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E-Book, Deutsch, 154 Seiten
Koch Schutzfaktor Bindung
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-608-12515-3
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie eine bindungsfreundliche Erziehung vor Fremdenhass und Rechtsextremismus schützt
E-Book, Deutsch, 154 Seiten
ISBN: 978-3-608-12515-3
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Claus Koch, Dr. phil., Diplom-Psychologe ist Mitbegründer des Pädagogischen Instituts Berlin, Autor und Publizist. Als Experte für Bindungsstörungen arbeitet er seit Jahren in vielen Projekten zusammen mit Eltern, Erzieher:innen und Lehrer:innen. Zahlreiche Fachartikel und Veröffentlichungen zu Kindheit, Jugend und Bindungstheorie. Zur Website von Dr. Claus Koch: www.clauskoch.info
Zielgruppe
Alle, die sich für das Thema Rechtspopulismus und Rassismus interessieren, Eltern, Lehrkräfte, Erzieher:innen und andere pädagogische und psychologische Fachkräfte
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Allgemeines
- Sozialwissenschaften Pädagogik Pädagogik Pädagogik: Sachbuch, Ratgeber
- Sozialwissenschaften Pädagogik Pädagogik Pädagogische Psychologie
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Entwicklungspsychologie Pädagogische Psychologie
Weitere Infos & Material
Einleitung
Nach repräsentativen Umfragen ist allein in Deutschland bis zu einem Drittel der Bevölkerung rechtspopulistischen bis hin zu eindeutig rechtsextremen Positionen zugeneigt.[1] Diese äußern sich vornehmlich in unverhohlen vorgetragenen fremdenfeindlichen Ansichten und werden häufig begleitet von der Propagierung eines ethnisch gesäuberten, autoritär geführten Vaterlands und von antisemitisch verbrämten Verschwörungstheorien. Hinzukommt die Sehnsucht nach einem besseren »Gestern«, die sich in rückwärtsgewandten Vorstellungen von Familie, Erziehung und eines traditionellen Geschlechterverhältnisses ausdrückt. Die »Alternative für Deutschland« (AfD) und ihre prominenten Vertreter und Vertreterinnen, die bei der Bundestagswahl im Februar 2025 insgesamt 20 Prozent und in vielen Regionen weit mehr Wählerstimmen auf sich vereinigen konnten, bündeln diese Vorstellungen programmatisch und leiten daraus für ihre Gefolgschaft konkrete Handlungsschritte im öffentlichen Raum ab. Dazu zählen eine rassistisch motivierte Verfolgung von »Ausländern«, Angriffe auf Flüchtlingsheime, queerfeindliche Gewalt, die Verharmlosung der NS-Diktatur und ihrer Verbrechen sowie die zunehmende Bedrohung kultureller Einrichtungen und gewaltsame Einschüchterung all derer, die sich ihren Absichten und Plänen entgegenstellen.
Was aber machen die Attraktivität dieses Angebots und dazugehörige Säuberungs- und Abschiebungsfantasien aus, die den Wahlkampf 2025 – auch über Parteigrenzen hinweg – begleitet haben? Warum finden nationalistische, völkische, antisemitische und fremdenfeindliche Ansichten bei vielen, auch jüngeren Menschen und in nahezu allen Schichten der Bevölkerung so großen Anklang? Und umgekehrt: Warum scheinen gut zwei Drittel der Gesellschaft rechtspopulistischen bis hin zu rechtsextremen Vorstellungen nur wenig zugeneigt, wenn nicht sogar ihnen gegenüber immun zu sein?[2]
Für den Erfolg von Rechtspopulisten und Rechtsextremen gibt es von Politikwissenschaftlern, Ökonomen, Soziologen und Angehörigen anderer wissenschaftlicher Disziplinen auf der Grundlage umfassender empirischer Studien eine Fülle unterschiedlicher Erklärungsansätze.[3] Betrachtet man die darin vielfach genannten äußeren Beweggründe wie Angst vor unkontrollierter Einwanderung, Abstiegssorgen, das Gefühl sozialer Benachteiligung, Zukunftsängste, Globalisierung oder die Zuspitzung multipler gesellschaftlicher Krisen, sind dies durchaus plausible und nachvollziehbare Erklärungsmuster. Doch obwohl sie viele betreffen, führen sie beim Einzelnen ganz offensichtlich nicht zwangsläufig hin zu rechtspopulistischen und rechtsextremen Ansichten. Weshalb es schon verwundert, dass in Publikationen, die sich ausführlich und akribisch mit dem Entstehen und der zunehmenden Verbreitung rechtspopulistischer und rechtsextremer Einstellungen in unserer Gesellschaft beschäftigen, nahezu jeglicher Hinweis darauf fehlt, dass dies auch etwas mit den inneren Beweggründen ihrer Anhängerinnen und Anhänger, also deren intrapsychischen Disposition, zu tun haben könnte. So wird der Zusammenhang zwischen autoritär-nationalistischen Vorstellungen und möglichen Kindheitserfahrungen, wie er in der Autoritarismusforschung kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Sieg über die nationalsozialistische Gewaltherrschaft immer wieder thematisiert wurde, heute in nur wenigen sozialwissenschaftlichen Arbeiten angesprochen, oft aber auch systematisch ausgeblendet.[4]
Ein gutes Beispiel für Letzteres liefert das zweibändige Werk, in dem der renommierte Soziologe und Erziehungswissenschaftler Wilhelm Heitmeyer ausführliche Ursachenforschung betreibt hinsichtlich der Entstehung eines in Deutschland von der Neuen Rechten verfolgten »autoritären Nationalradikalismus«. Obwohl schon die Titel beider Bücher – »Autoritäre Versuchungen« und »Rechte Bedrohungsallianzen« – auf die Beteiligung auch psychischer Dispositionen und deren Folgen verweisen, finden sich auf Hunderten von Seiten nahezu keine Hinweise darauf.[5] Soziologische, ökonomische oder politische Erklärungsmuster aber stoßen besonders dort an ihre Grenzen, wenn es – wie bei der Propaganda von Rechtspopulisten und Rechtsextremen – weniger um Fakten, sondern um die Beschwörung von starken Emotionen geht. Im Vordergrund, und darauf wird zurückzukommen sein, steht dabei das Schüren von Angst angesichts eines den Menschen ständig bedrohenden Draußen.
Ich thematisiere in diesem Buch deswegen etwas, das allen Erklärungsansätzen, die Fremdenfeindlichkeit und den stetig zunehmenden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus hauptsächlich auf äußere Umstände und mangelnde Aufklärung zurückführen, noch fehlt. Es geht um die bislang vernachlässigte Frage, was Menschen aus ihrer individuellen Bindungsgeschichte heraus, also aufgrund ihrer frühkindlichen Erfahrungen, besonders anfällig werden lässt für rechtspopulistische, rechtsextreme und demokratiefeindliche Vorstellungen. Es geht um die auf der Basis der Bindungstheorie[6] zu verortende Entstehungsgeschichte eines Phantasmas vom bedrohlichen Draußen in der frühen Kindheit. Dabei handelt es sich nicht von ungefähr um das zentrale, über allem stehende Narrativ, das bis heute sämtliche dieser politischen Strömungen in unseren westlichen Gesellschaften miteinander verbindet.
Dies wird nicht die einzige Erklärung dafür sein, dass sich Menschen bereitwillig den Parolen der Neuen Rechten zuwenden. Aber dieser bindungstheoretisch motivierte Ansatz eröffnet vor allem, ohne andere Erklärungsansätze infrage zu stellen, eine niederschwellige Möglichkeit zur Prävention von autoritärem Nationalradikalismus, indem eine bindungsfreundliche Atmosphäre und Umgebung geschaffen werden, und zwar sowohl in der Familie als auch außerhalb des Elternhauses in Kita und Schule. Hauptanliegen dieses Buches ist deswegen auch zu zeigen, wie und warum eine bindungsfreundliche Erziehung helfen kann, Kinder und Jugendliche davor zu schützen, für rechtsextreme und völkisch inszenierte Bedrohungsszenarien anfällig zu werden. Dabei geht es um die Entstehung von Weltoffenheit schon in der frühesten Kindheit, um ein weltoffenes Kind, das sich mithilfe seiner Neugierde und Entdeckungslust dem Narrativ eines »bedrohlichen Draußen« von Beginn seines Lebens an entgegenstellt. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, dass es sich später autoritäre und nationalradikale Parolen erst gar nicht zu eigen macht. Es geht um eine Erziehung, die beim heranwachsenden Kind die Gefühle von Schutzlosigkeit, Kontrollverlust und innerer Leere erst gar nicht aufkommen lässt und stattdessen eintauscht gegen Gefühle von Sicherheit, Geborgenheit, Anerkennung und Sichtbarkeit. Hier sind es die wichtigsten Bezugspersonen, in den meisten Fällen seine Eltern, die dem Kind von Geburt an eine tragfähige und belastbare Brücke hin zur Welt bauen. Bekommt diese Brücke aber Risse oder bricht ganz entzwei, hat dies weitreichende Folgen hinsichtlich der kindlichen Vorstellung dessen, was in der Welt am anderen Ende der Brücke stattfindet. Ohne festen Halt und Bindung zu seinen Eltern bekommt das Kind zunehmend Angst vor dem, was ohne seinen Einfluss und ohne seine Wirksamkeit außerhalb von ihm passiert. Aus solcher Entfremdung und Ohnmachtserfahrung entsteht bei ihm nach und nach eben jene Vorstellung von einem bedrohlichen Draußen. Anders gesagt, wird das Geschehen am anderen Ende der Brücke dem Kind unheimlich.
Die innere Leere des Kindes, seine Ohnmachtsgefühle, seine Ängste, aber auch seine Wut beziehen sich anfangs noch auf die unmittelbare Umgebung des allein sich selbst überlassenen Kindes, das ohne den Rückhalt ausreichender Bindungserfahrungen zu den ihm wichtigsten Bezugspersonen heranwächst.[7] Doch später löst sich dies nach und nach von der frühkindlichen Erfahrung ab, obwohl alle diese Gefühle in ihm weiter bestehen. Und an dieser Schnittstelle entsteht nach und nach die Vorstellung einer stets bedrohlichen und unberechenbaren Welt, die später, wenn das Kind älter und erwachsen geworden ist, mit der Erfahrung wirklicher Bedrohung kaum noch etwas zu tun hat. Vielmehr verselbstständigt sich diese Vorstellung in ihm immer weiter als ein Phantasma vom bedrohlichen Draußen.
Stets konfrontiert mit diesem inneren Bild von Bedrohung können dem erwachsenen Menschen jetzt nur noch Forderungen nach immer mehr Schutz und Kontrolle weiterhelfen, um sämtliche Gefahren abzuwehren, die ihm aus einer in seinen Vorstellungen per se und auch unabhängig von konkreten, Angst auslösenden Anlässen feindlich gesonnenen und immer unübersichtlicheren Welt drohen. Dies aber macht ihn anfällig für Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit, weil scheinbar nur in einem autoritären Staat Sicherheit, Kontrolle, Schutz und Anerkennung für ihn zu finden sind. Eine Einstellung, die völkischem Nationalismus, Antisemitismus, Remigrationsfantasien, identitärem Rausch bis hin zu gewalttätigen Übergriffen auf alles, was »anders«, »fremd«, unheimlich oder »bedrohlich« erscheint, Legitimation verschafft.
»Kopftuchmädchen«, die für das Verborgen-Unsichtbare und Fremde stehen, »Messermänner«, die uns jederzeit bedrohen, angreifen und töten wollen, »Taugenichtse«, die unserer Gesellschaft nicht nützlich sind und deswegen bei uns...