E-Book, Deutsch, 308 Seiten
Koch Murt, der Ire
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-946778-03-5
Verlag: fifty-fifty
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
oder Die Insel des Mondes
E-Book, Deutsch, 308 Seiten
ISBN: 978-3-946778-03-5
Verlag: fifty-fifty
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
"Die Insel des Mondes", stößt Murt hervor, als er sich halb aufrichtet und ihm der Kopf nach vorne sinkt. Nicht zu besiegen sei Irland, auch wenn es dauere bis zum Sieg. "Insel des Mondes", hätten die Römer schon gesagt, hätten Angst gehabt, hätten sich nicht getraut, die Iren anzugreifen. "Insel des Mondes, das ist die Insel des Todes", sagt Murt, der Kopf ruckt hoch.
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Die Fasanenjagd
Der Großvater hat einen Tinker, einen Kesselflicker, zum Freund. Haben sie sich längere Zeit nicht gesehen, begrüßen sie sich auf eigentümliche Weise, hat der Junge beobachtet. Sie spreizen Zeigefinger und kleinen Finger der rechten Faust ab wie die Hörner einer Kuh, drehen die Hand dreimal hin und her, schließen die Faust ganz, stoßen ihre Fäuste zweimal leicht gegeneinander, spreizen die Finger wieder ab und drehen die Rechte noch einmal hin und her. Sie sind zusammen zur See gefahren, damals in den alten Zeiten, hat der Großvater dem Enkel erzählt. Sie waren zusammen überall, auch in Kalifornien und in Mexico. »Juanita«, braucht nur einer zu sagen, und sie kichern los wie die Kinder. Oder »San Diego«, oder »Tijuana«. Der Tinker trägt wie Murt einen schweren silbernen Ohrring. Bogo nennt der Großvater den Tinker. Ob das dessen richtiger Namen ist, weiß Harry nicht. Bei den Tinkern weiß man ja nie etwas genau, denkt er wie seine Mutter. Der Tinker nennt den Großvater nicht Murt, sondern Lobo, manchmal Bobo. Wolf und Dummkopf heiße das, hat der Großvater lachend geantwortet, als Harry wissen wollte, was das bedeute. Die Mutter kann den Umgang des Großvaters mit dem Kesselflicker nicht gut finden: Einer vom fahrenden Volk, das der HERR zum ewigen Umherziehen auf der Insel verdammt habe; dieser Bogo habe kein Land und kein Haus und gehe nicht zur Messe. Und sie hat Harry mit empört gepresster Stimme erzählt, was man sonst so bei den Nachbarn von den travellers hört. Wäsche würden sie von der Leine stehlen, Lämmer in den Bergen von den Mutterschafen forttreiben und schlachten. Die Arrestzellen der Polizei der Garda, überall im Land seien voll mit Tinkern. Liederliche Frauen hätten die – worunter der Junge sich nichts richtig Schlimmes vorzustellen vermag. In ihrer Schimpfkanonade, der Murt stets ungerührt vergnügt zuhört, hat die Mutter nur hinzugefügt, die Tinkerweiber würden nachts für Männer am Feuer tanzen und so, und gesagt, dass sie mehr dazu nicht sagen wolle. Aber die Mutter redet nicht nur schlecht von den Tinkern. Na ja, das stimme schon, pflichtet sie dem Großvater bei, wenn der auf das handwerkliche Geschick seines Freunds hinweist und auf das gute Benehmen von dessen Kindern und die freundliche Bescheidenheit seiner Frau. Bogo besucht Murt im Frühjahr und im Herbst. Der Herbstbesuch steht an. Bogo ist ein Meister in der Zunft der Kesselflicker, die sich darauf verstehen, den Bauern beschädigte Gefäße und Geräte billig und gut wieder herzurichten, gleich ob aus Ton oder Steingut, Zink, Eisen oder Kupfer. Bogos Sippe sind die Ryans. Die sind besonders gut im Wiederherrichten von zerbrochenem Steinzeug. Harry sieht ihnen gerne zu, wenn sie die einzelnen Teile behutsam einbohren und sie mit starken rotglühenden Drahtschlingen aus dem Holzkohlebecken zusammenheften, deren Enden abgeschrägt flach gehämmert sind und beim Erkalten wie nahtlos ineinander gefügt scheinen. Kein Tropfen rinnt mehr aus den bauchigen Wasserkrügen oder den großen ovalen Servierschalen für Gemüse und Fische, die nach getaner Arbeit der Mutter überreicht werden. Murt hat auf Bogo gewartet, weil der ihm einen Trichter fertigen soll für das Abfüllen des Rums aus den vergrabenen Porterflaschen in seinen Flachmann. Kein Spritzer soll verloren gehen. Murt hat die Taschenflasche, handtellergroß, in speckiges Leder eingefasst, in alten Zeiten am Pier in London bei einem rothaarigen Matrosen, einem Waliser, gegen einen Beutel Vanillestangen eingetauscht, die er aus Sansibar mitgebracht hatte. Der abgenutzte Korken steckt in einer glänzenden Halbkugel aus Sterlingsilber. Murt hat aus dem Meer einen Schatz von Kupferblechen und Bleirollen angesammelt, die er nach den Stürmen mit Hammer und Meißel von angespülten Decksplanken und Frachtluken gelöst und zwischen den Steinen der Mauer am Kuhstall verborgen hat. Murt zieht aus dem Versteck einen armlangen Kupferstreifen hervor und reicht Harry das zerknitterte grünlich angelaufene Metallstück. Er soll es im Gras neben dem Hofeingang für Bogo bereitlegen. »Lisa, bist du das«, ruft die Mutter von drinnen im Haus, da sonst niemand bei ihr anklopft. »Komm ruhig rein«, sagt sie, ohne eine Antwort abzuwarten. »Aber nur du. Bogo soll draußen warten.« »Ma’am, dürfen wir auf Ihrem Land bleiben?«, fragt Lisa in der Türe wie bei jedem Besuch. »Wieder unten beim Grashügel am Bach?« Wie bei jedem Besuch gibt die Mutter zur Antwort: »Ja, aber ihr müsst ruhig sein und dürft die Nachbarn nicht stören.« Die Nachbarn, die Huckleys, wohnen gut eine halbe Meile entfernt und würden auch von Tanz und Musik kaum zu stören sein. Die Mutter meint aber und hat das des Öfteren zu ihrem Sohn gesagt, ohne Ermahnungen sei mit den Tinkern nicht auszukommen. Bogo hat die förmliche Erlaubnis nicht abgewartet; er weiß, dass die Bäuerin seine Tochter gut leiden kann und nicht Nein sagt. Er stopft sein braunes Baumwollhemd, an dem die Knöpfe fehlen, in die blaue Arbeitshose, zieht den einen Hosenträger stramm, der quer über seinen rundlichen Bauch läuft, drückt den schmalkrempigen Hut fest auf seine schwarzen langen Locken und schnalzt zweimal mit der Zunge gegen den Gaumen, als er die Zügel der grünen Karre in die Hände nimmt. Die stramme gelbbraun gefleckte Tinkerstute stemmt sich ins Zeug, Bogo geht nebenher und steuert das Gefährt auf den trockenen Grasstreifen neben dem sumpfigen Bachufer. Murt führt hinter ihm die andere, die blaugestrichene Karre, auf deren Seitenbretter Lisa weiße Blumenkelche gemalt hat. Das Kupferblech hat er vorne auf die Karrenbretter gelegt, auf denen Lisa sitzt, wenn sie die Karre fährt. Murt spannt den schwarzweißen Wallach aus, bindet die Vorderläufe locker zusammen und pflockt das Tier neben dem von Bogo versorgten Pferd an. Die Tiere sind hungrig, reißen gierig an den saftig grünen Grasbüscheln. Die Karren sind zwischen ihren zwei großen hölzernen Speicherrädern nach hinten abgekippt, die Deichselhörner spießen zu den Wolken hoch. Die dicht gefügten dicken Eschenbohlen der Ladefläche bieten Schutz vor Regen. Gegen den Wind zurrt Bogos Frau Mary im Luv ihre außergewöhnlich groß und dicht gewebte rotgrüne Wolldecke an den eisernen Ringen entlang der Kante des Karrenbodens fest und legt Steine auf den unteren Deckensaum. Die Decke hat sie im Winter wie im Sommer über dem breiten Rücken und dem stattlichen Busen hängen. Murt ist vernarrt in Mary, er kann kaum verhehlen, dass er ein starkes Verlangen nach ihrem fraulichen Leib spürt. Auch jetzt fällt es ihm schwer, seine Augen von ihr zu lassen, ihren vollen Lippen über funkelnd weißen Zähnen, ihrer starken geraden Nase, den Lachfalten im gebräunten Gesicht. Mary raucht die kurze Wurzelholzpfeife, die Bogo für sie geschnitzt hat, als sie neben den Männern und dem Jungen im Gras in die Hocke geht. »Hoffe, dir geht’s gut«, sagt sie zu Murt und pafft aus ihrer Pfeife. »Danke. Hoffe, dir auch«, antwortet Murt und fügt leiser hinzu, »schön, dich wiederzusehen.« Ob er »muntes«, Tabak, wolle, oder »mugel«, einen Apfel, fragt sie ihn. Sie weiß, er versteht Shelta ganz gut, weil Bogo ihm einiges aus der Geheimsprache der Tinker beigebracht hat. Sie legt ihre warme Hand auf den Arm des Freundes. »Danke, nicht jetzt«, sagt Murt und legt seine Hand auf ihre Hand, die sie sogleich wegzieht. Ihrem Mann ist sie lustvoll ergeben, dennoch gefallen Mary die Gefühle des anderen Mannes für sie. Sein Begehren lässt ihr Blut pochen. Sie fühlt sich wohl, wenn Murt um sie ist. In Shelta sagt sie zu Bogo, dass sie Stroh und Heu brauchen; sie habe gesehen, es sei genügend da. Ein hellblauer Frageblick zu Murt hin, und der nickt ihr zu: »Nehmt euch, so viel ihr wollt.« Mary ruft Lisa heran und die zweite Tochter, die halbwüchsige Annie, schwarzgelockt und drall wie ihre ältere Schwester. In der Scheune klemmt sich Mary zwei Strohbündel unter die hellen kräftigen Oberarme, greift sich noch zwei der gelben Garben und geht in ihren weich ansitzenden Lederstiefeln zum Lager zurück. Lisa und Annie tragen jede zwei Heuballen hinterher für die Pferde. Mary zieht das Stroh auseinander und wirft es unter die beiden Karren, knöpft ihren langen braunen Wollrock auf, zieht ihn hinab und steht da in ihrer groben Männerhose, die in den Stiefelschäften steckt, und breitet den Rock als Schlafunterlage über die Strohschütte der blauen Karre. Als sie sich aufrichtet, schafft Murt es nicht, seinen Blick rechtzeitig von den prallen Backen in der Männerhose loszureißen. Sie lächelt kurz, Murt errötet. Er wendet sich zum Feuer, das Bogo in einem Steinering entfacht hat, und reibt sich die Augen, als würde ihn der Rauch stören. Sie werde mit den Töchtern unter dem blauen Wagen schlafen, Bogo unter dem grünen, sagt sie. Bogo nickt, er hat keinen Windschutz, dafür mehr Platz im Stroh. Die beiden Söhne der Ryans sind in der Stadt geblieben. »Haben viel zu tun«, antwortet Bogo vaterstolz, als sich Murt erkundigt, was die beiden so treiben. Murt kennt ihr Werkstattzelt an der Landstraße nach Cork, neben dem Wohnwagen der Ryans mit dem runden roten Dach, aus dem ein silbern gestrichenes Ofenrohr ragt. Vor dem Zelt stapelt sich die Kundenware: Eimer ohne Henkel, Eisenpfannen ohne Stiele, zerlöcherte Blechbecher und Blechnäpfe, zerbrochene Eggen. Die Burschen sitzen auf Holzschemeln an den Dengeleisen und führen in flinken Händen Lötkolben, Rundkopfhammer, Zange, Nieten, Draht. Die Bauern legen Wert auf rasche Rückgabe. Bogo hat seine Werkzeugkiste vor...