Buch, Deutsch, 253 Seiten, GB, Format (B × H): 151 mm x 221 mm, Gewicht: 455 g
Buch, Deutsch, 253 Seiten, GB, Format (B × H): 151 mm x 221 mm, Gewicht: 455 g
ISBN: 978-3-88747-268-9
Verlag: Transit Buchverlag GmbH
Da ist der idealistische Landvermesser und Ingenieur Martin Petr, der aus Prag in die ferne Ostslowakei geht, um Bauern und Dörfer vor Überschwemmungen zu retten. Da ist Pavel, ein junger Mann, der den Älteren gern zuhört und schnell lernt; oder der Partisan Smoljak, der nach dem Verräter sucht, der seine ganze Familie den Nazis ausgeliefert hat (das war der sehr fromme Pfarrer); der pazifistische Holzfäller, der aus Kanada zurückgekommen ist und im Dorf als 'Arzt' sowohl für Menschen wie für Tiere zuständig ist, aber bald verhaftet wird; es sind Frauen, die endlich aus den bäuerlichen Traditionen ausbrechen wollen; es sind (zu Recht) misstrauische und sture Bauern, die Agitatoren mit Knüppeln vom Hof treiben; stalinistische und korrupte Funktionäre, die mit allen Mitteln ihre Macht sichern; es sind Säufer, Marodeure, versprengte Soldaten – ein wildes Panoptikum unterschiedlichster Biographien und Interessen, das sich aber im Laufe des Romans zu einer einzigen und unausweichlichen Erkenntnis bündelt.Der Roman basiert auf einer langen Recherche für einen Spielfilm, den Klíma über die Entwicklung des Sozialismus in der Ostslowakei, einer völlig unterentwickelten, armen und weithin unbekannten Region zwischen Polen, der Ukraine und Ungarn, mitgestalten sollte. Der Film durfte nicht produziert werden, seine Notizen und Erlebnisse verarbeitete Klíma zu einem Roman, der die Zeit vom Kriegsende bis Anfang der fünfziger Jahre umspannt.
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LaboreckýÜber dem Wasser schwebte eine dünne, kalte Dunstschicht. Die Männer hatten die Hosenbeine hochgekrempelt, eiskalt perlten die Tropfen an ihren Waden hinab, sie konnten sie aber nicht abwischen. Sie zogen mit beiden Händen am Netz. Sie verfingen sich im überfluteten Gestrüpp, stolperten über versteckte Löcher, zitterten vor Kälte und fluchten.Molnár ging voraus. Er war der Flusswächter, er bewachte also den Fluss und war für das Stück Damm bis zum Wald zuständig. Er notierte die Wasserstände und stellte an den Tagen, an denen der Fluss und der Kanal so wie jetzt über die Ufer traten und die Fische im weiten Wiesenland weideten, die Richtung ihrer Irrwege fest, damit sie wieder mit dem Netz eingefangen werden konnten. Er musste seine Leute ab und zu anschnauzen, aber sie mochten ihn gerne, denn er bewahrte stets gute Laune, was immer das Leben auch brachte. In der letzten Zeit aber war selbst ihm die Lust zu scherzen vergangen. Der ältere seiner Söhne war an der russischen Front gefallen, und seine Frau lag krank darnieder. Er alterte zusehends und magerte stark ab, und das Lachen blitzte nur noch selten in seinen Augen auf, durchdrungen von einem unablässigen Schmerz.Das Netz war nun vollends gespannt. Molnár beugte sich zum Wasser hinab, fand einen Pflock und begann, das Netz rasch mit Knoten festzubinden.In der Ferne rief jemand seinen Namen, doch er blickte sich nicht einmal um. Von seinen Händen trieb das Wasser in stillen Ringen weg und flutete träge zwischen den Maschen des Netzes hindurch.Šeman, der ihm am nächsten stand, schrie: „Pavel ruft dich. Du sollst nach Hause kommen!“Molnár erschrak, bemühte sich aber sogleich, die Angst zu verscheuchen. Das wäre zu viel auf einmal: im Sommer der Sohn und jetzt die Frau. „Wird nichts sein“, sagte er laut, „wahrscheinlich ist der alte Baron gekommen und lädt mich zum Mittagessen ein!“Šeman lachte laut auf, und Molnár schürzte hastig den letzten Knoten. Dann watete er so schnell er konnte an dem gespannten Netz entlang. „Lass es dir schmecken“, rief ihm Šeman nach.Seine Frau hatte die ganze Nacht vor Schmerzen geweint, aber am Morgen war sie dann ruhig dagelegen - sicher ein gutes Zeichen.Er rollte die Hosenbeine am Ufer rasch hinunter.„Laborecký ist gekommen und hat mich geschickt, dass ich dich hole“, sagte ihm sein Sohn. Er war mager und groß für seine dreizehn Jahre.„Was macht Mama?“, fragte er. „Hat sie geweint?“„Sie hat gebetet!“„Aha.“ Er hatte den Eindruck, dass sein Sohn noch etwas hinzufügen wollte. Es beunruhigte ihn manchmal, wenn Pavel schwieg. Der ältere Sohn, Vilo, der nicht mehr unter den Lebenden weilte, hatte ihn nie beunruhigt, der war nach ihm geraten, sie waren sich sehr ähnlich gewesen, und er hatte Vilo genauso gut verstanden wie sich selbst. Pavel jedoch kam ihm manchmal ganz fremd vor, er lachte nie laut und konnte Stunden lang schweigen. Einmal, als er seinen Sohn beobachtet hatte, war es ihm vorgekommen, als ob sich Pavel in Gedanken die ganze Zeit über mit jemandem unterhielte, denn hin und wieder zeigte sich ein scheues Lächeln auf dem Gesicht des Jungen.„Woran denkst du?“„An Vilo“, hatte der Junge geantwortet, „ich stelle ihn mir vor, wie er dort liegt.“„Daran solltest du nicht denken!“„Er hat mir eine Harmonika versprochen, bevor er weggefahren ist!“ Und er fuhr fort: „Angeblich hört der Mensch danach nur noch Musik. Aber ich glaube, dass drüben Stille herrscht.“Sie gingen die einzige breite Straße des Dorfes entlang, Häuschen mit Storchennestern auf den grünen Dächern, Holzzäunen und riesigen Zugstangen an den Brunnen kauerten auf beiden Seiten. „Warte, bis erst der Krieg vorbei ist“, versprach Molnár, „dann kaufen wir uns eine Harmonika, du singst, ich spiele, und wir ziehen zusammen umher. Wir werden viel sehen. In Amerika wirst du hundertstöckige Häuser und noch höhere Dämme am Meer sehen. Dann kommst du zurück und baust das alles hier.“Ein sehr altes Märchen, er erzählte es Pavel oft, aber Pavel glaubte nicht mehr recht daran.Ihr Haus stand am Ortsrand, bis zum Fluss waren es drei Minuten; wenn der Fluss über die Ufer trat, reichte das Wasser bis zur mittleren der fünf Stufen, die zur Küche hinaufführten.„Warte draußen“, befahl ihm der Vater.In der Küche stand dieser merkwürdige Mensch; er wirkte immer vierschrötiger als er in Wirklichkeit war, weil er den Pelz aus ungeschorenem Schafsfell nie ablegte, und auch der Kopf sah mächtiger aus, denn er war mit einer weißen Mähne und einem rotblonden Bart besetzt.„Ich schaue mir deine Frau an“, teilte ihm Laborecký mit, „wie du es mir hast ausrichten lassen.“Laborecký war kein Arzt, doch er hatte viele Jahre lang in Kanada gelebt, in entlegenen Holzfällercamps, wo jeder sein eigener Koch, Schneider und Arzt sein musste, und dort hatte er gelernt, wie man Wunden verband und Indianerbalsame und Salben herstellte und auch wie man leichte Schmerzen von solchen unterschied, die dem Tod vorangingen.„Deine Frau wird sterben!“Molnár stockte der Atem. Er konnte es nicht glauben, war seiner Frau doch äußerlich keine Veränderung anzumerken, kein Husten quälte sie, und sie spuckte auch kein Blut. „Du könntest doch irgendeine Arznei bringen und ihr den Bauch einsalben … wo sie solche Schmerzen hat.“„Der Schmerz wird abklingen“, antwortete Laborecký, „es geht schon dem Ende zu. Aber koch ihr einen Sud aus Mohnsamen, der schafft Erleichterung.“„Aber gibt es denn nichts … dass sie noch weiterleben kann?“, flüsterte Molnár. Endlich begriff er. „Der Krieg ist an allem schuld“, klagte er bitter, „und das Wasser. Wir haben hündisch gelitten.“Der Alte nickte mit dem Kopf. So sind sie, dachte er bei sich, sie brauchen immer etwas, worauf sie die Schuld abwälzen können, anstatt sie bei sich zu suchen.„Vergangenes Jahr hat es mir das ganze Heu verdorben und ist bis zum Winter stehen geblieben, nichts ist gewachsen. Ich musste die Kuh verkaufen.“„Du hast deinen eigenen Sohn fortgeschickt!“, unterbrach ihn Laborecký, „du hast zugelassen, dass er in den Krieg gezogen ist!“Molnár drehte sich zum Fenster hin. Der Schmerz stieg ihm in die Kehle, er lebte doch anständig, er patrouillierte ganze Nächte lang am Fluss, wenn es regnete, um die Leute zu warnen, und er hatte nie etwas Böses im Sinn gehabt. Warum machte ihm Laborecký wegen seines Sohnes Vorwürfe? Er hatte gehen müssen. Und er, sein Vater, hatte geweint, als er ihn fortschickte.„Sie haben ihn getötet“, sagte er zum Fenster gewandt, „red nicht von ihm.“„Ein Tod beschwört den andern herauf“, hörte er den Alten, „du willst deinen Brüdern den Tod schicken, aber der Tod ist blind und kommt statt ihrer zu dir.“ Laborecký ging mit kleinen Schritten zur Tür. „Auch ein Tier hängt am Leben“, fuhr er pathetisch fort, „und weint, wenn es das Ende nahen spürt. Ich habe einen Angler gesehen, der hatte Tränen in den Augen, als er eine Lachsmutter tötete. Nur Menschen tötet man ohne zu weinen.“Pavel saß am Brunnenrand. Er blickte in die Ferne, dorthin, wo die Berge anfingen, und lächelte. Als er Laborecký sah, öffnete er die Gartenpforte, und als der alte Mann dicht an ihm vorüberging, flüsterte er: „Können wir Ihnen morgen die Fische vorbeibringen?“Doch Laborecký antwortete nicht, er ging langsam auf dem schlammigen Weg weiter, an dessen beiden Rändern totes Wasser stand.