Kirchhoff Schundroman
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-627-02214-3
Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-627-02214-3
Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bodo Kirchhoff hat - zu unserer und seiner eigenen Überraschung - einen Gangster- und Liebesroman geschrieben, der seinesgleichen sucht.
"Warum tut lieben mehr weh als töten?" (Willem Hold)
Hauptpersonen
(in der Reihenfolge ihres Auftretens)
Willem Hold, seinem Gefühl nach Anfang Zwanzig, in Wahrheit leider älter; war seit zehn Jahren nicht mehr in Deutschland, aus gutem Grund, reist jetzt an, um einen Mann zu töten.
Lou Schultz, Ende Zwanzig, verdammt schön; tut es für Geld und hat bei der Gelegenheit einen Picasso abgestaubt; sitzt neben Hold im Flieger nach Frankfurt, First Class.
Dr. Cornelius Zidona, begnadeter Akquisiteur, kann alles herbeireden, vom kompletten Maschinenpark bis zur eigenen Männlichkeit.
Ollenbeck, neuerdings Schriftsteller, nur ein Buch und schon das Männerwunder der deutschen Literatur.
Louis Freytag, Großkritiker, alterslos, wird aus Versehen getötet, scheint danach immer noch auf die Pauke zu hauen.
Carl Feuerbach und Helene Stirius, beide früher im Polizeidienst, heute Privatdetektive mit erstem Auftrag: den verschwundenen Picasso aufzuspüren, wohnen zwangsweise zusammen, siezen sich vorsichtshalber.
Johann Manfred "Big Manni" Busche, um die fünfzig; hat schon als Kind von riesigen Bohrern geträumt und inzwischen zig Millionen durch Leasing-Geschäfte gemacht: soll umgelegt werden.
Vanilla Campus-Busche, zwischen dreißig und fünfzig, bis zu einem legendären Ausrutscher Nachrichtensprecherin, danach Profi-Prominente und schließlich die Gattin von Busche; hat gerade ihr erstes Buch veröffentlicht, eine Sexfibel, Bodymotion.
... sowie einige alternde Schriftsteller, Kritiker usw., dazu allerlei Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.
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Während die Lufthansa-Maschine mit den zwei schlaflosen Passagieren im Bug über dem Arabischen Meer war (unter Umständen auch schon über dem Golf mit seinen Gasfeuern in der Dunkelheit, verbindet sich doch die Vorstellung des Arabischen Meeres viel leichter mit der eines Verbrechens), konnte auch ein anderer nicht schlafen: der Mann, der in ein paar Stunden aufstehen mußte, um bei Ankunft der Maschine am Flughafen zu sein. Es war seine erste Tätigkeit nach längerer Pause, dazu die erste in neuer Funktion. Als Partner eines kleinen Detektivbüros – außer ihm gab es nur noch die Inhaberin – sollte er im Auftrag einer Erbengemeinschaft einen aus Manila zurückgekehrten weiblichen Fluggast beschatten (Willem Holds reizvolle Sitznachbarin, wen sonst); alles spreche dafür, daß sie in Südasien einen Picasso verkauft habe, der ihr nach dem Tod eines Stammkunden in einem Hotelbett laut dessen letztem Willen zugefallen war, wobei die Erben nicht nur diesen Willen, sondern auch den Tod durch Herzversagen in Zweifel zogen; kein Fall für die Kripo oder den Verein, den Carl Feuerbach vor einem Jahr hinter sich gelassen hatte, nach einer dienstlichen Tragödie, die er als höchstpersönliche empfand. Feuerbach saß, anstatt zu schlafen, in der Küche einer Zweihundertquadratmeterwohnung im Frankfurter Apfelwein-Stadtteil Sachsenhausen, Morgensternstraße, und dachte über sein Leben nach. Er war seit heute Untermieter, mit Bett und Schrank in einem noch nicht leer geräumten Kinderzimmer, dazu Benutzungsrecht für Bad und Küche; Hauptmieterin war die Frau, die ihn als Partner akzeptiert hatte, bis vor kurzem auch im Polizeidienst, angeblich im Krach aus dem Beamtenreich ausgeschieden und etwas weniger angeblich in ?nanziellen Schwierigkeiten, jedoch auf keinen Fall bereit, die schöne Wohnung zu räumen; dreihundert verlangte sie für das Zimmer, kalt. Im Grunde hatte er nur auf eine Beteiligungsanzeige reagiert – Partner mit Kriminaldiensterfahrung für neues Detektivbüro gesucht –, war aber sofort als in Frage kommender provisorischer Untermieter erkannt worden, als sei ihm die Geldknappheit nach einem Jahr Herumreisen durch die Welt auf die Stirn geschrieben, und so hatte er schließlich doppelt zugesagt, am Ende mit dem Argument geködert, daß dadurch sein Weg ins Büro lediglich über den Flur führen würde; außerdem hätte er im Moment, am Beginn der Buchmesse, nicht den Hauch einer Chance, auch nur das schäbigste Schlafloch in Frankfurt oder Umgebung zu ?nden. Er saß ohne Licht in der Küche, das rote Lämpchen der Kaffeemaschine reichte ihm; Regen ?el gegen die Scheibe, und an den Füßen spürte man schon den Oktober, besonders nach einem Jahr in der Wärme. Am Anfang hatte er nur an eine Auszeit geglaubt, das heißt an eine Rückkehr in den Polizeidienst, wenn sich sein Schock gelegt hätte, aber er legte sich nicht, weder am Amazonas noch in den Weiten Australiens und auch nicht im Sprechzimmer eines in Polizeikreisen gerühmten Psychologen, Ganz los werden Sie das wohl nie, sagte der, auch wenn Sie keine juristische Schuld trifft; aber Sie haben einen Jungen erschossen, der nur eine Spielzeugwaffe in der Hand hielt. Der Kaffee war fertig, und Feuerbach suchte in der Dunkelheit eine Tasse, neben der Spüle stand ein ganzer Berg von Geschirr, Tassen und Teller ineinanderverkeilt, er versuchte, eine Tasse herauszulösen, wie einen Mikadostab, doch es geriet gleich das Ganze ins Wackeln, und ein Teller glitt aus dem Geschirrberg, beschleunigt womöglich durch Butterreste, sauste über die Kante und zersprang mit hellem Klirren auf dem neu verlegten Terrakottaboden, den er gewissermaßen mit?nanzierte. Einige Sekunden lang war es still in der großen Wohnung, und Feuerbach bückte sich schon, um die Scherben zu sammeln, da ging eine Tür auf, die Tür zum Zimmer der Studentin, die ebenfalls die Gesamtkosten drückte: im selben Umfange, hieß es. Ihr Name war Nola, das hatte er sich notiert, um es nicht zu vergessen, und sie studierte Theologie, ohne Wenn und Aber, also mit dem Ziel der Kanzel, und für eine künftige Pastorin – eine von der Sorte anklagende Lebendigkeit – sah Nola ziemlich verwegen aus, so verwegen, daß man es gar nicht vergessen konnte. »Kann ich helfen?« Noch vor Betreten der Küche sagte sie das, statt ein Theater zu machen, und er bat sie, das Licht auszulassen, aber da knipste sie es schon an, und er sah ihren weißen Pyjama mit dem verwühlten Haar über den Schultern, brünett, das hatte ihn schon immer fertiggemacht. »Tut mir leid mit dem Teller.« »Dafür gibt’s frischen Kaffee.« Nola reichte ihm Kehrschaufel und Besen, und Feuerbach fegte die Scherben zusammen, während sie zwei Tassen spülte. »Sie sollten weiterschlafen«, sagte er. Nola stellte die Tassen auf den Tisch, samt Zucker und Milch. »Jetzt bin ich wach.« »Es tut mir wirklich leid.« Er warf die Scherben in den Müll; dabei ?el ihm auf, daß er nur Shorts und ein Unterhemd trug und beides Löcher hatte. »Es muß dir nicht leid tun. Oder Ihnen…« »Egal«, sagte er, »wie du willst«, aber es war ihm nicht egal, er wollte diese künftige Pastorin mit verwühltem Haar und runden Schultern unter dem weißen Pyjama nicht duzen und schon gar nicht von ihr geduzt werden, es schien ihm das sicherste Mittel, die Zeit in dieser Wohnung heil zu überstehen, doch nun war es passiert, der Zwischenfall mit dem Teller hatte alles durcheinandergebracht; mal steht kaputtes Geschirr am Ende, mal am Anfang einer Geschichte, man steckt nicht drin, dachte er, wäre er nur bis zum Läuten des Weckers im Bett geblieben. »Und du?« fragte Nola. »Kannst du nicht schlafen oder stehst du schon auf?« »Ich muß sehr früh zum Flughafen.« »Allein?« Feuerbach nahm sich Zucker. »Ja, mein erster Einsatz.« Er machte eine Kopfbewegung zum Flur hin und ?üsterte jetzt. »Sie kann nicht mit, sie trifft ihren Exmann, ich glaube, es geht um den Sohn.« »Bei Helen geht es immer um ihren Sohn. Und um Geld. Ihr Ex verdient nichts.« »Und warum wohnt der Sohn dann bei ihm?« »Weil sie das Geld ranschafft, ganz einfach.« Nola strich sich das Haar hinter die Ohren; sie hatte große runde Wangen. »Und was gibt’s so früh am Flughafen?« »Ich glaube, das ist kein privates Thema.« »Nein? Wie lange wohnst du jetzt hier?« »Einen Tag.« »Ich ein Jahr – hier gibt es nur private Themen.« Feuerbach sah über den Rand der Tasse in zwei braune Augen unter dichten Wimpern. »Ich soll eine Frau beschatten, so eine Art Edelhure, sie kommt mit der Lufthansa aus Manila.« Er trank einen Schluck und behielt dann die Tasse am Mund. »Könnte sein, daß sie beim Tod eines reichen Kunden in einem Hotelbett nachgeholfen hat. Er war Sammler und soll ihr einen Picasso vermacht haben, ein Bild, das als verschollen galt, weil es bei ihm nie of?ziell aufgetaucht war. Er verwahrte es in einem Safe, während sie seit einiger Zeit einen Brief besaß, zu öffnen im Falle seines Todes. Der Brief enthielt die Kombination und eine knappe Liebeserklärung. Und so kam sie an das Bild und hat es jetzt vermutlich in Südostasien verkauft.« »Und wie hat sie nachgeholfen?« »Wie?« Er sah plötzlich eine Chance, sich aller Chancen zu berauben. »Sie hat dafür gesorgt, daß sich der Typ zu Tode ?ckt.« »Und das funktioniert?« fragte Nola nur. »Warum nicht.« Feuerbach leerte die Tasse, Nola schaute ihm zu, nun von anklagendem Interesse, als wollte sie sagen, daß er zu wenig von Frauen und Sex verstehe, um eine solche Beschattung aufgrund einer derartigen Theorie rechtfertigen zu können. Er setzte die Tasse ab und beugte sich über den Küchentisch, bis er ihr Haar riechen konnte. »Der Mann war herzkrank, und sie hat ihn rangenommen, bis sein Kreislauf zusammenbrach.« »Warst du dabei?« »Es gibt Hinweise.« »Worauf? Daß sie es gut getrieben haben?« Er nahm die Tasse wieder an den Mund, obwohl sie leer war, aber irgendwie half ihm das, sein Staunen zu verbergen. »Es war mehr als das Übliche, davon gehe ich aus.« »Du hast dich schnell eingearbeitet«, sagte Nola. »Es blieb mir nichts anderes übrig.« »Und was ist mehr als das Übliche?« »Was weiß ich, drei Nummern pro Nacht.« »Warum nicht vier?« »Okay, vielleicht vier. Ich denke, du studierst Theologie…« »Dann sag ich fünf.« »Gut, sie haben es fünfmal gemacht.« »Und seit wann«, sagte Nola, »ist Leidenschaft strafbar?« Feuerbach setzte die Tasse wieder ab, diesmal endgültig; irgend etwas wollte sie erreichen, vielleicht eine Art Hierarchie in der Wohnung klarstellen. »Nun paß mal auf«, ?üsterte er, »die einzige Leidenschaft einer Nutte ist das Geld.« Nola faltete die Hände, eine verwirrende Geste in dem Zusammenhang. »Du hast doch bestimmt ein Foto von ihr, dann schauen wir mal, ob wir diese Leidenschaft erkennen.« Er sah, wie ihr Mund leicht in die Breite ging, zu einem müden Lächeln, und holte das Foto aus dem früheren Kinderzimmer. Es zeigte die Schultz in einem hellen Trenchcoat, offenbar trug sie nichts darunter; ihre Lippen waren ungeschminkt, ihr blondes Haar war naß; sie versuchte, mürrisch zu schauen, aber es wirkte eher komisch. Nola sah sich das Foto eine Weile an, dann stand sie plötzlich auf: »Wie viele solcher Frauen kennst du?« Feuerbach tat, als würde er nachdenken; genaugenommen kannte...