E-Book, Deutsch, 550 Seiten
Konicz Klimakiller Kapital
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7598-1333-6
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Wie ein Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlagen zerstört
E-Book, Deutsch, 550 Seiten
ISBN: 978-3-7598-1333-6
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Angesichts der eskalierenden Klimakrise bricht sich in der Öffentlichkeit der meisten Industrieländer mühsam, allen Widerständen zum Trotz, eine fundamentale Erkenntnis bahn: Nichts wird so bleiben, wie es ist. Es ist ein grundlegender, fundamentaler Wandel notwendig, um den sich beschleunigenden klimatischen Umbrüchen, dem drohenden Kollaps ganzer Ökosysteme adäquat und schnell begegnen zu können. Die Klimakrise muss folglich als die größte Gefahr für den Zivilisationsprozess im 21. Jahrhundert begriffen werden.
Das, was sich vor allem ändern muss, ist unsere Gesellschaft, so die Kernthese dieses Buches. Der von inneren Widersprüchen getriebene Kapitalismus muss radikal infrage gestellt werden. Das Kapital ist in seinem Verwertungszwang einerseits die Ursache der Klimakrise, es verstärkt aber auch die gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels. Die Unvereinbarkeit von Kapital und Klimaschutz lässt die Überwindung der destruktiven kapitalistischen Wirtschaftsweise zu einer Überlebensnotwendigkeit der Menschheit im 21. Jahrhundert werden. Wir müssten somit von einer kapitalistischen Klimakrise sprechen.
Diese zweite Auflage des ursprünglich 2020 publizierten Buches wurde umfassend erweitert und aktualisiert. Ein ganzes Kapitel, Opportunismus in der Klimakrise, ist hinzugekommen, in dem Krisenblindheit, ideologische Verblendung und sozialdemokratischer Karrierismus in der Linken und der Klimabewegung kritisiert werden. Etliche neue Texte ergänzen die Kapitel über die kapitalistische Selbstzerstörung und die Wechselwirkung von Klima- und Wirtschaftskrise. Die Einleitung und das Kapitel zur Transformationspraxis in der manifesten Klimakrise sind überarbeitet worden. Das Buch bietet somit wieder einen guten Überblick über das komplexe Themenfeld der kapitalistischen Klimakrise.
Tomasz Konicz (Jahrgang 1973) arbeitet seit gut 20 Jahren als freier Journalist und Publizist mit den Schwerpunktthemen Krisenanalyse und Ideologiekritik. Publizistische Tätigkeit u. a. für Konkret, Jungle World, Neues Deutschland. Buchveröffentlichungen: Politik in der Krisenfalle (2012), Krisenideologie. Wahn und Wirklichkeit spätkapitalistischer Krisenverarbeitung (2024), Aufstieg und Zerfall des Deutschen Europa (2015), Kapitalkollaps (2016), Faschismus im 21. Jahrhundert (2024).
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2.1 Systemkrise: Rückblick und Ausblick
Ein kurzer Überblick über den historischen Verlauf der Krise des spätkapitalistischen Weltsystems.12 Wann kommt das nächste Marktbeben? Asienkrise 1997, Dot-Com-Blase 2000, Weltfinanz- und Wirtschaftskrise 2007-09: Alle Jahre wieder wird das kapitalistische Weltsystem von Krisenschüben erfasst, deren Intensität beständig zunimmt. Die Einschläge kommen immer näher. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das fragile globale Kartenhaus erneut einzubrechen beginnt. Tatsächlich wird spätestens seit 2018/19 in der Öffentlichkeit darüber spekuliert, wann es mal wieder "kracht" auf den Märkten.13 Der große Unterschied zum Crash von 2008 besteht darin, dass diesmal das Krisenbewusstsein in der Öffentlichkeit weitaus stärker ausgeprägt ist als beim Platzen der transatlantischen Immobilienblasen in den USA und Westeuropa, auf das der Mainstream nicht vorbereitet war. Einem Gewitter gleich scheint abermals eine neue globale Krise aufzuziehen, und es fehlt insbesondere in der Restlinken nicht an Stimmen, die dies als einen "normalen", quasi natürlichen Vorgang der "schöpferischen Zerstörung" anzusehen gewillt sind. Im bürgerlichen Lager setzt hingegen die große Sündenbocksuche ein.14 Bevor nun abermals die Absturzangst der Mittelklasse die Sinne trübt, der sich in dieser "Mitte" formierende Mob auf Sündenbocksuche und auf die Jagd nach dem "ewigen Soros"15 geht und deutsche Polizisten sowie Sondereinheiten zu faschistischen Todesschwadronen mutieren,16 könnte ein nüchterner Blick auf das Krisengeschehen eventuell nicht gänzlich vergebens sein.
Kapital und Krise als historische Prozesse
Streng genommen handelt es sich bei den immer wieder mit verstärkter Intensität einsetzenden Verwerfungen nicht um "neue" Krisen, sondern um einen abermaligen manifesten Krisenschub eines langfristigen Prozesses zunehmender Widerspruchsentfaltung. Die Krise des kapitalistischen Weltsystems kann nur als ein historischer Entwicklungsgang begriffen werden, der sich schubweise entfaltet: Perioden des "latenten" Krisengangs, die von einem global anschwellen Schuldenberg und aufsteigenden Spekulationsblasen gekennzeichnet sind, kulminieren in manifesten Krisenschüben, in denen diese Blasen platzen, Währungs- oder Schuldenkrisen ausbrechen und Depressionen ganze Volkswirtschaften verwüsten. Ein adäquates Verständnis der Krise kann ohne ein entsprechendes Verständnis des Kapitalismus nicht gewonnen werden - das Kapital ist ebenfalls kein (ewiger) Naturzustand. Nicht nur die Krise muss als historischer Prozess begriffen werden, der durch innere Widersprüche angetrieben wird. Auch das kapitalistische System ist keine überhistorische Konstante menschlicher Existenz, sondern eine konkrete, widersprüchliche Gesellschaftsformation, die ihren bluttriefenden Anfang in der frühen Neuzeit nahm - und nach einer rund 300-jährigen Expansionsgeschichte in der gegenwärtigen Krisenperiode an ihren ökonomischen und ökologischen Widersprüchen zerbricht.17 Es gilt somit, der im Spätkapitalismus allgegenwärtigen Verdinglichung des Denkens entgegenzuwirken, welche die Grundlage aller Krisenideologie samt ihrer Extremformen wie Faschismus und Nationalsozialismus ist. Das dynamische Denken und Wahrnehmen in Prozessen und Entwicklungen - angetrieben von Widersprüchen - muss an die Stelle des statischen Denkens in Zuständen treten. Die Frage lautet somit nicht, wie das spätkapitalistische System oder wie der Mensch "ist", der in diesem System sozialisiert wurde, sondern wie es geworden ist, wohin es treibt, wie die Triebkräfte dieses kapitalistischen Prozesses beschaffen sind. Ebenso gilt es zu beleuchten, wie die spätkapitalistischen Menschen durch diese blindwütige, fetischistische Kapitaldynamik geformt und verheert werden, die ihnen als eine übermächtige, naturhaft erscheinende Gewalt entgegentritt, obwohl sie sie alltäglich marktvermittelt erarbeiten.
Kapital als prozessierender Widerspruch
Welcher Widerspruch ist es konkret, der seit der Durchsetzung des Kapitals in der historischen Expansionsbewegung des kapitalistischen Weltsystems "prozessiert"? Das Kapital ist in seinem uferlosen Verwertungskreislauf bemüht, sich seiner eigenen Substanz zu entledigen. Die Lohnarbeit, verwertet im Reproduktionsprozess des Kapitals, bildet dessen Substanz. Im Endeffekt ist das Kapital ein realabstrakter Verwertungsprozess, bei dem durch alle Formwandel von Ware und Geld immer größere Mengen abstrakter, "toter" Lohnarbeit akkumuliert werden. Die Instabilität, die Krisenanfälligkeit, aber auch die zerstörerische Dynamik des kapitalistischen Systems resultiert aus der marktvermittelten Tendenz des Kapitals, den Einsatz von Lohnarbeit im Produktionsprozess zu minimieren. Dieser "prozessierende Widerspruch", bei dem das Kapital konkurrenzvermittelt seine "Entsubstantialisierung" betreibt, ist nur in einer Expansionsbewegung, bei Erschließung neuer Märkte, Wachstumsfelder und insbesondere Industriesektoren aufrechtzuerhalten. Das Kapital muss expandieren - oder es zerbricht an sich selbst.
Das Scheitern des industriellen Strukturwandels
Die bürgerliche Volkswirtschaftslehre bezeichnet diesen in seiner inneren Widersprüchlichkeit unverstandenen historischen Prozess zunehmender Widerspruchsentfaltung als "industriellen Strukturwandel": Alte Industrien, die eine Zeitlang als Leitsektoren dienten, verschwinden, um neuen, moderneren Wirtschaftszweigen Platz zu machen. Historisch betrachtet waren es die Textilbranche, die Schwerindustrie, die Chemie, die Elektrobranche, zuletzt der Fahrzeugbau, die als "Leitsektoren" dienten, die massenhaft Lohnarbeit verwerteten - wobei das ideologische Dogma der Volkswirtschaftslehre in der Annahme besteht, dass letztendlich, allen Friktionen zum Trotz, die neuen Sektoren immer genügend neue "Arbeitsplätze" schüfen, um den Wegfall der Lohnarbeit in den alten Industrien zu kompensieren. Dies funktioniert aber schon seit etlichen Dekaden nicht mehr.18 Wollte man nun die Ursache der gegenwärtigen Systemkrise in einem Satz auf den Punkt bringen, so könnte er folgendermaßen formuliert werden: Die Krise ist Folge des Scheiterns des industriellen Strukturwandels seit den 80er-Jahren des 20. Jahrhundert. Die Rationalisierungsschübe der mikroelektronischen Revolution führten schon damals dazu, dass erstmals die neuen IT-Industrien nicht genügend neue Arbeitsplätze und Verwertungsmöglichkeiten schaffen konnten, um die Masse der abschmelzenden Arbeitskraft in den alten Industrien zu kompensieren. Es gibt seit den 80ern, seit dem Auslaufen des langen Nachkriegsbooms, keinen industriellen Leitsektor mehr, in dem massenhaft Lohnarbeit verwertet würde. Die Krise frisst sich seit Jahrzehnten schubweise von der Peripherie in die Zentren des Weltsystems - die Wirtschaftszusammenbrüche infolge von Schuldenkrisen der Dritten Welt in den 80er- und 90er-Jahren bildeten den Vorlauf zu den Verheerungen, die zuletzt Südeuropa in Gestalt des Sparsadisten Schäuble verwüsteten. Die Reaktion des Systems besteht jedes Mal in einer abermaligen Flucht nach vorn, die den ökonomischen Kern des Neoliberalismus bildet: Entrechtung der Lohnabhängigen, Entfesslung der Finanzmärkte, Globalisierung des Schuldenturmbaus mittels Defizitkreisläufen, ökologisch zerstörerische Billigproduktion in Schwellen- oder Entwicklungsländern.
Neoliberalismus und Finanzialisierung als "Flucht nach vorn"
In der globalen "Finanzialisierung" des Kapitalismus, bei der die Finanzbranche zum dominanten Volkswirtschaftssektor aufstieg, schien die Finanzsphäre die Funktion eines Leitsektors oder "Motors" der Ökonomie zu übernehmen. Dass dies über längere Zeiträume nicht funktionieren kann, da in der Finanzsphäre keine Verwertung wertbildender Lohnarbeit abläuft, machten die zunehmenden Finanzmarktbeben klar, die das Weltfinanzsystem seit den 90er-Jahren erschüttern. Nach einer Reihe regionaler Finanzkrisen in den 90ern, wie der Asienkrise und der Russlandpleite, etablierte sich ab der zweiten Hälfte der 90er-Jahre eine regelrechte globale Finanzblasenökonomie. An Umfang zunehmende Spekulationsblasen, die beim Platzen immer größere Finanzmarktbeben hervorrufen, lösen einander ab: von der im Jahr 2000 platzenden Dot-Com-Spekulation mit Hightech-Aktien über die Immobilienblase von 2007/08 bis zur gegenwärtigen gigantischen Liquiditätsblase, die ihren Reifegrad erreicht hat - wobei die Politik zu einer Getriebenen dieser Dynamik wurde und mit immer extremeren Mitteln die Folgen der geplatzten Blasen auffangen musste.
Politik in der Krisenfalle
Gewissermaßen war die Politik beim Umgang mit der Krise der vergangenen Dekaden "erfolgreich". Es waren ihre "Rettungsmaßnahmen" nach dem Platzen einer Blase, mit denen ein wirtschaftlicher Zusammenbruch immer wieder kurzfristig verhindert wurde - und die zugleich den Grundstein für die nächste, noch größere Spekulationsdynamik legen. Die Politik hangelt sich von Blase zu Blase, kann somit aus dieser Finanzblasenökonomie nicht ausbrechen, da dies zum ökonomischen Kollaps führt, wie die jüngste Krisengeschichte illustriert. Die Weltwirtschaftskrise von 2009 resultierte gerade daraus, dass die US-Administration unter George W. Bush die Finanzmärkte nicht "auffangen" und "retten" wollte, sondern die Investmentbank Lehmann Brothers als abschreckendes Beispiel für alle Finanzmarktakteure pleitegehen ließ. Die Folgen dieses Versuchs, aus der Finanzblasenökonomie auszubrechen, sind bekannt: Die Finanzmärkte froren ein, die Kreditvergabe...