Kivi Sieben Brüder
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-99027-132-2
Verlag: Jung u. Jung
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Erzählung
E-Book, Deutsch, 420 Seiten
ISBN: 978-3-99027-132-2
Verlag: Jung u. Jung
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
eigentlich Aleksis Stenvall, wurde 1834 als Sohn eines Dorfschneiders im südfinnischen Nurmijärvi geboren. Von den einen als Naturbegabung gepriesen, wurde er von den anderen seines »schlechten Finnisch« wegen verspottet und verdammt. Heute ist er zur nationalen Ikone schlechthin geworden, an deren Geburtstag am 10. Oktober ganz Finnland die Fahnen hisst. Aleksis Kivi starb in der Silvesternacht 1872 in geistiger Umnachtung.
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DAS ERSTE KAPITEL
Jukolas Hof, im südlichen Hämeland, liegt auf der nördlichen Halde eines Hügels unweit des Weilers Toukola. Sein nächstes Umfeld ist steiniger Boden, doch weiter unten fangen die Felder an, auf welchen, bevor der Hof verfallen war, ährenschwer das Korn wogte. Unter den Feldern liegt eine Wiese, kleeumsäumt, von einem vielfach gewundenen Bach durchzogen; und reichlich hatte sie Heu gegeben, bevor man das Vieh des Dorfs darauf weiden ließ. Ansonsten gehören zum Hof ausgedehnte Wälder, Moore und Ödland, die ihm dank des klugen Handelns des einstigen Gründers dieses Anwesens schon vor Zeiten im Zuge der großen Bodenreform zugefallen waren. Damals hatte Jukolas Bauer, mehr auf den Vorteil der nach ihm Kommenden als auf sein eigenes Bestes bedacht, als seinen Anteil einen vom Feuer verheerten Wald genommen und auf diese Weise siebenmal mehr als seine Nachbarn erhalten. Jetzt aber waren alle Spuren des Waldbrandes auf dem Gelände verschwunden, und statt dessen war dichter Wald gewachsen. – Und hier sind jene sieben Brüder zuhause, von deren Lebensweg ich jetzt erzählen werde.
Die Brüder, vom ältesten zum jüngsten, heißen Juhani, Tuomas, Aapo, Simeoni, Timo, Lauri und Eero. Von ihnen sind Tuomas und Aapo Zwillinge, desgleichen Timo und Lauri. Der älteste Bruder Juhani ist fünfundzwanzig Jahre alt, aber Eero, der jüngste, hat kaum achtzehn Sonnenumläufe erlebt. Von Statur sind sie stämmig und breitschultrig, von mittlerer Größe, außer Eero, der noch recht klein ist. Der längste von allen ist Aapo, gewiss aber nicht der breitschultrigste. Letztere Eigenschaft und Ehre kommen Tuomas zu, der weithin für seine breiten Schultern bekannt ist. Etwas, was sie alle zusammen auszeichnet, ist ihre rote Haut und ihr widerspenstiges, hanfblondes Haar, dessen Rauheit besonders bei Juhani ins Auge fällt.
Ihr Vater, der ein überaus leidenschaftlicher Jäger war, fand in seinem besten Alter plötzlich den Tod, als er mit einem grimmigen Bären rang. Beide fand man damals, den Herrn des Waldes wie den Mann, Brust an Brust auf dem blutigen Erdboden tot auf. Der Mann war schwer verletzt, aber auch an dem Untier fand man Stichwunden an Hals und Flanke, und seine Brust war von einer scharfen Gewehrkugel durchbohrt. So beschloss der kräftige Mann, der mehr als fünfzig Bären erlegt hatte, seine Tage. – Aber mit seinen vielen Jagdzügen hatte er seine Arbeit und die Aufgaben auf dem Hof vernachlässigt, der ohne die Führung seines Vormanns allmählich verfiel. Auch verstanden seine Söhne nichts vom Pflügen und Säen, hatten sie doch von ihrem Vater dieselbe starke Leidenschaft für das Weidwerk geerbt. Sie legten Dohnen und Schlingen und stellten Fangeisen sowie Fallen auf, den Vögeln und Hasen zum Verderb. So verbrachten sie ihre Jugend, bis sie die Feuerbüchse zu hantieren begannen und sich im Wald an Meister Petz heranwagten.
Ihre Mutter versuchte wohl, sie durch Tadel und Zucht zu Arbeit und Fleiß anzuhalten, aber die Halsstarrigkeit der Burschen widerstand allen ihren Bestrebungen. Sie war übrigens eine tüchtige Hausfrau, bekannt war ihre direkte und aufrichtige, vielleicht etwas schroffe Sinnesart. Und tüchtig war auch ihr Bruder, der treffliche Oheim der Jungen, der in seiner Jugend als wackerer Seemann ferne Meere besegelt und viele Völker und Städte gesehen hatte; schließlich aber hatte er sein Augenlicht verloren, war stockblind geworden und verbrachte die dunklen Tage seines Alters in Jukolas Haus. Dabei erzählte er oft, während er nach dem Tastgefühl Kellen, Löffel, Axtstiele, Bleuel und anderes im Haus benötigte Gerät schnitzte, den Jungen seiner Schwester Geschichten und merkwürdige Dinge aus dem eigenen Land wie auch aus fremden Reichen, erzählte auch von Wundern und Begebenheiten aus der Bibel. Diesen Geschichten lauschten die Jungen mit großer Andacht und prägten sie sich fest in ihr Gedächtnis ein. Aber nicht so gern hörten sie auf die Befehle und Schelten ihrer Mutter, sondern waren, ungeachtet mancher Tracht Prügel, geradezu ungehorsam. Oft riss die Brüderschar auch aus, wenn sie merkten, dass ihnen der Stock drohte, womit sie sowohl der Mutter als auch den anderen Kummer und Verdruss bereiteten und damit ihre eigene Sache verschlimmerten.
Hier will ich eine Begebenheit aus der Kindheit der Brüder erzählen. Sie wussten, dass unter der Darre ihres elterlichen Hofs ein Hühnernest war, das einer Alten gehörte, die man die Kienwälder Oma nannte, denn ihre kleine Kate stand in einem Kiefernwäldchen in Jukolas Nähe. Einmal bekamen die Brüder Lust auf gebackene Eier, und folglich beschlossen sie, das Nest zu plündern und in den Wald zu gehen, um dort ihre Beute zu verzehren. Sie führten ihren Entschluss auch aus, leerten das Nest und begaben sich einträchtig in den Wald, sechs an der Zahl; Eero krabbelte damals noch zu Mutters Füßen herum. Als sie in dem dunklen Fichtenwald an einen murmelnden Bach kamen, machten sie an dessen Ufer ein Feuer, wickelten die Eier in Lappen, tauchten sie ins Wasser und legten sie zum Backen in die zischende Asche. Und als die Leckerbissen schließlich gar waren, aßen sie ihr schmackhaftes Mahl und zogen dann zufrieden wieder nach Hause. Doch auf ihrem heimischen Hügel angekommen, erwartete sie ein Wirbelsturm, denn ihre Tat war längst entdeckt worden. Die Kienwälderin zeterte und tobte, und mit grimmigem Blick eilte die Mutter den Brüdern entgegen, in der Hand die pfeifende Rute. Doch die Jungen hatten keine Lust, sich diesem Sturm auszusetzen. Darum machten sie kehrt und flohen in den Schutz der Wälder zurück, ungeachtet aller Rufe ihrer Mutter.
Es verging ein Tag, es verging noch ein zweiter Tag, doch von den Ausreißern war nichts zu hören. Ihr Wegbleiben versetzte die Mutter schließlich in große Unruhe, und ihr Zorn schlug bald in Sorge und Tränen des Mitleids um. Sie machte sich auf, sie zu suchen, sie suchte kreuz und quer in den Wäldern, ohne jedoch ihre Kinder zu finden. Die Sache wurde immer unheimlicher und forderte schließlich, dass die Obrigkeit sich ihrer annahm. Man benachrichtigte den Jagdvogt, der unverzüglich ganz Toukola und Umgebung zusammenrief. Und so machten sich viele Junge wie Alte, Männer wie Frauen, unter der Leitung des Jagdvogts auf, um in einer langen Reihe die Wälder zu durchkämmen. Am ersten Tag suchten sie in der nächsten Umgebung, doch ohne den erhofften Erfolg; am zweiten Tag rückten sie weiter hinaus, und als sie auf einen hohen Hügel kamen, sahen sie in der Ferne am Rand eines Moors eine blaue Rauchsäule sich zum Himmel ringeln. Sie merkten sich genau die Richtung, in welcher der Rauch aufstieg, und setzten ihren Weg dahin fort. Endlich, als sie näher herangekommen waren, hörten sie eine Stimme, die sang:
Auch früher lebten wir wie heuer
hinter solchem Bächlein hier,
aus Treibholz machten wir das Feuer,
nur Wasser tranken wir statt Bier.
Da wurde Jukolas Bäuerin, als sie das Lied hörte, ungemein froh, denn sie erkannte daran die Stimme ihres Sohns Juhani. Auch hallte der Wald öfters von einem Krachen wie Feuerwerk wider. An alldem erkannten die Suchenden mit Gewissheit, dass sie dem Lager der Ausreißer nahten. Jetzt gab der Jagdvogt den Befehl, die Jungen einzukreisen und sich ihnen dann leise zu nähern, aber in einiger Entfernung von ihrem Lagerplatz haltzumachen.
Es geschah, wie er befohlen hatte. Und als der Trupp, die Brüder von allen Seiten umzingelnd, sich ihnen auf fünfzig Schritt genähert hatte, hielt man an, und ihnen bot sich folgender Anblick dar: Am Fuß eines Felsens war aus Fichtenzweigen ein kleiner Verschlag errichtet, vor dessen Eingang Juhani auf einem Moospolster lag, in die Wolken starrte und vor sich hin sang. Zwei, drei Klafter von dem Verschlag entfernt loderte ein lustiges Feuer, und in dessen Glut röstete Simeoni ein mit der Schlinge gefangenes Birkhuhn zum Mittagsmahl. Aapo und Timo mit rußverschmierten Gesichtern – denn sie hatten gerade Bilwisse gespielt – schmorten Butterrüben in der heißen Asche. An einer kleinen Lehmpfütze saß still für sich Lauri und formte Gockel, Ochsen und stolze Fohlen aus Ton, und er hatte schon eine ganze Reihe davon auf einen bemoosten Stamm zum Trocknen hingestellt. Das Feuerwerk aber ließ Tuomas krachen: er spuckte schäumenden Speichel auf einen Stein am Boden, legte eine glühende Kohle darauf, und auf diese warf er mit aller Kraft einen zweiten Stein, und der Donner, oft so laut wie ein gewöhnlicher Gewehrschuss, hallte durch die Gegend, und rußiger Rauch stob zwischen den Steinen hervor.
JUHANI:Auch früher lebten wir wie heuer
hinter solchem Bächlein hier …
… aber der Teufel wird uns am Ende doch noch holen. Das liegt doch auf der Hand, ihr Otternbälger.
AAPO:Das hab ich doch gleich gesagt, als wir das Hasenpanier ergriffen. Wir sind doch verrückt! Nur Strauchräuber und Zigeuner stiefeln so unter freiem Himmel herum.
TIMO:Immerhin unter Gottes Himmel.
AAPO:Hier mit...




