Klein / Furman | Die Kraft des Miteinander | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 255 Seiten

Reihe: Systemische Therapie

Klein / Furman Die Kraft des Miteinander

Innovative Methoden der Netzwerk- und Gemeinschaftsarbeit in Familien, Therapie, Schule und Beratung

E-Book, Deutsch, 255 Seiten

Reihe: Systemische Therapie

ISBN: 978-3-8497-8291-7
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Damit ein Kind sich gut entwickeln kann, braucht es ein ganzes Dorf, sagt man. Dieses Buch stellt in großer Vielfalt Ansätze vor, mit denen Therapeuten, Pädagogen und Sozialarbeiter das sprichwörtliche Dorf wiederbeleben. Autorinnen und Autoren aus acht Ländern präsentieren erprobte Methoden, mit denen Angehörige, Freunde oder Gemeindemitglieder aktiv Kinder, Jugendliche und Erwachsene beim Erreichen ihrer Ziele unterstützen können: Mehrfamilienarbeit, Neue Autorität, Familienrat, Open Dialogue. Die Settings reichen dabei von Familie, Kita und Schule über Jugendhilfe und Strafvollzug bis zur Psychiatrie.

Mit Beiträgen von: Idan Amiel, Eia Asen, Ulrich Baus, Ulrike Behme-Matthiessen, Anouck De Reu, Ben Furman, Christoph Klein, Tal Maimon, Thomas Pletsch, Erzsébet Roth, Jaakko Seikkula, Henner Spierling, Philip Streit, Erik van der Elst, Justine van Lawick, Lorenn Walker, Hanna Weber, Sue Young.
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Zielgruppe


Therapeut*innen
Berater*innen
Pädagog*innen
Sozialarbeiter*innen

Weitere Infos & Material


1Wiedergutmachung – Das Tor zu neuer Resonanz im Miteinander
Philip Streit und Hanna Weber Wolfgang ist 24 Jahre alt, hat eine Behinderung und lebt in einer Einrichtung der Lebenshilfe. Auffällig ist, dass er sich wunderbar Dinge merken kann. Er prägt sich zum Beispiel eine ganze Einkaufsliste ein und bringt alle Artikel aus dem Supermarkt mit. Es fällt ihm jedoch sehr schwer, seine Impulse zu kontrollieren bzw. Regeln einzuhalten. Daneben hat Wolfgang noch einige spezielle Seiten, z. B., dass er sich nackt auszieht und auf die Hauptstraße stellt, wenn ihm etwas nicht passt. Oder dass man sich nicht sicher sein kann, ob er jemanden die Treppe hinunterschubst, wenn es nicht nach seinem Willen geht. Einmal wurde Wolfgang in eine neue Wohneinheit versetzt und begann dort lauthals die Betreuerin zu beschimpfen und zu attackieren: »Diese blöde Kuh mag ich nicht! Mit der will ich nicht arbeiten. Tut sie weg!« Dies treibt Betreuer und Betreuerinnen immer wieder an den Rand der Verzweiflung. Es fällt ihnen oft schwer, die guten Seiten von Wolfgang zu sehen. Wolfgang hat aber noch eine andere Eigenschaft. Er entschuldigt sich immer wortreich, auch bei mir: »Dr. Streit, ich tu es nie wieder. Ich werde das nie wieder machen!« Doch eines Tages sagte die Leiterin der Lebenshilfe zu ihm: »Lieber Wolfgang, jetzt ist es aber genug. Wir verlangen mehr von dir. Überleg dir, wie du den Schaden, den du bei den einzelnen Personen, aber auch bei uns als Verein angerichtet hast, wiedergutmachen kannst!« Wolfgang scheint das nicht zu verstehen, aber sein Herz tut es. Unterstützt durch eine Betreuerin macht er sich daran, für das nächste große Teamtreffen kunstvoll Brötchen in der Küche anzurichten. Er serviert diese am Beginn der Sitzung. Es sieht wunderbar aus. Bevor irgendwelche Worte des Dankes gesprochen werden können, will Wolfgang sich davonschleichen. Die Leiterin hält ihn jedoch auf, spricht Dankesworte und würdigt die außergewöhnliche Leistung, die Wolfgang vollbracht hat. Wolfgang blüht richtiggehend auf. Er ist stolz, wieder in der Gemeinschaft integriert zu sein und seine guten Seiten gezeigt zu haben. Dieses Beispiel zeigt deutlich die Idee der Wiedergutmachung, die eine der unverzichtbaren Eckpfeiler der »Non Violent Resistance«-Ansätze ist und im Deutschen unter der Bezeichnung »Neue Autorität« und »Gewaltloser Widerstand« bekannt wurde. In ihrem Beitrag für dieses Buch erzählen Tal Maimon und Idan Amiel, wie sie Lehrern und Lehrerinnen die Haltung der »Neuen Autorität« vermitteln, die es braucht, um Kinder beim Wiedergutmachungsprozess zu unterstützen (siehe S. 203). Dafür entwickelten sie das P. E. N.-Programm, das Lehrer die Grundhaltung des gewaltlosen Widerstands lehrt, um sie zur Handlungsfähigkeit zu ermächtigen. Die Abkürzung P. E. N. steht für die drei wichtigsten Dimensionen der »Neuen Autorität«: 1. Präsenz betont die Wichtigkeit der Anwesenheit und Zugewandtheit der Lehrer im Leben der Schüler. 2. Ermächtigung hilft Lehrern und Lehrerinnen, mit schwierigen Situationen im Klassenzimmer und mit auffälligen Schülern umzugehen. In dem Maße wie man den Handlungsspielraum der Fachkräfte erweitert, verbessert sich auch das Verhalten der Kinder. 3. Der letzte Buchstabe steht für Netzwerk-Unterstützung oder, wie wir es in diesem Buch nennen, den Unterstützerkreis. Wenn in schwierigen Situationen ein handlungsunterstützendes Netzwerk zur Verfügung steht, bestärkt das die Lehrer ebenfalls. Mit Programmen wie diesen können Fachkräfte lernen, gewaltlosen Widerstand gegen Fehlverhalten zu leisten. Das Schöne an gewaltlosem Widerstand? Er lässt das Kind nicht als besiegt zurück. Ganz im Gegenteil: Der Widerstand fördert beim Kind sogar die Fähigkeit zur Selbstkontrolle und die Fertigkeit, konstruktive Lösungen zu suchen. Zahllose Beispiele belegen dies. Daher wird in der »Neuen Autorität« (Omer u. Streit 2016) immer wieder betont, dass es Widerstand, Ausgleich und Versöhnung anstatt Strafe braucht. Strafe mag manchmal in eng abgegrenzten Situationen sinnvoll sein, aber im Wesentlichen lässt die Strafe den Übeltäter als Besiegten und Entwürdigten zurück. Strafe bewirkt lediglich, dass man sich Verhaltensweisen aneignet, die nur dazu da sind, die Strafe zu vermeiden. Ähnlich verhält es sich mit Belohnung. Wie das obige Beispiel sehr schön zeigt, ist eine so dahingesagte Entschuldigung nur eines der Mittel, um einer wirklichen Auseinandersetzung zu entgehen. Die Wiedergutmachung hingegen geht einen Schritt weiter. Sie ist das Bindeglied zwischen Widerstandsaktionen, Kooperation und Deeskalation. Was ist Wiedergutmachung?
Die zentrale Idee der Wiedergutmachung ist, dass, wenn durch das Verhalten einer Person einer Institution oder einer Gemeinschaft ein Leid zugefügt wird, dieses nicht durch erniedrigende Akte, sondern durch Akte der sozialen Interaktion wiedergutgemacht werden kann. Das Leiden wird also entschädigt, sei es durch die Abmilderung des Leidens selbst oder durch die Leistung eines Ausgleichs. Im Gegensatz zur Strafe wird über Akte der Wiedergutmachung der konstruktive Dialog weitergeführt. Welche Bedeutung hat Wiedergutmachung?
Eine Wiedergutmachung kann nicht nur den durch Kränkung, Verletzung, Sachbeschädigung oder Beleidigung angerichteten Schaden beheben, sondern auch das Ansehen des Kindes in der Familie oder Klasse wiederherstellen. In der Regel wird sie durch die Erziehungspersonen oder andere Unterstützer angeregt, wobei das Kind auch selbst die Idee dazu haben kann. Die Grundcharakteristika der Wiedergutmachung sind im Folgenden beschrieben: •Bei einem Fehlverhalten des Kindes, wie z. B. den Eltern Geld stehlen, die Schwester schlagen oder jemanden im Internet mobben, wird damit nicht nur das unmittelbare »Opfer« geschädigt, sondern auch die gesamte Gemeinschaft. Damit ist hier die Familie, die Klasse usw. gemeint. •Wiedergutmachung ist ein Akt der sozialen Reintegration und des Aufeinanderzugehens. •Wiedergutmachung führt Menschen zusammen. Sie lässt niemanden vor der Tür stehen. •Wiedergutmachung ist keine Strafe! Sie stärkt das Kind, anstatt es zu demütigen. Die Toiletten zu putzen kann daher kaum eine Form der Wiedergutmachung sein, da eine solche Aufgabe den Keim einer Demütigung in sich trägt. Was braucht es zur Wiedergutmachung?
Wiedergutmachung ist ein Prozess der Reintegration in die Gemeinschaft, an dem Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Betreuerinnen und Betreuer und das Kind oder der Jugendliche beteiligt sind. Folgende Grundvoraussetzungen gibt es: 1. Es braucht eine wertschätzende Haltung zu dem Kind. Das bedeutet, das Kind so zu akzeptieren, wie es ist, seine Stärken zu erkennen und zu sehen, anstatt es durch die Linse des Versagens oder des Fehlverhaltens zu betrachten. 2. Es braucht Erwachsene, die sich gegenseitig achten, unterstützen und bereit sind, sich zu vernetzen. 3. Es braucht die Fähigkeit zur Selbstkontrolle und Deeskalation. Diese entsteht nicht automatisch, kann aber gemeinsam erlernt werden. Letztendlich braucht es auch Souveränität, um diese Wiedergutmachung durchführen zu lassen. Folgendes Beispiel zeigt, wie Wiedergutmachung ins Spiel gebracht werden kann. ELTERN Anton, du hast etwas von deiner Cousine gestohlen. Wir stehen zu dir, aber hier hast du Unrecht getan – und das nicht nur ihr gegenüber. Die Stimmung der Familie ist ebenfalls getrübt. Da nun Schaden entstanden ist, muss es auch eine Entschädigung geben. ANTON Aber ich habe mich doch entschuldigt! Mehr könnt ihr nicht verlangen. ELTERN Durch dein Verhalten ist etwas zu Bruch gegangen. Das muss auf jeden Fall wiedergutgemacht werden. ANTON Das mag schon sein, aber mir ist das egal. Ich habe mich schon entschuldigt. ELTERN Okay, aber du sollst wissen, dass wir nicht vergessen, dass noch eine Wiedergutmachung aussteht. Vielleicht wäre es gut, wenn du einen Vorschlag machst. Wir haben Zeit und warten auf deine Ideen. Nach einem solchen Gespräch können die Eltern einige Tage abwarten. Zu diesem Zeitpunkt kann auch der Unterstützerkreis hinzugezogen werden, den die Eltern aufgebaut haben. Eine Person, zu der das Kind einen guten Draht hat, bringt sich dann in den Prozess ein. In Antons Fall ist eine solche Person seine Tante. TANTE Ich habe gehört, was passiert ist. Deine Eltern haben vorgeschlagen, dass du Ideen für eine Wiedergutmachung anbietest, und darüber möchte ich gerne mit dir...


Christoph Klein, Dipl. Päd., Familientherapeut, systemischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Lehrender und Supervisor (DGSF) an der Gesellschaft für Systemische Therapie und Beratung Berlin (www.gstb.org); Mitbegründer vom Berliner Zentrum für Präsenz und Kompetenz in Beziehungen (PUK) zur Stärkung der Arbeit mit Mehrfamiliengruppen, und Gemeinschaftsnetzwerken. www.praesenzundkompetenz. de
Ben Furman, Psychiater und Psychotherapeut, ist Mitbegründer des Helsinki Brief Therapy Institute, das er zusammen mit Tapani Ahola leitet. Publikationen u. a.: Ich schaffs! Spielerisch und praktisch Lösungen mit Kindern finden – Das 15-Schritte-Programm für Eltern, Erzieher und Therapeuten (8. Aufl. 2020), Gut gemacht! Das „Ich-schaffs!“-Programm für Eltern und andere Erzieher (3. Aufl. 2017), Es ist nie zu spät, erfolgreich zu sein (zus. mit Tapani Ahola, 3. Aufl. 2020), Jetzt gehts! Erfolg und Lebensfreude mit lösungsorientiertem Selbstcoaching (zus. mit Rolf Reinlaßöder, 2. Aufl. 2013).


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