E-Book, Deutsch, Band 1, 300 Seiten
Reihe: ATLAN Illochim
Kneifel ATLAN Illochim 1: Das Relikt der Macht
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8453-4938-1
Verlag: Perry Rhodan digital
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 1, 300 Seiten
Reihe: ATLAN Illochim
ISBN: 978-3-8453-4938-1
Verlag: Perry Rhodan digital
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
April 3103 alter Terranischer Zeitrechnung: Die Milchstraße ist ein gefährlicher Ort. Verschiedene Organisationen kämpfen gegen das Solare Imperium der Menschheit, Sternenreiche entstehen neu, und überall ringen kleine Machtgruppen um mehr Einfluss. In dieser Zeit geht die United Stars Organisation - kurz USO genannt - gegen das organisierte Verbrechen vor. An ihrer Spitze steht Atlan, Perry Rhodans bester Freund. Der ca. 9000 Jahre v. Chr. geborene Arkonide ist dank eines Zellaktivators relativ unsterblich. Als junger Kristallprinz erkämpft er sich die rechtmäßige Nachfolge und besteigt Arkons Thron, bis er im Jahr 2115 abdankt und die Leitung der neu gegründeten USO übernimmt. In Terrania City droht ein Aufstand, Widerstandsgruppen wehren sich gegen den Abriss großer Wohngebäude auf der legendären Thora Road im Stadtviertel Kunshun. Besonders auffällig agiert die Gruppe MEINLEID, die ihren Widerstand kompromisslos durchsetzt. Atlan muss die Revolte beilegen - und gerät in den Bann eines seltsamen Relikts aus der Vergangenheit ... Folgende Romane sind Teil der Illochim-Trilogie: 1. 'Das Relikt der Macht' von Hans Kneifel 2. 'Im Bann der Gatusain' von Achim Mehnert 3. 'Der Traum des Navigators' von Rüdiger Schäfer
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
2. April 3103 Tristan »Randonare« Lis Blicke verloren sich am Horizont, in den langgezogenen Wolken des beginnenden Sonnenaufgangs. An den Blattspitzen und Blüten der mächtigen Bäume unter ihm glitzerten im ersten, vagen Licht schwere Tautropfen. Li saß auf der obersten Brüstung des Cadwallader-Observatoriums, am Rand der Kuppel; das Bauwerk war entkernt und wurde nicht mehr benutzt. Der Ausblick über einen großen Teil Terrania Citys war grandios. Das Observatorium, dessen halbkugeliges Dach sich hoch über die Kuppe des Lärmschutzwalls erhob, einer von Lis Lieblingsplätzen, entstammte der Zeit, in der um den Terrania Space Port der riesige Lärmschutzwall aufgetürmt worden war. Hier konnte er sich entspannen, hier sah er jagende Falken und Bussarde; von seinem Platz aus war sein Problem nicht zu erkennen. Li hob den Kopf, zupfte den Zopf zurecht und blinzelte. Er hielt sich mit seinen zweiundzwanzig Jahren für einen Mann der Vernunft und des Kompromisses, aber in seinem Inneren glühte der Widerstand. Was sie vorhatten, war ungerecht. Unfair und überflüssig. Im Osten, wo die Sonne über den Schutzwall des Atlan Space Port stieg, startete ein Raumschiff senkrecht in den Himmel über der Wüste Gobi. Es war windstill, wie meist um diese Stunde. Vor weniger als drei Jahrtausenden, dachte er, führte hier die berühmte Seidenstraße hindurch, deren überladene Händlerkarawanen seltsame, längst vergessene Kulturen und Zivilisationen miteinander verbunden hatten. »Silk Road«, murmelte er und seufzte leise. Seine innere Unruhe schien vergangen zu sein. Er summte ein paar Takte der Kitaro-Melodie. Ein Möwenschwarm stob vom Flussufer auf, winzig, wie ein Staubwölkchen. »Vielleicht dort, wo jetzt die Thora Road verläuft?« Die breite Prachtstraße, eine der längsten der Stadt und die bedeutendste Ost-West-Spange, verband die Raumhäfen Academy Port, Terrania Space Port und Crest Space Port im Westen mit dem Zivilhafen Atlan Port. Die Sonne blendete ihn, indem sie die Ostfronten sämtlicher hohen Gebäude der Stadt aufstrahlen ließ. Ein zweites großes Kugelschiff, dessen Triebwerkslärm noch nicht zu hören war, startete vom Atlan Space Port. Terrania City erwachte. Gleiter rasten, unhörbar in dieser Höhe, auf den Flugschneisen in beide Richtungen. Li schloss die Augen und dachte an Olgej, seine Freundin. Eine bizarre Freundschaft, fast eine Art Abhängigkeit. Li hasste sich wegen dieser Schwäche und Olgej wegen ihrer Verweigerung. Er fühlte die Wärme der Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht und den Händen, mit denen er seine Knie umklammert hielt. Der Tau auf den Blättern und Gräsern hatte sich aufgelöst. Die Thora Road, weit unter ihm, deren gesamte Breite den Lärmschutzwall auf etwa zehn Kilometer Länge durchschnitt, belebte sich mehr und mehr. Li fühlte sich wieder, als säße er auf dem Rand eines riesigen Kraters, der seit einem Jahrtausend von rätselhaften Gewächsen überwuchert worden war, und in dem sich zahlreiche Hohlräume verbargen. Tristan Li gähnte und versuchte, Einzelheiten des Bezirks Kunshun zu erkennen, dem Stadtviertel, das seine Heimat darstellte. Von hier aus sah er nur eine amorphe Anordnung von Gebäuden im morgendlichen Dunst. Überdies blendete ihn die Sonne, deren Strahlen das Wasser des Sirius River in raues Silber verwandelten. Schwalben oder Mauersegler umschwirrten die Kuppel mit kurzen, gellenden Schreien. Li liebte diesen Anblick. Aber die vordergründige Schönheit des Morgens, aller Morgen und Tage und Abende, konnte die Wunden und Narben, Probleme, brennenden Fragen und die gärende Unruhe nicht übertünchen. Der gefährliche Streitpunkt hatte einen Namen: Thora Road. Im Viertel Kunshun, östlich des Sirius River, kochte die Volksseele und artikulierte sich im Begriff MEINLEID. Li war einer aus dem Volk, einer der Verantwortlichen MEINLEIDS, einer der Widerständler dieser antiimperialistischen Bewegung. Seine Gegner waren, indirekt oder direkt: Perry Rhodan, Homer G. Adams und dessen Finanzimperium, Terrania Citys Stadtplaner, die Banken und Architekten und alle anderen, die sein Stadtviertel verändern, verschönern oder ganz abreißen wollten. Wieder gähnte er. Er spürte die Müdigkeit einer durchwachten Nacht. Er stand auf, balancierte neben der Brüstung zu seiner verrosteten Airjet, die an den Klettereisen der Kuppel lehnte. Die Satteltaschen aus zerschlissenem Karbongewebe waren prallvoll. Li nahm die Brille vom Lenkgestänge, putzte sie mit abwesenden Bewegungen und schob das Band über den Ansatz seines Zopfes. Dann schwang er sich auf den Doppelsitz, startete die Antigravelemente und die Turbine. Zitternd, ruckend und jaulend hob sich das schmale Gerät senkrecht in die Höhe, drehte sich um neunzig Grad und fegte mit zunehmender Geschwindigkeit schräg abwärts, nach Nordosten und auf Kunshun zu. Tristan Li vermied die leitstrahlgestützten Luftpfade der Gleiter, steuerte in verwegenen Kurven, vom Fahrtwind umheult, auf die Gruppe Robotbaukräne zu, die jenseits »seines« Viertels in die Höhe wuchsen. Überall wurde abgerissen, gebaut, renoviert und verschönert. Nur nicht in Kunshun. Li orientierte sich kurz und fasste sein Ziel ins Auge; der Baucontainer auf dem Dach des Wohnturms am nördlichen Rand Kunshuns. Li bremste die Geschwindigkeit ab, visierte den freien Platz zwischen den Eimern und Kästen an, in denen Pflanzen und Bäumchen wucherten, und landete vor dem Eingang des Containers. »Ich bin’s, Tristan. Hab’ dir etwas mitgebracht. Wasser und Essen.« Aus dem dämmerigen Inneren des länglichen Kastens, dessen Wände trotz des Rostes mit verschiedenen Farblacken wild bemalt waren, kam gebückt eine schmächtige Gestalt. Der Mann war in eine blaue Kombination gehüllt, die um seine hageren Glieder schlotterte. Li wusste, dass Diogén da Odysseus Vinci einen großen Vorrat solcher Kombis in allen Farben und mit vielen unterschiedlichen Aufdrucken, Schriften und Logos besaß. Diogén, unbestimmbaren aber hohen Alters, trug einen langen weißen Kinnbart, in den er einen Knoten geschlungen hatte; sein Kopf war haarlos, und seine roten Arkonidenaugen versteckte er hinter einer Sonnenbrille. »Danke«, rief Diogén und stach mit dem Zeigefinger der Linken senkrecht in den Himmel. Li begann die Satteltaschen der Jet zu leeren. »Nicht viele von euch denken an mich. Gibt es neuen Ärger?« »Wir rechnen damit, schon bald«, gab Li zurück und nickte. Diogén bezeichnete sich als vielgewanderten Mystiker und lebte ohne Bedürfnisse schon so lange in seinem zerbeulten Gehäuse, dass niemand sagen konnte, wann er damit angefangen hatte, »Menschen zu lesen«. Li wusste, dass Diogén ununterbrochen auf einen alten Holoprojektor starrte, auf dem nichts anderes zu sehen war als Meereswellen, Ebbe und Flut, Brandung und Schaumkronen. Er wuchtete einen Sechserpack Trinkwasserflaschen vor Diogéns Eingang und sagte: »Hast du einen klugen Spruch für mich, Diogén?« Der Alte nahm die dunkle Brille ab, die Falten in seinen Augenwinkeln wurden schärfer. Sein schmales Gesicht verzog sich zu einem prophetischen Grinsen. »Ich hab immer einen Spruch. Merk’ ihn dir.« Er senkte seine Stimme und deklamierte bedeutungsvoll: »›Höret mich jetzt, ihr Kämpfer von MEINLEID, was heut ich euch sage: Eure Häupter umschwebt ein schreckenvolles Verhängnis!‹ In ein paar Tagen weiß ich mehr.« Angeblich zitierte er einen uralten Text aus der terranischen Sagenwelt. Niemand wusste, ob Diogén Terraner oder Arkonide war, und wie er hierher gekommen sein mochte. Er schien in Kunshun jeden und alles zu kennen; niemand belästigte ihn. Tristan hob grüßend die Hand, schob die Brille vor die Augen und stieg in den Sattel seiner Jet. Zwischen den Dachkanten und Häuserwänden, vorbei an riesigen, aufgesprühten Lettern – LASST KUNSHUN LEBEN … MEINLEID wird es EUCH zeigen … VERHÜTET DIE STRASSE DER IMPERIALISTEN – kurvte er auf seine Behausung zu. Die Worte Diogén da Odysseus Vincis hatten ihn nachdenklich gemacht und viele böse Ahnungen geweckt. Li bewohnte in einem 33-stöckigen Gebäude der Mailo Road, das die Stadtverwaltung als nicht mehr sanierbar deklariert hatte, eines der obersten Apartments. Mit untrüglicher Sicherheit umrundete er einige höhere Gebäude, bremste sein bockendes Fluggerät ab und hielt es über der Terrasse an, senkte es ab und landete zwischen löchrigen Gartenmöbeln, einem zerschlissenen Sonnenschirm und halb verdorrten Gewächsen, die aus einem wüsten Sammelsurium verschiedener Behälter herauswucherten. Li klappte den Ständer seitlich aus, kettete das Gerät an und ging über brüchige Bodenkacheln zur Terrassentür. Die Luft in seiner Wohnstätte, unbewegt und dumpf, erinnerte ihn daran, dass er sich seit einem Monat vorgenommen hatte, aufzuräumen und zu putzen. Er riss die Glasplatte bis zum Anschlag im Rahmen auf. »Aber nicht heute«, sagte er, nahm gähnend die Brille ab und zog langsam Jacke und Hemd aus. Als er vor dem Spiegel der Hygienekabine stand, den Zopf aufknotete und sich mehr als einen flüchtigen Blick gönnte, zuckte er mit den Schultern und sprach leise weiter: »Erfahrung geht über Schönheit, Tristan, und Olgej sieht dich ohnehin nicht an.« Ihm stand ein magerer, zart gebauter, aber fast zwei Meter großer junger Mann gegenüber, von dunkler Hautfarbe und am ganzen Körper von den hellen Flecken der angeborenen Pigmentstörung wie ein Leopard gescheckt. Über den schwarzen Augen des schmalen Gesichts hoben sich, als wären sie Beweis für seine ständige Neugierde und sein Erstaunen über den Zustand der Welt, hochgezogene dünne Augenbrauen. »Wie missratene Fühler eines Schmetterlings«, hatte Olgej...