E-Book, Deutsch, 172 Seiten
Koemeda Suchbild Liebe
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7528-8947-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 172 Seiten
ISBN: 978-3-7528-8947-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
»Suchbild Liebe« spielt in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Junge Menschen bewegen sich zwischen Unsicherheit und Ambition, zwischen Liebessehnsucht und Einsamkeit. Das Politische jener Zeit schimmert hier und da zwischen den Selbstverbesserungsideen und Revolutionierungsbedürfnissen des eigenen Liebeslebens durch, ohne direkt zum Thema zu werden. Hinter kühlen Fassaden brennen die Notwendigkeit, den eigenen Lebensentwurf zu gestalten und eine sexuelle Energie, der nur scheinbar alle Freiheit zusteht. »Den kühlen Lack spüren, die nach innen gebogenen, trotzdem scharfen Kanten einer Autotür abfahren, bis bald vielleicht sagen und die Tür zuschlagen... Carla hat sich im Griff.«
Margit Koemeda, als Österreicherin in Nürnberg geboren. Studium der Psychologie, Soziologie und Literaturwissenschaft in Konstanz. Seit 1979 lebt und arbeitet sie als Psychotherapeutin, Autorin und Lehrbeauftragte in Zürich und Ermatingen. Sie hat bisher drei Romane und einen Band mit Erzählungen veröffentlicht. Verfasserin von Bühnentexten sowie von wissenschaftlichen Beiträgen. Autorin und Herausgeberin mehrerer Fachbücher. Mitglied von femscript und PEN-Schweiz.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
CARLA
Papphasen
»Ich hab’ eine Anzeige aufgegeben.« Carlas Kniekehlen umspielen den Rand ihres Korbsessels. Ein dünnbeiniges Stahlrohr-Ufo, Überbleibsel aus den fünfziger Jahren. Carla sitzt quer. Ihre Unterschenkel baumeln unruhig über dem gesprenkelten Steinfußboden. »Was?« brummt Martin und verzieht den Mund. »Appetitliche Sie, Anfang 30«, zitiert Carla, »sucht kahlrasiertes Scheusal, Gefühlsduseleien unerwünscht. Melde Dich! Chiffre.« »Spinnst du?«, empört sich Martins Freundin Ute, ein Handtuch als Turban um den Kopf gewickelt. »Das hast du nicht gemacht.« »Doch«, beteuert Carla und grinst herausfordernd zu Christian hinüber, der im Kulturteil der Zeitung blättert und nicht reagiert. Auf dem Gasherd sprotzelt die Espressokanne letzten Dampf durchs Sieb. Gesa steht auf und dreht ab. Sie ist knochendürr. Und glücklich, wenn sie sich bewegen kann. »Ich würde eher Teilnehmer für eine Expedition zum Nordpol suchen«, meint Klaus, der sich einhändig eine Zigarette zu drehen versucht. »Bullshit!« brummt Christian. Jetzt mischt er sich doch ein und zündet eine Gauloise Bleue an. »Gib uns mal die Mokkatassen rüber!« sagt er zu Gesa und fügt noch hinzu: »Ich brauch’ übrigens bald ein Bier. Kommt jemand mit?« Martin schaut auf die Uhr. »Muss morgen früh raus. Mein Kurs beginnt um neun.« Und mit Blick auf Ute: »Was meinst du, gehen wir?« Ute ist noch mit Carlas Idee beschäftigt. »Ich wünschte mir einen, der Zeit hat.« Sie unterbricht sich, als wäre es ihr peinlich, was ihr da gerade herausgerutscht ist. »Kahlrasiert?« fügt sie schließlich hinzu. »Was findest du denn daran gut?« »So einer wäre etwas gegen die Langeweile«, erklärt Carla. »Schau, wie wir leben: Martin kommt von der Uni, guckt bei Christian rein. Ute hat eingekauft und vermutet, dass sie Martin hier trifft. Sie hat Recht. Anschließend hokken wir alle zwei Stunden lang vor der Glotze. Vorwand: ›Der aktuelle Brennpunkt‹. Aber wir bleiben hängen. Irgend so ein Spielfilm hindert uns daran, abzuschalten. Und weil uns dieser Streifen spätestens nach zehn Minuten anödet, fängt Christian an herumzuzappen. Eine Reportage über Marokko hält uns für weitere zehn Minuten gefangen, dann ein Krimi; bei dem findet ihr die Musik zu blöd. Wir landen bei einer Talkshow über Homosexualität. Die beleidigt offensichtlich weder eure intellektuellen noch eure ästhetischen Ansprüche, denn wir bleiben eine geschlagene Stunde dabei und hören zu. Ich sitze bei euch, weil ich warte. Das Fernseh-Programm ist mir egal. Ich warte darauf, dass Christian mir einen einzigen Krümel Aufmerksamkeit schenkt – vergeblich, wie ihr seht. Ich warte darauf, dass Gesa vorbeikommt, weil ich mit jemandem reden will. Sie kommt, hat aber Klaus im Schlepptau. Und dann sitzen wir in dieser gottverdammten WG-Küche, die vor Dreck starrt, und warten darauf, dass jemand das Signal für den Aufbruch zum Schlummertrunk gibt, auswärts, versteht sich. Im Herzen unserer provinziellen Jammerlappenstadt. Wir trinken Bier und rauchen. Deshalb: Ein Kahlrasierter muss her, ein Bosheit sprühendes Scheusal!« Die letzten hundert Meter bis zur Fußgängerzone fährt Richard im Schritttempo. Geübte Ruhe. Kein Wort wird gewechselt. Durch leicht verstaubte Fensterscheiben beobachtet Carla, wie sich die Autoschlange in eine Gasse zwischen zwei Häuserzeilen zwängt. Rechts und links strömen Fußgänger vorbei. Immer tanzen ein paar Eilige aus der Reihe, um einen Kinderwagen oder eine alte Frau zu überholen, springen vom Trottoir und krümmen blitzschnell ihre Oberkörper zurück, um nicht von einem Auto erfasst zu werden. »Ich möchte …«, sagt er plötzlich, und seine Stimme klingt unnatürlich laut: »Wann sehen wir uns wieder?« Carla dreht den Kopf und sieht ihn von der Seite an. Sie bleibt an seinen blonden, buschigen Augenbrauen hängen, will sich zu ihm hinüberbeugen und ihm – trotz allem – einen Kuss an den Hals drücken. Gerade noch rechtzeitig kühlt sie sich aber an seiner geraden, etwas zu kurzen Nase und seinem glattrasierten Kinn ab. Es geht nur noch um Wagenlängen. Sie könnte sofort aussteigen. Vielleicht würde er das missverstehen, überlegt Carla. Vielleicht missversteht er es aber auch, wenn sie jetzt immer noch sitzen bleibt. Vielleicht bereut er überhaupt schon sein Angebot, sie in die Stadt zu fahren. »Versuch doch, gleich hier zu wenden«, sagt sie, »diese letzten paar Meter gehe ich zu Fuß.« Carla spürt, dass die Zeit genau jetzt reif ist für den Absprung. Darin liegt ihre Stärke, dass sie anderen zuvorkommt, immer von sich aus und scheinbar freiwillig die Ausstiegsluke ansteuert, bevor sie dazu gedrängt wird. Sie muss den Türgriff nicht suchen. In diesem Augenblick beginnt das Herzklopfen. Sie kennt den Verlauf. Der Höhepunkt ist noch nicht erreicht. Das Herzklopfen wird noch ein paar Sekunden lang zunehmen. »Bis bald vielleicht«, sagt sie dann und nimmt beruhigt zur Kenntnis, dass Richard ihr entgegenkommt, sich zu ihr herüberbeugt. Der Abschiedskuss. »Ja«, sagt er, »vielleicht.« Mit den Füßen voran, das Gesicht schon den Passanten zugewandt, den Absprung wagen. Das Zuschlagen der Wagentür gehört bereits zur Fallübung. Die Rundungen des Tür blechs und der vom Stadtruß stumpf gewordene Lack wirken beruhigend. Carla hört das Schloss dumpf zuschnappen. Sie zieht den Gürtel ihres Regenmantels enger und geht davon. Sie hat das Gefühl, ohne Verletzungen davongekommen zu sein. Wind fällt ihr ins Gesicht und wirbelt ihr Haar auf. Sie spürt das Prickeln des leisen Nieselregens auf der Haut. Carla schlägt keine bestimmte Richtung ein. Vor dem Kaufhaus, dem einzigen in Plenzburg, bleibt sie stehen. Ein Warmluftschwall nimmt ihr den Atem. Sie lässt sich einsaugen, an Strümpfen vorbei, an Kosmetikartikeln. Zitronencreme sticht ihr in die Nase, künstliche Aromen, der Geruch von alternder oder einfach billiger Schokolade. Carla zwängt sich durch Menschen, an den Schreibwaren vorbei. Von der Decke baumeln feixende Papphasen, rote, gelbe, violette Riesenschleifen, die sich träge in der abgestandenen Luft drehen und frohe Ostern wünschen. Carla steht jetzt mitten drin im Süßigkeiten-Paradies, zwischen Osterkörbchen und -tüten, Rieseneiern, einem mit Federn beklebten Schokoladenschwan, Hennen, denen man Zuckereier um Brust, Lenden und Bürzel gelegt hat, Zuckereiern, die man einem Hasen ins Maul gestopft hat oder einer Ente unter den Flügeln herausquellen lässt. Carla fühlt Zufriedenheit in sich aufsteigen. Der Geruch von billigen Pralinen, diese geballte Geschmacksbeleidigung, kommt ihrem persönlichen Zustand bestätigend, ja fast umarmend entgegen. Diese ungeduldig vorwärtsdrängenden Leute, die in allem Möglichen ramschen, sich gegenseitig anstoßen, auf etwas aufmerksam machen, Belanglosigkeiten zurufen. Übelkeit von innen und außen vermengen sich in Carla zu einem zähflüssigen Ekel. Ein Gefühl von Stimmigkeit stellt sich ein. Carla sucht die Schmuckabteilung, wo sie einen ganz bestimmten Kamm kaufen möchte; einen wie den, den sie vor einigen Tagen verloren hat: schwarz mit Elfenbein, etwas Gefärbtes, und sicher kein echtes Elfenbein. Trotz der missbilligenden Blicke der Verkäuferin lässt sie Perlen, Goldund Silberketten durch ihre Hände gleiten. Imitate. Alle fühlen sich gleichbleibend warm an. Sie findet die Kämme nicht. Schon ausverkauft? Richard haben sie gefallen. Gestern, wie weit das schon zurückliegt. Carla reagiert nicht, als eine kleine, dicke Frau sich bei ihr entschuldigt, weil sie mit ihren Plastiktüten bei ihr angestoßen ist. Tatsächlich wird sie diese Kämme, falls sie sie findet, Richard zuliebe noch einmal kaufen. Carla verzieht den Mund. Unsinn, sie will, dass die Geschichte mit Richard vorbei ist. Gestern: Carla hatte sich den ganzen Tag über nicht besonders wohl gefühlt. Im Tanztraining war sie mit ihren Leistungen unzufrieden gewesen. Die anschließende Dusche hatte sie nicht richtig erfrischt. Glücklicherweise fand sich in ihrer Tasche ein ungetragenes Paar Strümpfe. Und da sie es nicht eilig hatte, wusch sie ihr Haar, nahm sich Zeit zum Föhnen. Dann fielen ihr die dunkelroten Bänder ein, die sie einflechten könnte. Ihre schwarzen Locken würde sie zu Mohnblüten zusammenknüpfen und ihren Hals ganz freilegen. Schließlich war sie überrascht, als sie in den Spiegel schaute. Sie sah besser aus, als sie sich fühlte. Zufrieden betrachtete sie ihre schlanken Beine und drehte sich einmal um sich selbst. Dann nahm Carla den schwarzen Mantel von der Garderobe und schlüpfte hinein. Bei jedem Schritt sprang er auf und zeigte sein dunkelrotes, zu den Bändern passendes...