E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Klewer NECROSTEAM
Neuausgabe 2020
ISBN: 978-3-95765-871-5
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Cthulhupunk-Anthologie
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-95765-871-5
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Welt des 19. Jahrhunderts schickt sich an, dank ihrer dampfbetriebenen Luftschiffe und Æthertechnologie, ein neues, glücklicheres Zeitalter einzuleiten.
Doch in dieser Ära des Aufbruchs durch Dieselantriebe und des elektrischen Fortschritts geraten Menschen in einen Strudel aus Brutalität, Gewalt und Zerstörung. Dunkle Bruderschaften bilden sich, uralte Siegel werden geöffnet, die alten Götter und mächtige Wesen aus anderen Dimensionen bedrohen die Menschheit. Sie wollen diese Welt zerschlagen, die Erde bersten lassen, das Leben verbrennen.
Ein neues Zeitalter des Schreckens soll beginnen und die alten Götter aus H. P. Lovecrafts Universum treffen auf mutige Abenteurer des Steampunk, die sich ihnen in den Weg stellen ...
Der Herausgeber, Coverdesigner und Illustrator: Detlef Klewer: Als Liebhaber und Kenner des fantastischen Films veröffentlichte er zahlreiche Artikel in Kinomagazinen wie Vampir, Film-Illustrierte und Moviestar, sowie fünf Sachbücher zum Thema 'Horrorfilm'. Das letzte Werk 'Die Kinder der Nacht - Vampire in Film und Literatur' erhielt als bestes Fachbuch des Jahres den Virus-Award 2007. Seit 2011 verfasst er Fantasy-, Mystery- Horror-, Steampunk- und Science-Fiction-Geschichten, die in diversen Anthologien verschiedener Verlage erscheinen. Zwei Steampunkanthologien mit seiner Beteiligung erhielten 2015 und 2016 den Deutschen Phantastik Preis. Seit 2015 ist er auch als - inzwischen zwölffacher - Herausgeber im Horror-, Science-Fiction- und Steampunkgenre tätig. Erste Veröffentlichungen seiner Comics und Illustrationen erfolgten bereits in den Siebzigerjahren in Alternativzeitschriften wie Am Erker, Ulcus Molle oder Innisfree. Geadelt durch den Abdruck eines mehrseitigen Comics im deutschen Heavy Metal/Metal Hurlant-Ableger Schwermetall liegt der Schwerpunkt seiner Arbeit als selbstständiger Coverdesigner, Illustrator und preisgekrönter Comiczeichner ('Auf den Spuren H. P. Lovecrafts Band 3') heute in der Gestaltung von Buch-, CD- und DVD-Covern, sowie der Anfertigung von Buchillustrationen und Comics für verschiedene Verlage.
Autoren/Hrsg.
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David Grade: Necrosteam
In der Nacht schwebten wir mit der Graf von Paris über der düsteren Metropole, die allenthalben der Kohlenpott genannt wurde, ein. Das Luftschiff hatte uns von Berlin über Mitteldeutschland in die schwarzen Gedärme des Kaiserreichs getragen – ein Luxus, von dem die Wanderarbeiter aus dem Osten und die Überlebenden aus den versunkenen Niederlanden, die vom Ruhrgebiet angezogen wurden wie Insekten von einer Gasflamme, nur träumen konnten. Schon seit Stunden rochen wir rußigen Rauch. Obgleich sich über uns ein klarer Sternenhimmel spannte, schnürten sich unsere Lungen ein, und der scharfe Gestank, der zu uns herauf wehte, stach in unsere Nasen. Unter uns verdichteten sich Staub, Ruß und Schwefel zu einem schmutzigen Nebel, der wie eine dunkelgraue Wolkendecke jede Sicht auf das Land verhinderte. Selbst Berta von Babelsberg, Agentin des Kaisers, in deren Diensten ich stand, und die ich als unverwüstlich und matronenhaft, gleich dem majestätischsten Schlachtschiff aus den Blohm-&-Voss-Werften des untergegangenen Hamburgs erlebte, sprach gepresst. Ihr Doppelkinn zitterte hin und wieder vor unterdrücktem Husten. »Das ist der Preis für die Pracht des Kaiserreichs.« Ernst Berkmann, ein alterndes Männchen, Fabrikant in dem Moloch unter uns und unser Begleiter seit Berlin, zog ein parfümiertes Tuch aus seinem Ärmel und reichte es der Baronesse. »Im letzten Jahr haben wir über eine Million Tonnen Kohle exportiert, aber das meiste wird hier verbrannt. Inzwischen kommt das Eisenerz gar aus dem Zarenreich, den Minen von Moria im Süden Afrikas und natürlich aus unseren eigenen Schächten. Es braucht viel Hitze, um es nach dem Willen des Kaisers zu biegen oder zu gießen.« Berta von Babelsberg schwieg und presste sich das Tuch vor Mund und Nase. Wie wir alle starrte sie aus der Glasfront am Bug der Graf von Paris auf das Nebelmeer, das zunehmend in Unruhe geriet. Dort, wo unter der grauen Masse Schornsteine stehen mochten, wallten Fontänen schwarzen Dampfes auf, zogen behäbig in Windrichtung und stürzten abwärts, wo sie von aufziehenden Schwadenwänden, gegen die das Luftschiff wie Krill in einer Tsunamiwelle wirkte, verschlungen wurden. Das Schauspiel ähnelte dem Albtraum eines Matrosen von einem Orkan auf hoher See. Nur, dass kein Wind heulte, die Graf von Paris ruhige Fahrt machte und die Luft weder salzig noch frisch, sondern giftig und stechend war. Es gab noch eine Ähnlichkeit, die mir erst später ganz und gar bewusst wurde: Im Angesicht der unendlichen See neigte ich dazu, die Tiefe unter dem Schiffsrumpf körperlich zu spüren. Genau dieses Gefühl beschlich mich jetzt auch. In der Tiefe unter den Nebeln bewegte sich etwas, etwas Großes, Bösartiges, etwas, was uns verschlingen würde, entwickelte es nur das geringste Interesse an uns. Es gedieh in den vergifteten Schwären, stieß sie vielleicht sogar aus, wie Kranke den Gestank nach kaltem Schweiß und Tod. Es verfügte über Mäuler und Tentakel, die bis zur Oberfläche tasteten und hinter dem Nebel zu erahnen waren. Ich erschauerte wie unter einem Fieberkrampf und stützte mich an die stählerne Rahmung der Fensterfront. Berta von Babelsberg und Ernst Berkmann sahen zu mir, als hätte sich mein Schrecken bis zu ihnen ausgeweitet. »Da.« Ich deutete in eine aufsteigende Nebelschwade, in der ich ein Leuchten zu erkennen glaubte. Die beiden wandten ihren Blick von mir ab, hin zu meiner Entdeckung, die sich aus dem Grau herausschälte; der oberste Teil eines monumentalen kantigen Turms, der von einem Gaslicht gekrönt wurde. Mochte er im Grau der Schwaden einsam wirken, so war er doch von schier unfassbarer Größe. Das Luftschiff hätte auf ihm landen können. Glitzernden Ameisen gleich, bewegten sich gerüstete Menschen auf ihm. »Unser Ziel.« Berkmann rieb sich die Hände. »Wir haben Gasflammen auf den Malakofftürmen entzündet, als Wegweiser und Warnung für die Luftschiffe. Das hier ist Julius Philipp, fast dreihundert Meter hoch. Seine Mauern sind vier Meter dick, um die Belastung zu tragen, wenn wir das Grubenwasser aus den Tiefen pumpen.« »Wie tief sind die Gruben hier?« Berkmann schielte zu mir herüber. »Sehr, sehr tief.« Berta von Babelsberg drehte sich vom Fenster weg und schob sich, vorbei an Steuermann und Steuerrad, dem Ausgang entgegen. »Malakofftürme? Sind wir hier im Allrussischen Imperium? Huldigt ihr hier Alexander oder Wilhelm?« »Wilhelm, Baronesse.« Berkmann eilte von Babelsberg nach. Der Steuermann ließ die Graf von Paris zum Turm hinabsinken. Mein Schrecken wandelte sich in nackte Panik. Fast hätte ich den Steuermann, der stoisch mit einer Hand das Rad, mit der anderen das Höhenruder bediente, angebrüllt, er solle steigen, beidrehen, hinforteilen. Um keinen Preis wollte ich dort hinab, in den Nebel eintauchen und näher an das herankommen, was nur mein Unterbewusstsein dort spürte; ein Leviathan des Giftes und der schwarzen Feuer, der sich mit seinen Tentakeln aus den Tiefen zog und begonnen hatte, sich sein Reich zu schaffen. Ein Monster, das mit kanaanitischer Wut und babylonischer Verderbtheit das Land verschlang, und weit und breit keinen Gott und keinen Krieger, die es aufhalten könnten. Selbst die gerüsteten Gestalten auf dem Turm erinnerten mich mehr an die schwarzen Ritter meiner Kindheitsbücher, Stereotypen des Bösen, als an Siegfried oder gar den Erzengel Michael, die Gezücht erschlugen. Was taten diese Männer in den Rüstungen dort überhaupt? Es war das neunzehnte Jahrhundert, nicht das finstere Mittelalter, in dem Dämonen und Hexen auf Erden wandelten, Kinder fraßen und nur von Inquisitoren ähnlich finsteren Gemüts verbrannt werden konnten. Ich presste meine Stirn an den kühlen Eisenrahmen und eine Hand auf mein wild pochendes Herz. Zu gerne hätte ich tief Luft geholt, aber der Gestank der Abgase – Schwefel, Ruß und Gott weiß, was dort unten alles verbrannt wurde – hielt mich davon ab. Äußerlich gefasst, aber innerlich aufgewühlt, folgte ich Agentin von Babelsberg und dem Boten Berkmann. Am Plankengewinde holte ich die beiden ein. Die Planke war bereits ein Stück herunter gedreht und zwei Stewards, angeschirrt an Griffen, lehnten sich hinaus und warfen dem Personal auf dem Turm Haltetaue zu. Ich versuchte, meinen Herzschlag zu beruhigen, atmete so flach ich konnte und konzentrierte mich auf das Gespräch zwischen von Babelsberg und Berkmann. Letzterer berichtete, dass der Name der Malakofftürme von Wanderarbeitern aus der Krim übernommen war, die die mächtigen Bauwerke so nannten, da sie sie an eine Festungsanlage in Sewastapol gleichen Namens erinnerten. »Warum heißen die Türme nicht Bourtange?« Berta von Babelsberg unterdrückte einen Hustenanfall, der Gestank nach Verbranntem war stärker als je zuvor, und mir war, als würde feinster Ruß zwischen meinen Zähnen knirschen. »Es gibt hier doch wohl mehr Niederländer als Kaschuben, Masuren, Schlesier, Slawen, Surschyken und Ukrainer zusammen?« »Die haben hier nicht viel zu sagen.« Berkmann wrang seine Hände. »Blödsinn.« Berta von Babelsberg drückte das Tuch für einen tiefen Atemzug an ihre Nase. »Hier müssten Abertausende von Flamen, Walloniern, Holländern und sogar Artoisen angekommen sein. Die meisten konnten sich retten, als das Meer stieg und die Deiche brachen. Die müssen hier doch Einfluss haben. Ihr Fabrikanten müsstet doch Probleme mit den Steamstorma haben?« »Nicht so sehr.« Berkmann warf mir einen Hilfe suchenden Blick zu. Als ich nicht half, eilte er auf den Ausgang zu. »Wir haben angelegt Baronesse. Es ist mir eine Ehre, sie im Ruhrgebiet willkommen zu heißen.« Er hakte ein Geschirr aus der Wand und hielt es Berta von Babelsberg zurecht. Erst jetzt setzte die Planke auf einer Zinne auf. Bis zum Malakoffturm waren es nur wenige Meter, aber wer abrutschte, würde in die Tiefe stürzen. Berta von Babelsberg schnaubte, ging ohne Sicherung hinüber und ließ sich von einem Gerüsteten von der Zinne hinab auf das Turmdach helfen. Etwas stimmte mit dem Mann in Vollrüstung nicht, aber ich war zu beschäftigt mit meiner Panik, die wieder aufwallte, und heilfroh, dass mir Berkmann ins Geschirr half. Das Betreten der Planke verlangte mir Ähnliches ab, wie einem verurteilten Seemann der Sprung von selbiger. Es war nicht die Höhe, ich war schon oft mit Luftschiffen geflogen und sogar schon auf fast tausend Meter von Schiff zu Schiff gewechselt. Nein, es war die Tatsache, dass ich die Graf von Paris verließ, die mir die letzte Blase an Sicherheit schien, vor der wahnsinnigen Welt da draußen. Ich neigte sonst nicht zu Angst oder Panik, sonst hätte ich kaum meine Stellung erreicht – aber da lauerte etwas anderes. Etwas Urtümliches, als wären die Drohungen, die mir als kleiner Junge von der Kanzel herab ins Mark gedrungen waren, Wirklichkeit geworden und Gott selbst würde uns zürnen. Ach, wäre es doch bloß Gott gewesen, so hätten wir auf Barmherzigkeit hoffen können. Als ein Gerüsteter mir von den Zinnen half, wurde mir klar, was mit ihm nicht stimmte. Es war kein Mensch. Sein Leib, seine Glieder, sein Kopf, sogar seine Finger bestanden aus Metall. Aus seinen Gelenken strömte bei jeder Bewegung Dampf, so kräftig, dass es ein dumpfes Pfeifen gab. »Wie können sie sehen?«, fragte Berta von Babelsberg nach einem Hustenanfall. Mir standen Tränen in den Augen und ich atmete nur in kleinen, flachen Schüben. Mir war, als könnte ich die Rußpartikel in der Luft tanzen sehen. »Lassen Sie uns nach unten fahren, da ist es besser.« Berkmann winkte uns zu einer Schiebetür in einer Aufbaute aus Ziegelsteinen, die von der Gasflamme gekrönt war. Einer der Metallenen begleitete uns in die kleine Kammer im...