E-Book, Deutsch, Band 1, 224 Seiten
Reihe: Kommissar Rothko
Kölpin Krähenflüstern
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8392-6444-7
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Inselkrimi
E-Book, Deutsch, Band 1, 224 Seiten
Reihe: Kommissar Rothko
ISBN: 978-3-8392-6444-7
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Im Wilhelmshavener Pflegezentrum Sanfte Wellen kommt eine alte Frau ums Leben. Kurz darauf wird die zuständige Pflegerin bestialisch ermordet in den Salzwiesen aufgefunden.
Was hat Hubert Lambacher, der Sohn der alten Frau damit zu tun? Welche Rolle spielt der Heimleiter Thiemo Hanken?
Seine junge und sensible Ehefrau Linda fühlt sich bedroht, weiß die Zeichen aber nicht zu deuten. Erst kurz zuvor hat sie Thiemo geheiratet und mit ihm in Neustadtgödens ein Haus gebaut, war glücklich, in ihm einen Vater für ihren Sohn Laurin gefunden zu haben. Die Idylle bekommt bald Risse, durch die immer mehr Unangenehmes hereinzusickern und Bedrohliches hindurchzuschimmern scheint.
Nach und nach zeigt sich, welch perfides Spiel und gut gehütetes Geheimnis hinter all dem steckt. Die Gefahr, in der sie und ihr Sohn schweben, erkennt Linda viel zu spät.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Freitag, 10.2.
Elfriede Lambacher legte sich eine Decke über die Beine. Es zog. Dieser stürmische Ostwind fegte nicht nur lautstark über den Jadebusen, er drang auch durch die feinsten Poren der Wände in die Häuser. Elfriede rührte in ihrer Tasse und sah auf die Uhr. Gleich musste Hubert kommen, wie jeden Tag. Sie trank den Nachmittagstee stets zusammen mit ihrem Sohn und nahm ihn nicht mit den anderen Heimbewohnern im Speisesaal ein. Ihre Mitmenschen gingen ihr auf die Nerven, deshalb hatte sie auch keinen engeren Kontakt zu irgendjemandem. Elfriede sah ungeduldig auf die Uhr. Hubert hätte längst hier sein müssen, er kam immer auf die Minute pünktlich. Der Löffel klirrte überlaut, als sie ihn auf die Untertasse zurücklegte. Sie würde den Tee nicht trinken. Nicht allein. Ungehalten rollte sie mit dem Rollstuhl zentimeterweise hin und her. Hubert gehörte einfach des Nachmittags an ihre Seite. Es war gut, dass er es normalerweise auch so sah. Sie hatten schließlich viel Zeit nachzuholen. Und sie hatten nur sich. Elfriede kurvte zu der überdimensionalen Fensterfront. Die bescherte ihr zwar eine erstklassige Sicht auf den Jadebusen, aber ließ im Sommer auch die Sonne aufdringlich ins Zimmer scheinen. Jetzt vermittelte sie ihr das Gefühl, inmitten dieses Sturmes zu sitzen, der selbst die vorwitzigen Silbermöwen aus der Bahn warf. Der Jadebusen war weiß von der aufgewühlten Gischt und die Wellen donnerten bedrohlich ans Ufer. Sie leckten teilweise schon an dem Betonweg, auf dem sie sonst mit Hubert spazieren fuhr. Elfriede verzog das Gesicht. Laufen konnte sie seit drei Jahren nicht mehr. Seitdem sie ihr die Beine oberhalb des Knies abgenommen und sie zu einem hilflosen Krüppel gemacht hatten. Wie gern wäre sie nur noch einmal auf eigenen Füßen dort entlangspaziert. Nur ein einziges Mal. Eine Windböe donnerte gegen die Scheibe. Elfriede sackte ergeben in ihrem Rollstuhl zusammen. Im Heim war es heute außergewöhnlich ruhig. Keine Schritte auf dem Flur, kein Geschirrklappern störte. Vielleicht hatte ihr Donnerwetter, das sie in der letzten Woche beim Geschäftsführer abgelassen hatte, ja doch Wirkung gezeigt. Das einzige Geräusch war dieses Windgetöse, das jetzt von dem lauten Klingeln des Telefons zerhackt wurde. Elfriede rollte zum Tisch. Dort stand ein altmodisches Gerät, überzogen mit rot-samtigem Stoff. »Ja?«, sagte sie unwirsch. »Hallo, Mutter! Mein Auto ist kaputt. Ein Reifen zerstochen. Ich komme heute nicht«, sagte Hubert. Elfriede ließ den Hörer kommentarlos auf die Gabel sinken. Er könnte den Bus nehmen, dachte sie. Aber er tut es nicht. Er tut es einfach nicht. Es war das erste Mal, dass er nicht kam. Resigniert rollte sie zum Fenster zurück und verfolgte weiter das Spiel des Windes mit den Wellen, bis das Hinausschauen durch die aufkommende Dunkelheit zu anstrengend wurde. Der Tee stand schal, mit einer feinen, dünnen Haut bedeckt, auf dem Tischchen. Das Marmeladentöpfchen der Zwischenmahlzeit war unberührt. Elfriede wusste, dass es wegen ihres Diabetes nicht gut war, das Brot stehen zu lassen, zumal sie schon das Mittagessen kaum angerührt hatte. Es war völlig versalzen gewesen, aber anscheinend hatte nur sie das gemerkt; den anderen schmeckte es. Elfriede war bekannt für ihr ständiges Genörgel, wurde nicht mehr ernst genommen. Sie starrte stumpf gegen die Scheibe, die noch immer leise unter den Windböen ächzte, dann nickte sie ein. Nach einer Weile schreckte Elfriede hoch, das Zimmer lag völlig im Dunkeln. Sie merkte, dass ihre Hände leicht zitterten und ihre Bluse feucht war. Sie musste die Schwester rufen. Gerade als Elfriede zum Lichtschalter rollen wollte, klackte die Tür. Nur leise – sicher hatte die Pflegerin schon ein schlechtes Gewissen, weil sie sich so lange nicht hatte blicken lassen. Aber wahrscheinlich dachte sie, dass Hubert bei ihr sei. Wie jeden Nachmittag. »Schwester, Sie waren lange nicht da und mir geht es nicht gut. Mein Sohn ist nämlich gar nicht gekommen!«, sagte Elfriede in schneidendem Ton. Das ging immer, egal wie sie sich fühlte. Sie zählte es zu ihren Aufgaben, das Personal frühzeitig auf seine Fehler aufmerksam zu machen, damit keine Luscherei einsetzte. So hatte sie das stets gehalten und sich Respekt verschafft. Die Tür klackte ein zweites Mal, aber der erwartete Lichtschein blieb aus. Offenbar war die Schwester gar nicht erst ins Zimmer gekommen, hatte nur kurz hereingeschaut und war wieder gegangen. Es war eine Schande, wie Elfriede heute behandelt wurde. Das würde Ärger geben, da konnte sich das Personal sicher sein. Nun musste sie klingeln und sich um etwas zu essen kümmern, denn das Zittern der Hände hatte zugenommen. Die Müdigkeit umklammerte ihre Oberschenkel wie ein Schraubstock. Doch als sie ihre Hand an den Bügel des Rollstuhlrades legte, hielt sie inne. Ein leichtes Atemgeräusch wehte zu ihr herüber. Es war doch jemand im Zimmer. »Hubert?«, flüsterte sie. »Bist du es?« Das leise Atmen setzte für einen Moment aus. Elfriede versuchte den Rollstuhl zu drehen, um die rettende Klingel zu erreichen, aber sie rutschte mit ihren schweißnassen Händen ab. Sie fiel vornüber und konnte sich gerade noch ausbalancieren. Dann wurde sie von hinten gepackt und fest in den Rollstuhl gezogen. Der Stich durch die Perlonstrumpfhose in den Oberschenkel kam gezielt. Einen Moment klammerte sich Elfriede an die Hoffnung, es möge doch einfach nur die Schwester sein, die ihr heute das Insulin eigenhändig verabreichte, weil sie selbst häufig recht nachlässig damit umging. »Sie müssen erst den Zucker messen, ich habe kaum gegessen«, flüsterte sie. »Seit heute …« Elfriede hörte am Klacken, dass es einer ihrer Pens war, der in ihrem Fleisch steckte. Sie hatte beide stets auf der Kommode am Eingang in einer Schale liegen. »Ich habe …«, versuchte sie es wieder und wollte sich aus dem Griff befreien. Aber gerade, als sie schreien wollte, wurde die Nadel aus ihrem Bein gezogen. Ein Lederhandschuh legte sich über ihren Mund. Sie hörte ein ersticktes Glucksen, das sie erst kurze Zeit später sich selbst zuordnete. Ihre Minuten liefen ab. Elfriede konnte die Sekunden auf der beleuchteten Zifferntafel des Weckers verfolgen. Sie lauschte dem monotonen Klacken, und ihr wurde bewusst, dass dieses Ticken wohl das Letzte war, was sie in ihrem Leben hören würde. Irgendwann, der große Zeiger war ein gutes Stück weitergekommen, ließ die Hand Elfriede los. Ein schwarzer Schleier legte sich auf die alte Frau, unter dem sie nun rasch verschwand. * Thiemo Hanken steckte den Stecker der Baulampe in das Aggregat. Kaltes Licht durchflutete den Neubau. »Wie ungemütlich!« Linda griff nach seiner Hand. Bei dem kalten und stürmischen Wetter war sie froh, sich im Inneren des Hauses aufhalten zu können, obwohl sich der Wind seinen Weg auch hier hinein suchte. Ihre Körper warfen große Schatten an die Wände. Linda konnte der Versuchung nicht widerstehen, mit Zeige- und Ringfinger ein Häschen an die Wand zu werfen. »Lass das!« Thiemo fuhr sich mit der Hand durch sein dunkles, akkurat geschnittenes Haar. »Laurin ist doch gar nicht da!« Er küsste seine Frau, dass die bunte Norwegermütze, die sie über ihre blonden Haare gezogen hatte, zur Seite rutschte. »Nun zeig, was du mir zeigen wolltest«, sagte Linda. Sie schob ihn vorsichtig weg, als er begann, ihre Jacke zu öffnen. »Nicht! Es ist hier einfach … zu kalt, keine Atmosphäre …« Linda zuckte mit den Schultern und rümpfte die Nase. »Geht halt nicht. Noch nicht.« Es war zur Zeit weder im Haus selbst noch außen herum besonders schön. Die Straße konnte man kaum als solche bezeichnen. Tiefe, mit Wasser gefüllte Schlaglöcher wechselten sich mit schlammüberzogenem Asphalt ab und die Grundstücke ringsum waren noch lehmige Graswüsten. Ihr Haus war erst das dritte, das im letzten Teil des Neubaugebietes in Neustadtgödens gebaut wurde. Das Grundstück neben ihnen war aber bereits ausgebaggert, nur lag es wegen des Frostes brach. Ein Grundstück weiter stand das Haus von Sinje und Hanno Probst. Linda hatte die beiden in der letzten Zeit nicht oft zu Gesicht bekommen, es hatte sich einfach nicht ergeben. Aber das würde sich bestimmt bald ändern. Sie waren Freunde von Thiemo. Linda war erst wenige Male dabeigewesen, wenn sie zusammengesessen hatten, aber sie waren gut miteinander klargekommen. »Bin froh, wenn wir erst tapezieren und schöne Fußböden drin haben«, sagte Linda. »Dann ist das schon anders hier.« Ihre Stimme weckte ein Echo in den kahlen Räumen. Noch hatte sie keine Beziehung zu dem Haus. Linda zog die Schultern fröstelnd zusammen. Die Räume wirkten gedrungen und düster. Der graue Putz der Wände und die Leiter, die an Stelle einer Treppe den Zugang zum oberen Stockwerk ermöglichte, ließen nicht einen Moment vergessen, dass sie sich auf einer Baustelle befanden. Dazu kam das schreckliche Wetter draußen. »Lass uns gleich noch etwas zu Abend bei dir essen«, sagte Linda. »Ich bin total hungrig und Laurin wird bei seiner Tagesmutter gegessen haben.« »Gute Idee. Ich habe Ravioli im Angebot. Und eingeschweißte Tortellini.« Thiemo streichelte Linda am Hals. »Wir werden hier glücklich sein. Bestimmt.« Er wirkte völlig entspannt, ein normaler Zustand bei Thiemo. Es gab nur wenige Augenblicke, in denen er nicht locker durchs Leben ging. Linda war da etwas anders gestrickt, dachte komplizierter. Bislang...