E-Book, Deutsch, Band 7, 322 Seiten
Reihe: Studien zur kontrastiven deutsch-iberoromanischen Sprachwissenschaft (SkodiS)
Konzett Interferenzen beim Simultandolmetschen vom Spanischen ins Deutsche aus (psycho)linguistischer und dolmetschprozessorientierter Perspektive
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8233-0479-1
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 7, 322 Seiten
Reihe: Studien zur kontrastiven deutsch-iberoromanischen Sprachwissenschaft (SkodiS)
ISBN: 978-3-8233-0479-1
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Werk befasst sich mit Interferenzen beim Simultandolmetschen in die A-Sprache in der Sprachkombination Spanisch - Deutsch. Die Erforschung von Interferenzen wurde im Bereich der Dolmetschwissenschaft bislang vernachlässigt, obwohl das Phänomen der Interferenzerscheinungen nicht nur aus linguistischer Perspektive interessant ist, da so sprachspezifische Schwierigkeitsstellen erfasst werden können, sondern auch aus dolmetschprozessorientierter Perspektive, da es einen Einblick in die Sprachverarbeitung und Strategien während des Simultandolmetschens ermöglicht. Es wurde folglich eine interdisziplinäre Perspektive an der Schnittstelle zwischen Linguistik und Dolmetschwissenschaft für die Erforschung von Interferenzen gewählt, um sowohl die linguistischen und sprachenpaarspezifischen Erkenntnisse als auch die Spezifika des Dolmetschprozesses berücksichtigen zu können.
Dr. Jennifer Konzett lehrt am Institut für Translationswissenschaft der Universität Innsbruck Übersetzen und Dolmetschen (Spanisch).
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2Interdisziplinarität und Sprachenpaarspezifik
Für die Durchführung des Forschungsprojekts wird eine interdisziplinäre und sprachenpaarspezifische Vorgehensweise als geeignetste Herangehensweise erachtet. Die Interdisziplinarität1 in der Dolmetschwissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten stark an Wichtigkeit gewonnen. Als junge Wissenschaftsdisziplin war gerade zu Beginn eine gewisse Diskrepanz zwischen der Notwendigkeit, sich methodisch und theoretisch an andere Disziplinen anzulehnen, einerseits, und dem Wunsch nach Abgrenzung, andererseits, spürbar. Kalina (1998:33) schreibt zu diesem Prozess Folgendes: „Eine neu zu begründende Disziplin oder Teildisziplin kann sich zunächst nur in Abgrenzung von anderen Wissenschaften und in ihrer Schnittmenge mit ihnen definieren.“ In den letzten Jahrzehnten gewann die Berücksichtigung der Erkenntnisse aus benachbarten Forschungsfeldern für viele Themenstellungen an Wichtigkeit. (Vgl. Pöchhacker 1994:25 f.) Kurz (1996), zum Beispiel, sieht dieselbe Notwendigkeit einer interdisziplinären, multiperspektivischen Forschung, die Snell-Hornby (1986) für die Übersetzungswissenschaft fordert, auch für die Dolmetschwissenschaft und erkennt vor allem großes Potential in der Miteinbeziehung von grundlegenden Erkenntnissen aus Forschungsbereichen wie „der allgemeinen Sprachwissenschaft, der Textlinguistik, der Kommunikationswissenschaft, der kognitiven Psychologie, der Sprachpsychologie oder Neurophysiologie“ (Kurz 1996:16). Die Autorin weist darauf hin, dass Interdisziplinarität keine Gefahr für die Eigenständigkeit der Translationswissenschaft darstellt, in Worten Snell-Hornbys (1995:84): „[…] [A]n integrated approach to translation is not only possible, but […] is even essential if translation studies is to establish itself as an independent discipline.“ Welche Forschungsdisziplinen von besonderer Relevanz sind, hängt wiederum stark von der jeweiligen Fragestellung ab und eine Bereicherung durch interdisziplinäre Ansätze findet nicht nur unidirektional statt, sondern bidirektional, wobei auch andere Disziplinen von translationswissenschaftlichen Fragestellungen und Untersuchungen profitieren können. (Vgl. Kurz 1996:15 ff.) Für die Thematik Interferenzerscheinungen beim Simultandolmetschen sind einerseits linguistische Grundlagen aus den unterschiedlichen Teildisziplinen und andererseits psycholinguistische und kognitionspsychologische Erkenntnisse essenziell, um nicht nur sprachstrukturellen Besonderheiten der Dolmetschrichtung Spanisch – Deutsch Rechnung zu tragen, sondern auch mögliche Interferenzursachen auf Dolmetschprozessebene zu identifizieren und somit wichtige Rückschlüsse auf die Sprachverarbeitung beim Simultandolmetschen zu schließen. Die Frage einer Sprachenpaarspezifik ist ein in der Dolmetschwissenschaft kontrovers diskutiertes Thema, vor allem im Bereich der Dolmetschdidaktik. Während von den Vertretern der Interpretativen Dolmetschtheorie, auch théorie du sens (vgl. Seleskovitch/Lederer 1984), eine rein sinnbasierte Verarbeitung im Dolmetschprozess angenommen wird und sprachenpaarspezifische Besonderheiten somit kaum Beachtung finden, werden in vielen dolmetschwissenschaftlichen Forschungsarbeiten, welche auf den psycholinguistischen und kognitionswissenschaftlichen Erkenntnissen der Informationsverarbeitungstheorie basieren, sprachenpaarspezifische Ansätze und damit einhergehend die linguistischen Grundlagen der beteiligten Sprachen als wichtige Faktoren im Dolmetschprozess angesehen2. Gile (2003:58) schreibt diesbezüglich, dass sich ein sinnbasierter Ansatz, wie er in der théorie du sens vertreten wird, und sprachenpaarspezifische Herangehensweisen nicht gegenseitig ausschließen, sondern weist vielmehr auf die Vorteile einer Kombination aus Deverbalisierungsprozess und sprachspezifischem Vorgehen und auch einem Training in der Dolmetschausbildung, das beide Ansätze miteinbezieht, hin: „Thus, it is quite possible to acknowledge both the essential advantages of a deverbalization approach in translation work, and the existence of language-specific and language-pair specific features in its practical implementation without there being any contradiction.” Die Arbeiten zu sprachenpaarspezifischen Fragestellungen beschäftigen sich sowohl aus theoretischer als auch aus empirischer Perspektive mit Dolmetschschwierigkeiten in verschiedenen Sprachenpaaren, welche sich wiederum in einer Häufung bestimmter Fehlerarten manifestieren, der sprachenpaarbedingten Anwendung von unterschiedlichen Strategien sowie dolmetschdidaktischen Rückschlüssen. (Vgl. Niemann 2012:5 ff; Setton 1999:53 ff.) Ganz allgemein schreibt Gile (1990:20) über mögliche Unterschiede bezüglich des Schwierigkeitsgrades in verschiedenen Sprachenpaaren Folgendes: “ […] there may well be 'easier' and 'more difficult' languages to interpret into […]. In this respect, interpretation from German into English may be 'easier' than interpretation from German into French”. Die Annahme über den tatsächlichen Schwierigkeitsgrad einer Dolmetschrichtung ist zwar empirisch nicht überprüft und auch schwierig zu operationalisieren, aber Studien zu einzelnen Aspekten liefern wichtige Erkenntnisse zu sprachenpaarspezifischen Herausforderungen, Schwierigkeiten und Strategien beim Simultandolmetschen. Sowohl aktuelle psycholinguistische Erkenntnisse zur Sprachverarbeitung (vgl. Kapitel 3.1) als auch empirische Befunde aus der Dolmetschwissenschaft, zum Beispiel zur Antizipation (vgl.u.a. Seeber 2005), zur Décalage (vgl.u.a. Goldman-Eisler 1972), zu morphosyntaktischen Transformationen (vgl. z.B. Donato 2003), aber auch zu Interferenzerscheinungen in unterschiedlichen Sprachenpaaren (vgl. dazu Kapitel 4.3) geben Hinweise darauf, dass die Umkodierung beim Translationsprozess nie vollkommen unabhängig von linguistischen Faktoren der Ausgangs- und Zielsprache ist, dass Strategien sprachenpaarspezifisch eingesetzt werden und die Oberflächenstruktur der Ausgangssprache sich häufig durch Einflüsse in der Zielsprache manifestiert. Gile (2005:12 ff) spricht einerseits von den linguistischen Besonderheiten, die jede einzelne Sprache aufweist und die, je nachdem, ob es sich um die Ausgangs- oder Zielsprache beim Simultandolmetschen handelt, besondere Herausforderungen darstellen. Diesbezüglich erwähnt er als mögliche Einflussfaktoren auf das Sprachverständnis, zum Beispiel, den Grad an Redundanz und eine niedrige bzw. hohe Dichte von ambigen Wörtern oder Satzstrukturen in der Ausgangssprache. Bei der Sprachproduktion spielen unter anderem die syntaktische Flexibilität und damit einhergehend die Möglichkeiten, wie ein angefangener Satz zu Ende gebracht werden kann, eine Rolle. Andererseits gibt es zusätzlich zu den einzelsprachlichen Herausforderungen auch sprachenpaarspezifische Faktoren, die durch die jeweilige Kombination von Ausgangs- und Zielsprache, eine geringere oder höhere kognitive Verarbeitungskapazität bzw. die Anwendung verschiedener Dolmetschstrategien erfordern, darunter zum Beispiel die syntaktischen Unterschiede und Gemeinsamkeiten sowie der Verwandtschaftsgrad der beiden Sprachen in Bezug auf lexikalische, phonetische oder morphosyntaktische Ähnlichkeiten. Unterschiedliche syntaktische Abfolgen, vor allem bei komplexen Satzstrukturen in den beteiligten Sprachen, erhöhen die Anforderungen an die Merkkapazität und machen teilweise einen aufwendigen Satzumbau notwendig, was stark ressourcenverbrauchend ist. In diesen Fällen kann es zu Inhaltsfehlern kommen, aber auch Interferenzfehler sind ein häufiges Phänomen, wenn der Dolmetscher zugunsten der inhaltlichen Vollständigkeit so nahe wie möglich an der Struktur des Originals bleibt. Bei typologisch sehr ähnlichen Sprachen kann die Aktivierung von zielsprachlichen Items durch vielfach formähnliche Äquivalente stark erleichtert werden, was eine kognitive Entlastung bedeutet. Allerdings birgt diese Formähnlichkeit gleichzeitig ein erhöhtes Interferenzpotential, wenn nur die Form, nicht aber die Bedeutung übereinstimmen (vgl. Kapitel 3.1.2 und 3.1.5). (Vgl. Gile 2005:12 ff.) Anhand des Effort-Modells für das Simultandolmetschen (vgl. Kapitel 3.3.1) kann gut dargestellt werden, dass unterschiedliche Sprachenpaare unterschiedliche Anforderungen an die Kapazitätenaufteilung beim Dolmetschen stellen. Gile (1997:209) schreibt diesbezüglich: “The Effort Models would suggest […] that syntactic differences that force interpreters to wait longer before starting to formulate their [target language] speech tend to increase the load on the memory effort. One might even go further and talk about the intrinsic requirements of specific languages in terms of the listening effort and/or in terms of the production effort.” Seeber und Kerzel (2011) zeigen anhand von Seebers Modell der Verarbeitungskapazität (vgl. Seeber 2011) auf, dass nicht nur sprachenpaarspezifische Faktoren einen Einfluss auf die kognitive Belastung beim Dolmetschen haben, sondern dass auch intralinguale Aspekte berücksichtigt werden müssen. Eine Messung der kognitiven Belastung führte Seeber empirisch mithilfe von Pupillometrie3 durch und verglich dabei die Verarbeitung unterschiedlicher Satzstrukturen im Sprachenpaar Deutsch – Englisch. Die Hypothese, dass SVO-Strukturen beim Dolmetschen vom Deutschen ins Englische, da sie syntaktisch symmetrisch sind, weniger Verarbeitungskapazität beanspruchen als SOV-Strukturen, welche im gewählten Sprachenpaar syntaktisch asymmetrisch sind, konnte vom Autor in seinem Experiment verifiziert werden. Zumindest für die Verbendstellung im Deutschen konnte somit ein...