Koch / Barz | Mein Weg mit Robert Koch | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 168 Seiten

Koch / Barz Mein Weg mit Robert Koch

E-Book, Deutsch, 168 Seiten

ISBN: 978-3-8353-8475-0
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die zweite Ehefrau Robert Kochs eröffnet in ihren erstmals publizierten Erinnerungen ungeahnte Perspektiven auf den berühmten Mikrobenjäger.

Der international hoch angesehene Robert Koch schockierte in den 1890er Jahren das bürgerliche Berlin: Er ließ sich scheiden, um die 29 Jahre jüngere Hedwig Freiberg zu heiraten. Viele Jahre nach seinem Tod beschreibt Hedwig Koch in ihren Lebenserinnerungen nicht nur die glücklichen Momente an der Seite des Nobelpreisträgers, sondern auch die ungeschminkte Realität der Ehe mit einem schwierigen Partner, den sie gelegentlich als 'schulmeisterlich trockenen, unheimlich beamtenhaft fleißigen, ältlichen Musterknaben' erlebt.
Sie begleitete ihren Mann auf ausgedehnten Forschungsexpeditionen und gibt tiefe Einblicke in die zweifelhafte Kolonialmedizin am Beispiel ihres vielleicht bekanntesten Vertreters.
In ihren Beobachtungen kommen sowohl die Stärken als auch die Abgründe der von Robert Koch betriebenen mikrobiologischen Forschungen zum Ausdruck. Vor allem aber lesen sich ihre Erinnerungen als die Gesellschaftskritik einer Frau, die zwischen selbstloser Hingabe und Aufbegehren gegen erlittene Demütigung und Entwertung schwankt.
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Mein Weg mit Robert Koch
Aufgeschrieben von Hedwig Koch-Freiberg
(Oder : Aennchen von Tharau’s Martyrium)
          An einem frühen Winterabend des Jahres 1889 gingen ein ältlicher, nachlässig mit schlecht sitzendem Anzuge bekleideter, kränklich und überarbeitet aussehender Mann, der durch einen etwas eigensinnigen, harten, aber seelisch tiefen Ernst seiner in’s Weite schauenden Augen und eine ungewöhnlich sicher in sich selbst ruhende, harmonische Körperhaltung, sowie der Art seines Schreitens, jedoch irgendwie frappierend und geistig bedeutend wirkte, und ein sehr junges, sehr hellblondes, noch ganz kindhaftes Mädchen durch den tief verschneiten Berliner Tiergarten. Der Schnee knirschte unter ihren Füssen und die goldene Victoria auf der alten Siegessäule schien hinter dem mondscheindämmrigen Schleier der tanzenden weissen Flocken mitzuschwingen im Tanze. Als der Mann trotz der Kälte einmal den Hut abnahm und mit professoral aufgerichtetem, dozierendem Zeigefinger etwas vor sich hinsprach, flogen die langen, über die Glatze seines schmalen, ungewöhnlich langen, schön modellierten Schädels gekämmten Haarsträhnen – Sardellen nannte man das damals – wild nach allen Seiten und auch die langen Schulmädchenzöpfe seiner Begleiterin warf ihr der rauhe Winterwind heftig über die Schulter. – Dieses Bild hat sich mir deshalb so unvergesslich eingeprägt, trotzdem ich seit damals in nunmehr fast genau einem halben Jahrhundert an allen Grenzen der Erde und an allen Grenzen des Lebens gestanden habe, weil jener Gang durch den Tiergarten der Ausgangspunkt zu meinem Lebensschicksal geworden ist. – Denn jener Mann war Robert Koch und das Mädchen war ich. – (Photographien zur Bekräftigung des hier Gesagten sind noch vorhanden). Wir kamen aus dem Atelier eines bekannten Berliner Kunstmalers, der zu jener Zeit mein Lehrer war, da ich Malerin werden wollte, und der gerade damals Koch portraitierte. (Später war auch vor allem Prof. Walter Leistikow mein Lehrer.) Robert Koch hatte von der, ihn seit seiner ersten Indienreise immer noch quälenden Malaria gesprochen und in der Tat, wenn man die Portraitbilder seines gesamten Lebens vergleicht, hat er zu keiner anderen Zeit so kränklich, missmutig und unvorteilhaft ausgesehen wie in jenem Jahre. Er begann dann, von seinem häuslichen Elend zu reden, von den unhaltbaren Zuständen in seinem Heim und von seinem ganzen Leben überhaupt. Er erzählte mir, wie er als junger Student in der Hochstimmung nach einem erhaltenen Preise und nach etwas zu viel starkem Punsch einem Fräulein in seiner Heimatstadt einen Kuss gegeben habe. Da sei dann gleich der Vater derselben dagewesen, habe ihm gratuliert und seinen pastoralen Segen gegeben. Sehr schnell sei ihm zum Bewusstsein gekommen, in welche Gefangenschaft er sich damit begeben habe ; an der Schwelle des Lebens verdammt zu sein, seinen Hunger nach Freiheit und Ferne auch weiterhin unterdrücken und in dem Klüngel bigotter, braver, subaltern beschränkter Kleinstädter, in dem er aufgewachsen, ausharren und weiter dahin vegetieren zu müssen. Wie hart der Druck auf seine Jugend gewesen sei, zeige sich schon darin, dass fast alle seine Brüder nach Amerika auswanderten, während der eine Zurückgebliebene, Hugo, ein so enger Spiesser geworden sei, dass er, Robert, seit Jahren nicht mehr mit ihm verkehre. Damals, als er sich darüber klar geworden sei, was er sich eigentlich angetan habe, hätte der Aerger über sich selbst ihn so erschüttert, dass ihn eine schwere Gelbsucht auf das Krankenlager geworfen habe, von der er nur langsam sich hätte erholen können. Schliesslich musste er sich aber wieder aufraffen und wie ein Stoiker gute Miene zu bösem Spiele machen, denn in den noch biedermeierlichen Zeitverhältnissen, in denen er nun einmal steckte und den kleinstädtischen Grundsätzen, blieb nichts anderes als nun auch zu heiraten. Schon im ersten Jahre seiner Ehe aber hätte er zu spüren bekommen, wie berechtigt sein Vorgefühl gewesen sei. In weltanschaulichen Dingen fand er kein Echo und in kleinsten Tagesdingen wurde er gereizt. Selbst vor seinen Bekannten habe ihn die Frau lächerlich gemacht. Sie habe sich in ihrer Taktlosigkeit erdreistet, ihn selbst blosszustellen, wenn er unter Menschen ein Glas Wein mittrinken wollte und ihm wie einem Schuljungen die Hand über sein Glas gelegt : »Nein, mein Mann dankt !« Er sei also entschlossen gewesen, sich wieder scheiden zu lassen. Doch auf Befehl seines Vaters, da in jener Zeit Scheidungen noch etwas sehr Ungewöhnliches waren und ein Kind erwartet wurde, habe er sich wieder »breitschlagen« lassen. Er habe nur mehr auf alle seine Träume verzichtet, sich mit seinem Schicksal abgefunden, sich ganz in seine Arbeit vergraben und für seelische Bedürfnisse bei Hunden und Vögeln Zuflucht suchen müssen. Er habe stoisch gewartet, bis die aus dieser Ehe hervorgegangene Tochter, die ein gut Teil älter sei als ich, das Mädchen, zu dem er sprach, erwachsen wäre und verheiratet werden konnte. Er habe versucht, sie in sein Herz zu ziehen, aber sie sei immer mit ihrer Mutter gegen ihn aufgetreten und habe so viele Eigenschaften dieser Mutter geerbt, dass er sich innerlich vollständig auch von ihr hätte lösen müssen. Er habe schon die Nächte in seinem Laboratorium verbracht, um diesem Heim wenigstens zeitweilig zu entgehen, aber die »Anseres domesticus« hätten ihn selbst dorthin verfolgt. – Jetzt aber, seit seiner ersten grossen Auslandsreise, sei es unmöglich länger zu ertragen. Es sei ihm zum Ersticken heftig zum Bewusstsein gekommen, wie sehr er sich durch eine einzige Dummheit sein Leben ruiniert habe. Und nun, eben noch vor Toresschluss sei ich ihm begegnet, das wahre Aennchen von Tharau, und er wolle mich heute fragen, ob ich es wohl vermöchte, sein ferneres Leben mit ihm zu teilen. Es seien zwar noch einige Schwierigkeiten zu überwinden und er sähe wohl, dass er sich äusserlich bereits habe von dem ihn überall umgebenden Spiessertum selbst infizieren lassen, aber noch sei es nicht zu spät. Er wolle mich auf Händen tragen, wenn ich ja sagen könnte. Denn wenn auch ich ihn in Stich liesse, wisse er überhaupt nicht mehr, wozu er noch leben und immer nur für andere arbeiten solle. Er sei sich selbst schon ganz zuwider geworden bei seinem ewigen Totquälen von Tieren im Dienste an der Menschheit. Wenn ich ihn aber aus seiner Einsamkeit erlöste und mit mir die Poesie des Lebens an seiner Seite wäre, würde er bestimmt noch vieles mehr als er schon getan habe leisten können. – Jedenfalls aber würde er unter keinen Umständen wieder in seinen Käfig zurückkriechen. Und ich sah, wie dem als eisern und verschlossen bekannten Manne ein paar verlorene Tränen in den Bart rollten und in der eisigen Luft dort festfroren.– Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich einen Mann weinen sah, und ich habe es niemals vergessen !! Bis dahin hatte ich respektvoll seine wissenschaftlichen Leistungen bewundert, aber nun berührte etwas an diesem 29 Jahre älteren Manne mein innerstes Herz. Tonfolgen aus dem Fliegenden Holländer von Wagner gingen mir durch den Sinn und ein Bild fiel mir ein, welches ich zu Hause besass, von jenem anderen mittelalterlichen Arzt, Vesalius, der zuerst systematisch Postmortem-Untersuchungen an Menschen vorgenommen, wie er in dunkler Nacht in stillem Kellergewölbe vor einer Leiche steht. Ich sah auch diesen einsamen Robert Koch in seinem Laboratorium über das schmerzenvolle Lager armer, wehrloser lebendig aufgeschnittener, namenlos leidender Tiere gebeugt, in stiller Nacht gelassen in ihrem zuckenden Fleisch herumschneidend oder ihnen Nadeln in die Augen bohrend und unberührt von ihrer Pein. Ein Grauen erfasste mich – – –, doch, da dies alles zu höheren Zwecken geschah und er mich so sehr für seine Seelenruhe zu gebrauchen schien, wie konnte ich ihm da Nein sagen, !!?, wie konnte ich es über’s Herz bringen. !! Zudem blieb meine Vorstellung ja weit hinter der grauenvollen Wirklichkeit zurück. Zwar verursachten mir alle Einzelheiten, die er mir sonst noch erzählte, grosses und schmerzliches Unbehagen, aber ich war damals zu weltfremd und kindhaft, um die ganze Tragweite dieser Dinge zu verstehen und die Folgen, die für mich daraus entstehen konnten, zu überblicken. Ich sah nur diese ernsten, so sehr männlichen Tränen. – Ich sagte wohl nicht viel, aber immerhin, meine Antwort muss ihm wohl genügt haben. Denn bald darauf besuchte er meine damals bereits schwer kranke Mutter. Ich war ja so jung, dass er ohne deren Einwilligung gar keine Beschlüsse fassen konnte. Meine Mutter war empört über diesen Besuch. Sie staunte über das, was sie die naive Unverfrorenheit dieses ältlichen, abgelebten Mannes nannte, der ihr unappetitlich war, weil um seine Hände noch die Todesqualen von vielen Tausenden, wie sie meinte, zwecklos hingeopferter Tiere geisterten. Sie glaubte nicht daran, dass man am Tierkörper...


Koch, Hedwig
Hedwig Koch (1872-1945) war Schülerin des berühmten Berliner Malers Gustav Graef. Sie lernte etliche Sprachen und unterstützte ihren Ehemann Robert Koch auf zahlreichen Forschungsreisen.

Barz, Heiner
Heiner Barz, Leiter der Abteilung für Bildungsforschung und Bildungsmanagement an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er befasst sich seit vielen Jahren mit Themen an der Schnittstelle von Bildung, Gesundheit und Medizin.

Hedwig Koch (1872-1945) war Schülerin des berühmten Berliner Malers Gustav Graef. Sie lernte etliche Sprachen und unterstützte ihren Ehemann Robert Koch auf zahlreichen Forschungsreisen.

Heiner Barz, Leiter der Abteilung für Bildungsforschung und Bildungsmanagement an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er befasst sich seit vielen Jahren mit Themen an der Schnittstelle von Bildung, Gesundheit und Medizin.


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