Kliche / Täubig | Schulen der Heimerziehung zwischen Exklusion und Inklusion | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 191 Seiten

Reihe: Bildung und Erziehung im Abseits

Kliche / Täubig Schulen der Heimerziehung zwischen Exklusion und Inklusion

E-Book, Deutsch, 191 Seiten

Reihe: Bildung und Erziehung im Abseits

ISBN: 978-3-7799-6672-2
Verlag: Beltz Juventa
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



In der Debatte um formale Bildung in stationären Erziehungshilfen werden Beschulungsformen »in« Heimerziehung bisher kaum thematisiert. Der Band rückt nun die Sicherung der Schulpflicht für sogenannte nicht beschulbare Kinder und Jugendliche, die in Heimerziehung leben, in den Fokus. Die Ermöglichung oder Verunmöglichung von Bildungsteilhabe wird im Hinblick auf die zunehmend inklusiv ausgerichteten Systeme der Schule und der Kinder- und Jugendhilfe diskutiert. Rahmende theoretische Zugänge und empirische Forschung werden durch Praxisbeispiele von Schulen der Heimerziehung ergänzt.

Helena Kliche, Jg. 1990, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Siegen. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere Hilfen zur Erziehung, soziale Ungleichheit, Bildung sowie schulbezogenes Lernen und Üben. Vicki Täubig, Dr., Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunt Außerschulische Bildung und Sozialisation, Philosophische Fakultät der Universität Rostock.
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Schulen der Heimerziehung – Zur Einführung
Helena Kliche und Vicki Täubig Der vorliegende Band führt in ein Themenfeld, das für uns zunächst am Rande eines Forschungsprojektes zum schulbildungsbezogenen Alltag in Hilfen zur Erziehung1 in den Blick kam. Im Forschungsprozess stellte sich heraus, dass einige Kinder und Jugendliche einer untersuchten Wohngruppe die ‚Schulstation‘ der Einrichtung besuchten, während andere die Schulen im Umfeld nutzten. Ein Phänomen war im klassischen Sinne ethnografisch entdeckt worden und warf viele Fragen auf, denen nachzugehen uns lohnend und verlockend erschien. Dies begründete sich auch darin, dass wir sehr bald feststellten, dass es kaum zugängliche oder aktuelle Fachliteratur zu ‚Schulstationen‘, ‚Heimschulen‘ oder einer Beschulung im Kontext von Hilfen zur Erziehung gab. Ein Rechercheprojekt2 zur systematischen Suche nach – im Ergebnis vor allem älterer – Literatur und Praxisbeispielen ‚solcher Schulen‘ schloss sich an. Im Rahmen dieses Projektes wurden zudem Expert*inneninterviews mit Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen geführt. Dieser Band präsentiert die Ergebnisse des Rechercheprojektes, das letztlich viele Fragen unbeantwortet lässt. Jedoch motivieren die Existenz dieser Schulen und vor allem die jungen Menschen, die diese Schule besuchen, sowie frühere, teilweise nicht publizierte, Annäherungen von Kolleg*innen an das Thema, die noch lose bleibenden Enden unserer Themenstellung zu teilen und zu dokumentieren. Die vorläufige und suchende Begrifflichkeit ‚Schulen der Heimerziehung‘ steht für uns zum einen für das Interesse an der schulischen Situation von Kindern und Jugendlichen, die in Formen der Heimerziehung (außerhalb von Internaten) leben, insgesamt. Zum anderen soll mit diesem Band der Fokus auf die ‚Sonderbeschulung‘ von jungen Menschen in Schulen der Heimerziehung gerichtet werden. Deren Thematisierung im sozial- und schulpädagogischen Diskurs muss als nicht existent gelten. Schulen der Heimerziehung sind ein Paradebeispiel für eine ‚Erziehung und Bildung im Abseits‘, die keine breite Aufmerksamkeit erfährt, da nur wenige Schüler*innen, häufig an im Abseits gelegenen Orten unter besonderen und seltenen – deshalb schwer zu erfassenden – Bedingungen von dieser betroffen sind (vgl. Schweder 2019, S. 28). Zuletzt widmete die IGfH 1984 den Heimschulen eine Fachveranstaltung beim Siebten Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag (vgl. IGfH 1984). Diese, wie auch unser Band, sollen einen Kontrapunkt setzen gegen „das jahrhundertealte Desinteresse des Staates allgemein, der Bildungsbürokratien insbesondere am schulischen Schicksal von Heimkindern“ (Blandow 1984, S. 62). Mit der Einleitung in den Band nehmen wir erste Einordnungen des Phänomens ‚Schulen der Heimerziehung‘ vor, indem wir zunächst nach Begrifflichkeiten und historischen Erklärungen für diese suchen (1.). Darauffolgend wird der Forschungsstand zu schulischer Bildung und Heimerziehung skizziert (2.) und in Überlegungen zu Inklusion und Exklusion (3.) überführt. Abschließend werden die Beiträge des Bandes vorgestellt (4.). 1.Suche nach Begrifflichkeiten und einer Geschichte der Sonderbeschulung von jungen Menschen in Heimerziehung
Ausgehend von der Begrifflichkeit ‚Schulstation‘ in unserer ethnografischen Studie ergibt sich bereits die erste Irritation aus der unterschiedlichen Bedeutungszuweisung an diesen Begriff im Kontext Schule und Kinder- und Jugendhilfe. So stehen ‚Schulstationen‘ auch für ein sozialpädagogisches Angebot, eine Form von Jugend(sozial)arbeit, das in den Berliner Bezirken ab 1995 an Schulen erbracht wird (vgl. von Balluseck 2003; Abgeordnetenhaus Berlin 2019). Zugleich existieren für Schulen, die in Verbindung mit Heimerziehung bzw. für Schüler*innen, die in Heimerziehung leben, eingerichtet werden, neben dem Begriff der ‚Schulstation‘ andere Bezeichnungen. Die bekannteste dürfte die der ‚Heimschule‘ sein. Aus deren historischer Nachverfolgung ergeben sich zugleich weitere Begrifflichkeiten, aber auch eine Begründung dafür, warum Schulen der Heimerziehung bis dato überwiegend der Schulform der Sonder- bzw. Förderschulen zugehören. Heimschulen sind mit der Geschichte der Heimerziehung aufs Engste verbunden. Bekannte Reformprojekte (sozial-)pädagogischer Klassiker*innen, die sich an junge Waisen, ‚Verwahrloste‘ und Arme richteten, integrierten in ihre Sozialprojekte schulische Bildung. Zu denken ist exemplarisch an die Franckeschen Stiftungen, Pestalozzis Stans oder das Rauhe Haus Wicherns. Für diese wie die weitere Rettungshausbewegung galt: „Erziehung ohne Schule wurde ebenso wenig gedacht. Diese Art von Erziehung wäre als pädagogischer Torso empfunden worden“ (Schmidt 1996, S. 67). Vielmehr etablierte sich im 19. Jahrhundert eine die allgemeinen Schulen entlastende Funktion der Anstaltsschulen, der auch eine größere Reichweite im Hinblick auf die erzieherischen Maßnahmen zugeschrieben wurde (vgl. ebd., S. 102). Die Rettungshausschule „kann in diesem Sinne als Sonderschule für Verwahrloste bezeichnet werden.“ (ebd.) In der Zeit des Nationalsozialismus gelang es trotz vorliegenden Konzepten nur bedingt, das Anstaltserziehungswesen den rasse- und volkshygienischen Interessen zu unterwerfen, sodass die überwiegend in konfessioneller Trägerschaft stehenden Heimeinrichtungen und ihre Schulen entweder geschlossen wurden oder bis Kriegsende weiter bestanden (vgl. ebd., S. 219?ff.).3 Aus den bestehenden Anstalts- und Heimschulen gingen in den Gründungsjahren der BRD bundesweit ‚Erziehungshilfeschulen‘ hervor, die um Neugründungen öffentlicher Sonderschulen für vermeintlich verhaltensgestörte Schüler*innen – unabhängig von stationärer Unterbringung – ergänzt wurden (vgl. ebd.; Willmann 2007, S. 27). Im Jahre 1960 erfolgte durch die KMK im Zuge einer Ordnung des Sonderschulwesens die Einstufung der Heimschulen als ‚Erziehungsschwierigenschulen in Heimen (oder Anstalten)‘ (vgl. Willmann 2007, S. 27). „Die Heimschulen waren allerdings ursprünglich gar keine Sonderschulen, sondern haben sich diesen Status erst nach dem Zweiten Weltkrieg erkämpft.“ (ebd.) Dieser Kampf zielte auf verbesserte Personalressourcen, da der Sonderschulstatus mit einer höheren Lehrer*innenzuweisung einherging. Bis in die 1970er Jahre hinein ist der größte Teil der Erziehungshilfeschulen Heimen angegliedert und verfügt vice versa ein Großteil der Heimeinrichtungen über eigene Schulen (vgl. Schmidt 1996, S. 226). Mit der Heimkampagne ab Ende der 1970er Jahre erfolgt eine „bidirektionale Öffnung der Heimschulen“ (Willmann 2007, S. 29; Hervorh. i.?O.) in dem Sinne, dass nicht mehr nur Heimbewohner*innen die Heimschulen nutzten und Heimbewohner*innen auch öffentliche Schulen besuchten. Für 1981 wird angegeben, dass die Bewohner*innen von drei Viertel der Heime ausschließlich eine öffentliche Schule besuchten; den Bewohner*innen von drei Prozent der Heime ausschließlich die Heimschule zur Verfügung stand sowie die Bewohner*innen von 22 Prozent der Heime die Heim- oder die öffentliche Schule besuchten (Steinbrecher 1984, S. 58). In den 1980er Jahren löste unter der Maßgabe der Dezentralisierung und Regionalisierung die ‚Schulische Erziehungshilfe‘4 in mehreren Hamburger Bezirken die bisherigen Heimschulen ab. Mit der Einführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes 1990/91 setzte sich die Öffnung und der Rückbau der ursprünglichen Heimschulen fort. In einem Zeitvergleich zwischen 1992 und 2004/05 zeigte sich für die BRD ein Rückgang des Anteils der Heimschulen an den Schulen für Erziehungshilfe von 65 auf 37 Prozent, wobei dieser Anteil 2004/05 bundeslandabhängig von null bis einhundert Prozent streut (vgl. Willmann 2005, S. 446). Die Bezeichnung ‚Schule für Erziehungshilfe‘, wurde in einigen Bundesländern, zudem zeitversetzt, in den Förderschwerpunkt ‚Emotionale und soziale Entwicklung‘ o.?ä. überführt. Durch diese unvollständig bleibende5 historische Genese erst können Schulen der Heimerziehung und insbesondere ihre Betreibung ...


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