Kettu | Forschungen einer Katze | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 391 Seiten

Kettu Forschungen einer Katze


1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-86337-229-3
Verlag: Weissbooks Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 391 Seiten

ISBN: 978-3-86337-229-3
Verlag: Weissbooks Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Lass die Katze kommen, lass sie meinen Roman übernehmen. Katzen wissen viel und kümmern sich wenig.« Als die Protagonistin, die »Schriftstellerin«, eine Fehlgeburt erleidet, verliert sie die Fähigkeit, zu sprechen und zu schreiben. Ihr wird ein Geistführer vom Amt für himmlische Forschung zur Hilfe geschickt. Doch etwas geht schief, und der Abgesandte findet sich im ländlichen Finnland des frühen 20. Jahrhunderts wieder ¬- im Körper einer Katze ... Katja Kettu ist mit einem so berauschenden wie erschütternden Roman zurück: Sie reist durch Zeit und Raum, durch die Geschichte der abgelegenen finnischen Grenzgebiete zu Sowjetrussland, und enthüllt die Geheimnisse, die im Herzen eines uralten und wilden Landes verborgen liegen. »Katja Kettus Roman ist wie ein Tornado, der einen mitreißt und voller Staunen zurücklässt über das, was man gerade erlebt hat.« Maaria Ylikangas, Helsingin Sanomat Newspaper

Katja Kettu, geboren 1978, stammt aus Rovaniemi in Lappland. Sie ist Schriftstellerin, Animationsregisseurin und Filmproduzentin. Ihr Debütroman »Surujenkerääjä« (2005) wurde für den Helsingin-Sanomat-Literaturpreis nominiert und gewann den Tiiliskivi-Preis. Der Durchbruch gelang ihr mit dem vielfach ausgezeichneten Roman »Wildauge«, der in Finnland über 160.000 verkauft und 2015 verfilmt wurde (»The Midwife«). Ihr letzter Roman »Die Unbezwingbare« war für den Finlandia Prize 2018 nominiert. Kettus Werke sind in 23 Sprachen übersetzt worden. Auf Deutsch erschienen ihre Romane: »Wildauge« (2014), »Feuerherz« (2017) und »Die Unbezwingbare« (2021).
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Prolog


Das Meer, in dem wir Fermentierte Seelen schwimmen, besteht aus einer Art Seinsdunst. Es ist schön, sich darin treiben zu lassen. Hier ist nichts richtig oder falsch herum, es gibt kein Oben und kein Unten, immer beobachtet uns das Auge Gottes, aber es ist unklar, von wo aus das geschieht. Ich bin Teil eines Weltgeistes, der sich außerhalb von mir fortsetzt, einer Art von Energie. Und doch existiere genau ich – denn ich habe ein Gedächtnis und ein Bewusstsein, und ich bin von der Erde hierhergekommen. Genauer gesagt, war ich dort schon oft, und aus einem bisher unbekannten Grund werde ich auch bald dorthin zurückkehren. Dort bekomme ich eine Aufgabe, die noch nicht feststeht oder manifestiert ist. In jedem Fall soll ich irgendeine Kette von Ereignissen zu Ende führen, denn so etwas tun wir, wir, die wir viele Namen haben und doch namenlos sind.

Ein Wort an mögliche irdische Leser: Falls euch diese Schilderung irritiert – es geht hier nicht um chaotisches Wortgeklingel oder ekstatische Zustände von emotionalem Tumult. Ich bin ein Geistführer, und zwar ein guter, eine gebildete und sympathische Person (wobei der Begriff »Person« es auf amüsante Weise nicht genau trifft, eher bin ich eine Art Ermittler oder Forscher, auch wenn meine Methoden variieren). Alles Wissen, das ich je gesammelt habe, ist im Archiv des Amtes für Forschung und Unterstützung der Lichten Lebensformen gespeichert. Nein, ich will euch nicht irreführen. Im Gegenteil, ich will die Wahrheit berichten. Und als Allererstes will ich erzählen, wie und wo alles begann.

Der Ort, wo ich mich das eine Mal befand, war eine Art Jenseits, nicht unbedingt die Hölle, aber erst recht nicht der Himmel. Ich konnte dort öfter Vögel mit ledernen Flügeln beobachten, aber sie flogen immer mit dem Bauch nach oben, und ich habe mir sagen lassen, dass sie zu jenen Kreaturen gehören, die auf dem Grund von Fjellseen überwintern oder jenseits des Himmels. Einmal habe ich hier einen Aufzug herauffahren sehen, wie das eine Mal in einem Hotel in Wien, mit Ziehharmonikagittern und wunderschön geschnitzten Eichenparavents dahinter, die sich lautlos öffneten, doch es war niemand darin. Ansonsten war es ruhig. Manchmal hörte man ein Singen oder Summen, nichts, was man mit menschengemachter Musik vergleichen könnte. Alles in allem fühlte es sich an wie in einem riesigen, glücklichen Schoß, das Gegenteil von Nichts und doch unerreichbar für jedes Bewusstsein. Wie ein Meer, aber nichts daran war nass oder matschig, und dieses Meer hatte keinen Anfang und auch keine Masse. Purzelte man einmal versehentlich ein wenig aus dem allumfassenden Leuchten heraus, hörte man ein leises Gedankenflüstern, denn die alten Seelen, die schon mehrmals gelebt hatten, träumten von dem, was ihnen früher einmal widerfahren war.

Mir kommt es seit Anbeginn der Zeiten zu, auf die Erde herabzusteigen, eine zuvor nicht definierte Gestalt anzunehmen und eine Aufgabe zu erfüllen, die sich mir allerdings erst eröffnet, wenn ich schon unterwegs bin und meine Form sich manifestiert hat. Ich könnte mich zum Beispiel in einer Liane verkörpern, die im Regenwald einen bestimmten Pilz an einem Baumstamm in schwindelnde Höhen befördert, damit er dort vor sich hin glitzern kann. Einmal bestand meine Aufgabe darin, den Gefühlen von Flussperlmuscheln zu lauschen, und ein anderes Mal habe ich auf einem schmerzerfüllten Acker gearbeitet, der nichts als Steine aus seinem Schoß hervorgepresst hat. Steine über Steine, statt Weizen. Ich habe diesem Acker zugehört und ihm gut zugeredet, und es hat geholfen. Diese Aufgaben habe ich bisher immer gut bewältigt. Aber dann wurde ich irgendwie befördert.

In den letzten paar Jahrtausenden hat sich das Amt auf Menschen spezialisiert. Wie ich gehört und in den Archiven nachgelesen habe, ist der eine oder die andere von uns mit richtig wichtigen Männern betraut gewesen. Heurekanische Schnauzbärte und Sextantenbenutzer, Himmelsvermesser, Fehlgeher, Vogelfreie, Exkommunizierte, die dennoch später immer begnadigt und mit Balsam eingerieben wurden und zu höchstem Ruhm gekommen sind.

Es gibt Bücher über Forschende wie mich, die sich grundlegend geirrt haben. Einer hat sich zum Beispiel über die Größe der Stadt Babylon gefreut und sich dann über ihren Zusammenbruch gewundert. Es gab einen, der vollkommen glaubwürdig voraussagte, die Labyrinthe des Minos auf Kreta könnten niemals von einer Riesenwelle getroffen werden. Ein anderer dachte, die Druiden, die zwischen den Steinsäulen von Stonehenge herumwandeln, seien die Antwort auf alle Fragen der Menschheit, wiederum ein anderer sah die Essenz des Menschseins im Volk der drei Feuer, den Anishinabe, die ihre Geheimnisse auf Schriftrollen aus Baumrinde ritzten. Heute gilt all das als misslungenes Experiment, diese desolaten Kulturen gingen unter. Die Indianer wurden sogar in Reservate gesperrt und durchs Feuerwasser gezogen. Keines dieser Experimente ist im Hinblick auf die kosmische Weiterentwicklung oder die Ansprüche des Höchsten Amtes geglückt, diese Forscher wurden wegen ihrer dürftigen Aufzeichnungen degradiert und müssen heute Heilkräuter sortieren.

Man hat mich gewarnt. Der Mensch ist insofern ein kompliziertes Forschungsobjekt, als er schwer zu kontrollieren ist. Er ist stur und hört nicht zu. Er glaubt, ihm sei die Schöpfung untertan. Als Spezies gibt er sich nicht mit seinem Schicksal zufrieden, das nach jeder Logik schon vor Jahrmillionen elend und tödlich hätte ausgehen müssen. Der Mensch ist ein ungeschicktes, unpraktisches Wesen, und noch dazu ekelhaft barhäutig ohne irgendeinen schützenden Pelz. Sein Becken ist für Geburten denkbar schlecht geeignet, und sein Gehirn verbraucht viel zu viel Fett und Proteine. Der Mensch will immer selbst entscheiden und glaubt, er kann alles schaffen, obwohl ihm fast nichts von dem gelingt, was er anfängt. Seht doch nur, was gerade mit der Erde los ist! Sie leidet und geht vor die Hunde, und das nur wegen dieser einen vermehrungswütigen, dummen, aufbrausenden Spezies. Der Mensch ist ein lächerliches Etwas, ein unnatürlicher Parasit, Gottes vollkommen entbehrliche Ruhetagserfindung, die aus irgendeinem Grund auf den Radiowellen des Universums nichts als Kummer und Disharmonie verursacht.

Aber ebenfalls aus irgendeinem Grund und vielleicht genau wegen dieser Unausgewogenheit hat das Amt der Arbeit mit den Menschen zumindest vorübergehend die höchste Priorität eingeräumt, und nur wenn man sich als Forscher in diesem Bereich hervorgetan hat, hat man eine Chance auf das ewige Nirwana. So habe ich es jedenfalls verstanden.

Die Lichtklingel in meinem Innern blinkt auf. Es geht los. Ich freue mich. Und nun erhalte ich auch die Koordinaten: Ich reise laut der menschlichen Zeitrechnung in die 2020er Jahre, in die Hauptstadt eines nördlichen Landes, wo ich auf irgendeinen Schriftsteller treffen soll. Helsinki, der Nobelstadtteil Eira direkt am Meer. Ich versuche, mir die Namen zu merken und schlage sie im Atlas des Universums nach. Ein bisschen ab vom Schuss liegt es ja schon, keins der großen europäischen oder asiatischen Zentren von Geist und Bildung. Eine neue, erst 1812 proklamierte Hauptstadt, früheres russisches Herrschaftsgebiet, das Land erst gut hundert Jahre unabhängig. Ein paar Steinhäuser, felsige Hügel mit einer an sich ganz schönen weißen Domkirche. Engagierte Architekten, Büchermacher, zu wenig ständebedingte Klassenunterschiede.

Nicht ganz das, was ich mir vorgestellt hatte: hohe, stille Bibliothekssäle in irgendeiner ewigen Universitätsstadt, das Dröhnen von Kirchenglocken, Wasserspeier, die aus dem Schatten altersgeschwärzter gotischer Säulen herabstarren. Ist das jetzt vielleicht irgendein grausamer Scherz, weil ich meine vorherige Mission nicht abgeschlossen habe?

Aber schließlich keimt doch Vorfreude auf. Die Aufgabe ist eindeutig wichtig, Klassifikation A1, mit der Unternummer 158B, ganz klar ein Hinweis auf die Entstehung neuen Lebens. Vielleicht steht ja das Stammweibchen des Schriftstellers, seine Frau also, kurz vor der Niederkunft und ich werde als Seelenführer gebraucht. Solche Aufgaben sind ehrenvoll, selten und begehrt und haben die Neigung zu misslingen. Wenn ich diesmal Erfolg habe, schaffe ich es bestimmt in die Ewige Ruhe oder wenigstens auf die Höchste Stufe. Ich hoffe schon lange darauf und male es mir immer wieder aus.

Dann spüre ich, wie ich über das helle, kalte Auge Gottes gleite. Ich gerate in einen Strudel, mein Bewusstsein verengt sich und lässt das vertraute, summende Meer außen vor, ich fühle, wie ich gewissermaßen gleichzeitig nach unten gezogen und nach oben geschleudert werde, ich falle oder trudele – aber eigentlich spielt das keine Rolle, ich mache mir nichts aus Himmelsrichtungen, sie waren auch vorher schon unwichtig. Ich warte darauf, dass meine Gestalt sich materialisiert. Denn aus Erfahrung weiß ich, dass mir irgendwann Gliedmaßen wachsen und Adern, durch die dann Blut fließt. Mein Herz beginnt zu schlagen, und meine Knochen blühen auf wie eine schmerzvolle, schneeweiße Seerose. Ich bin an einem dunklen Ort, ist das etwa die Gebärmutter eines Menschenweibchens? Ja, das ist es. Ich spüre die pulsierende Wärme um mich her und jubele. Ich bin auf dem Weg, ein Kind zu werden! Und gleichzeitig fühle ich, dass mein hasenartig pochendes Herz plötzlich erlahmt. Was ist los? Ich gerate in Panik. Ich versuche die Augen zu öffnen, und ich sehe im Gegenlicht noch die erschauernden Adern, ich spüre, dass ich in der Gebärmutter bin, dem besten Ort, den das Weltall je erfunden hat.

Doch dann tut sich...



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