E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Kömmerling / Brinx/Kömmerling / Brinx Suche Traumprinz, biete Sandburg
11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-522-65135-6
Verlag: Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
aus der Reihe Freche Mädchen – freche Bücher!
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Reihe: Freche Mädchen - freche Bücher
ISBN: 978-3-522-65135-6
Verlag: Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Anja Kömmerling und Thomas Brinx erzählen Geschichten wie das Leben - mit Ecken und Kanten, Höhen und Tiefen, gerne über Menschen, die anders sind und nicht ganz ins System passen. Bis heute in über 40 Büchern, Märchenfilmen, Krimis und Komödien für Kino und Fernsehen. Ihr Thienemann-Jugendbuch »Neumond« wurde mit der Segeberger Feder ausgezeichnet.
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Salmonellenalarm
Der Eisladen war rappelvoll. Eine lange Schlange gut aussehender und vor allem gut angezogener Leute wickelte sich nach draußen um den Fahrradständer, um den Aufsteller für den Edelsecondhandshop nebenan und noch weiter die große Allee entlang, die das reichste Viertel der Stadt durchzog.
Ich stellte mich hinten an und versuchte, die Eisbestellung meiner Familie im Kopf zu behalten: Benno wollte nur Schokolade, aber mit bunten Streuseln, Papa Malaga und Krokant, und wenn’s kein Krokant gab, dann Tiramisu, Mama Himbeere, Zitrone und Pistazie, für sie bitte mit Sahne.
Vor mir stand eine junge Frau mit riesiger Sonnenbrille auf der Nase und ihrem kleinen Sohn an der Hand. »Heute nehmen wir aber einen Becher, Leonhard, sonst wird das wieder so eine Schweinerei!«, erklärte sie ihm und ich nickte, weil ich mir vorstellen konnte, dass sie das nicht wollte. Wo der Kleine doch ein original Diesel-T-Shirt trug, das mindestens achtzig Euro gekostet hatte!
»Is will aber ein Hörnsen!«
»Leonhard!«
»Is will ein Hörnsen!«
Die Frau seufzte und zog sich die Lippen nach.
Familie Weidenbach, sprich wir, war in ein Viertel gezogen, in dem man zum Eiskaufen perfekt geschminkt sein musste.
Ich versenkte meine Hände in die Taschen meines alten Jeansminirocks von H&M und zuckte mit den Schultern. Da würden wir wohl nicht so ganz mithalten können. Wir kamen aus der Provinz, vom Dorf sozusagen, da hätten sich die Leute sogar mit Lockenwicklern Eis geholt, wenn es eine Eisdiele gegeben hätte. Aus der Provinz in die Stadt und ins schickste Viertel noch dazu. Hier hatte Tante Hannchen vor fünfzig Jahren ihr Haus bezogen. Jetzt war sie gestorben und ihr Großneffe Stefan Weidenbach, mein Vater, hatte das Schmuckstück bekommen.
Direkt neben mir bremste ein offener Porsche in zweiter Reihe. Ihm entstieg ein mittelalter Typ mit wallendem Haar nebst Bobtail, auch wallendes Haar. Der Schönling grüßte in die Schlange, weil ihn alle kannten, und schlenderte Richtung Brad & Berkersdorf, Superedelklamottenladen – eine Unterhose kostet mindestens einen Tausi. Die lieben Hundchen dürfen da selbstverständlich mit hinein und aus goldenen Näpfen veredeltes Wasser saufen. So selbstverständlich, wie Porsches in zweiter Reihe parken können, ohne dass sich jemand aufregt.
Jetzt war die Sonnenbrillenmutti mit Leonhard dran und danach ich.
»Also, Leonhard, was für ein Eis möchtest du denn gerne?«
Das hätten sie eigentlich längst besprechen können, dachte ich und schnalzte ungeduldig mit meinen Flip-Flops.
»Is will aber ein Hörnsen!«
»Ja, kriegst du ja, aber was für eine Sorte? Hier Stracciatella? Das ist mit Schokoladensplittern!«
Das Fräulein hinter der Theke tauchte den Eiskugelmacher ins Wasser.
»Das Grüne!«
»Pistazie? Das schmeckt dir nicht. Vielleicht das Rote? Erdbeere?«
»Pass auf, jetzt machen die alle Eissorten durch!«, flüsterte mir jemand von hinten ins Ohr.
Ich drehte mich um und schaute in zwei knallblaue Augen, die von kilometerlangen Wimpern umkränzt waren und wie von selbst lachten. Als sie meinen Blick endlich wieder losließen, versuchte ich, mir möglichst unauffällig einen Eindruck von dem Rest dieses Typen zu verschaffen. Im Gegensatz zu den anderen hatte er ganz normale Klamotten an, Jeans und ein T-Shirt mit einem verwaschenen Aufdruck. Außerdem nahm ich blonde Locken, eher ungekämmt, und alte Schuhe, die er hinten runtergetreten hatte, bei meiner Schnellmusterung wahr.
»Leonhard, jetzt musst du dich aber entscheiden! Was ist mit Heidelbeere, guck mal, das Blaue!«
Die Eisverkäuferin hatte den Portionierer mittlerweile in den Wasserbehälter gestellt und die Arme vor der Brust verschränkt.
»Is will das Gelbe!«
»Aber das ist mit Rosinen!«
Malaga. Für Papa.
»Weißt du noch, als die hier mal Salmonellenalarm hatten?«, sagte der Typ hinter mir laut. »Meine Güte, da gab’s ein paar Kinder, die mussten sogar ins Krankenhaus!«
Er stellte sich neben mich und tat so, als gehörten wir zusammen. Die Sonnenbrillenfrau drehte sich zu uns um, schob sich die Brille ins Haar und musterte uns mit ängstlichem Blick, während die Eisverkäuferin ihre Stirn in Falten legte.
»Weißt du das noch?« Der Typ stieß mich in die Seite und schüttelte den Kopf vor lauter Empörung.
Ich nickte und legte der Frau beruhigend eine Hand auf den Arm. »Es waren dann doch keine, aber man hat nie herausgefunden, wo dieser lebensgefährliche Durchfall hergekommen war.«
Sofort schnappte sie sich ihren Jungen und zog ihn weg.
»Komm, Leonhard, wir schauen noch einmal woanders ... danke!« Sie nickte uns zu, wir lächelten besorgt und winkten.
»Is will aber ein Hörnsen!«
Die Eisverkäuferin machte ihre Augen zu Schlitzen und wollte gerade wütende Blitze in unsere Richtung schicken, die uns mit Haut und Haar versengt hätten.
Doch da grinste sie der süße Salmonellentyp entschuldigend an. »Die hätten doch sonst noch stundenlang die Theke blockiert.«
Sie konnte nicht anders – sein Grinsen war einfach zu entwaffnend – und sie lächelte schief zurück. »Aber nicht, dass ihr solche Geschichten weiterverbreitet! – Was darf’s sein?«
Der Typ versenkte seine Hände in die Hosentaschen und zwinkerte mir zu. »Sag an, ich lad dich ein!«
Ich zwinkerte zurück. »Is will ein Hörnsen!«
Wir nahmen jeder drei Kugeln und setzten uns auf die Treppe im Hauseingang neben dem Eisladen.
»Konstantin!«, stellte sich der Typ vor und so konnte man wirklich nur heißen, wenn man in diesem Viertel wohnte.
»Tula!«, antwortete ich und so wiederum hieß man nur, wenn man eigentlich nicht hierher gehörte.
»Tula?«
Der Mann mit dem wallenden Haar und dem wallenden Hund stieg komplett neu eingekleidet in seinen Porsche und startete so laut durch, dass in jedem anderen Stadtteil sicher alle geguckt hätten, wie viel Geld er hatte. Hier schaute keiner.
»Tula! So heißt man auf Kuba und da wurde ich angeblich gezeugt!«
Konstantin ließ eine ganze Kugel in seinem Mund verschwinden und dachte nach. »Tfön!«
Ich nickte. Immerhin hieß ich jetzt schon dreizehn Jahre lang so und hatte genug Zeit gehabt, mich daran zu gewöhnen und die Kubaerklärung auswendig zu lernen. Und da ich auch wusste, was als Nächstes kommen würde, weil das immer so war, gab ich ihm die Antwort, ohne dass er die Frage gestellt hatte. »Ja, und ich habe sehr große Füße. Das ist komisch, weil in meiner Familie keiner so große Füße hat, aber es kann eigentlich nicht an dieser Kubasache liegen. Ist halt so.«
Konstantin starrte auf meine Füße und grinste.
»Und wehe, du machst jetzt den Witz, dass das doch gut ist, weil ich auf großem Fuß leben kann, wehe!«
Er schüttelte den Kopf. »Würde mir im Leben nicht einfallen!«
Aber ich war sicher, dass er wie alle genau das hatte sagen wollen.
»Wohnst du hier? Hab dich noch nie gesehen!«
»Ist ja auch eine große Stadt, sieht man da immer alle?«
Konstantin zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, du wärst mir schon aufgefallen …« Er grinste. »Allein wegen der Füße!«
Ich schaute ihn grimmig an, immerhin hätte das ein Kompliment werden können, aber auch mir erging es wie der Eisverkäuferin: Wenn dieser Typ grinste, dann war man verzaubert und konnte nur noch wie ein Hündchen hinter ihm herlaufen. »Hast recht. Wir sind neu hier. Und du? Alter Landadel? Gymnasium für höhere Töchter und Söhne?«
Konstantin biss in sein Hörnchen, dass es nur so staubte, und das war auf jeden Fall etwas, was er auch gut konnte außer grinsen: verdammt schnell Eis essen! »Nee, die Schule war nix für mich.« Er schielte mich an und wischte sich mit den Händen vor den Augen herum wie Knut Doof. »Ich bin mehr so der Arbeiter, so richtig mit den Händen, Staub und Blut, weißt du!«
»Du?« Also wirklich, das konnte er seiner Großmutter erzählen!
Konstantin putzte sich die Hände an der Hose ab, dann schaute er auf seine Uhr und stand auf. »Ich! Und apropos, muss los!« Er beugte sich zu mir runter. Plötzlich war ich von seinem Geruch umgeben und es war ein Wunder, dass ich nicht einfach in Ohnmacht fiel. »Der Schlachthof wartet!« Er küsste mich links und rechts, winkte und ging. Einfach so. »Wir sehen uns bestimmt!«
»Klar, das Viertel ist ja klein und überschaubar!«, murmelte ich und schaffte es nicht mal, zurückzuwinken, so gelähmt war ich davon, dass er da gewesen und vor allem dass er jetzt schon wieder weg war. Der Schlachthofprinz.
Erst als mir das Eis über die Hände floss, erwachte ich aus meiner Erstarrung und ärgerte mich sofort, dass ich kein Schüttelbild von ihm gemacht hatte für meine Sammlung. Zur Strafe machte ich eins von mir, Kopf wild schütteln und mit dem Handy knipsen, dann sieht es aus, als wärst du die Glibberqueen persönlich, Augen geradeaus, aber der Mund fliegt durch die Gegend, blöder geht’s nicht.
Langsam schlenderte ich in Richtung nach Hause und dachte an Konstantin. Wenn er tatsächlich im Schlachthof arbeitete, was hatte er dann in diesem Stadtteil zu suchen? Wie es auch immer war, er schien wirklich unglaublich süß zu sein und ich nahm mir fest vor, ihn bald wiederzutreffen, und wenn ich Tag und Nacht in diesem Hauseingang neben der Eisdiele verbringen musste, bis er endlich kam.
Ich grinste vor mich hin und fand, dass die Sache hier in der neuen Stadt ziemlich gut anfing. Besser als ich gedacht hatte. Natürlich war es schwer gewesen, meine Freunde im Dorf zurückzulassen. Wir waren alle zusammen aufgewachsen und plötzlich...