E-Book, Deutsch, Band 3, 352 Seiten
Reihe: Der Nordseehof
Kölpin Der Nordseehof - Als wir den Himmel erobern konnten
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-492-99695-2
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 3, 352 Seiten
Reihe: Der Nordseehof
ISBN: 978-3-492-99695-2
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Regine Kölpin, geb. 1964 in Oberhausen (Nordrhein-Westfalen). Die Autorin lebt seit ihrer Kindheit in Friesland an der Nordsee. Regine Kölpin schreibt für namhafte Verlage (mit Gitta Edelmann auch unter dem Pseudonym Felicitas Kind) Romane, Geschenkbücher und Kurztexte. Ihre Bücher waren mehrere Wochen auf der SPIEGEL- Bestsellerliste. Regine Kölpin hat einige Auszeichnungen erhalten. Unter anderem den Bronzenen Homer 2020 (mit Gitta Edelmann), den Titel Starke Frau Frieslands 2011, das Stipendium Tatort Töwerland 2010 u.v.m. Sie gehört dem PEN-Zentrum Deutschland und den Autorenvereinigungen Delia(Liebesroman) und Homer (Historischer Roman) an. Mit ihrem Mann Frank Kölpin lebt sie in einem kleinen idyllischen Dorf an der Küste. Dort konzipieren sie gemeinsam Musik- und Bühnenprojekte und genießen ihr Großfamiliendasein mit fünf erwachsenen Kindern und mehreren Enkeln oder lassen sich auf ihren Reisen mit dem Wohnmobil zu Neuem inspirieren. Mehr Infos unter: www.regine-koelpin.de
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Die Rosen sehen traurig aus, dachte Johanna, und das lag nicht nur daran, dass der Herbst das Land schon voll im Griff hatte und sie mit verzweifelter und letzter Kraft blühten. Der ganze Rosengarten wirkte vernachlässigt und brauchte dringend eine ordnende Hand, damit die Stöcke wieder in voller Pracht erstrahlen konnten. Sie sollte sich bald mal darum kümmern – nur wann?
»Oma!« Die Stimme ihrer Enkelin Feemke riss sie aus ihren Gedanken. »Ich hab dich schon überall gesucht!« Blonde Locken umtanzten das kleine erhitzte Gesicht.
»Ihr seid schon da?«, fragte Johanna erfreut und lief auf die Kleine zu, um sie in den Arm zu nehmen.
»Mama ist ganz schnell gefahren, weil sie ja gleich wieder los muss, um morgen zu demolieren!«, plapperte die Fünfjährige.
Johanna unterdrückte ein Kichern. Ihre Tochter Adda brachte Feemke vorbei, weil sie morgen nach Bonn zu der großen Friedensdemonstration fahren und die Kleine natürlich nicht mitnehmen wollte.
»Moin, Mama!«, sagte Adda, die nun ebenfalls in den Garten trat und auf ihre Mutter zueilte. Wie immer wirkte sie ein bisschen hektisch, das hatte sie sich angewöhnt, seit sie in der Großstadt lebte. Johanna wollte sie in den Arm nehmen, zuckte dann aber zurück, weil Adda das nicht mochte. Sie küsste ihre Mutter nur kurz auf die Wange und schaute sich nach Feemke um.
Johanna war bemüht, ihre Verletzung über die spröde Begrüßung ihrer Tochter nicht zu zeigen. Ihre Verbindung war schon immer problematisch gewesen, aber nachdem Adda erfahren hatte, dass nicht Johannas verstorbener Mann Eike, sondern ihre große Liebe Rolf Addas Vater war, hatte es einen tiefen Riss zwischen ihnen beiden gegeben.
»Möchtest du einen Tee? Du siehst müde aus«, fragte Johanna in der Hoffnung, dass Adda wenigstens ein bisschen Zeit mitgebracht hatte. Aber ihre Tochter schüttelte den Kopf. »Nein, mach dir bitte keine Mühe. Ich würde gern sofort wieder los.« Adda schaute Johanna an. Sie schien ihre Enttäuschung wohl doch zu bemerken. »Es tut mir leid, ich weiß, dass du es besser fändest, wenn ich ein bisschen bleiben würde, aber ich muss für morgen noch ein paar Sachen packen, und außerdem will ich zeitig ins Bett«, sagte sie entschuldigend.
»Ist schon gut. Für Feemke hast du alles dabei?«
Ihre Tochter nickte. »Die Tasche steht schon in der Küche auf der Bank.« Adda warf einen Blick zum Rosengarten. »Der hat echt auch schon bessere Tage gesehen! Ich würde ihn plattmachen.« Sie musterte ihre Mutter. »Okay, falsche Ansage. Du hängst daran, warum auch immer.«
»Ich mag diesen Teil des Gartens sehr«, bestätigte Johanna.
Adda zuckte mit den Schultern. »Musst du ja wissen. Dann hol dir einen Gärtner, es ist bestimmt mächtig viel Arbeit, ihn wieder in Ordnung zu bringen.«
Sie rief Feemke, die in den hinteren Bereich des Gartens gerannt war. Dort stand sie an der Graft und stocherte mit einem Stock im Wasser herum. »Süße, ich will los!«
Ihre Tochter drehte sich um, hüpfte auf sie zu, schlang die Arme um Addas Hals und küsste sie. »Ich wein auch nicht, weil ich nämlich gern auf dem Nordseehof bin. Du kannst ruhig fahren, Mami.«
»Ich weiß.« Adda gab Feemke einen liebevollen Klaps und lächelte, als sie schon wieder zum Wasser zurücklief und dabei merkwürdige Hopser machte.
»Sie ist ein bisschen zu gern hier«, sagte sie zu Johanna, die die beiden beobachtet hatte.
»Sei froh, so sind solche Übergaben problemlos. Du holst die Lütte am Sonntag wieder ab?«
Adda nickte. »Ich denke, ohne Dirk. Er wird wohl mal wieder mit anderen Dingen beschäftigt sein. Wie immer.«
Um Addas Mund legte sich kurz ein trauriger Zug, doch sie ließ ihn nicht lange zu und verzog das Gesicht sofort wieder zu einem Lächeln.
Johanna ahnte, dass die Ehe ihrer Tochter noch weiter Schlagseite bekommen hatte und das Kentern inzwischen absehbar war. Feemke erzählte oft, wie sehr der Haussegen in Bremen schief hing.
»Gut, ich muss dann los.« Adda schabte mit der Schuhspitze über den Boden. Es schien ihr unangenehm zu sein, ihr Kind immer nur auf dem Nordseehof abzuliefern und ihrer Mutter nicht das geben zu können, was sie sich so sehr wünschte. Vergebung.
»Ist alles gut, wir kommen schon klar, Feemke und ich«, baute Johanna ihr eine Brücke. Sie wollte es Adda so leicht wie möglich machen, Liebe konnte man schließlich nicht erzwingen.
Adda nickte ihr zum Abschied zu und wandte sich ab.
Im Garteneingang kam ihr Rolf Menzel entgegen. Ihr leiblicher Vater, den Adda aber nicht als solchen anerkannte. Sie kam immer noch nicht darüber hinweg, dass Johanna ihren Mann Eike, den Adda bis vor ein paar Jahren für ihren Vater gehalten hatte, vor so vielen Jahren mit Rolf betrogen hatte.
Und prompt traf ihn nun Addas vernichtender Blick. Sie würde ihm diesen Verrat wohl nie verzeihen. Immerhin begrüßte sie ihn knapp, bevor sie zum Hof eilte und kurz darauf mit lautem Geknatter davonfuhr.
Rolf sah ihr mit einem traurigen Blick nach, wandte sich dann aber Johanna zu, deren Haut noch immer kribbelte, wenn sie ihn sah.
»Hallo, Hanna.« So begrüßte er sie seit vielen Jahren, mit der Abkürzung ihres Namens – nur er durfte sie so nennen. Und mit dem Blick, der nur ihm gehörte, und einem Lächeln, das ehrlicher nicht sein konnte. Das Lächeln des Mannes, den sie seit ihrer Jugend liebte.
Er nahm sie in den Arm. Wie immer eine Spur zu lange und eine Spur zu fest. Wie immer fühlte es sich gut an. Und wie immer genoss Johanna jede Sekunde seiner Berührung.
Dann schob Rolf sie fort. Das lockige, schwarze Haar kräuselte sich an seinem Kopf, und er zeigte ihr erneut sein typisches Lächeln, das das Blau seiner Augen förmlich explodieren ließ. Dabei wurde Johanna mal wieder deutlich, wie sehr Adda ihm glich.
Rolf fuhr sich mit einer flüchtigen Handbewegung durchs Haar und strich eine Strähne zurück, die ihm in die Stirn gefallen war. Gleich würde er sich sacht über die Oberlippe lecken. Johanna kannte jede seiner Bewegungen, seine gesamte Mimik.
Rolf tat genau das, und dann schweifte sein Blick zu Feemke, die sich inzwischen mit einem Entenpaar unterhielt. Ihre helle Stimme klang bis zu ihnen herüber.
»Wenn ich groß bin, dann werde ich euch sagen, wo ihr schwimmen dürft, weil mir dann die Schäferei gehört.« Sie kicherte. »Und ich fahr ganz bestimmt nicht zu einer Demolation. Da sind mir zu viele Leute.«
Rolf grinste. »Sie hat immerhin Zukunftspläne, unsere Enkeltochter.«
Johanna drückte flüchtig seine Hand. Sie wusste, dass Rolf sehr darunter litt, nicht als wirklicher Opa für Feemke zu gelten. Adda wollte das nicht.
»Das hat sie, aber ich denke, es wird sich in ihrem jungen Leben noch so viel ändern. Immerhin wächst sie in Bremen auf. Aber was soll’s? Das ist alles noch Zukunftsmusik.«
»Fee?«, rief Rolf. Er nannte sie stets bei ihrem Spitznamen, und sie liebte es.
»Rolf!« Feemke ließ das Stöckchen fallen und stürzte auf ihn zu.
Er nahm sie hoch und drehte seine Enkelin ein paarmal im Kreis. »So fangen wir den Feenstaub ein«, sagte er lachend, als er sie wieder absetzte. »Weißt du, wo ich herkomme, in Schlesien, da gibt es große Wälder, und wenn ich früher abends dort war, schwirrten so viele kleine Feen herum, dass ich völlig geblendet wurde.«
»Und die hatten alle Feenstaub?«
Rolf nickte. »Aber sicher. Wir sind immer hindurchgelaufen, denn wenn man eine Menge davon erhält, hat man Glück im Leben.«
Feemke musterte ihn verständig. »Du hast viel abgekriegt, denn du hast Oma. Und sie dich. Dann muss es hier in der Marsch auch Feen geben.«
Johanna und Rolf warfen sich einen liebevollen Blick zu. Ja, sie hatten sich, wenn auch nicht als Mann und Frau. Johanna konnte und wollte das nicht zulassen, denn sie hatte ihrem verstorbenen Mann Eike gegenüber noch immer ein furchtbar schlechtes Gewissen und befürchtete zudem, das inzwischen einigermaßen belastbare Verhältnis zu Adda wieder vollends zu zerstören, wenn sie und Rolf offiziell ein Paar wurden.
»Ich hab Krintstuut gebacken«, sagte Rolf jetzt und beugte sich zu Feemke hinunter. »Er liegt schon in der Küche. Den magst du doch so gern. Wie alle Feenkinder.«
Die Kleine schob ihre Hand vertrauensvoll in die von Rolf.
»Au fein, dann los!«
»Geht schon mal rein«, schlug Johanna vor, »und brüht den Tee auf. Ich muss noch schnell in den Hühnerstall.«
Gemeinsam verließen sie den Garten. Während Feemke und Rolf auf das Wohnhaus zusteuerten, überquerte Johanna den Hof und schaute zum Himmel.
Die noch gestern dicken Regenwolken hatte der kräftige Oktoberwind fast vollständig vertrieben, und der Himmel wurde lediglich von ein paar zerrupften Wattebäuschchen geschmückt, die wie wilde, kleine Schäfchen über das Blau tobten. Johanna liebte das Spiel der Wolken, das Unstete und Unerwartete, das ihr aber zugleich Sicherheit vermittelte, weil die Natur eine Konstante in ihrem Leben war und ihr Halt gab.
Johanna betrat den Auslauf, scheuchte die Hühner in den Stall und mischte das Futter zusammen. Sie mochte diese Arbeit, weil sie ihr ruhig und vertraut von der Hand ging. Genau wie die mit den Schafen. Dafür lebte sie, dafür hatte sie so viel in Kauf genommen. Johanna richtete sich auf und stützte ihr Kreuz, das ihr so manches Mal vom Bücken wehtat.
Aus der Ferne hörte sie Feemke kichern. Sie sollte sich beeilen, damit sie noch in Ruhe Tee trinken konnten. Gegen Abend wollte sie mit ihrem Mitarbeiter Hauke zum Deich fahren und schauen, ob es den Tieren gut ging. Bestimmt fieberte Feemke schon darauf hin, mit in den Bulli zu steigen und ihre Freunde zu besuchen.
Johanna schaute sich prüfend um, ob alles in Ordnung war,...