor, die Immanuel Kant in seiner Metaphysik der Sitten gegeben hat: "Das Recht ist […] der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann." Kant lässt keinen Zweifel daran, dass die gegenseitige und allgemeine Einschränkung des Handlungsspielraums aller Betroffenen, gerade wenn sie im Namen ihrer Freiheit vorgenommen wird, innerhalb einer verbindlichen Rechtsordnung ohne zugehörigen Zwang weder gedacht noch realisiert werden kann. "Man kann den Begriff des Rechts in der Möglichkeit der Verknüpfung des allgemeinen wechselseitigen Zwanges mit jedermanns Freiheit unmittelbar setzen. […] Recht und Befugnis zu zwingen bedeutet also einerlei."
Dieser konstitutive Zusammenhang von Recht, Gesetz und Gewalt hat in Geschichte und Gegenwart höchst unterschiedliche, eher mit versöhnlichem oder unversöhnlichem Pathos formulierte Auslegungen gefunden. Eine vergleichsweise dramatische, in der Konsequenz fatalistische, jedenfalls auf einer unausweichlichen "Paradoxie" des Rechts bestehende Deutung findet sich jüngst in Christoph Menkes Abhandlung Recht und Gewalt. Dort heißt es pointiert:
"Jeder Versuch, das Verhältnis von Recht und Gewalt zu verstehen muss von zwei Feststellungen ausgehen, die zueinander in Spannung, wenn nicht im Widerspruch stehen. Die erste Feststellung besagt: Das Recht ist das Gegenteil der Gewalt; rechtliche Formen des Entscheidens werden eingeführt, um die endlose Folge von Gewalt und Gegengewalt und Gegengegengewalt zu unterbrechen, den Bann des Antwortenmüssens auf Gewalt mit neuer Gewalt zu lösen. Die zweite Feststellung besagt: Das Recht ist selbst Gewalt; auch rechtliche Entscheidungen üben Gewalt aus - äußere Gewalt, die am Körper angreift, ebenso wie innere Gewalt, die die Seele, das Sein des Verurteilten versehrt."
In der vom Autor an dieser Stelle noch offen gelassenen Differenz zwischen einer "Spannung" und einem "Widerspruch" zwischen den beiden paradigmatischen Reaktionen auf die Stellung von Recht und Gewalt liegt eine Grundspannung ihrer theoretischen Erörterung. Dass Recht und Gewalt nicht zu trennen sind, dürfte, wenn man Kants Hinweisen folgt, kaum zu bestreiten sein; ob beide aber - notwendigerweise - in einem antagonistischen Verhältnis zueinander stehen, bleibt eine rechtsphilosophisch offene Frage. Menke stellt sie mit einer Radikalität, die am Beginn seiner Darlegung bereits erkennen lässt, welche dieser Optionen ihm unausweichlich scheint.
"Das Problem von Recht und Gewalt ist das Problem des Verhältnisses dieser beiden Feststellungen: der Legitimation des Rechts als Gewaltüberwindung und der Kritik des Rechts als Gewaltanwendung. Beide Feststellungen stehen im Gegensatz zueinander, aber keine kann bestritten werden; beide sind wahr. Die Wahrheit beider Feststellungen einzusehen ist die erste Anforderung, um dem Verhältnis von Recht und Gewalt gerecht zu werden."
2 Gesetz und Gewalt im Kino
Im Rahmen dieser Einleitung kommt es nicht darauf an, den theoretischen Disput über das Verhältnis von Recht, Gesetz und Gewalt zu entscheiden. Die voranstehende Skizze hat vielmehr allein den Sinn, an die unübersichtliche Problemlandschaft zu erinnern, deren Tektonik der Film auf seinen eigenen Wegen erkundet. Schließlich ist die Darstellung von Gewalt seit jeher ein zentrales Motiv des Kinos. In unterschiedlichen Genres nimmt diese höchst unterschiedliche Funktionen ein. Einen wichtigen Strang aber bildet in den Erzählungen des Kinos immer wieder die Frage nach dem Recht der Gewalt und der Gewalt des Rechts. Viele Spielfilme, die von Akten, Ereignissen und Zuständen offener oder latenter Gewalt erzählen, stellen durch die Art ihrer Erzählung die Frage nach der Legitimität der sozialen Ordnungen, in denen Gewalt entsteht und vergeht. Auch sie handeln von der Kontamination von Gesetz und Gewalt - jedoch nicht im Medium begrifflicher Allgemeinheit, sondern in Formen der audiovisuellen Präsentation individueller Konstellationen ihrer erlebten und erlittenen Verstrickung.
Zu den klassischen Filmgenres, in denen der Zusammenhang und Gegensatz von Gesetz und Gewalt in immer neuen Varianten durchgespielt wird, gehören der Western, der Film Noir, der Kriminalfilm und der Kriegsfilm, soweit dieser die Legitimität militärischer Operationen zum Thema macht. Rechtssetzende Gewalt wird dabei ebenso inszeniert wie Gewalt bei der Durchsetzung oder Anwendung von Recht und Gesetz. Ein weiteres zentrales Motiv ist die scheinbare oder tatsächliche Diffusion der Differenz von gesetzlicher und außergesetzlicher Gewalt im Innern rechtsstaatlich verfasster Gesellschaften. In allen diesen Beziehungen exponiert das Kino die Rolle des Gesetzes als eines instabilen, brüchigen oder nur vorgeblichen Schutzes vor sozialer Gewalt - und damit die Fragilität der normativen Ordnungen, die es jeweils repräsentiert. Filme imaginieren das Widerspiel von Gesetz und Gewalt aus mehrfachen Perspektiven: Sie erzählen ebenso von der Genese rechtlicher Zustände aus Erfahrungen von Gewalt und Unrecht sowie von den unterschiedlichen Formen der Gewalt, die mit der Einsetzung und Durchsetzung dieser Ordnungen verbunden sind. Sie präsentieren Innenansichten aus Lebenswelten, die von Akten oder Strukturen der Gewalt durchzogen sind. Die Art der filmischen Darbietung ist dabei häufig von einem Oszillieren zwischen Rechtfertigung und Infragestellung, Legitimation und De-Legitimation geprägt, das nicht eindeutig aufgelöst wird.
Wie ein Film die in ihm exponierten Gewaltverhältnisse zugleich entfaltet und bewertet, hängt wesentlich von den Verfahren seiner Inszenierung ab. Hier kommt - neben den historisch und kulturell variablen Normen der Zensur - ein weiterer Begriff des Gesetzes ins Spiel: derjenige der künstlerischen Formgesetze, denen ein Film unterliegt. Jeder Film verhält sich unvermeidlicherweise zu den jeweiligen Konventionen des oder der Genres, denen er angehört oder die er berührt - und damit zu den in der Zeit seiner Entstehung etablierten Regeln der Darstellung sowie zu den mit ihnen verbundenen Sehgewohnheiten des Publikums. Zu diesen Konventionen der Darstellung verhalten sich Spielfilme auch und gerade dann, wenn sie ihre Vorgaben variieren, unterlaufen, thematisieren oder offen mit ihnen brechen. Zumal dort, wo es um die Darstellung von Gewaltvorgängen und Gewaltverhältnissen geht, eröffnet dieser Umstand besondere Möglichkeiten der filmischen Komposition, von denen nicht wenige der in diesem Band behandelten Filme zeugen. Wo diese genutzt werden, manifestiert sich die Gewaltförmigkeit der in den betreffenden Filmen geschilderten Handlungen oder Situationen kraft der Gewalt, die diese Filme den bis dahin gängigen Gesetzen der künstlerischen Erzählung von Tun und Erleiden antun. Die Form der Gewalt, von denen die entsprechenden Filme handeln, gewinnt Gestalt in der Gewalt ihrer Form.
3 Gewalt und ihre filmische Präsentation
Diese metaphorische Gewalt einer künstlerischen Organisation jedoch, die zugleich eine Quelle ästhetischer Lust darstellt, ist durchaus anderer Art als jene Formen der Gewalt, unter denen Individuen und Kollektive in Geschichte und Gegenwart zu leiden haben. Gewalt in diesem buchstäblichen Sinn kann in einer ersten Annäherung im Anschluss an Heinrich Popitz als eine absichtliche - oder als Folge absichtlicher Handlungen entstandene - Verletzung der Integrität anderer verstanden werden. Will man dem Spektrum der im Kinofilm verhandelten Gewaltverhältnisse gerecht werden, darf der Begriff der Gewalt freilich nicht auf einen Angriff auf leibliche Unversehrtheit ihrer Opfer reduziert werden. Denn Gewalt als Verletzung oder Zerstörung der Grundbedingungen sozialer Subjektivität umfasst ebenso die Formen psychischer, struktureller und auch verbaler Gewalt mitsamt ihren vielfältigen Verbindungen mit direkter oder indirekter physischer Versehrung. Bei den Aktionen und Atmosphären der Gewalt, die im Kino zur Darstellung kommen, ist nur selten allein einer dieser Aspekte im Spiel, und oft sind sie es alle zugleich.
Gerade im Blick auf die Ubiquität medialer Gewaltdarstellung kommt ein weiterer hinzu. Um Gewalt als ein soziales Phänomen angemessen zu erfassen, darf nicht allein die Beziehung von Tätern und Opfern, sondern muss auch die Position aktueller oder potenzieller Zuschauer bei Gewaltvorgängen in den Blick genommen werden. Gewalt nämlich wird "als Gewalt nicht nur von Tätern intendiert und von Opfern empfunden, sondern darüber hinaus häufig von Zuschauern erfahren. Sowenig der Vorfall von Gewalt vom Dabeisein von Zuschauern abhängig ist, so bleibt er doch von Tätern und Opfern selbst dann häufig auf den Blick von Zuschauern bezogen, wenn gar keine Betrachter zugegen sind." Diese Beobachtung lässt sich verallgemeinern:
"In vielen Verhältnissen […] ist Gewalt ein dreistelliges Verhältnis. Gewalt wird ausgeübt, Gewalt wird erlitten, Gewalt wird betrachtet. In diesem Dreieck wird Gewalt von Tätern, Opfern und Zuschauern gemeinsam realisiert - wenn auch in sehr unterschiedlichen Bedeutungen von ›realisiert‹: zugefügt, schmerzlich empfunden, aus der Distanz betrachtet. Nicht selten bedingen diese Realisierungen einander, etwa dann, wenn Gewalthandlungen nur entstehen, weil die Akteure wissen, dass Zuschauer da sind, die ihre Rolle als Akteure wahrnehmen und bezeugen können."