Keute | Schüsse in der Stille | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 236 Seiten

Keute Schüsse in der Stille

Hermann Kronemeyers Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-347-56713-9
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Hermann Kronemeyers Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg

E-Book, Deutsch, 236 Seiten

ISBN: 978-3-347-56713-9
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine Jugend im Zweiten Weltkrieg: Hermann Kronemeyer, Jahrgang 1927, wächst an der deutsch-niederländischen Grenze in unmittelbarer Nähe zum Emslandlager Bathorn auf. Lange herrschte in der Grenzregion ein freundschaftlich-nachbarschaftliches Verhältnis zwischen Deutschen und Niederländern, doch schon bald prägen die Anwesenheit der Kriegsgefangenen, der Überfall auf die Niederlande und der tägliche Luftkrieg das Leben der Menschen. Auch Kronemeyer wird als Siebzehnjähriger eingezogen und als Soldat an die Westfront verlegt, wo er den Nachbarn unversehens als Besatzer gegenübersteht und schließlich mit seinen gleichaltrigen Kameraden gegen eine weit überlegene kanadische Armee kämpft. Authentisch und eindrucksvoll schildert er seine Erinnerungen aus einer Zeit, in der oft nur das eigene Überleben zählte: wie er unter Eigenbeschuss geriet, Tieffliegerangriffe erlebte und die erbarmungslose Feindseligkeit gegenüber den Deutschen zu spüren bekam. Ebenso berichtet er aber auch von Menschlichkeit und Zusammenhalt inmitten eines grausamen Krieges. Hermann Kronemeyer ist ein national wie international gefragter Zeitzeuge. Nun hat seine Urenkelin seine Erzählungen zu Papier gebracht.

Celina Keute, geboren 1996 in Hamburg, studierte Linguistik in Hamburg und Kopenhagen. Nebenbei absolvierte sie ein Fernstudium an einer Autorenschule und veröffentlichte ihr erstes Buch, einen Zeitzeugenbericht über die Erlebnisse ihres Urgroßvaters im Zweiten Weltkrieg. Sie arbeitet als freie Lektorin und Autorin und forscht auf ihren Reisen durch Europa zu Themen wie Wahrnehmung, Sprache und Kriegserinnerung.
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WIE ALLES BEGANN

Es war dunkel. Mit den Gewehren im Anschlag lagen wir in einem Straßengraben in Deckung und blickten durch die tiefe Nacht hinüber zur anderen Seite. Ich konnte nichts erkennen, doch wir alle wussten, dass sich dort drüben feindliche Soldaten angeschlichen hatten. Wir sollten hier die Stellung halten.

»Nicht schießen, nicht schießen«, gab unser Vorgesetzter flüsternd durch. »Kommen lassen.«

Langsam näherten sie sich, die Umrisse ihrer Gestalten hoben sich kaum vom verschwommenen Hintergrund ab. Dann der Befehl: »Feuer!«

Mit rasendem Herzen schreckte ich auf. Es war nur ein Traum. Ich atmete tief durch und warf einen Blick aus dem Fenster. Fahles Mondlicht schimmerte durch die Baumkronen, alles war ruhig. In meinem Kopf hörte ich das tiefe Brummen überfliegender Bomber und die knatternden Schüsse aus den Bordkanonen der Jagdflugzeuge, doch die Geräusche blieben aus.

Der Krieg ist vorbei, sagte ich leise zu mir. Der Krieg ist vorbei.

~

Es war ein Frühlingstag im April 1927, als ich in Bathorn, einem Ortsteil von Hoogstede, in der Grafschaft Bentheim geboren wurde. In der alten Moorkolonie Bathorn, abgelegen vom Hoogsteder Ortskern und nur wenige Kilometer von der niederländischen Grenze entfernt, lebten wir umgeben von Feldern und einem großen Hochmoorgebiet. Ich war das siebte von insgesamt elf Kindern. Mein Vater Harm Hindrik und meine Mutter Hille, beide gebürtige und fest in der Region verwurzelte Grafschafter, arbeiteten als Brückenwärter am Coevorden-Piccardie-Kanal, weshalb wir im Brückenwärterhaus genau an der Stelle wohnten, wo sich der Kanal und der Bathorner Diek kreuzten. Der Bathorner Diek war ein kilometerlanger, leicht höhergelegener Weg, der von Hoogstede aus über eine Kanalbrücke an unserem Haus vorbei in das Moor hineinführte. Täglich lief ich zusammen mit meinem eineinhalb Jahre älteren Bruder Heinrich und den Nachbarskindern über den Diek zur Volksschule nach Hoogstede. Den drei Kilometer langen Schulweg legten wir bei jedem Wetter in Holzschuhen zurück, die bei uns »Kloumpen« hießen.

Der eisige Ostwind, der im Winter bei minus zwanzig Grad über die Felder fegte, ließ uns die Wangen und Ohren gefrieren, weil uns die wenigen Bäume und Büsche in der kargen Landschaft kaum Schutz boten. Bevor wir morgens aufbrachen, holte meine Mutter etwas durchgebrannten Torf aus dem Herd, der in der Wohnküche stand, und legte ihn für ein paar Minuten in die Schuhe, um das Holz aufzuwärmen, damit unsere Füße unterwegs warm blieben. So schlüpften wir in die angewärmten Schuhe und machten uns auf den Weg. Obwohl wir manchmal durch hohe Schneeverwehungen stapften, konnten wir den Weg bei Frost besser passieren als an regnerischen Herbsttagen, denn dann war der Boden so matschig und schlammig, dass wir wegen der vielen Wasserpfützen oft nasse Füße bekamen und uns seitlich des Dieks einen besseren Weg suchten.

Im Frühling wurde der Schulweg angenehmer. Lerchen stiegen in ihrem Singflug zum Himmel auf, Kiebitze spielten in den Wiesen und zahlreiche weitere Vogelarten flogen zwitschernd durch die Luft. Wenn die Sonne an heißen Sommertagen auf den staubigen Diek herabstrahlte und wir Durst bekamen, gingen wir in die Häuser der Anwohner zur Wasserpumpe und tranken aus einer Schöpfkelle das Wasser, das direkt aus dem Grundwasser entnommen wurde und wegen der unterschiedlichen Bodenschichten in jedem Haus anders schmeckte.

In Hoogstede besuchten wir die evangelische Volksschule, da es getrennte Schulen für evangelische und katholische Schüler gab. Die Unterrichtssprache war Hochdeutsch, sodass ich hier die ersten Wörter dieser Sprache lernte. In der Familie, unter Freunden und auf dem Schulhof sprachen wir nur Plattdeutsch miteinander und es gab viele ältere Menschen in der Region, die das Hochdeutsche überhaupt nicht beherrschten.

Meine Einschulung fiel in das Jahr 1933 – ein Jahr, mit dem eine Zeit der Veränderung begann, eine Zeit, die die Welt nachhaltig prägen würde, denn nach dem Aufstieg der NSDAP, der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, und der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch Paul von Hindenburg wandelte sich Deutschland zu einer Diktatur. An die entscheidende Reichstagswahl erinnere ich mich deutlich. Im Vorfeld war viel Wahlkampf betrieben worden und die Leute sprachen oft über Politik. Am Tag der Wahl war ich zusammen mit meiner Mutter draußen auf dem Hof, als eine Nachbarin mit ihrem Mann, der Mitglied in der NSDAP war, von der Stimmabgabe zurückkehrte und mit dem Fahrrad an unserem Haus vorbeifuhr. Die Frau erkannte meine Mutter und rief: »Hille, du musst auch noch wählen gehen!«

Meine Mutter blickte auf. Sie wollte nicht zur Wahl, denn genau wie mein Vater stand sie der Partei äußerst kritisch gegenüber.

Auch wenn ich erst knapp sechs Jahre alt war und noch nichts von Politik verstand, spürte ich an der Ausstrahlung der Menschen und an der Art, wie sie miteinander sprachen, dass etwas Bedeutsames geschah. Ich merkte, dass irgendetwas nicht in Ordnung war, konnte es jedoch nicht richtig einordnen.

Bis dahin hatte ich eine ruhige Kindheit verbracht, doch nun begann eine Zeit, in der sich allmählich die Kriegsgefahr abzeichnete. Das Einzige, was ich bis dahin von der Welt kannte, war die Umgebung um unser Haus. Mit meinen Freunden spielte ich Schlagball, baute Wassermühlen aus Stöcken und dünnen Brettern, fing Frösche und schwamm im klaren Kanalwasser.

Als Brückenwärter waren meine Eltern für zwei Brücken zuständig, die sie pflegen und bedienen mussten. Neben Torfkähnen fuhren auch Schiffe auf dem Kanal, die Kartoffeln zur Kartoffelmehlfabrik brachten oder Kunstdünger aus dem Ruhrgebiet anlieferten. Wenn ein Schiffer ins Horn stieß, eine Glocke betätigte oder mit lauter Stimme rief, lief jemand von uns zur Drehbrücke, öffnete sie und begleitete das Schiff zur nächsten Brücke, um es auch dort durchzulassen. Die Schiffsleute zahlten uns dreizehn Pfennig pro Brücke. Wenn sie Kartoffeln geladen hatten, steckten sie das Geld in eine Kartoffel und warfen die Knolle an die Uferböschung, doch meistens wickelten sie das Geld in ein Knäuel aus Zeitungspapier und warfen es auf die Brücke. Im Sommer kam es vor, dass sich die Holzbalken durch die Wärme verzogen hatten und das Geld durch den Spalt ins Wasser fiel, sodass sie erneut zahlen mussten.

Abends nach Sonnenuntergang durften wir die Brücke nicht mehr öffnen, weil die Schiffe sie im Dunkeln beim Manövrieren beschädigen konnten. So kam es, dass manche Schiffer bei Anbruch der Dunkelheit vor der Brücke am Ufer anlegten und dort bis zum Sonnenaufgang warteten. Einige von ihnen kannten wir schon. Sie kamen gewöhnlich vom Schiff herunter und besuchten uns, genau wie ein junger Niederländer, der öfter vorbeikam. Dieses Mal hatte er Weißtorf aus unserem Nachbardorf geholt und war wieder auf dem Heimweg, als er abends durch die Tür in unsere Wohnküche trat.

»Mijnheer de Vries, wie geht es?«, begrüßte mein Vater ihn.

»Mir geht es gut«, antwortete der Niederländer. »Und was gibt es bei euch Neues?«

»Hier ist alles beim Alten.«

Wir boten ihm Kaffee an und unterhielten uns auf Plattdeutsch, auf diese Weise konnten wir uns einwandfrei mit unseren niederländischen Nachbarn verständigen. Vieles hatten wir mit ihnen gemeinsam: einerseits die Sprache, die sich auf beiden Seiten der Grenze nur geringfügig voneinander unterschied, andererseits waren wir uns in kultureller Hinsicht ähnlich, da die Traditionen, Bräuche und alltäglichen Gewohnheiten größtenteils miteinander übereinstimmten. Auch wirtschaftlich bestanden enge Verbindungen zwischen der Grafschaft und den Niederlanden; viele Niederländer arbeiteten in den Nordhorner Textilfabriken oder kamen als Tagelöhner nach Deutschland, weil sie hier mehr verdienen konnten. Oft sprachen sich die Tagarbeiter mit ihren Auftraggebern ab und bekräftigten ihre Vereinbarung mit einem Handschlag, der auch im Viehhandel üblich war. Ein Handschlag galt damals genauso viel wie heute eine Unterschrift auf Papier.

Immer wieder passierten Schmuggler mit Kaffee, Tee, Tabak oder Speiseöl die Grenze, um diese Waren in Deutschland teurer zu verkaufen. Normalerweise mieden sie den offiziellen Grenzübergang, durchquerten stattdessen das seichte Flusswasser der Grenzaa und nutzten einen Schmugglerpfad durch das Moor. So versuchten sie, den Zöllnern zu entgehen, die meistens abends und nachts bei uns vor der Brücke standen oder sich in unserer Torfscheune versteckten, um den Weg zu beobachten. Einmal erlebte ich eine ungewöhnliche Schmuggelmethode, als ein unbekannter Niederländer mit seinem Fahrrad an unserem Haus vorbeifuhr und fragte: »Darf ich mal eben bei euch reinkommen?«

»Ja, sicher, das kannst du wohl«, antwortete mein Vater.

Der Mann stieg ab, schob sein Fahrrad neben sich her...



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