Kleinert / Zeeck / Ziemainz | Sportsucht und pathologisches Bewegungsverhalten | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 212 Seiten

Kleinert / Zeeck / Ziemainz Sportsucht und pathologisches Bewegungsverhalten

E-Book, Deutsch, 212 Seiten

ISBN: 978-3-17-035639-9
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das Buch beschreibt den aktuellen Stand zum Thema Sportsucht und pathologisches Bewegungsverhalten, darunter Definitionen, Prävalenz, Entstehungsbedingungen, Diagnostik und Therapie. Es behandelt sowohl das Auftreten von Sportsucht in spezifischen Bereichen wie Ausdauersport und Fitnesssport als auch die Zusammenhänge mit anderen Störungsbildern wie etwa den Essstörungen oder der Muskeldysmorphie. Neben Entstehungsmodellen werden psychische und psychopathologische Hintergründe, diagnostische Möglichkeiten (z. B. Fragebögen) sowie präventive und therapeutische Ansätze aufgezeigt.
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Bestimmungsmerkmale und Kriterien der Sportsucht
Jens Kleinert
In mindestens dreierlei Hinsicht ist die Definition der Sportsucht schwierig. Erstens ist es – wie auch bei anderen Verhaltenssüchten – schwer einzuschätzen, ab wann Sporttreiben tatsächlich als eine Sucht im krankhaften Sinne bezeichnet werden kann. Zweitens sind die Erscheinungsformen und Ausprägungen so vielfältig und unterschiedlich, dass es problematisch erscheint, die bzw. eine Sportsucht zu beschreiben. Und drittens ist auffälliges Sport- und Bewegungsverhalten in den meisten Fällen eng verbunden mit anderen psychischen Auffälligkeiten oder Störungen, weshalb es häufig nicht einfach ist, Sportsucht von anderen psychischen Erkrankungen klar abzugrenzen. Das vorliegende Kapitel fokussiert insbesondere die erste Herausforderung, nämlich die Frage, ab wann Sportreiben oder körperliche Aktivität suchtartige Züge annehmen oder sogar als krankhaftes Verhalten bezeichnet werden müssen. Zur Beantwortung dieser Frage werden neben der vorliegenden Sportsucht-Literatur auch die grundsätzlichen Kriterien von Sucht und Abhängigkeit verwendet, wenn auch die Übertragung dieser Kriterien auf die Sportsucht mit Vorsicht vorgenommen werden muss. 2.1       Bestimmungsmerkmale der Sportsucht
Bereits die Vielzahl von Begrifflichkeiten, mit denen die Sportsucht umschrieben wird, zeigt die Uneindeutigkeit in ihrer Darstellung. Während im deutschsprachigen Raum zumeist von Sportsucht (»exercise addiction«) gesprochen wird, findet sich in der internationalen Literatur häufig auch der Begriff der Sportabhängigkeit (»exercise dependence«). Andere Umschreibungen bringen weitere Akzente ein, zum Beispiel die Zwanghaftigkeit des Verhaltens (»compulsive exercise«) oder die Verbindung mit Essstörungen (»running anorectics«). Schließlich zeigen frühere Wortschöpfungen, dass im Bereich des Laufsports die Anfänge der Sportsuchtforschung lagen (»obligatory runners«, »running addiction«). Im vorliegenden Buch werden wir der Einfachheit halber in der Regel den Begriff der Sportsucht verwenden, der alle Formen der bewegungsbezogenen Abhängigkeit miteinschließen soll. An Stellen, an denen der Begriff sehr weit gefasst gemeint ist, wird allgemeiner von »problematischem Sporttreiben« gesprochen. 2.1.1     Exzessives Sporttreiben
Das auf den ersten Blick zentrale Merkmal der Sportsucht ist sicherlich die Sport- und Bewegungsaktivität selbst. Daher ist ein auffallend hohes Ausmaß an körperlicher Aktivität trotz aller Schwierigkeiten, Sportsucht zu definieren, ein wichtiges Merkmal. Diese auch als »exzessives Sporttreiben« bezeichnete Auffälligkeit ist jedoch keinesfalls ausreichend, um Sportsucht im Sinne einer krankhaften Störung zu definieren. Der Sportumfang alleine ist somit kein hinreichendes wissenschaftliches oder klinisches Kriterium, was auch daran deutlich wird, dass hohe Sportumfänge im Leistungssport gang und gebe sind. So beschreiben Tucker und Collins (2012), dass zum Beispiel 1000 Trainingsstunden pro Jahr im Hochleistungsbereich vieler Sportarten eher die Regel als die Ausnahme sind. Solche wöchentlichen Trainingsumfänge von 20 oder mehr Stunden lassen sich sicherlich nicht abgrenzen vom Sportumfang eines Sportsüchtigen. Aufgrund dieser schweren Einschätzbarkeit exzessiver Sportaktivität als gut oder schlecht bzw. gesund oder krank wurde in der Vergangenheit grundsätzlich diskutiert, ob stark ausgeprägtes Sport- und Bewegungsverhalten problematisch ist oder behandelt werden muss. In diesen Diskussionen wurde auch häufig von einer »positiven« Sucht (»positive addiction«) gesprochen (Carmack und Martens 1979; Glasser 1976; De La Torre 1995), da ja umfangreicher Sport grundsätzlich auch zu positiven Konsequenzen führen kann (z. B. körperliche oder psychische Gesundheit). Der Begriff »positive Sucht« ist jedoch aus theoretischer und klinischer Sicht unangemessen, da bei einer Sucht laut Definition grundsätzlich die negativen Umstände die denkbaren positiven Aspekte des Verhaltens deutlich übersteigen. Mit dieser Lesart unterscheidet sich der wissenschaftliche Suchtbegriff von der manchmal im Alltag üblichen Art und Weise, das Wort »süchtig« zu verwenden (nämlich für etwas, was man besonders gern oder häufig macht). Exzessives Sportreiben ist im Sinne der Sportsucht als maßloses Sporttreiben zu verstehen. Maßlos heißt hier, »dies in einer übersteigerten, übertriebenen oder ausufernden Form –letztlich also in ungewöhnlichem Umfang – zu tun; exzessiv bedeutet aber auch, Sport und Bewegung zügellos und unersättlich zu treiben, das heißt Grenzen sowie Zweck- oder Sinnbezüge zu missachten« (Kleinert et al. 2013). Es geht also bei der Beurteilung von »exzessiv« nicht oder weniger um die Einschätzung der Quantität, sondern vielmehr um die Einschätzung der Funktionalität und Sinnhaftigkeit. Daher sind hohe Sportumfänge im Leistungssport im Rahmen der beruflichen Sportkarriere als funktional (d. h. zweckmäßig) und meist auch sinnvoll einzustufen. Die Aspekte der Funktionalität und Sinnhaftigkeit berühren darüber hinaus die Frage des Kontrollverlustes, der als ein Grundkriterium von Verhaltenssüchten weiter unten ( Kap. 2) besprochen wird. Auch in der Sportsuchtforschung finden sich Hinweise darauf, dass der bloße Umfang von Sport sich kaum als Kriterium für Sportsucht eignet (Bamber et al. 2003). So fanden Davis et al. (1993) heraus, dass zwischen Sportumfang und anderen Suchtsymptomen nur geringe Zusammenhänge bestehen. Andersherum stellt sich die Frage, ob eine Sportsucht auch bei einem geringen Umfang von Sport bzw. körperlicher Aktivität denkbar ist. Auch wenn hierzu bislang keine abschließende Antwort vorliegt, kann angenommen werden, dass (sehr) niedrige Sportumfänge das Vorliegen einer Sportsucht ausschließen (siehe aber besondere Aspekte des zwanghaften Sporttreibens bei Essstörungen,  Kap. 4.3). Die Erfassung von Sportumfängen könnte daher meist zwar als Ausschlusskriterium dienen, aber kaum als hinreichendes Kriterium für Sportsucht. 2.1.2     Maladaptivität
Neben dem Begriff des exzessiven Sporttreibens ist der Begriff der Maladaptivität in Definitionen der Sportsucht sehr häufig zu finden (De Coverley Veale 1987; Hausenblas und Symons Downs 2002a). So beschreiben Symons Downs, Hausenblas und Nigg Sportsucht als »maladaptive pattern of excessive exercise behavior that manifests in physiological, psychosocial, and cognitive symptoms« (Symons Downs et al. 2004, S. 185). Von Maladaptivität kann dann gesprochen werden, »wenn das Sport- und Bewegungsverhalten die persönliche Entwicklung des Betroffenen langfristig und maßgeblich beeinträchtigt, behindert oder unterdrückt« (Kleinert 2014, S. 169). Diese negative Auswirkung des exzessiven Sport- oder Bewegungsverhaltens auf die eigene Entwicklung kann daher auch als Leitkriterium für die klinische Relevanz der Sportsucht dienen (Kleinert et al. 2013). Die Ausprägungen von Maladaptivität sind ebenso wie die Ausprägungen von Entwicklungsprozessen mehrdimensional (d. h. körperlich, psychisch und sozial). In körperlicher Hinsicht zeigt sich eine maladaptive Entwicklung beispielsweise in häufigen Verletzungen oder Erkrankungen, die sich daraus ergeben, dass die Betroffenen zu viel trainieren und sich körperlich überfordern oder schwächen (z. B. mit negativen Auswirkungen auf den Bewegungsapparat oder auch das Immunsystem). In psychologischer Hinsicht könnten sich maladaptive Entwicklungen darin zeigen, dass das Selbst- und Körperkonzept leidet (z. B. Abhängigkeit des Selbstwerts von sportlicher Aktivität, depressive Stimmungslage, wenn kein Sport getrieben werden kann); aus sozialer Sicht sind typische Anzeichen einer maladaptiven Entwicklung Probleme in der Familie, in der Ausbildung oder im Beruf (z. B. Konflikte in Beziehungen aufgrund der hohen Bedeutung des Sports, sozialer Rückzug oder Vernachlässigung der beruflichen Ausbildung). Wenn Sporttreiben nicht nur nach seinem Umfang, sondern nach seiner Bedeutung im Rahmen der Entwicklung des Betroffenen beurteilt wird, ist eine Unterscheidung von »normalem« und »krankhaftem« Sport- und Bewegungsverhalten deutlich einfacher: »In light of this definition pathogenic exercisers could be distinguished from the other high-volume exercisers, like athletes, who maintain control over their training, have a fixed schedule of...


Prof. Dr. Jens Kleinert, Psychologisches Institut der Deutschen Sporthochschule Köln. Prof. Dr. Almut Zeeck, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Freiburg. PD Dr. Heiko Ziemainz, Department für Sportwissenschaft und Sport, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.


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