Klein | Die Tagebücher der Schöpfung | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Klein Die Tagebücher der Schöpfung

Vom Urknall zum geklonten Menschen
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-10-403203-0
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Vom Urknall zum geklonten Menschen

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-10-403203-0
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wie entstand die Welt? Was ist Leben? Was bedeutet Bewusstsein? Die unglaublichen Fortschritte, die Forscher in den letzten Jahrzehnten in der Physik, in der Evolutionsbiologie, in den Neurowissenschaften und in der Gentechnologie gemacht haben, erlauben ganz neue Antworten auf diese alten Fragen der Menschheit. Stefan Klein zeichnet die aufregende Chronik der Schöpfung nach und berichtet vom aktuellen Stand der Forschung. »So macht Wissenschaft Spaß.« Unicum

Stefan Klein, geboren 1965, studierte Physik und analytische Philosophie in München, Grenoble und Freiburg. Er wandte sich dem Schreiben zu, weil er »die Menschen begeistern wollte für eine Wirklichkeit, die aufregender ist als jeder Krimi«. Sein Buch »Die Glücksformel« stand über ein Jahr auf allen deutschen Bestsellerlisten und machte den Autor auch international bekannt. In den folgenden Jahren erschienen weitere hoch gelobte Bestseller: »Alles Zufall«, »Zeit«, »Da Vincis Vermächtnis« und »Der Sinn des Gebens«, das Wissenschaftsbuch des Jahres 2011 wurde. Zuletzt erschien »Träume: Eine Reise in unsere innere Wirklichkeit«, ausgezeichnet mit dem Deutschen Lesepreis 2016, »Das All und das Nichts. Von der Schönheit des Universums« und »Wie wir die Welt verändern«. Stefan Klein lebt als freier Schriftsteller in Berlin.
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Zeichen in der Tiefe


Die Zeichen sieht nur, wer auf dem Rücken liegt. Aber um aufrecht zu sitzen, geschweige denn zu stehen, ist der hinterste Raum der Höhle von Pergouset ohnehin zu niedrig.

Eingeritzt in den Lehm treten sie aus dem Gewölbedunkel hervor: Zwitterwesen zwischen Vogel und Mensch, spitzohrige Zweibeiner, denen aus der Schulter ein Schnabel wächst; Antilopen mit Rüssel; krakelige Linien, die an riesige weibliche Geschlechtsteile erinnern.

»Monster« nennt Michel Lorblanchet sie. »Psychedelische Monster.« Um sie zu besuchen, ist er durch einen kaum schulterbreiten Gang in das südfranzösische Erdreich gekrochen. Hier haben die Signaturen überdauert, seit 12000, vielleicht auch seit 14000 Jahren, niemand weiß es genau. Sicher ist nur: Die Mondmilch trägt die merkwürdige Hinterlassenschaft mindestens seit dem Ende der letzten Eiszeit. »Mondmilch« nennen die Geologen den blassen Kalkstein, den Verwitterung so weich gemacht hat, dass schon ein zarter Fingerzug eine Spur darin hinterläßt.

Rücklings in der Mondmilch liegend, hat der Archäologe Lorblanchet das Liniengewirr abgezeichnet, Strich für Strich. Acht Jahre lang dauerte diese einsame Arbeit, über die er nicht sprach, damit kein Eindringling die empfindlichen Bilder zerstörte. Er lernte die Abdrücke verschiedener Fledermausarten erkennen und die Zeichen an der Wand von den Kratzspuren der Füchse und Marder zu unterscheiden; begriff, dass die Höhle schon in der Steinzeit so feucht war, weil ein naher Fluß sie einmal im Jahr überschwemmte und das Gestein aufweichte. Am Ende hatte er jede feuchte Wand seiner Höhle ertastet, sie bis in ihre kleinsten Unebenheiten erforscht.[3]

Dann kam er wieder, diesmal nur mit einer Fackel in der Hand, denn er wollte die Werke so erleben wie einst deren Schöpfer. Nicht einmal ein fallender Wassertropfen stört die Stille der Höhle, sagt Lorblanchet. Wer mit verdrehtem Körper im flackernden Licht darin liege, fühle sich wieder geboren, wie außerhalb der Zeit. Und dann erwachten die Tiere zum Leben.

Auf einem Deckengewölbe verendet gerade ein Steinbock, die Brust von einer Lanze durchbohrt, die Beine in einem Netz verheddert. In einer Spalte so eng, dass der Künstler hier blind gezeichnet haben muss, schimmert ein fein gearbeiteter Pferdekopf, mit Nüstern, halb offenem Maul, Augen, Pupillen und Iris. Aus einer Felswand wölbt sich ein Stein hervor wie der Bauch einer Schwangeren, auf Nabelhöhe ist ein ovales Loch ausgehöhlt, darunter eine Vulva graviert: Eine ganze Traumwelt, ein Universum von Zeichen hatten die Menschen der Steinzeit in diesem feuchten Loch angelegt.

Was mag sie dazu bewogen haben? Und was bedeuten die Zeichen? Die Heutigen werden die Bilder aus sich selbst heraus nie mehr ganz entschlüsseln können, aber gerade das macht sie so interessant. Denn wir verstehen die Gravuren deswegen nicht, weil sie mehr besagen, als sie abbilden: Offenbar hatten die Zeichnungen auch eine symbolische Bedeutung, offenbar drehten sie sich um die Beziehung zwischen Mensch und Natur und darum, wie Menschen versuchten, sich eine Welt nach ihren Ideen zu schaffen – von den Monstern in Pergouset führt ein verschlungener Weg bis zur Kunst der Moderne, bis zu den heutigen Deutungen des Kosmos.[4]

Doch die Höhlenbilder markieren nicht den Beginn dieses Weges. Denn die Anfänge des menschlichen Schöpferdrangs sind noch vor dem ersten Auftritt des Homo sapiens selbst zu finden. Nur wer die ganze Geschichte dieser Versuche kennt, kann ahnen, wozu die Zeichen der Steinzeit einst gedient haben mochten. Vermutlich benutzten schon die Neandertaler Symbole.

Das zeigt eine gespenstische Entdeckung, die eine Gruppe von rumänischen Höhlentauchern um den Geologen Christian Lascu im Jahr 1987 gemacht hatte, die aber erst zehn Jahre später im Westen bekannt wurde. Durch einen unterirdischen Wasserlauf hatte sich Lascu Zugang zu einer riesigen Tropfsteingrotte im Bihorgebirge verschafft, deren Trockeneingang seit Zehntausenden von Jahren verschüttet ist.

Mammutzähne und Bärenschädel bedeckten den Boden im Zentrum der kathedralenartigen Räume, teils wüst verstreut, teils wie absichtlich niedergelegt: Überreste, die amerikanische Wissenschaftler später auf 75000 bis 85000 Jahre vor Christi datierten, die Zeit der Neandertaler in Europa. Nirgends fanden sich Bärenskelette. Die Schädel aber waren in symmetrischen Kreuzen angeordnet und nach der Windrose ausgerichtet.

Zufall? Der Pariser Archäologe Jean Clottes, der als oberster Kustos alle prähistorischen Fundstätten in Frankreich betreut, glaubt nicht daran. Die Neandertaler, erklärt er, müssen »gewisse kreative Fähigkeiten« gehabt haben. Wollten sie sich ausdrücken, blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als Fundstücke zusammenzulegen und so Installationen der Frühzeit zu schaffen. Denn wahrscheinlich war erst der Homo sapiens mit einem Gehirn ausgestattet, das ihn zu Assoziationen, differenzierter symbolischer Darstellung und damit zum Zeichnen befähigte.[5]

Tausende von münzgroßen Kreisen weisen die beiden riesigen Felsmonolithen in der Steppe oberhalb der australischen Coornamu-Sümpfe auf, die einheimische Stammesvölker noch heute als heilig verehren. Die Einkerbungen sind geordnet in regelmäßigen Mustern, eines davon in Form eines Kängurus. Als Anthropologen diese Linien während der neunziger Jahre analysierten, sahen sie darin einen Anfang der modernen Kreativität. Atomphysikalische Untersuchungen an ausgegrabenen Splittern primitiver Steinkeile nämlich ergaben, dass die Gravuren möglicherweise vor mindestens 58000 Jahren entstanden waren.[6],[7] Damit wären diese Kreise die frühesten Zeichnungen der Welt. An anderen Fundstellen in Nordaustralien entdeckten die Archäologen dunkelrotes Farbpulver aus Hämatit, einem natürlichen Eisenoxid, das für Felsbilder verwendet wurde, und datierten es auf die Zeit vor über 55000 Jahren.[8]

Noch länger zieren Zickzacklinien und Dreiecke die Steine in der Blombo-Höhle nahe des Kaps der Guten Hoffnung – seit mehr als 77000 Jahren. Aus dieser Zeit stammen auch die ältesten bekannten Schmuckstücke der Menschheit: Ebenfalls in der Blombo-Höhle entdeckten Archäologen Dutzende säuberlich durchbohrte Muschelgehäuse, die einmal zu einer Kette aufgefädelt gewesen sein müssen.[9] Damit reicht die Geschichte, die diese Funde erzählen, fast so weit zurück wie die unserer Art selbst. Die ersten Menschen, die aussahen wie wir, betraten vor gut 100000 Jahren die Bühne der Welt.

Doch erst im Europa der Altsteinzeit kam es zu dem, was Jean Glottes die »Explosion« der menschlichen Kreativität nennt: Der Mensch schuf erste Abbilder der Realität. Von diesem großen Sprung kündet die Höhle, auf die der Archäologe Jean-Marie Chauvet wenige Tage vor Weihnachten 1994 bei einem Streifzug durch die Karstlandschaft des Ardèche-Tals stieß.

Ein sonderbar kalter Luftzug, den er plötzlich verspürte, ließ den Höhlenforscher aus Leidenschaft in einer 160 Meter steil aufragenden Felswand nach einem Eingang suchen. Ein Tunnel führte ihn und zwei Begleiter in eine Unterwelt aus Gängen und Hallen von den Abmessungen eines Doms. Dort fanden sie Kolossalgemälde vor, die nunmehr zu den bedeutendsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts zählen. Ganze Herden von Rentieren, Wisenten, Auerochsen und Raubkatzen sprangen den Forschern, wie Chauvet sagt, »regelrecht von den Wänden entgegen«.

Bären, verschiedene Raubkatzen, ein Uhu – 300 Tierbilder, immer wieder von Handabdrücken und geometrischen Gravierungen unterbrochen, hatten prähistorische Künstler auf dem Fels hinterlassen. Anmut und Perfektion dieser Werke aus Pflanzenrot und Kohlenruß sind betörend. Löwenmuskeln sind mit Licht und Schatten gezeichnet, Rhinozerosse scheinen an den Wänden miteinander zu kämpfen, ihre Hörner zornig ineinander verhakt. Pferdeherden galoppieren in perspektivischer Sicht am Betrachter vorbei, dem Ausgang entgegen.[10]

Noch überraschender als die Schönheit der Felsmalereien ist ihr Alter. Anhand der Radioaktivität winziger Kohlekrümel, die Chauvet aus den Zeichnungen zweier Nashörner und eines Bisons gekratzt hatte, konnten Physiker die Bildwunder auf 30340, 30940 und 32410 Jahre datieren. Damit sind diese Werke doppelt so alt wie die berühmten Höhlenzeichnungen von Lascaux in Südwestfrankreich und Altamira in Spanien; sie entstanden schon kurz nachdem der Homo sapiens dem Neandertaler in Europa seinen Platz streitig gemacht hatte. So ist die Chauvet-Höhle die bei weitem älteste unter allen derartigen Grotten und erstaunlicherweise auch die malerisch ausgereifteste.

Um herauszufinden, mit welcher Technik die ersten modernen Menschen diese Werke hergestellt haben konnten, ist Lorblanchet, der derzeit auch die Monsterhöhle von Pergouset erforscht, selbst in die Rolle eines Steinzeitkünstlers geschlüpft. Den Mund voll zerkauter Holzkohle, spuckt er immer wieder schwarzen Speichel an eine Felswand. Als würde er ein Schattenspiel darbieten, hält er Hände und Finger zu Schablonen geformt. So entsteht, in vielen Tagen Arbeit, das Bild eines Pferdes, das jenen in der Chauvet-Höhle täuschend ähnelt. Daneben sprüht der Forscher, ebenfalls mit Spucke, die seltsamen negativen Handabdrücke auf den Fels, wie sie in fast allen urzeitlichen Bilderhöhlen auftauchen,...


Klein, Stefan
Stefan Klein, geboren 1965, ist der erfolgreichste Wissenschaftsautor deutscher Sprache. Er studierte Physik und analytische Philosophie in München, Grenoble und Freiburg. Er wandte sich dem Schreiben zu, weil er 'die Menschen begeistern wollte für eine Wirklichkeit, die aufregender ist als jeder Krimi'. Sein Buch ›Die Glücksformel‹ (2002) stand über ein Jahr auf allen deutschen Bestsellerlisten und machte den Autor auch international bekannt. In den folgenden Jahren erschienen weitere hoch gelobte Bestseller: ›Alles Zufall‹, ›Zeit‹, ›Da Vincis Vermächtnis‹ und ›Der Sinn des Gebens‹, das Wissenschaftsbuch des Jahres 2011 wurde. Zuletzt erschien ›Träume: Eine Reise in unsere innere Wirklichkeit', ausgezeichnet mit dem Deutschen Lesepreis 2016, und ›Das All und das Nichts. Von der Schönheit des Universums‹ (2017). Stefan Klein lebt als freier Schriftsteller in Berlin.

Stefan KleinStefan Klein, geboren 1965, ist der erfolgreichste Wissenschaftsautor deutscher Sprache. Er studierte Physik und analytische Philosophie in München, Grenoble und Freiburg. Er wandte sich dem Schreiben zu, weil er 'die Menschen begeistern wollte für eine Wirklichkeit, die aufregender ist als jeder Krimi'. Sein Buch ›Die Glücksformel‹ (2002) stand über ein Jahr auf allen deutschen Bestsellerlisten und machte den Autor auch international bekannt. In den folgenden Jahren erschienen weitere hoch gelobte Bestseller: ›Alles Zufall‹, ›Zeit‹, ›Da Vincis Vermächtnis‹ und ›Der Sinn des Gebens‹, das Wissenschaftsbuch des Jahres 2011 wurde. Zuletzt erschien ›Träume: Eine Reise in unsere innere Wirklichkeit', ausgezeichnet mit dem Deutschen Lesepreis 2016, und ›Das All und das Nichts. Von der Schönheit des Universums‹ (2017). Stefan Klein lebt als freier Schriftsteller in Berlin.



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