Kleve / Roth / Simon | Lockdown: Das Anhalten der Welt | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Reihe: Systemische Horizonte

Kleve / Roth / Simon Lockdown: Das Anhalten der Welt

Debatte zur Domestizierung von Wirtschaft, Politik und Gesundheit

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Reihe: Systemische Horizonte

ISBN: 978-3-8497-8256-6
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Diesem richtungweisenden Buch prophezeit Bernhard Pörksen eine "theoriegeschichtliche Brisanz". "Hier wird tatsächlich diskutiert, hart in der Sache gerungen, polemisiert und dann wieder mit einer Leichtigkeit und einer stilistischen Eleganz nuanciert und differenziert, die mir Bewunderung abnötigt. (…) Streit bietet eine Erkenntnischance eigenen Rechts – das ist die Einsicht, die für mich aus der Lektüre dieses Buches und dem Disput in all seinen Facetten folgt."
Die Debatte über die Pandemie und die gewaltigen Folgen für Individuen und Gesellschaften ist in den Medien in vollem Gange. Man sollte sie aber nicht dem medialen Alltagsgeschäft überlassen. Carl-Auer macht die systemische Debatte wirklich explizit. So kann sie schärfer beobachtet und wesentlich fruchtbarer werden.
Heiko Kleve, Initiator des Projektes, konnte Steffen Roth und Fritz B. Simon gewinnen, sich auf eine Weise miteinander zu streiten, dass der von Bernhard Pörksen dankbar registrierte Effekt eintritt. Die Ausgangsfrage nach dem Verhältnis von Politik und Wirtschaft in pandemischen Zeiten führt unweigerlich auch zu Fragen von Moral und Amoral, von Intervention oder Laissez-Faire und zum Verhältnis von theoretischer Ausrichtung und praktischer (Nicht-)Einmischung.
Prominente Gäste aus Wirtschaft, Sozialwissenschaft, Organisationsberatung, Kunst und Ökologischer Forschung rufen provozierend dazwischen und bringen die Debatte in weitere relevante Kontexte.
Kleve / Roth / Simon Lockdown: Das Anhalten der Welt jetzt bestellen!

Zielgruppe


Politiker
Politikberater
Kommunikationswissenschaftler
Studierende
qallgemeines Lesepublikum

Weitere Infos & Material


»Pakt für Nachhaltigkeit«: Grüne fordern Milliarden für die Wirtschaft ntv, 2. Mai 2020 BDI: Wirtschaftsverbände fordern Ende der Corona-Beschränkungen ZEIT ONLINE, 2. Mai 2020 Wirtschaft fordert einen klaren Exit-Fahrplan von der Regierung Handelsblatt, 4. Mai 2020 As Trump Pushes to Reopen, Government Sees Virus Toll Nearly Doubling New York Times, 5. Mai 2020 Hope and Worry Mingle as Countries Relax Coronavirus Lockdowns New York Times, 5. Mai 2020 4Vom Für und Wider der Politisierung bzw. Ökonomisierung zur Staatskritik
von Heiko Kleve 5. Mai 2020 Beide Kontrahenten, Fritz B. Simon und Steffen Roth, haben sich in ihren Positionen ausdifferenziert. Sie kommen nicht zusammen, sie bleiben ihren Perspektiven treu. Leider haben sie bisher meine angemahnte Konkretisierungsforderung nicht aufgegriffen, wie denn nun etwa Organisationen, die selbst nicht der klassischen Realwirtschaft zugeordnet werden können, finanziert werden sollten. Vielleicht können wir im weiteren Diskurs dazu Beispiele sammeln, um von der gesellschaftstheoretischen auf die alltagspraktische Ebene überzuwechseln. Zunächst bleibt festzuhalten: Während Simon die Politik als Schiedsrichter im gesellschaftlichen Spiel der Funktionssysteme versteht, kontert Roth, dass diese Systeme keinem gemeinsamen Spiel folgen, sondern ihren je eigenen Regeln gehorchen. Daher kann es keine politische Metastrategie geben, die interesselos, neutral oder allparteilich im »Kampf« der Partialinteressen für Ausgleich sorgt. Denn der Staat als »Selbstbeschreibung der Politik« oder als politische Organisation ist selbst interessengeladen unterwegs. Es geht ihm um Macht, um die Monopolisierung der Gewalt, um die Durchsetzung kollektiv bindender Entscheidungen sowie um die Sanktion derjenigen, die diese nicht anerkennen. Genau an dieser Stelle laden wir einen Protagonisten ein, der mit seinem Zwischenruf die interessengeladene Perspektive des Staates noch deutlicher markiert: Dr. Stefan Blankertz. Mit ihm greift ein Sozialwissenschaftler, Philosoph und Romancier in den Diskurs ein, dessen Perspektive als libertär bezeichnet werden kann. Der Libertarismus könnte wohl als eine Form der Dekonstruktion des Staates und seiner Legitimationsideologien bewertet werden. So erscheint es passend, dass Stefan Blankertz Gründer und Betreiber des Murray-Rothbard-Instituts für Ideologiekritik ist. Hat die Wirtschaft die Politik übernommen?
von Stefan Blankertz Jedes Handeln hat einen ökonomischen Aspekt, denn jedes Handeln nutzt Ressourcen (selbst das Denken verbraucht Zeit). So ist es keine Zumutung, staatliches Handeln unter ökonomischen Gesichtspunkten anzuschauen. Vielmehr gibt es gar keine Möglichkeit, über es nachzudenken, ohne dabei auch ökonomische Gesichtspunkte zu berühren. Die Ökonomie des Staats unterliegt aufgrund seines Gewaltcharakters Besonderheiten. Der Staat erhält die Ressourcen nicht wie jede andere gesellschaftliche Organisation im direkten und freien Austausch. Vielmehr enteignet er die produktiv Tätigen (Einzelpersonen, Firmen usw.) und nutzt die so gewonnenen Ressourcen. Einerseits nutzt er sie zur eigenen Erhaltung. In entwickelten Staaten geht ein Großteil der Ressourcen andererseits an ausgewählte gesellschaftliche Organisationen (zum Beispiel Firmen), die ihm das im Gegenzug mit Loyalität danken. Steffen Roth formuliert treffend, dass der »Staat seine Marktmacht ausspielt, um neben Soldaten und Polizisten auch Lehrer, Wissenschaftler, Richter, Priester und Theaterdirektoren mit Geld politisch auf Kurs zu bringen«. Diese so privilegierten gesellschaftlichen Organisationen stehen dem Staat zwar unisono loyal gegenüber, aber untereinander konkurrieren sie heftig um ihren Anteil an den Ressourcen. Aus den gesellschaftlichen Organisationen werden Interessengruppen, die sich nicht mehr nur durch das Bestreben erhalten, den Handlungspartnern (zum Beispiel Kunden) das von diesen Gewünschte zu liefern, vielmehr darüber hinaus Zugang zu öffentlichen Mitteln haben und sich ein Stück weit entfernen können von der Zustimmung der sie konstituierenden Personen. Das Gerangel der Interessengruppen ist das, was man landläufig als »Politik« bezeichnet. Durch das Gerangel der Interessengruppen gerät die Politik an zwei heikle Punkte. Zum einen hat die Enteignung der Produktiven eine (negative) Wirkung auf die Produktivität. Der Grad an Enteignung kann nicht unbegrenzt gesteigert werden, um allen Forderungen der Interessengruppen nachzukommen. Zum anderen ist das ökonomische Abwägen, welchen Forderungen nachzukommen sei, mit schweren Verlusten an Legitimation dort verbunden, wo Forderungen abgewiesen werden oder sogar eine Verringerung der Zuwendungen droht. Dies ist die spezifische politische Ökonomie staatlicher Herrschaft. Während der Corona-Pandemie etwa war immer wieder die Rede davon, das Gesundheitswesen in dem einen oder anderen schwer betroffenen Land sei »totgespart« geworden. Da in keinem der Länder eine Reduzierung der Quote des Staats am Bruttosozialprodukt stattgefunden hat, bedeutet dies nur eins: Finanzmittel sind nicht in dem Maße ins Gesundheitswesen geflossen, wie es dessen Vertreter gern gesehen hätten, sondern anderen Interessengruppen zugutegekommen. Da die Gesundheitskosten in den letzten Jahrzehnten überall drastisch gestiegen sind, heißt »totgespart« nicht einmal, dass der Anteil des ökonomischen Wohlstandes, der für das Gesundheitswesen aufgewendet wurde, tatsächlich gesunken ist, sondern sich nur nicht im gewünschten Maße steigern ließ. Die Interessengruppen – wie die Vertreter der Krankenkassen oder der Ärzte, der Arbeitgeber oder der Gewerkschaften usw. – erobern nicht den Staat und üben ungebührlichen Einfluss auf ihn aus, sondern sie sind ihrerseits vom Staat geschaffen. Die Klage über den ungebührlichen Einfluss von bestimmten Interessengruppen ist immer ein Teil des Machtkampfes zwischen den Interessengruppen: Es klagt eine Interessengruppe, die andere Interessengruppe habe zu viel Einfluss. Fritz B. Simon zählt einige der Interessengruppen auf, die der Staat finanziert: »Er bezahlt Lehrer und Wissenschaftler, Richter und Polizisten, Krankenhausärzte und Gesundheitsämter, Theater- und Museumsdirektoren, ja, sogar die Finanzierung der Kirchen sichert er.« Zwar lässt Simon offen, welche Interessengruppen durch den Staat seiner Meinung nach legitim zu bedienen seien, jedoch bemängelt er auf jeden Fall den zu großen Einfluss der Wirtschaftslobbyisten. Die Entscheidung darüber, welche Interessengruppe wie stark oder ob überhaupt staatlich finanziert und sonst wie gefördert werden solle, macht er an »kollektiv bindenden Entscheidungen« fest. Aber es ist gerade das Vorgehen der Staatsgewalt, den Bereich »kollektiv bindender Entscheidungen« ständig zuungunsten der gesellschaftlichen Selbstorganisation zu verschieben. Bei dieser Verschiebung spielt eine große Rolle, dass die gesellschaftliche Selbstorganisation stets als partikulares, das staatliche Handeln dagegen als allgemeines Interesse behauptet wird. Die Notwendigkeit kollektiv bindender Entscheidungen ist kein objektivierbares Kriterium, sondern Teil des politischen Machtkampfes um Zugang zu staatlichen Finanzmitteln. Dabei ist das Allgemeininteresse, das der Staat gegenüber den Interessengruppen hochhalten müsse, Ausdruck des relativen Einflusses von Interessengruppen. Kein geringerer als Pierre Bourdieu hat dies, bevor er Ende der 1990er-Jahre seine kritischen Analysen vergaß und den Liberalismus zum Hauptfeind der Menschheit erklärte, genau beschrieben und vor dem »Staatsdenken« in der Soziologie gewarnt: Die »Kommission« (Expertenrat, Parlamentsausschuss etc.) habe die Aufgabe, das »alchemistische Wunder« zu vollbringen, aus partikularen Interessen Allgemeininteressen zu machen. In den staatlichen Kommissionen (und nachgelagert: durch die Medien) wird das momentane Gleichgewicht der Macht zwischen den verschiedenen »gesellschaftlich relevanten« Interessengruppen als das Allgemeininteresse deklariert: Das, was vor dem Verfahren partikulare Interessen waren, ist nach ihm das Allgemeininteresse, dem keiner, der seine soziale Vernunft beieinander hat, widersprechen darf, ohne als Bösewicht dazustehen, der »soziale Kälte« ausstrahle. Hingegen scheint es keine »soziale Kälte« zu sein, wenn wegen des Allgemeinwohls die Menschen während der Corona-Pandemie in »systemrelevant« und »nicht-systemrelevant« unterteilt und ihre Bedürfnisse (zum Beispiel nach Kinderbetreuung) dementsprechend als realisierbar oder nicht-realisierbar eingestuft werden. Für mich stellt das eine staatlich verordnete Ökonomisierung dar. Gewaltcharakter des Staats hört sich drastisch an. Doch sogar das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland...


Heiko Kleve, Univ.-Prof., Dr. phil.; Sozialpädagoge und Soziologe sowie Systemischer Berater (DGSF), Supervisor/Coach (DGSv), Systemischer und Lehrender Supervisor (SG), Case-Manager (DGCC) und Konflikt-Mediator (ASFH); Inhaber des Stiftungslehrstuhls für Organisation und Entwicklung von Unternehmerfamilien am WIFU – Wittener Institut für Familienunternehmen, Wirtschaftsfakultät, Universität Witten/Herdecke. Autor zahlreicher Bücher und einschlägiger Fachbeiträge zur systemisch-konstruktivistischen, systemtheoretischen und postmodernen Theorie und Praxis in den Sozialwissenschaften.

Steffen Roth, Prof. Dr. Dr. habil., Dipl.-Soz.; Full Professor für Management an der La Rochelle Business School, Frankreich, und Adjunct Professor für Wirtschaftssoziologie an der Universität Turku, Finnland, Research Professor für Digitale Soziologie, Kazimieras Simonavicius University in Vilnius, Lithuania. Zahlreiche Veröffentlichungen in einschlägigen Fachzeitschriften.

Fritz B. Simon, Dr. med., Professor für Führung und Organisation am Institut für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke; Systemischer Organisationsberater, Psychiater, Psychoanalytiker und systemischer Familientherapeut; Mitbegründer der Simon, Weber and Friends, Systemische Organisationsberatung GmbH. Autor bzw. Herausgeber von ca. 300 wissenschaftlichen Fachartikeln und 32 Büchern, die in 15 Sprachen übersetzt sind, u. a.: "Einführung in die systemische Wirtschaftstheorie" (2009), "Formen. Zur Kopplung von Organismus, Psyche und sozialen Systemen" (2018) und "Anleitung zum Populismus oder: Ergreifen Sie die Macht!" (2019).

Bernhard Pörksen, Dr., Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen; Herausgeber der Reihe Systemische Horizonte im Carl-Auer Verlag. Er erforscht die Macht der öffentlichen Empörung und die Zukunft der Reputation und veröffentlicht – neben wissenschaftlichen Aufsätzen – Essays und Kommentare in vielen Zeitungen. Im Jahre 2008 wurde Bernhard Pörksen zum "Professor des Jahres" gewählt. Veröffentlichungen u. a.: "Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker" (zus. mit Heinz von Foerster, 12. Aufl. 2019), "Kommunikation als Lebenskunst. Philosphie und Praxis des Miteinander-Redens", zus. mit Friedemann Schulz von Thun, 2. Aufl. 2016), "Vom Sein zum Tun. Die Ursprünge der Biologie des Erkennens" (zus. mit Humberto Maturana, 4. Aufl. 2018), "Die Beobachtung des Beobachters. Eine Erkenntnistheorie der Journalistik" (2015).


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.