E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Köpfer Kadir, der Krieg und die Katze des Propheten
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-423-43038-8
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman einer Radikalisierung für Jugendliche ab 14
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-423-43038-8
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Benno Köpfer studierte Ur- und Frühgeschichte sowie Islamwissenschaften in Freiburg, Kairo und Sanaa. Heute arbeitet er als wissenschaftlicher Analyst beim Verfassungsschutz.
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Glaubensfragen
Vielleicht wusste Göte ja weiter. Göte war cool und so was wie der Chef vom Jugendhaus. Jedenfalls war er der Älteste dort. Auf ihn hörten alle, denn ihm konnte man schlecht was vormachen, weil er alle Tricks kannte. Göte sah aus wie der letzte Hippie. Er hatte lange graue Haare, die zu einem Zopf zusammengebunden waren. Er trug immer T-Shirts mit bunten karierten Hemden darüber, Outdoorhosen mit diversen Taschen, und er drehte sich die Zigaretten selbst. Er fuhr einen alten VW-Bully, in dem man auch schlafen konnte. Die Jungs vermuteten, dass er darin auch wohnte und abends vom Jugendhaus nur auf einen Parkplatz fuhr und gar keine eigene Wohnung hatte. Jedenfalls hieß Göte nach dem Dichterfürsten Goethe, weil er so schlau war und immer ein Buch in seiner Hosentasche steckte. Eigentlich hieß er Herr Nathan Goeze, aber das sei nur ein Witz für Eingeweihte, meinte er. Er erzählte gern, was er gerade las, und wenn man eine Frage hatte, konnte man immer zu ihm kommen. Wenn er etwas nicht wusste, sagte er »ich überleg mal«. Man konnte sicher sein, dass er ein paar Tage später die Antwort parat hatte.
Na, die Jungs aus dem Getto hatten nicht so viele Fragen, trotzdem akzeptierten sie ihn, weil er klare Kante zeigte. Kiffen oder Alkohol im Jugendhaus waren verboten. Wer sich nicht daran hielt, bekam einen Verweis. Und wenn jemand es tatsächlich darauf anlegte und im Haus dealte, dann kassierte Göte den Stoff ein und spülte ihn im Klo runter. Da war ich einmal dabei gewesen. Hakki hatte eine super Geschäftsidee und wollte »schwarzen Afghanen« an die Kids verticken. Göte roch das sofort, er hatte wohl, wie man so sagt, »Drogenerfahrung«. Er hat Hakki gefilzt und dann alle aufs Klo gerufen. Er sagte: »Asche zu Asche. Shit to shit.« Und hat den Stoff ins Klo geworfen und gespült. Hakki rief »Diebstahl« und drohte mit »Was auf die Fresse«, aber Göte hat nur gelacht und gesagt, er könne ja mit ihm in den Ring steigen, wenn er ein Gefahrensucher sei. Hakki hatte von da ab Hausverbot.
Göte saß in seinem Büro und schrieb an einem Plan. Ich klopfte und sagte: »Kann ich dich mal was fragen?«
Göte blickte auf, legte seinen Stift weg und sah mich an: »Schieß los.«
»Ich habe da mal eine Frage wegen Religion.«
»O.k. Aber ich bin nicht der Hauptpastor, und Beichten geht bei mir auch nicht.«
»Na, ich wollte mal wissen, was du vom Islam weißt.«
»Du nicht auch noch. Interessierst du dich dafür? Dann musst du in eine Moschee gehen.«
»Nee, ist mehr so grundsätzlich. Weil, du kennst doch Kadir. Und Kadir ist Muslim. Er redet jetzt immer von Allah und so. Und ich wollte mal wissen, was das bedeutet.«
Göte sah mich an und sagte: »O.k. Lass uns in die Cafeteria gehen und was trinken.« Er stand auf, nahm seinen Schlüsselbund und schloss sein Büro hinter sich ab. Als die Kids ihn auf dem Flur sahen, riefen zwei rüber: »Göte, wann is Boxen? Hab Bock auf Fressehauen.« Der Furz mit der Kappe lachte und stellte sich in Position.
»Na, dann mach dich schon mal warm, gibt gleich was aufs Maul. Tilman kommt gleich.«
»Tamam, Boss.« Die Kids kabbelten sich den Flur entlang.
Wir gingen zum Kühlschrank der Cafeteria, ich holte mir eine Cola, und Göte ging zur Theke und brühte sich einen Tee auf. Und schien zu überlegen. Dann fragte er: »An was glaubst du denn?«
»Ich? Weiß nicht.«
»Wie hältst du es mit Religion?«, fragte er.
»Zu Weihnachten gehen wir meist in die Kirche, und als Opa gestorben ist, war da so ein Pastor, der hat gebetet und was vom ewigen Leben und Gottes Gnade erzählt. Dabei hatte Opa schlimm Krebs und wollte von der Kirche nichts wissen. Und dass Opa jetzt irgendwo anders als auf dem Friedhof ist, kann ich mir nicht vorstellen.«
Göte goss heißes Wasser in seinen Becher und zog den Teebeutel im Wasser auf und ab.
»Ja, es gibt aber sehr viele Menschen, die mögen sich nicht vorstellen, dass das, was hier auf der Erde passiert, alles gewesen sein soll. Sie können sich nicht erklären, wie die Welt funktioniert und warum was so ist. Die Inder haben sich das dann mit den sogenannten vier Wahrheiten erklärt, und im Vorderen Orient entstand der Glaube, dass es ein Wesen gibt, das alles erschaffen hat und alles bestimmt. Ist so eine Art, sich die Welt zu erklären, die man nicht versteht. Du musst dir vorstellen, früher wusste man nichts von Naturgesetzen, dass sich die Erde um die Sonne dreht, dass Gewitter ein Aufeinandertreffen von unterschiedlich warmen Luftmassen ist und solche Dinge. Da kam man dann auf die Idee, dass es einen geben müsse, der das alles veranstaltet. Dieses Wesen nannten sie Gott, wie die Christen, oder Allah, wie die Muslims, oder Jahwe, wie die Juden. Alle glauben, dass es ein Wesen gibt, das alles erschaffen hat und den Lauf der Dinge regelt.«
Eigentlich hatte ich Göte nur eine einfache Frage gestellt. Aber nun kam er mit der Weltformel. O Gott, diese Erwachsenen. Müssen die einem gleich einen Eimer Wasser über den Kopf kippen, wenn man nur einen Schluck trinken will? Ich sagte mir, durchhalten und weiterfragen.
»Aber wenn die alle an einen Gott glauben, warum gibt es dann so viele unterschiedliche Religionen?«
»Gute Frage. Ob das derselbe Gott ist, den die Leute anbeten, möchte ich bezweifeln. Aber alle erklären sich eben die Welt ein wenig anders, weil auch die Umgebung, in der sie leben, anders ist. Die Griechen hatten Götter, die in Menschengestalt auftraten und sich mit schönen Frauen und Tieren vergnügten. Sie waren Seefahrer und hatten einen Gott des Meeres, denn wie der Smutje für das Essen müsse einer für die Stürme verantwortlich sein, dachten sie sich.«
»Woran glaubst du denn?«, fragte ich ihn.
»Ich halte mich lieber an das, was man überprüfen kann.« Göte nahm einen Schluck aus dem Becher. »Aber das muss jeder selbst sehen. Das hat ja eben nicht nur mit Wissen, sondern auch mit Überlieferungen oder eben Glaube zu tun. Glauben ist nicht wissen. Die Juden basteln an ihrer Religion schon seit 5000 Jahren, die Christen seit 2000, und die Muslime sind 2016 im Jahr 1438. Bei den Juden ist Jahwe Schöpfer aller Dinge, der die Macht über die Welt hat. Sie glauben, dass im Alten Testament und im Talmud die Gesetze und Traditionen festgeschrieben sind. An die sollen sich alle halten, das habe Gott bestimmt. Die Christen haben das Judentum quasi weiterentwickelt. Sie glauben, dass Gott die Menschen und die Welt liebt. Er hat Jesus, seinen Sohn, auf die Welt geschickt, damit er die Menschen durch sein Opfer von der Sünde befreit.«
»Du meinst, Jesus hat sich freiwillig kreuzigen lassen?« Vielleicht, dachte ich, hätte ich mich doch eher zum Boxtraining anmelden sollen.
»Ja, während im Alten Testament noch etwas von Auge um Auge und Zahn um Zahn steht, wird im Neuen Testament erzählt, dass man die andere Backe hinhalten soll, wenn man geschlagen wird. Alle Geschichten zusammen sind die Bibel, die heilige Schrift der Christen.«
»Ich bin doch kein Opfer«, sagte ich entsetzt.
»Es geht um Vergebung statt Vergeltung. Das ist ja ein klarer Unterschied, obwohl sich alle auf Abraham berufen. Juden, Christen und Muslime sagen, Abraham sei der Urvater von allem, und doch sind die Religionen sehr unterschiedlich.«
Ich brauchte einen Schluck, aber die Flasche war leer. Göte war inzwischen in Fahrt. Er drehte sich eine Zigarette. Als er damit fertig war, stand er auf und öffnete die Tür zur Terrasse. Wir gingen raus. Er redete weiter. »Der Islam ist eher wie das Judentum. Der Islam verlangt die Hingabe oder Unterwerfung unter den Willen Allahs. Er macht wie die orthodoxen Juden den Leuten genaue Vorschriften, was sie zu tun und zu lassen haben. Allah hat dem Propheten Mohammed all seine Geschichten offenbart, und die sind im Koran gesammelt.«
»Wie Offenbarung? Was ist das denn? Hat Allah das diktiert?« Langsam wurde das ja zum Unterricht. Da erschien die Hoffnung am Horizont. Meral.
»Da kommt die Schwester von Kadir«, sagte ich und deutete zum Fenster. Aber Göte war nicht zu bremsen. Ich hätte mich auch wegschleichen können, er hätte weitergeredet, so gut war er drauf. Ob in seiner Selbstgedrehten vielleicht doch was drin war?
»Ja, die Muslime glauben, dass Allah über einen Engel Mohammed die einzelnen Verse und Suren ins Ohr geflüstert hat. Bei den Juden und den Christen ist Offenbarung mehr im Sinne von Wahrnehmung oder Erkenntnis zu verstehen. Da wird immer wieder nach dem Sinn gefragt. Die Muslime glauben in der Mehrheit tatsächlich, dass alles wortwörtlich zu nehmen ist, weil der Koran eben direkt von Gott kommt.«
»Und die anderen? Hallo, Meral«, sagte ich. Das Mädchen kam durch die Tür und winkte. Göte hob kurz die Hand.
»Bei den Christen hat sich inzwischen durchgesetzt, dass man das als historische Geschichte lesen sollte. Es gibt zwar auch welche, die die Bibel wörtlich nehmen, aber für viele Theologen, das heißt Gelehrte, die sich wissenschaftlich damit befassen, sind es mehr Gleichnisse von Ereignissen und Mythen, die dann von verschiedenen Leuten aufgeschrieben wurden. Aber auch innerhalb der Religionen gibt es unterschiedliche Auffassungen. Da blickt man gerade bei den Muslimen nicht so leicht durch. Die Salafisten zum Beispiel nehmen den Koran wörtlich und wollen alles so machen, wie es die Alten, As-Salaf as-salih, die ehrbaren Prophetengefährten, gemacht haben. Deshalb tragen die auch die Käppis und rasieren sich nicht, laufen im Kaftan und mit Hochwasserhosen rum. Sie glauben, Mohammed hätte auch so ein Outfit gehabt.«
»Ja, ich habe welche in der Moschee gesehen. Aber jetzt schwirrt mir der Kopf.« Göte sah mich von der Seite...