Kleeberg Der König von Korsika
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-641-05896-8
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 380 Seiten
ISBN: 978-3-641-05896-8
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Geheimagent, Liebhaber, hochstapelnder Alchimist und kaiserlicher Gesandter – Theodor Neuhoff lässt sich von den Wellen des Geschicks durch ganz Europa tragen, weiß zu parlieren, zu brillieren und zu blenden. Und wird am Ende Opfer der eigenen Selbstüberschätzung. Als er sich – überzeugt, die Politik sei ein Spiel – im April 1736 von korsischen Aufständischen zum König ausrufen lässt, ist sein Untergang besiegelt. Meisterhaft zeichnet Michael Kleeberg das Porträt eines Menschen in einer Wendezeit, dessen Ziele den unseren heute so gleichen: Geld, Liebe, Ruhm.
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(S. 192-193)
Der kaiserliche Gesandte überquerte den Ponte Vecchio und schlenderte auf die Signoria zu. Die kleinen Wölkchen hoch oben am blauen Himmel wirkten wie vom Grund eines klaren Meeres aus betrachtete Nachen und Gondeln an der Wasseroberfläche. Die besonnten Fassaden glänzten elfenbeinmatt, auf den Plätzen flimmerte es wie über Wüstensand, und sie reflektierten die blendende Helligkeit, so daß das Auge beim Blick in Arkaden und Toreingänge erblindete und nur körnige, blaustichige Anthrazitflecke wahrnahm und die Stadt wie ein bizarres Schachbrett aus Lichtquadraten und schwarzen Löchern empfand.
Theodors Blick, den ein leerer Magen hungrig machte, schnappte nach den Menschen am Wege, den Wasserträgern, Obstverkäufern, Boten, Händlern, flanierenden Damen und Herren und Handwerkern in ihren offenen Höhlen. Es roch nach Kaffee und Jauche, und aus den Arkadenbögen leckten graue Wasserzungen auf das Pflaster, und man hörte das Geschrubbe von Besen. Das Plätschern ausgeleerter Eimer mischte sich mit dem feinen Säuseln der Springbrunnen. Quer über die Signoria fiel der Schatten des Campanile wie ein ausgestreckter Zeigefinger, der auf Theodor deutete.
Der durchquerte ihn, stand wieder in der Sonne und atmete auf. Er hatte das Gefühl, über den weiten Platz zu schweben und wenn nötig mit einem Sprung über die Köpfe der Passanten hinwegsetzen zu können. Schon vorhin wäre er fähig gewesen, mit einem Satz den schlammgelb in seine tiefsten, grün bewachsenen Furchen zurückgezogenen Arno zu überqueren.
Er fühlte sich so frei und leicht, als hätte man ihm das Herz und die Seele herausoperiert. Nur ein-, zweimal am Tag, an einem dieser sonnigen italienischen Tage mit der Aussicht auf einen Tee mit Ironie in der englischen Handelsmission, ein Abendessen voll frivoler Geschwätzigkeit, nächtliche Mysterien tastender Lust und die Flucht vor der postkoitalen Traurigkeit in den anbrechenden Morgen, an solchen florentinischen Tagen mit ein wenig Papierkram und offiziellen Gesprächen in einer Opernloge, oder wenn er in der Messe die ganze katholische Seelenliederlichkeit genoß und komplizenhaft der zwischen all dem Gold und Weihrauch verblassenden Heiligkeit zuzwinkerte, einmal pro Tag mit Sicherheit geschah es, daß er plötzlich aus dem aquamarinblauen Süden in die erbarmungslose Kargheit eines sächsischen Februarmorgens katapultiert wurde und die Stimme des Herrn, müde und angeekelt, zu ihm sprach: Was hast du getan? Und Larbi starrte ihn wieder an wie ein unschuldig zum Tode Verurteilter.
Wie alt er plötzlich aussah, grauhaarig, gebeugt, und dann begann er zu weinen, das war das Erschütterndste gewesen. Sein Diener seit fünfzehn Jahren, nie hatte Theodor sich sonderlich um Larbis Gefühlsleben geschert, und der tat, Schatten seines Herrn, genau das, was diesem verwehrt war: Er weinte. Er starrte ihn an, draußen vor dem Pferdestall war das gewesen, die Gerüche dampften intensiv aus dem warmen Stall heraus, Pferdehufe scharrten auf der harten Erde, eine Schwalbe im Mönchskleid zickzackte dicht über dem Boden, Regentropfen trommelten auf die Schindeln, Wasser gluckerte in die Regentonne, und Larbi starrte ihn an, und Tränen schossen in seine Augen, er verstand nicht, warum sein Herr sich davonmachen wollte.