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E-Book, Deutsch, 376 Seiten
Klein Keine Heimat ohne Dich
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8192-9288-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 376 Seiten
ISBN: 978-3-8192-9288-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nicole Klein entdeckte bereits in jungen Jahren ihre Leidenschaft für das Schreiben. Sie studierte in Ravensburg Medien- und Kommunikationswirtschaft und lebt ihre Kreativität seit vielen Jahren als Marketingmanagerin und freiberufliche Autorin aus. Ihr Herz schlägt für das Genre Romantic Suspense; für Geschichten, die zum Träumen und Nachdenken anregen. Gemeinsam mit ihrer Familie lebt sie in Stuttgart.
Autoren/Hrsg.
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KAPITEL 1
Ich starre auf den dunkelblauen Schokoriegel, der vor mir auf dem Tisch liegt. Auf den weißen, fetten Schriftzug und die vielen Sterne, die ihn umgeben. lese ich immer und immer wieder – so lange, bis ich gefühlstechnisch genau dort angekommen bin: zurück auf der Milchstraße. Zurück bei ihm.
Es scheint, als wäre ich immerzu von ihnen umgeben; von zahllosen Triggern, die mich stets an meine Kindheit zurückdenken lassen. An die Zeit in Füssen, an all die warmen Sommertage am See, das satte Grün der Wiesen, an Elma und Luise, die beiden Kühe unseres Nachbarn, an das Versteckspielen in den hiesigen Heuspeichern und unweigerlich, eben immer auch an ihn.
Wir lernten uns bereits als Kinder kennen, gingen in dieselbe Klasse, wurden älter, kamen aufs Gymnasium. Wir liebten das kühle Wasser des Hopfensees in den Sommermonaten, den Geruch nach Kuhmist auf den weitläufigen Weiden vor unseren Haustüren, unsere Streifzüge durch die nahegelegenen Wälder. Doch noch viel mehr als das, liebten wir den sternenklaren Himmel, der sich in so vielen Nächten wie ein großes dunkles Flies über uns legte. Der uns alles gab, was wir in unseren jungen Jahren brauchten – so unglaublich viel Potenzial zu träumen. Den Blick nach oben gerichtet, rücklings im warmen Gras, beobachteten wir an vielen Abenden all die Sterne, all die Planeten, die über uns leuchteten. Wir zählten Sternschnuppen, tanzten gedanklich über die Milchstraße hinweg, träumten von einer glanzvollen Zukunft. Doch diese traf niemals ein. Unser einzigartiges Band der Freundschaft zerriss, unsere Hände konnten sich nicht mehr halten. Wir verloren den Blick auf die Sterne, unsere kindliche Leichtigkeit und all unsere Träume, in welchen wir doch niemals getrennt sein wollten.
Mars war alles, was mir jemals etwas bedeutete. Er war der Bruder, den ich niemals hatte, meine zweite Hälfte, mein Seelenverwandter, mein bester Freund. Er machte jeden Tag besonders und jede Nacht, die wir gemeinsam im Garten seiner Eltern in unserem Campingzelt verbrachten, zu etwas Einzigartigem. Er leuchtete mein Leben aus, so wie jener namensgebende rote Planet, den wir so gerne mit dem Teleskop seines Vaters am weiten Nachthimmel beobachteten. Und er spielte stets auf seiner Gitarre, summte uns mit der immerzu gleichen Melodie in den Schlaf, der bis zu jenem Tag, bis zu jenem schicksalhaften Tag, nur die schönsten Träume für uns bereithielt.
»Hey! Julie?«
Meine Augen sind noch immer starr auf diesen dämlichen Schokoriegel gerichtet, der vor mir in einer großen Glasschale mit zahlloser anderer kalorienreicher Nervennahrung liegt. Mein Blick ist völlig leer, doch meine Gedanken sind voller, als es mir lieb ist. Wieder einmal finden Erinnerungen in meinen Kopf zurück, die zwar vermeintlich schön, für mich aber derart qualvoll sind, dass ich sofort in eine Art Standby-Modus verfalle. Ich schalte mich förmlich ab, blende alles um mich herum aus, denn nur so schaffe ich es, sie immer wieder dorthin zu vertreiben wo ich sicher vor ihnen bin – ganz tief unten. Dort, wo es dunkel ist, wo meine Gefühle nicht von ihnen tangiert werden, ich sie stattdessen wegschließen kann und sie mich nicht bedrängen. Mir nicht die Luft zum Atmen nehmen.
»Julie?«, höre ich Danijel Novaks sonore Stimme erneut zu mir durchdringen. Sie schiebt jenen Songtext beiseite, dessen Melodie noch immer eindringlich durch meine Ohren rauscht.
Ich hole tief Luft.
, vernehme ich noch einmal den Hauch einer Stimme meinen Nacken streifen, bevor auch sie verstummt. Bevor meine Gefühle gebändigt sind, ich wieder Kontrolle über meine Gedanken habe und er erneut fort ist.
Langsam fokussiere ich mich wieder.
Die stechendblauen Augen meines Chefs, welcher mir soeben gegenübersitzt, erheben sich unter seinen buschigen Brauen. Sichtlich erwartungsvoll blickt er mich an, ebenso wie Christian Minz, sein langjähriger Golfkumpane, dessen Akte aufgeschlagen vor mir auf dem Tisch liegt.
Gedankenvoll beginne ich meinen Kugelschreiber zwischen meinen Fingern kreisen zu lassen. Jenen, den ich zu meiner Festeinstellung vor einem knappen Jahr erhalten habe, der eine Gravur mit meinem Namen trägt. Bewusst nehme ich mir Zeit mit meiner Antwort, um den beiden zu signalisieren, dass ich soeben lediglich in Gedanken war. Keinesfalls bin ich beinahe im Strudel meiner Vergangenheit ertrunken – – ich habe schlicht und ergreifend nachgedacht.
Ich lasse die Mine meines Kugelschreibers herausklicken, als würde ich für eine bevorstehende Schlacht mein Gewehr laden.
»Setzen Sie einen Vergleich an«, beginne ich schließlich. »Gehen Sie auf die Forderungen ein, aber nur zu Ihren eigenen Bedingungen. Die Anwälte ihrer Frau pokern hoch. Lassen Sie diese wissen, dass Sie nicht mit sich spielen lassen. Sie verhandeln – in fairem Rahmen – aber Sie lassen sich nicht über den Tisch ziehen. Zweihundertfünfzig Tausend und das Apartment in Nymphenburg. Sie behalten das Haus in der Lerchenfeldstraße, den Rest Ihres gemeinsamen Vermögens und den Bentley.«
Ich genehmige mir einen schnellen Schluck Wasser und lege anschließend meinen Stift beiseite.
»Sie werden zustimmen. Ich kenne ihre Anwälte; die beiden sind Greenhorns, kaum ein paar Jahre in der Praxis tätig, sie werden diesen Vergleich als Erfolg notieren.«
Minz schnaubt bei meinen Worten nur auf. Amüsiert würde ich sagen, dürfte ich tippen. Natürlich weiß er ebenso wie ich, dass ich mit solchen Äußerungen vorsichtig umgehen muss, denn ich bin ja selbst kaum länger als ein Jahr im Zivilrecht tätig. Ich habe zwar stets neben dem Studium gearbeitet, konnte viel Praxiserfahrung sammeln und war immer schon fleißig und überaus ambitioniert, doch mit gerade einmal sechsundzwanzig gelte ich in den Augen vieler nicht wirklich als erfahrene Anwältin.
Doch bis auf das Schnauben hält mir Minz nicht viel entgegen. Vielmehr nickt er zu meiner Überraschung nur und macht sich jetzt schnell einige Notizen. Die zivilrechtliche Verhandlung mit seiner Ex-Ehefrau ist für kommenden Montag terminiert, doch ich werde meinen Mandanten nicht persönlich begleiten. Mein Chef möchte seinen Kumpel selbst vertreten, hatte aber keine Zeit oder gar Lust gehabt, seinen Fall zu bearbeiten. Und so habe ich die Vorarbeit übernommen, eine simple Handlangertätigkeit, die sich für mich jedoch in keiner Weise derart anfühlte. Denn ich bin Danijel unglaublich dankbar für das Vertrauen, das er stets in mich setzt und für die vielen Freiheiten, die er mir hier in seiner Kanzlei einräumt. Er ist mein Mentor, mein größter Förderer, er ist wie ein Vater, den ich in den letzten Jahren selbst so schmerzlich vermisst habe.
»Gute Arbeit, Blum«, lobt er mich auch sofort als Minz den Meetingraum schließlich zufrieden verlässt; vermutlich um mit seinem prolligen Bentley zurück in seine Villa in Altstadt-Lehel zu fahren.
»Kinderspiel«, winke ich ab, denn Minz´ Fall hat nicht wirklich einen hohen Schwierigkeitsgrad – und das weiß Danijel ebenso gut wie ich. Es ist ein simpler Scheidungsfall, ein typischer Kleinkrieg zwischen geprellten Eheleuten. Nichts, womit man sich im Nachgang noch rühmen könnte.
»Haben Sie noch eine paar Minuten?«
»Natürlich.«
Ich nehme wieder Platz, bin ich doch soeben aufgestanden, um den Raum in Richtung Kaffeeküche zu verlassen. Es ist schon spät an diesem Donnerstagnachmittag und ich benötige dringend einen Koffeinschub, sollte ich wie gewohnt noch bis in die frühen Abendstunden in der Kanzlei bleiben wollen, um meine Unterlagen für die kommende Woche vorzubereiten.
Danijel lehnt sich jetzt lässig gegen die Zimmerwand. Er ist ein gepflegter, äußerst attraktiver und recht großer Mittfünfziger, der sicher schon einige seiner Mandantinnen um den Verstand gebracht hat. Er ist ledig, zumindest soweit ich weiß, trägt niemals eine Krawatte oder einen spießigen Anzug. Seine dunklen Haare sitzen stets perfekt und obgleich sie bereits graumeliert sind, geben sie mit seinen blauen Augen ein mehr als stimmiges Gesamtbild ab.
»Ich würde Sie gerne um einen Gefallen bitten.«
Ich blinzle nahezu in Zeitlupe.
Ein tiefes Gefühl der Verspannung überkommt mich. Denn mein Chef weiß nur zu gut, dass ich ihm kaum eine Bitte abschlagen kann. Dass ich stets gewillt bin, immerzu hundert Prozent zu geben, auch wenn viele seiner mir übertragenen Tätigkeiten weder Freude bereiten, noch zu meinem Aufgabengebiet gehören. Doch zu viel hat er bereits für mich getan, zu oft hat er seine Hand schon schützend über mich gehalten, als das ich ihm jemals ein entgegengebracht hätte. Ich nicke daher gewohnt zugewandt und er fährt umgehend fort.
»Ich möchte, dass Sie...